Die „Stunde Null“ in Literatur und Medien
Die „Stunde Null“ in Literatur und Medien
- Ort:
- Berlin
- Lesedauer:
- 2 MIN
Die „Stunde Null“ aus literatur- und medienwissenschaftlicher Perspektive: 80 Jahre nach Kriegsende befasste sich mit diesem Thema eine internationale wissenschaftliche Tagung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dr. Christian Adam vertrat dort das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit einem Vortrag zur Rolle der alten Eliten beim Neuaufbau der DDRDeutsche Demokratische Republik-Literatur.
„Roter Schnee“ war einer der erfolgreichsten Kriegsromane der DDRDeutsche Demokratische Republik-Literatur: Auflage über 200000 Exemplare. Sein Autor, Günter Hofé, im Hauptberuf Verlagsleiter des Verlags der Nation, erzählt darin die „Wandlungsgeschichte“ eines Offiziers in Hitlers Wehrmacht, der – vom Krieg zusehends desillusioniert – am Ende mit seinen Männern zur Roten Armee überläuft. Roman, Autor und Verlag waren Teil des gezielten Versuchs der DDRDeutsche Demokratische Republik-Führung, Angehörige von Wehrmacht und NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei für den Aufbau eines neuen Staates zu gewinnen. In seinem Vortrag „Wandlung in der Grauzone. Der Aufbau der DDRDeutsche Demokratische Republik-Literatur und die alten Eliten am Beispiel des Verlags der Nation“ präsentierte Dr. Christian Adam, Leiter des Fachbereichs Publikationen am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Archivfunde zu Hofé, dem Verlag und seinen Autoren. Neben den publizierten Texten kamen auch die geheimdienstlichen Verstrickungen Hofés – er wurde sowohl von KGB und Staatssicherheit als auch vom Bundesnachrichtendienst als Agent geführt – zur Sprache. Adam knüpft mit dieser Detailstudie zum Verlag der Nation an seine langjährigen Forschungen zur Buchhandelsgeschichte an, insbesondere an sein Buch „Der Traum vom Jahre Null“ aus dem Jahr 2016.
Internationale Tagung zur Transformation 1945–1949
Der Vortrag reihte sich ein in Überlegungen zur „langen Stunde Null“, die wie in der Geschichtswissenschaft auch in der Forschung zu Literatur und Medien weniger als radikaler Schnitt, sondern vielmehr als Prozess betrachtet werden muss. Die von Prof. a. D.außer Dienst Erhard Schütz (Berlin) und Dr. Till Greite (London) organisierte und von der Fritz Thyssen Stiftung finanzierte Tagung versuchte dieses Prozesshafte zu vermessen. Die Beiträge reichten dabei vom deutschen Trümmerfilm (Manuel Koeppen) über die Rolle der Information Control Division der USUnited States-Amerikaner (Frederic Ponten) bis zu Luce d’Eramos Erinnerungen aus dem KZ Dachau (Maddalena Casarini).
Neue Bücher für alte Eliten
In seinem Vortrag hob Adam hervor, dass die Lizenzierung des Verlags der Nation 1948 durch die sowjetische Militärverwaltung in eine Zeit fiel, in der auf Seiten der Besatzer auch die militärpolitischen Ambitionen der Deutschen wieder unterstützt wurden. Der Aufbau von Polizeitruppen unter Rückgriff auf bewährte Kräfte aus der Zeit vor 1945 wurde dabei von thematisch passenden Publikationen aus dem Verlag der Nation flankiert. Einer der ersten autobiografischen Texte dieser Art war 1956 „Gewissen in Aufruhr“ von Rudolf Petershagen. Wegen einer Verwundung von der Ostfront in die Heimat verlegt, fand sich Petershagen im Jahr 1945 als Kampfkommandant von Greifswald wieder. Er widersetzte sich dem Befehl, die Stadt bis zur letzten Patrone zu verteidigen, und übergab sie kampflos an die Rote Armee. Bücher von Hofé oder Petershagen erschienen unter dem programmatischen Begriff der Wandlungsliteratur, die kein Nischendasein fristete. Sie war bis zum Ende der DDRDeutsche Demokratische Republik im Buchhandel fest etabliert. Ein Buch, das die Ergebnisse der Tagung „Die lange Stunde Null: Figuren – Konstellationen – Medien und Formate der kulturellen und politischen Transformation 1945 – 1949“ zusammenfassen soll, ist in Vorbereitung.