Die Reichswehr zwischen Landesverteidigung und "Blitzkrieg"
Die Reichswehr zwischen Landesverteidigung und "Blitzkrieg"
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 5 MIN
Am 9. und 10. Juli 2025 hielt das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr seinen inzwischen vierten Reichswehr-Workshop ab. In diesem Jahr diskutierten Expertinnen und Experten die Rolle der Reichswehr im Vorfeld der deutschen „Blitzfeldzüge“ und des geplanten „Blitzkrieges“ zwischen 1939 und 1941. Gleichzeitig galt es, die bewegliche Gefechtsführung in der Reichswehr im Zeitgeist der Weimarer Republik zu verorten, in der Tempo und Beschleunigung eine große Rolle spielten.
Mobilität und Zeit
Zu Beginn der Veranstaltung legte Markus Pöhlmann (Potsdam) eine Definition des Begriffs der militärischen Mobilität vor. Diese sei als „Fähigkeit zur absichtsvollen Bewegung von Truppenkörpern, Waffen, Gütern und Informationen im Raum“ zu verstehen. Militärische Mobilität beschrieb er als grundsätzlich funktional und ressourcenabhängig. Zugleich sei sie immer im Verhältnis zu den Fähigkeiten von Gegnern und Verbündeten zu betrachten. Die militärische Mobilität der Reichswehr war durch gegensätzliche Erfahrungen gekennzeichnet. Aus diesen Erfahrungen resultierten Bestrebungen, die durch den Versailler Vertrag bedingte eigene materielle und zahlenmäßige Unterlegenheit durch Förderung der militärischen Mobilität auszugleichen.
Frank Reichherzer (Potsdam) hob die widersprüchlichen Erfahrungen der Vergangenheit und die Erwartungen an die Zukunft in der sogenannten Zwischenkriegszeit hervor: So war die Erfahrung des Ersten Weltkriegs einerseits durch den Stillstand im Stellungskrieg, andererseits durch die Beschleunigung von Bewegung und Kommunikation durch neueste technische Errungenschaften gekennzeichnet. Durch die Einschränkungen konzentrierte sich die Reichswehrführung noch stärker auf die Zukunft, als es in anderen Streitkräften der Fall war, und bewies hierbei viel Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Zwar führte von hier kein direkter Weg zu der Idee des „Blitzkriegs“, doch schuf die Reichswehrführung mit den von ihr eröffneten „Denkräumen“ die grundlegenden Voraussetzungen.
Motoren und Pferde
Zu Beginn der ersten Sektion unter Leitung von Agilolf Keßelring (Helsinki) ging Roman Töppel (München) auf die Bestrebungen im Reichsheer ein, die Infanterie durch Ausstattung mit motorisierten Fahrzeugen beweglicher zu machen. Hierzu führte es ab Mitte der 1920er Jahre eigene Verkehrsübungen durch. Diese mündeten 1937 in der Motorisierung von vier Infanteriedivisionen. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs zog die Überbewertung des Waffensystems Panzer jedoch die Vernachlässigung der Motorisierung nach sich.
Demgegenüber spielte in der Reichsmarine Geschwindigkeit kaum eine Rolle, wie Johannes Fischbach (Berlin) darlegte. Der Fokus lag hier auf der Steigerung von Feuerkraft und Widerstandsfähigkeit neuer Schiffstypen für einen erwarteten Seekrieg in der Ostsee. Eine Ausnahme stellte die Entwicklung des „Panzerschiffs A“ dar, dem jedoch vor allem die Rolle eines militärpolitischen Hebels für die Revision des Versailler Vertrages zukam.
Zum Abschluss sprach Friederike Hartung (Potsdam) zur Bedeutung der Kavallerie angesichts der Heeresmotorisierung. Sie betonte, dass die Auseinandersetzung „Pferd versus Motor“ auch ein innerorganisatorischer Konflikt um Macht, Prestige und Ressourcen war. Ein Teil der Kavallerieoffiziere sah in der Motorisierung durchaus keinen Verlust, sondern die Chance, ihre Ideale und Fähigkeiten, den „Reitergeist“, in die neuen Waffengattungen zu tragen. Der Rüstungsschub nach 1932 besiegelte das vorläufige Ende der deutschen Kavallerie.
Jäger und Bomber
Der Fokus des zweiten Panels, geleitet von John Zimmermann (Potsdam), verlagerte sich in die dritte Dimension. Jens Wehner (Dresden) legte dar, dass das in der Reichswehrführung vorherrschende Bild vom künftigen Luftkrieg durch den italienischen General Giulio Douhet geprägt war. Douhet nahm an, dass der Krieg der Zukunft durch riesige Flotten schwerer Bomber entschieden werden würde. Die Geschwindigkeit der Maschinen spielte hier keine Rolle. Der Einfluss Douhets blieb bestehen, auch wenn das Luftkriegsbild aufgrund von technischen Weiterentwicklungen modifiziert werden musste.
Hierzu passten auch die Ausführungen von Lutz Budrass (Bochum). So hatten die deutschen Flugzeuge bis Mitte der 1920er Jahre ihren technischen Vorsprung gegenüber denen der ehemaligen Kriegsgegner eingebüßt. Die Flugsicherheit rückte in den Fokus, während sich die Geschwindigkeit kaum erhöhte. Dies trug dazu bei, dass sich die Theorien Douhets in der Reichswehrführung durchsetzten. Erst der Transatlantikflug von Charles Lindbergh 1927 führte wieder zu einer Betonung der Geschwindigkeit und zu einem Wandel des Kriegsbildes.
Um künftige Jäger- und Bomberpiloten (vor-)militärisch auszubilden, beteiligte sich die Reichswehrführung in hohem Maße an der Förderung des Luftsports, sowohl ganz offiziell, aber gleichzeitig auch getarnt, wie Kurt Möser (Karlsruhe) darstellte. Das Gleitfliegen hatte sich nicht erst in der Weimarer Republik, sondern bereits 1912/13 etabliert und auch während des Weltkrieges der Ausbildung von Militärpiloten gedient.
Internationale Perspektiven
Die letzte Sektion unter Leitung von Pierre Köckert (Potsdam) bezog internationale Perspektiven ein. Zu Beginn sprach Wim Klinkert (Amsterdam) über die Verteidigungspläne der Niederlande. Trotz der Einschränkungen, die der Versailler Vertrag dem Deutschen Reich auferlegte, bereiteten sich die Niederlande auf die Abwehr eines hoch beweglichen deutschen Angriffs vor.
Im Anschluss hielt Alaric Searle (Potsdam) einen Vortrag über die britische Militärbeobachtung und ihren Blick auf die Reichswehr. Er stellte fest, dass die mehrheitlich deutschfreundlichen Berichterstatter die Aufrüstungsmöglichkeiten der Reichswehr zu optimistisch einschätzten. Erst zwischen 1934 und 1937 wurden die britischen Bewertungen realistischer.
Alexander Reineke (Bochum) trug zur U.S. Army der Zwischenkriegszeit vor. Diese war zwar offen für Motorisierung und Mechanisierung, doch wehrte sich die militärische Führung gegen organisatorische Reformen. Panzer, motorisierte Infanterie und Flugzeuge wurden nur als Ergänzung zu den bestehenden Verbänden aufgestellt. So blieb die Kavallerie als Waffengattung bestehen, zumal sie auch nach 1918 ihren Wert im Einsatz etwa an der mexikanischen Grenze bewies.
Zum Abschluss vertrat Michael Olsansky (Zürich) die These, dass die Reichswehr für die Streitkräfte der Schweiz und Österreichs, insbesondere in der taktischen Ausbildung, ein wesentliches Vorbild war. Erst im Zuge der beschleunigten deutschen Wiederaufrüstung ab 1933 verlor die Reichswehr diesen Status.
Fazit und Ausblick
Zum Abschluss der Veranstaltung fasste Frank Reichherzer (Potsdam) die Ergebnisse des Workshops zusammen. Er sprach sich dafür aus, die Forschung durch das kritische Hinterfragen von Begriffen und ein neues Lesen von altbekannten Quellen weiter voranzutreiben. Besonders komme es darauf an, die „Black Box“ Reichswehr (und in der Erweiterung das Militär insgesamt) aufzubrechen und deren Einbettung in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen zu erforschen. Verschiedene Wege, die militärische Mobilität der Reichswehr im Kontext des „Zeitgeistes“ in der Weimarer Republik zu untersuchen, bieten etwa die Designgeschichte, die Emotionsgeschichte und die Analyse von Bildquellen. Es gelte weiterhin, die Reichswehr besser in der deutschen Militärgeschichte insgesamt zu verorten und hierbei traditionelle wie moderne Einflüsse, Kontinuitäten und Brüche in den Blick zu nehmen.