Prof. Ziemann: „1923 lebten die Deutschen im Ausnahmezustand“
Prof. Ziemann: „1923 lebten die Deutschen im Ausnahmezustand“
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 4 MIN
Prof. Dr. Benjamin Ziemann hielt am 9. November 2023 im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) den Quartalsvortrag: „Im Ausnahmezustand. Kampf um Souveränität und Krise der Repräsentation im deutschen Krisenjahr 1923.“ Ein Vortrag über 365 Tage die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben haben.
Begrüßt wurde Prof. Dr. Ziemann, der an der University of Sheffield lehrt und ein ausgewiesener Experte für die Geschichte der Weimarer Republik ist, vom Kommandeur des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Oberst Dr. Sven Lange und dem Projektleiter 1. Weltkrieg am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Dr. habil.habilitatus Markus Pöhlmann. Neben der Begrüßung des Referenten und der Einleitung ins Thema überbrachte Oberst Lange den Anwesenden die traurige und unerwartete Nachricht vom plötzlichen Tod seines Amtsvorgängers. Kapitän zur See Dr. Jörg Hillmann, der von 2017 bis 2021 Kommandeur des Zentrums war, ist vor wenigen Tagen im Alter von 61 Jahren verstorben. Alle gedachten Kapitän Dr. Hillmann durch eine Schweigeminute.
2023 ist nicht 1923– die bundesdeutsche Demokratie ist robuster
Dieser Ausnahmezustand war der rote Faden von Prof. Dr. Benjamin Ziemanns Vortrag am 9. November im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr). Vor rund 70 Zuhörerenden spannte der Referent den Bogen von den drei großen Ereignissen – Ruhrbesetzung, Hyperinflation, Putschversuche (insbesondere der Hitlerputsch am 9.11.) – über die konkreten Auswirkungen, wie Ausrufung des Ausnahmezustands, Übertragung von exekutiver Macht ans Militär, regieren mit Ermächtigungsgesetzen und Notverordnungen sowie der Entmachtung des Parlaments, bis hin zu der These, dass die Ereignisse und Erfahrungen des Jahres 1923 die Weimarer Republik zwar nicht zum Einsturz aber zum Wanken gebracht hatten und langfristig das Fundament der Demokratie zerstört hatten. Im Anschluss an den Vortrag stellte sich Prof. Ziemann den Fragen der Zuhörer und stellte fest, dass aus seiner Sicht eine Vergleichbarkeit mit den aktuellen Problemen der demokratischen Parteien nicht zulässig ist.
Ein Jahr, drei Krisen: Ruhrbesetzung, Inflation und Putschversuche
1923 begann mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen. Anlass dafür war ein geringfügiger Lieferverzug bei den Reparationsleistungen. Die Besetzung deutschen Territoriums löste, ob der Unfähigkeit der Reichswehr dies zu verhindern, einen Schock in der Gesellschaft aus und führte, so Prof. Ziemann Anfang 1923 zu einer Art Kriegsbegeisterung. Die Reichsregierung entschloss sich jedoch durch passiven Widerstand die französische Besatzung zu kontern. Die Regierung des Reichskanzlers Wilhelm Cuno zahlte fortan die Löhne, der nicht mehr arbeitenden Bergleute und Beamten im Ruhrgebiet. Dies ließ sich nur durch eine Erhöhung der Geldmenge erreichen. Diese mündete schließlich in eine Hyperinflation. Das begünstigte, laut dem Referenten, das Erstarken der demokratiefeindlichen Kräfte und führte vor allem im Nachgang zu einer weiteren Zersplitterung des Parteiensystems. So konnten bei den Reichstagswahlen 1924 die Ein-Themen-Parteien insgesamt ca. 13% der Wählerstimmen auf sich vereinen. Insbesondere die liberalen und konservativen Kräfte verloren an Zustimmung.
Ermächtigungsgesetze zum Schutz der „öffentliche[n] Sicherheit und Ordnung“
Um sowohl die Inflation als auch die Bedrohungen aus dem In- und Ausland zu kontrollieren, entschloss sich die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert mit Hilfe des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung über Ermächtigungsgesetze und Notverordnungen zu handeln. Das Ziel war eigentlich „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ wiederherzustellen. Aber, so führte der Referent aus, diese Möglichkeit wurde auch dazu verwendet, demokratische und soziale Errungenschaften wie z.B. den 8-Stunden-Tag de-facto abzuschaffen. Einen weiteren Aspekt der Krise der demokratischen Institutionen sieht Prof. Ziemann in dem durch Reichspräsident Ebert verhängten Ausnahmezustand für das gesamte Reich vom 26. September 1923. Zwar reagierte Ebert damit nur auf die verfassungsfeindlichen Aktionen der bayerischen Landesregierung. Gleichzeitig war es jedoch ein Eingeständnis, dass die Situation zu eskalieren drohte und die Regierung in Berlin die Kontrolle verlor. Als dann auch noch die Exekutivmacht am 8. November an den Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt, übertragen wurde, war das demokratische System weitgehend ausgehöhlt. Bemerkenswert ist, dass General von Seeckt die ihm übertragene Macht Ende Februar 1924 wieder abgab. Dennoch blieb als Ergebnis, dass die Krise der Republik nur durch die Tatkraft des Militärs bewältigt werden konnte.
1923: Der Anfang vom Ende der Weimarer Republik
Am Ende seines Vortrages konstatierte Prof. Ziemann als Folge des Jahres 1923 eine zerstörte Wirtschaft, eine verarmte Bevölkerung (besonders in der Mittelschicht) und einen Vertrauensverlust in die demokratischen Prozesse und Institutionen einerseits und andererseits eine Stärkung konservativer und revanchistischer Kräfte, was z.B. in verstärkten Aufrüstungsbemühungen der Reichswehr – Zusammenarbeit mit der Sowjetunion – deutlich wurde.
Weitere Informationen rund um das Krisenjahr 1923
"Zugehört" - Der Podcast des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr