Workshop zum europäischen Leitbild des Militär
Workshop zum europäischen Leitbild des Militär
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 5 MIN
Vom 16. bis 17. März 2023 führte die International Society for Military Ethics in Europe (EuroISME) am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einen Workshop unter dem Motto „Merkmale eines europäischen Leitbildes für die Militärethik“ durch.
Die Internationale Gesellschaft für Militärethik (ISME) entstand 2005 in den Vereinigten Staaten als gemeinnützige Vereinigung. 2011 bildete sich auf Initiative einiger europäischer Mitglieder ein eigener europäischer Verband, die EuroISME, die einen stärkeren Fokus auf die Bedingungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Militärethik hat. Der Workshop fand unter der Leitung eines der beiden Vizepräsidenten von EuroISME, Prof. Dr. Thomas R. Elßner statt. Der zweite Vizepräsident, Prof. Dr. David Whetham (King’s College London), nahm in Form eines Video-Beitrages am Workshop teil, der die zentralen Werte und Tugenden der britischen Streitkräfte vorstellte und zu denen anderer Nationen in Beziehung setzte.
Den Auftakt bildete am Mittwochnachmittag ein Rundgang durch das Stadtzentrum von Potsdam, bei dem der Historiker Dr. Martin Rink (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) auf die engen Verflechtungen der Residenzstadt mit dem Militär einging. Schon bei dieser Gelegenheit erfuhren die Teilnehmer etwas über ein spezifisch deutsches Militärethos und konnten einige Denkanstöße für die kommenden Tage mitnehmen.
Am Donnerstagmorgen eröffnete Dr. Heiko Biehl (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) in Vertretung des Kommandeurs Oberst Dr. Lange den Workshop und verwies auf die Relevanz des Themas für das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Im Anschluss daran erörterte Thomas Elßner die Entstehung von EuroISME und deren Bemühungen um eine zeitgemäße Militärethik seit 2011. Dr. Gerhard Kümmel (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) beschloss mit seinen Ausführungen zu Militärethik und Militärseelsorge den einführenden Teil. Hier ging es einerseits um die Inhalte wie Verhaltenskodexe oder Normierungen, andererseits auch um die Umsetzung dieser, zum Beispiel durch internationale Versuche einer multilateralen Zusammenarbeit.
Philosophische und historische Grundlagen
Der Workshop bestand aus fünf Round-Table-Gesprächen, die sich aus jeweils mehreren Vorträgen und einer Diskussionsrunde zu einem militärethischen Aspekt zusammensetzten. RoundTable 1 bezog sich auf „Philosophische und historische Grundlagen für eine Annäherung an zeitgemäße Militärethik“ und bot zur Eröffnung eine gemeinsame theoretische Basis der Militärethik. Prof. Dr. Jovan Babic (Universität Belgrad) sprach in seinem Vortrag über Fragen und Probleme einer gemeinsamen Identität Europas und Möglichkeiten, diese zu schaffen. Dr. Florian Demont-Biaggi (Militärakademie an der ETH Zürich) ging auf die theoretischen Grundlagen von ethischen Werten und auf die Frage ein, wie diese greifbar gemacht werden können. Er äußerte dabei Kritik an den Top-Down Theorien des gerechten Krieges und des gerechten Friedens. Die reale Umsetzung dieser Theorien scheitere daran, dass jedermann etwas anderes meint, wenn es um die praktische Auslebung eines Wertes geht. Für den Abschluss des ersten RoundTables erörterte PDPrivatdozent Dr. Bernhard Koch (Institut für Theologie und Frieden Hamburg) philosophische Grundlagen der Ethik. Insbesondere die Relevanz der praktisch-angewandten Ethik für die Militärethik wurde hier betont.
Gemeinsamer Bezugsrahmen einer militärischen Berufsethik
Der zweite RoundTable stand unter dem Motto „Bezugsrahmen für eine militärische Berufsethik: Werte, Tugenden, Verhaltenskodexe – Was haben europäische Streitkräfte gemeinsam?“ und wurde von Dr. Magdalena Revue (Militärakademie Saint-Cyr), welche seit 2012 für EuroISME tätig ist, eingeleitet.
Den ersten Vortrag hielt Dr. Patrick Hofstetter (Militärakademie an der ETH Zürich) über Bottom-up Theorien zur Militärethik. Hofstetter hatte Soldaten zu Motivationen für ihren Beruf befragt und nutzte seinen Datensatz, um Grundlagen für eine gemeinsame Ethik zu analysieren. Im Anschluss daran sprach Militärdekan MMag. Stefan Gugerel (Institut für Religion und Frieden Wien) über Rahmenideen für eine gemeinsame, konkrete europäische Militärethik. Hier wurden insbesondere europäische Integrations- und Organisationsmodelle wie die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa oder das Internationale Rote Kreuz als Leitbilder hervorgehoben. Anschließend darauf sprach Dr. Markus Thurau über den „gerechten Frieden“ als ein nach wie vor aktuelles Konzept, das den Bezugsrahmen für eine gemeinsame Militärethik bilden könnte. Abschließend für den zweiten RoundTable berichtete der Irakkrieg-Veteran Jeffrey Montrose über Kriegserfahrungen und die gemeinsamen menschlichen Erlebnisse, welche die verschiedenen Nationalitäten im Krieg einen.
Sicherheitspolitische Herausforderungen
Nach der Mittagspause wurde der dritte RoundTable zum Thema „Gesellschaftspolitische und technische Entwicklungen – sicherheitspolitische Herausforderungen der Zukunft“ von Oberst a.D. Manfred Rosenberger, Mitglied im Vorstand von Euro-ISME, eingeleitet. Den Auftakt machte der Politikwissenschaftler Dr. Markus Steinbrecher (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr). In seinem Vortrag sprach er über die Relevanz der öffentlichen Meinung und die Haltung der Gesellschaft zu militärischer Gewaltanwendung. Die Zahlen der vom ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durchgeführten Bevölkerungsbefragung zeigten, dass die Vermittlung der Zweckmäßigkeit eines Einsatzes dabei helfe, die öffentliche Meinung von der Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes zu überzeugen. Im Anschluss daran trug Oberleutnant Uwe Hildenbeutel (Zentrum Innere Führung Koblenz) zu den Anwendungsmöglichkeiten und Gefahren von künstlicher Intelligenz beim Militär vor. Vor allem gezielte Desinformationskampagnen durch automatisch erstellte Texte von künstlicher Intelligenz sollten nicht unterschätzt werden.
Den Abschluss des dritten RoundTables machte Dr. Katrin Bastian vom George C. Marshall European Center for Security Studies in Garmisch-Partenkirchen. In Ihrem Vortrag stellte sie primär die Aufgaben und Funktionen des Marshall-Centers vor und verband sie mit Fragen des Workshops.
Führungskultur und militärische Berufsethik
Den vierten und letzten RoundTable des ersten Tages, der sich mit der Frage befasste, welche Bedeutung zentrale Elemente der Inneren Führung für eine gemeinsame europäische Führungskultur der Streitkräfte haben, eröffnete Gerhard Kümmel. Oberstleutnant Martin Rose (Zentrum Innere Führung Koblenz) hielt den ersten Vortrag. Er stellte dabei die Konzepte des „Staatsbürgers in Uniform“ und der Persönlichkeitsbildung in der Bundeswehr vor und diskutierte die Frage, welche gesamteuropäische Bedeutung diesen beiden Konzepten möglicherweise zukommen kann. Den zweiten und letzten Vortrag des Tages hielt Dr. Timo Graf über die Rolle des Parlaments als Kontrollinstanz der Streitkräfte und darüber, wie kritisch die deutsche Bevölkerung gegenüber einer „Exekutivarmee“ ist, die dieser Kontrolle entzogen ist.
Der zweite Tag begann unter Leitung von Martin Rose mit einem weiteren RoundTable, der „Gemeinsame Elemente und Konzepte für Leadership Training und ethische Bildung“ in den Blick nahm. Oberst i.G.im Generalstabsdienst Dr. Stefan Gruhl (BMVgBundesministerium der Verteidigung) sprach in seinem Vortrag über die Führungskultur der Bundeswehr und das Konzept des „Führens mit Auftrag“. Hier wurden insbesondere die Kompetenzen des Vertrauens, Vorbildes und der Verantwortung als elementare Leitbilder vermittelt. Im Anschluss daran erläuterte Magdalena Revue das Ethikkonzept an der Militärakademie Saint-Cyr in Frankreich. Sie präsentierte damit einen wichtigen alternativen Entwurf der Ethikvermittlung und Führungskultur, wie sie in anderen Ländern gehandhabt werden.
Den Abschluss des Workshops bildete eine umfassende von Thomas Elßner und Manfred Rosenberger geleitete Auswertung, die nicht nur den Blick zurück, sondern auch in die Zukunft warf. Es wurde dabei nach unverzichtbaren Schlüsselelementen für eine gemeinsame europäische militärische Führungskultur und Berufsethik gesprochen und die Frage gestellt, was EuroISME zur Förderung einer solchen Militärethik und Führungskultur beitragen könne. Mit diesen Fragen und einigen möglichen Antworten darauf wurde die Diskussion gegen Mittag beendet, und die Teilnehmer verließen mit vielen neuen Ideen und Erfahrungen den Workshop.