Militärgeschichte im Archiv: Neue Projekte und Ansätze
Militärgeschichte im Archiv: Neue Projekte und Ansätze
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 4 MIN
Geschichtswissenschaft verändert sich im digitalen Zeitalter – in großem Maße betrifft das auch die Bereitstellung, Erschließung und Auswertung von historischen Quellen. Der Workshop „Militärgeschichte im Archiv“ am 17. Oktober 2024 im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam beschäftigte sich mit aktuellen Fragen und den Folgen der Digitalisierung auch für die Arbeit von Historikerinnen und Historikern.
Dorothee Hochstetter (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) wies in ihrem Einführungsvortrag darauf hin, dass Digitalisierung in der Forschungswelt Spuren hinterlassen habe, die das althergebrachte Selbstverständnis des Historikers als Akten-Wälzer und Bücherschreiber zumindest als „unvollständig“ erscheinen lassen. Sie identifizierte fünf Ebenen, auf denen der digitale Wandel in der historischen Arbeitspraxis spürbar sei: moderne Wissenschaftskommunikation; Verdatung von Forschungsprozessen; Arbeitswerkzeuge (Hardware, Software, KIkünstliche Intelligenz), neue Datengrundlagen, Methoden und Verknüpfungen; digitalisierte Archiv- und Bibliotheksbestände. Die Referentin betonte, dass historisch Forschende Kompetenzen im Umgang mit Programmen und Tools erwerben müssten, zum anderen bedürfe es auch der Fähigkeit, Daten und Quellen kritisch zu bewerten (digitale und archivische „literacy“).
Drei Leitfragen standen im Mittelpunkt des Workshops:
- Wie kann die Militärgeschichte von neuen Ansätzen in der Quellenerschließung profitieren?
- Wie wirkt sich die Digitalisierung auf das Archivwesen und die Sammlung sowie Zugänglichmachung neuer Quellen aus?
- Eröffnen neue Ansätze in der Datenerhebung, neue Medien, Techniken und Methoden – auch außerhalb des Archivs – neue Erkenntnispotenziale in der Geschichtswissenschaft, speziell in der Militärgeschichte?
Erste Sektion: Neue Quellen, Methoden und Techniken
Die erste Sektion, moderiert von Jörg Echternkamp, Forschungsbereichsleiter am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, widmete sich dem Thema: Neue Quellen, Methoden und Techniken der Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter. Zuerst berichtete Uwe Wichert, Mitglied im Expertenkreis Munition im Meer, über seine Erfahrungen mit historischen Karten und Tagebüchern in Archiven, die Aufschluss geben über Orte und Umfang der Munitionsbelastung in deutschen Meeresgewässern. Archivarbeit ist Teil der gesicherten Informationsgewinnung, um davon ausgehend mit Drohnen, Kameras, Sensoren und KIkünstliche Intelligenz das Auffinden und Bergen von Munitionsresten aus den Weltkriegen zu ermöglichen. Der zweite Vortrag von Paul Fröhlich (Kurator der Stadtgeschichtlichen Sammlungen Cottbus) bezog sich in seinem Vortrag vor allem auf die Vorstudien für einen „digitalen Deutschen Offizierskatalog“ und die Bedeutung der Digitalisierung für seine Arbeit mit Personalakten von Offizieren der Reichswehr und der Wehrmacht.
Mirjam Adam (Universität Osnabrück) referierte am Beispiel „Schlachtfeld Hürtgenwald“ über neue Formen der Quellengewinnung und Raumforschung außerhalb des Archivs, wie beispielsweise geophysikalische/geoarchäologische Untersuchungen. Sie betonte, dass sich aus dem Forschungsprojekt „Lernort Schlachtfeld'“ Perspektiven auf die Erforschung materieller Spuren historischer „Schlachtfelder“ im Kontext interdisziplinärer Forschung anböten.
Zweite Sektion: Archivische Erschließung und Überlieferungsbildung
Cynthia Flohr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) stellte ein Projekt vor, das militärgeschichtlich große Relevanz besitzt: die Erschließung des Nachlasses, insbesondere der Korrespondenz, von General Dr. Hans Speidel (1897-1984), Teil der Gründergeneration der Bundeswehr und erster deutscher NATO-Befehlshaber Europa Mitte. Cynthia Flohr hat ein Findbuch erstellt, das die Liste der Korrespondenzpartner alphabetisch und chronologisch ordnet und das über einen kalendarischen Zugang verfügt. In der Diskussion wurde besonders die in die Tiefe gehende Erschließungsarbeit hervorgehoben.
Im zweiten Vortrag widmete sich Andreas Kunz, Referatsleiter im Bundesarchiv-Militärarchiv, der Frage, welche Konsequenzen die Umstellung des Dienstverkehrs von analogen Trägermedien auf Email und elektronische Aktenführung hat. Die klassische Aktenführung verliert an Bedeutung und wird künftig ganz verschwinden. Dies bedeutet einen enormen Wandel für die Sammlung, Ordnung, Speicherung und Bereitstellung von Archivgut und verändert auch die Archivnutzung in Bezug auf die Geschichte der Bundeswehr seit 1990.
Neue Projekte des Bundesarchivs, KIkünstliche Intelligenz-gestützte Handschriftenerkennung
Der dritte Vortrag beschäftigte sich mit neuen Projekten des Bundesarchivs, in denen handschriftliche Quellen mithilfe KIkünstliche Intelligenz-gestützter Handschriftenerkennung in maschinenlesbare Texte übertragen werden. Am Beispiel des Bestandes „Reichskolonialamt“, der 10.000 Akten enthält, erklärte Andrea Hänger, Vizepräsidentin des Bundearchivs, die technischen und organisatorischen Abläufe. Mit Hilfe der digitalisierten und von der deutschen Kurrent in moderne Schrift transkribierten Akten wird ein niedrigschwelliger Zugang geschaffen. Das Projekt wird in der Öffentlichkeit als Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte gesehen. Hänger wies noch auf zwei weitere Projekte hin, in denen Handschriftenerkennungssysteme eingesetzt werden: im Stasi-Unterlagen-Archiv und in der Personenkartei der Wehrmachtauskunftstelle. Dorothee Hochstetter führte durch diese Sektion.
Den Abschluss bildete das Fazit von Thorsten Loch (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr). Mit Blick auf die Herausforderungen, die die Digitalisierung unserer Lebenswelten für die Überlieferungsbildung in den Archiven und für die Arbeit des Historikers bedeute, betonte er, dass nicht nur der Wandel angesprochen und das Neue antizipiert werden müsse, sondern es zu erkennen gelte, worin auch die Kontinuität in der historischen Arbeit bestehe.
Im Anschluss an den Workshop wurde Archivamtfrau Cynthia Flohr, die zahlreiche Historikerinnen und Historiker des Hauses, aber auch Kooperationspartner des In- und Auslandes über Jahrzehnte bei ihren Recherchen unterstützt hat, im Historikerkreis des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt/ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr verabschiedet. Sie tritt in Kürze ihren Ruhestand an.