63. ITMG - Tag 1

Transnationale Perspektiven

Transnationale Perspektiven

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
5 MIN

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Der erste Tag der 63. Internationale Tagung für Militärgeschichte (ITMG), die vom 11. bis 13. September 2024 im Kongresshotel Potsdam stattfand, widmete sich dem Wandel des Militärs zwischen den Weltkriegen. Im Mittelpunkt des ersten Tagungstages standen transnationale Perspektiven beim Streitkräfte Aufbau und Ausbildung in der Zwischenkriegszeit.

älterer Herr mit Brille lächelt vom Podium freundlich in die Kamera

Prof. Dr. Alaric Searle, leitender Wissenschaftler am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, eröffnete die 63. Internationale Tagung für Militärgeschichte

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Gleich zu Beginn hob Prof. Dr. Alaric Searle, leitender Wissenschaftler am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, die Besonderheit der diesjährigen Tagung hervor: den erweiterten Fokus über nationale Perspektiven hinaus. Durch die Einbindung transnationaler und internationaler Ansätze sollte der Blick auf Militärgeschichte vielfältiger gestaltet werden. Die insgesamt sechs Sektionen wurden von jeweils einem Moderator geleitet und durch lebhafte Diskussionen, angeregt durch Fragen aus dem Publikum, abgeschlossen.

Sektion 1: Transnationale Perspektiven beim Aufbau von Streitkräften

Mann mit Brille und grauem Anzug am Pult

Die Vorträge der ersten Sektion unter Leitung von Agilolf Keßelring (Helsinki) konzentrierten sich auf den Aufbau von Streitkräften nach dem Ersten Weltkrieg

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Die Vorträge der ersten Sektion unter Leitung von Agilolf Keßelring (Helsinki) konzentrierten sich auf den Aufbau von Streitkräften nach dem Ersten Weltkrieg. Die geopolitische Landschaft hatte sich drastisch verändert: Die Großmächte zerfielen, und an ihrer Stelle entstanden neue Nationalstaaten, die eigene Streitkräfte benötigten. Doch von wem sollte man lernen – von den Siegern oder von den Besiegten? Mit dieser Frage setzten sich unter anderem Ikko Karjalainen (Helsinki, Foreign Influence and Evolution of Finnish Defence in the 1920s and 1930s) und Igor Kopõtin (Tartu, The German Influence on the Estonian Military Education and Training System before World War II) in ihren Vorträgen auseinander.

Vorbilder aus Europa nach der Unabhängigkeit

Mann in Anzug steht auf dem Podium

Ikko Karjalainen (Helsinki, Foreign Influence and Evolution of Finnish Defence in the 1920s and 1930s)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Nachdem Finnland und Estland ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, begannen beide Staaten, ihre Streitkräfte nach dem Vorbild anderer europäischer Mächte aufzubauen. Die internationalen Einflüsse auf die Entwicklung der finnischen Streitkräfte zeigten sich dabei in vielfältiger Weise. In den 1920er- und 1930er-Jahren halfen deutsche und britische Militärexperten beim Aufbau der finnischen Verteidigungskräfte. Da es anfangs keine eigenen militärischen Ausbildungsmöglichkeiten im Land gab, wurden finnische Offiziere an ausländische Militärakademien geschickt. Das Ergebnis war die Übernahme zahlreicher militärischer Vorschriften und Konzepte, die sich auf alle Bereiche des finnischen Militärs auswirkten, von der Militärtheorie über die technologische Entwicklung bis hin zur Ausstattung. 

Estland: Integration militärischer Konzepte

Mann in Anzug lächelt in die Kamera

Igor Kopõtin (Tartu, The German Influence on the Estonian Military Education and Training System before World War II)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

In Estland war in der Zwischenkriegszeit besonders der deutsche Einfluss auf das militärische Ausbildungssystem groß. Zwar lag die anfängliche Ausrichtung auf Frankreich und anderen westlichen Mächten, aber unter der Führung von Generalleutnant Nikolai Reek wandte sich Estland vor allem dem deutschen Modell zu. Anstatt allgemeine akademische und theoretische Fächer zu betonen, lag der Fokus auf der praktischen Entscheidungsfindung von Offizieren durch taktische Übungen, Kartenmanöver und Kriegsspiele. Doch der wirtschaftliche Rückstand Estlands und das mangelnde Verständnis für die motorisierte Kriegführung machte die Integration deutscher militärischer Konzepte schwierig.

U.S. Army: Verlorene Chancen und Stagnation?

Mann steht am Pult vor dem Mikrophon

Alexander Reineke (Bochum, Die United States Army zwischen Stagnation und Revolution in der Zwischenkriegszeit)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Im letzten Vortrag der ersten Sektion widmete sich Alexander Reineke (Bochum, Die United States Army zwischen Stagnation und Revolution in der Zwischenkriegszeit) der U.S. Army in der Zwischenkriegszeit. In der Literatur wird diese Epoche in den USAUnited States of America oft als eine Phase verlorener Chancen und der Stagnation beschrieben, was sich auch in einem damaligen Spruch unter Offizieren widerspiegelt: „We'll meet again in 20 years when we're both captains.“ Doch entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass die U.S. Army in dieser Zeit stagniert habe, hat durchaus ein lebhafter intellektueller Diskurs in militärischen Zeitschriften, den sogenannten Service-Journals, über die Mechanisierung und die Rolle neuer Technologien wie Panzer und Flugzeuge stattgefunden. Viele der dort diskutierten Ideen flossen später in die offizielle Doktrin ein.

Sektion 2: Offiziere von morgen – Anforderungen und Ausbildung

Mann in Bundeswehr Uniform moderierte am Pult

Die zweite Sektion mit dem Thema „Offiziere von morgen – Anforderungen und Ausbildung" unter der Leitung von Thorsten Loch (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Die zweite Sektion unter der Leitung von Thorsten Loch (Potsdam) stand unter dem Thema „Offiziere von morgen – Anforderungen und Ausbildung“. Die Vortragenden widmeten sich der Frage, wie Militärakademien in verschiedenen Ländern das Ziel umsetzen, charakterstarke und kompetente Offiziere hervorzubringen. Der Schwerpunkt lag darauf, wie sich die Anforderungen an Offiziere in unterschiedlichen nationalen Kontexten entwickelt haben und welche Reformen notwendig waren, um den steigenden Ansprüchen an Führungsfähigkeiten, psychischer Belastbarkeit und technischer Kompetenz gerecht zu werden.

Academy vs. Infanterieschule

Den Auftakt machte Peter Mitchell (New York, West Point and the Kriegsschulen: Curriculum Reform in the Interwar Period), der einen Vergleich zwischen der U.S. Military Academy (West Point) und der deutschen Infanterieschule in der Zwischenkriegszeit zog. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte West Point einen stark technisch ausgerichteten Lehrplan, während in der deutschen Infanterieschule taktische Ausbildung und praktische Übungen im Vordergrund standen. Doch die Kritik an der Kriegführung der U.S. Army während des ersten Weltkriegs veranlasste Superintendent Douglas MacArthur schließlich Reformen anzustoßen, um eine ausgewogenere Ausbildung anzubieten. Die deutsche Offiziersausbildung blieb hingegen weiterhin stark auf das Regiment und die Entwicklung des taktischen Denkens konzentriert.

Auswahl der Theresianischen Militärakademie

älterer Mann in Uniform

Andreas Steiger (Wiener Neustadt, Die österreichische Berufsoffizierausbildung an der Theresianischen Militärakademie 1936/37)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Andreas Steiger (Wiener Neustadt, Die österreichische Berufsoffizierausbildung an der Theresianischen Militärakademie 1936/37) bot anschließend einen Einblick in die österreichische Berufsoffizierausbildung. Diese umfasste sowohl eine breite theoretische als auch eine umfassende militärische Ausbildung. Trotz strenger Aufnahmebedingungen gab es zahlreiche Bewerber, für die detaillierte Berichte zu Charakter, körperlicher und geistiger Eignung erstellt wurden. Neben dem Prüfungsergebnis spielten die politische Einstellung der Bewerber sowie die familiären Hintergründe eine wichtige Rolle bei der endgültigen Auswahl.

Nervenstärke in der Zwischenkriegszeit

Frau mittleren Alters in schwarzer Bluse während ihres Vortrages

Gundula Gahlen (Berlin, Nervenstärke als Kriterium für die »Offiziersfähigkeit« in Reichswehr und Wehrmacht 1919-1939)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Im dritten Vortrag der zweiten Sektion befasste sich Gundula Gahlen (Berlin, Nervenstärke als Kriterium für die „Offiziersfähigkeit“ in Reichswehr und Wehrmacht 1919-1939) mit dem militärischen Diskurs in der Zwischenkriegszeit über die Prävention psychischer Erkrankungen bei Soldaten. Das deutsche Militär führte zu diesem Zweck mehrere Reformen ein, um die psychische Belastung der Soldaten künftig zu minimieren. Ab 1927 wurden zudem psychologische Tests für Offizieranwärter eingeführt, um deren Belastbarkeit zu prüfen. Im Laufe der Zeit erfuhr das Konzept der Nervenstärke eine Ideologisierung und im Zweiten Weltkrieg wurde die Frontbewährung zum zentralen Kriterium für Beförderungen, während traditionelle Auswahlverfahren zunehmend an Bedeutung verloren.

Ein Vater der Bundeswehr

älterer Mann in Bundeswehr Uniform während seines Vortrages

John Zimmermann (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, General der Bonner Republik und Rekrut der Reichswehr – das Beispiel Ulrich de Maizière)

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Vortrag von John Zimmermann (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, General der Bonner Republik und Rekrut der Reichswehr – das Beispiel Ulrich de Maizière), der sich mit der Ausbildung und dem beruflichen Werdegang von Ulrich de Maizière befasste. Als de Maizière in die Reichswehr eintrat, deutete noch nichts auf seine spätere Karriere hin. Rückblickend war de Maizière maßgeblich am Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte in der Bundesrepublik beteiligt. Er gilt als einer der Väter der Bundeswehr. Er prägte das Konzept der Inneren Führung und machte das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ zu einem Grundprinzip der Bundeswehr. Kurz gesagt, er war „einer der bedeutendsten westdeutschen Soldaten des 20. Jahrhunderts“.

von Daniel Constantin Felouzis

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63. ITMG - Streitkräfte zwischen den Weltkriegen

Welche Lehren zogen Streitkräfte zwischen 1918 und 1939 aus dem Ersten Weltkrieg? Welches Bild eines Krieges der Zukunft zeichneten sie?