Veranstaltungsbericht

Auswirkungen der Zeitenwende auf die Innere Führung

Auswirkungen der Zeitenwende auf die Innere Führung

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
6 MIN

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Am 3. und 4. Dezember 2024 fand in Potsdam die Fachtagung „Innere Führung in der Zeitenwende“ statt. Die Veranstaltung, organisiert vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Innere Führung (ZInFüZentrum Innere Führung), stieß auf großes Interesse.

Mann mittleren Alters steht am Pult, im Hintergrund Powerpoint Präsentation.

Prof. Dr. Alaric Searle begrüßt die Anwesenden der Fachtagung „Innere Führung in der Zeitenwende."

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Ist die Innere Führung noch aktuell genug?

Die „Zeitenwende“ wirft grundlegende Fragen zur Zukunft der Inneren Führung in der Bundeswehr auf: Wie lässt sich die Konzeption der Inneren Führung, die auf der Selbstbestimmtheit des gewissensgeleiteten Soldaten beruht, der die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verteidigt, mit den Anforderungen einer kriegstüchtigen Armee vereinbaren? Welche Anpassungen sind nötig, wenn die einstige „Friedensarmee“ nun auf Kriegsszenarien vorbereitet wird? Und wie kann die Innere Führung den geforderten Mentalitätswandel zu einer verteidigungsbereiten Bundeswehr und wehrhaften Gesellschaft unterstützen?

Diese komplexen Fragen standen im Mittelpunkt der Fachtagung. Sie wurden durch Vorträge von ausgewiesenen Expertinnen und Experten und während der zum Teil kontrovers geführten Diskussionen auf drei Panels mit den zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Truppe, Presse und Community Innere Führung erörtert und vertieft. 

Kriegstüchtigkeit - auch eine Frage des Mindsets

Professor Dr. Alaric Searle, stellvertretender Kommandeur des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, betonte zu Beginn, dass die aktuelle globale Instabilität eine neue Ära von militärischen und wirtschaftlichen Herausforderungen markiere, die langfristig prägend sein werde. Allerdings sei dies nicht gleichbedeutend mit einer Rückkehr zum Kalten Krieg. Brigadegeneral Ansgar Meyer, Kommandeur des ZInFüZentrum Innere Führung in Koblenz, ergänzte in seiner Begrüßung, dass die Bundeswehr nach Jahren der Auslandseinsätze nun wieder verstärkt ihren verteidigungspolitischen Fokus auf Europa sowie Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung) lege. Mit Verweis auf die Forderung des Generalinspekteurs nach einer „Zeitenwende“ und einem Mentalitätswandel hin zu mehr Wehrhaftigkeit stellte Meyer fest, dass die Truppe bereits ein kriegstaugliches Mindset zeige. Dennoch bestünden weiterhin Defizite bei Material und Ausrüstung. Seine Kernbotschaft lautete: „Wir müssen uns auf den Krieg vorbereiten, um ihn zu verhindern.“

Etwa 50 Personen und Uniform bzw. Anzug sitzen im Tagungssaal.

Die Veranstaltung stieß auf großes Interesse.

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Anschließend führten Dr. Roland Wöhrle-Chon und Oberstleutnant Günther Demleitner in das Thema ein. Sie verwiesen auf das breite Interesse an der „Zeitenwende“, die von einem gesellschaftlichen Diskurs sowie vielfältigen Debatten in Medien und sozialen Netzwerken begleitet werde. Zentrale Fragen der Tagung lauteten: Was bedeutet ein neues gemeinsames Selbstverständnis der Bundeswehr? Kann es ein solches überhaupt geben, wenn es quasi schlagartig implementiert werden und für alle Bereiche gültig sein soll? Wie kann sich die Bundeswehr gleichzeitig über Frieden und Krieg definieren? Und wie kann eine kriegstüchtige Bundeswehr ihre Bedeutung und „Strahlkraft“ in der deutschen Gesellschaft entfalten, wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2023 gefordert wird?

„Wofür lohnt es sich, Opfer zu bringen?“

Mann mit Brille und Uniform mit einem Mikrofon in der Hand

Der Brigadegeneral Jens Arlt bei seiner Keynote Speech.

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

In seiner Keynote betonte Brigadegeneral Jens Arlt, Unterabteilungsleiter Einsatzbereitschaftund Unterstützung im Bundesministerium der Verteidigung, die Notwendigkeit, die Bundeswehr angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage weiterzuentwickeln. Deutschland brauche eine kriegstüchtige Bundeswehr als Bestandteil einer wehrhaften Gesellschaft. Arlt hob hervor, dass die Einsatzbereitschaft sowohl systemisch als auch individuell gedacht werden müsse. Eine klare Trennung zwischen zivilen und militärischen Bereichen sei heute überholt, da moderne Konflikte auch logistische Ziele im rückwärtigen Raum bedrohten und hybride Dimensionen umfassten. Alte Strukturen und Konzepte müssten aktuellen Bedrohungen wie Cyberangriffen und Drohneneinsätzen angepasst werden. Trotz der notwendigen Modernisierung bleibe die Innere Führung ein zentrales Element, das Orientierung biete und die Frage beantworten müsse: „Wofür lohnt es sich, Opfer zu bringen?“ Vertrauen entstehe durch offene und ehrliche Kommunikation sowie durch gute Führung.

Mehr vom Krieg statt vom Frieden aus denken?

Vier Männer mittleren Alter auf Stühlen. Einer spricht in Mikrofon.

Die Protagonisten des Panels „Die Bedeutung der Inneren Führung für das bundeswehrgemeinsame Selbstverständnis von Wehrhaftigkeit.“

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Das erste Panel, moderiert von Oberst i.G.im Generalstabsdienst Dr. Martin Hofbauer, beschäftigte sich mit der Rolle der Inneren Führung im Spannungsfeld von Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit. Die Diskussionsteilnehmer Dr. Peter Tauber, Thomas Kössel, Oberst i.G.im Generalstabsdienst Harald Lamatsch und Dr. Gerhard Kümmel betonten die Notwendigkeit eines dynamischen Selbstverständnisses der Bundeswehr, das militärische und zivile Elemente integriere. Kritisch wurde hinterfragt, ob die Innere Führung ausreichend sei, um die Haltung und das Verhalten der Soldatinnen und Soldaten zu prägen. Sie fordert Eigenverantwortung und Fehlerbereitschaft, versteht die Bundeswehr aber zugleich als Teil der wehrhaften Demokratie. Dabei wurde festgestellt, dass die Bundeswehr oft als „unselbstbewusste“ Armee wahrgenommen werde. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung müsse genügend Motivation bieten, um Leib und Leben zu riskieren. Eine stärkere Fokussierung auf die Perspektive des Krieges sei notwendig, ohne sich von den demokratischen Werten zu entfernen. Diese Forderung fand in der Diskussion jedoch deutlichen Widerspruch: Der Eindruck einer einseitigen Konzentration auf das Kriegshandwerkliche führe in der Öffentlichkeit zur Sorge um den normativ-moralischen Kompass der Bundeswehr und den Verlust ihrer Friedensorientierung. Höchste Zeit – so eine Schlussfolgerung in der Debatte – für ein öffentlichkeitswirksames programmatisches Wort des Bundesministers der Verteidigung zum Zusammenhang von Kriegstüchtigkeit und Innerer Führung!

Kriegstüchtigkeit als Instrument zur Erreichung des Friedens?

Frau mittleren Alter steht hinter Podium und spricht in Mikrofon

Professorin Dr. med. Dr. Christiane Woopen (Bonn) bei ihrem Vortrag im Panel „Innere Führung zwischen Friedensorientierung und Kriegstüchtigkeit.“

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Im zweiten Panel, moderiert von Dr. Ina Kraft, befassten sich Professorin Dr. Christiane Woopen, Professor Dr. Elmar Wiesendahl, Dr. Markus Thurau und der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes Oberst André Wüstner mit den ethischen Fragen einer kriegsnahen Ausbildung in der „Friedensarmee Bundeswehr“. Dabei wurde kontrovers diskutiert, ob der Begriff „Kriegstüchtigkeit“ angesichts seiner historischen Belastung und der damit verbundenen Ängste sinnvoll sei. Wichtig sei, dass die Innere Führung kommunikativ mit den Herausforderungen der „Zeitenwende“ verbunden werde und dabei reale Konfliktbedingungen reflektiere und sich an aktuelle Bedrohungen anpasse, ohne den gesellschaftlichen Rückhalt zu verlieren. Dialog- und Reflexionsfähigkeit seien entscheidend, um Ängste abzubauen und den Beruf des Soldaten in der Gesellschaft zu verankern. Eine zentrale Botschaft lautete, dass Kriegstüchtigkeit als friedensethisch legitimierte Kompetenz verstanden werden müsse, die dem Ziel diene, Frieden und Freiheit zu bewahren.

Komplexer Prozess

Das abschließende Panel mit Profossorin Dr. Nicole Deitelhoff, Professor Dr. Claus Freiherr von Rosen, Generalleutnant André Bodemann und Thomas Wiegold, moderiert von Dr. Gerhard Kümmel, diskutierte die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit und Abschreckung im Kontext gesellschaftlicher Bedürfnisse und Ängste. Es wurde hervorgehoben, dass die Bundeswehr auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen sei, auch und gerade in Zeiten der Bedrohung. Gleichzeitig bestehe ein weit verbreitetes Misstrauen, das durch offene und klare Kommunikation überwunden werden müsse. Es müsse klar vermittelt werden, was die Bedrohungslage ausmache und welche Notwendigkeiten erforderlich seien, um ihr zu begegnen. Offene Diskurse und Bildung seien essenziell, um in der Bevölkerung Verständnis und Resilienz zu fördern. In einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und demokratischer Erosionserscheinungen sei die Gestaltung einer wehrhaften Demokratie mehr denn je ein komplexer Prozess. 

Eine zentrale Aufgabe bleibe es, die Zivilbevölkerung vom Dienst zur Verteidigung der Freiheit zu überzeugen – eine Aufgabe, die sowohl die Bundeswehr als auch die gesamte Gesellschaft betrifft. Die Innere Führung bleibe dafür ein unverzichtbarer Kompass für die Bundeswehr in der aktuellen Situation. Sie schaffe Raum für offenen Dialog über Bedenken und Herausforderungen. In der „Zeitenwende“ könne sie sich weiterentwickeln, indem sie Bedrohungen direkter anspricht und in die öffentliche Debatte einbringt. Die zentrale Aufgabe bestehe darin, die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Engagements für die Verteidigung der Freiheit zu überzeugen. Ein Panelteilnehmer prägte dafür treffend den Begriff „Freiheitstüchtigkeit“ – die Fähigkeit, Freiheit zu bewahren und zu verteidigen.

Zwei Männer mittleren Alters sitzen auf Stühlen und verfolgen die Vorträge

Thomas Wiegold (Berlin) und Generalleutnant André Bodemann bei der Diskussion des Panels „Kriegstüchtige Bundeswehr und wehrhafte Demokratie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Der Diskurs ist bereits Teil der Lösung

Oberstleutnant Günther Demleitner und Dr. Roland Wöhrle-Chon betonten am Ende der Tagung, dass der kontrovers geführte, aber fruchtbare Diskurs selbst ein wichtiger Beitrag zur Kriegstüchtigkeit sei. Innere Führung müsse ihre Gestaltungsfelder nutzen und weiterhin Räume für Austausch und Reflexion schaffen, um Einsicht und Handlungsbereitschaft zu fördern. Sprache und Sprachmuster beeinflussten unser Denken, unsere Haltung und unser Handeln. Diesbezüglich sei es wichtig, Begriffe auf ihre Tauglichkeit oder Missverständlichkeit hin zu prüfen und auszuwählen. Trotz aller Bedrohungen bleibe das zentrale Ziel die Erhaltung von Frieden und Freiheit. Die Frage, wie die Bundeswehr als „wehrhafte Friedensarmee“ in der Gesellschaft verankert werden könne, müsse dabei im Mittelpunkt stehen.

Zwei Männer mittleren Alters sitzen in einer Diskussionsrunde. Einer spricht in das Mikrofon.

Dr. Roland Wöhrle-Chon und Oberstleutnant Günther Demleitner fassen die Tagung am Ende zusammen.

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Gelebte und praktizierte Innere Führung kann und sollte in schwierigen Zeiten im eigentlichen Sinne innere Führung bieten. Dabei bleibt es zentral, den Soldaten vom Staatsbürger in Uniform her zu denken und nicht vom Krieg her. Denn unsere kriegstüchtigen Soldatinnen und Soldaten stehen letztlich für die Wahrung und Erhaltung des Friedens in Freiheit.

von Günther Demleitner, Roland Wöhrle-Chon, Philipp Janssen

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