„Aufrührer und Prediger“: Thomas T. Müller über den Deutschen Bauernkrieg
„Aufrührer und Prediger“: Thomas T. Müller über den Deutschen Bauernkrieg
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
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- 4 MIN
Ein Krieg in Zeit der großen Umwälzungen für Werte von gestern und heute: Über „Aufrührer und Prediger“ sprach Dr. Thomas T. Müller, Vorstand und Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, in seinem Vortrag über den Deutschen Bauernkrieg am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr am 27. März 2025.
Seinen Vortrag begann Dr. Müller mit einem Zitat von Friedrich Myconius: „Es ist nicht wohl zu glauben, wie alle Herrschaft, Ritterschaft und Regenten in ganz Deutschland so verzagt wurden, daß auch zehen Bäuerlein ohne Harnisch ein ungewinnlich Schloß einnehmen konnten. – Darnach kehret’s sich wieder um, daß ein einziger Reuter zehen Bauern gefangen nehmen konnt.“ Die Worte des Gothaer Predigers stehen Müller zufolge stellvertretend für das „Unverständnis“ der Zeitgenossen, denn sie erlebten eine Umkehr von Macht und Ordnung. Die Ursachen der als „verkehrte Welt“ empfundenen Realität ist in der Reformation zu finden, so Müller, denn die Aufständischen beriefen sich auf Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Sie interpretierten seine Aussagen als Rechtfertigung für soziale Forderungen wie die Abschaffung der Leibeigenschaft – eine Auslegung, die Luther jedoch nicht beabsichtigte.
Gestern und heute: Bundschuh und Gummistiefel
Der gebürtige Eichsfelder referierte auch zur Vorgeschichte des Bauernkriegs mit der Bundschuh-Bewegung und dem „Armen Konrad“. Diese Bewegungen, überwiegend im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches entstanden, waren geprägt von antiklerikalen und freiheitlichen Forderungen. Die Bundschuh-Aufstände forderten die Wiederherstellung alter Rechte und richteten sich gegen Klerus, Adel und städtische Obrigkeiten. Als Bewegung sahen sie göttliches Recht von menschlichem Unrecht verletzt. Müller legte dar, dass die Bundschuhbewegung zwar vor über 500 Jahren entstand, aber ihre Symbolik bis in die heutige Zeit genutzt wird: Ende des Mittelalters wurde der Bundschuh als Fußbekleidung des Bauernstandes an einem Stock vorangetragen, um der aufständischen Gruppe ein Erkennungszeichen zu sein. Bei den Bauernprotesten 2023/2024 nahm diese Rolle der Gummistiefel ein, der von Aktivisten an Ortseingangsschildern aufgehängt wurde.
„Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“
In seinem Vortrag stellte Müller auch die in Memmingen formulierten „Zwölf Artikel“ vor: Eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Sie verbreiteten sich rasch und wurden zur inhaltlichen Grundlage des Bauernkriegs. Neben religiösen Anliegen – wie der freien Pfarrerwahl und einer gerechteren Zehntverwendung – forderten sie soziale und wirtschaftliche Reformen: Abschaffung der Leibeigenschaft, Rückgabe von Gemeindebesitz, Begrenzung von Frondiensten, Abschaffung der Erbschaftssteuer sowie die allgemeine Freigabe von Jagd und Fischerei. Alle Forderungen sollten mit Gottes Wort übereinstimmen. Aber gerade Luther distanzierte sich: In seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ rief er zur brutalen Niederschlagung des Aufstands auf. Damit verriet Luther die Hoffnung vieler Bauern auf Unterstützung durch die Reformation.
Verteufelt und ideologisiert: Thomas Müntzer
Ausgehend von Süddeutschland flammten Aufstände in Thüringen, Franken, der Pfalz und Tirol auf. Trotz einzelner Erfolge wurden alle Aufstände abschließend gewaltsam von den Fürsten beendet. In der Schlacht am 15. Mai 1525 wurden die Aufständischen unter dem Theologen Thomas Müntzer durch ein Fürstenheer vollständig besiegt. Auf Seiten der Bauern standen mindestens 6000 Tote, dagegen nur 6 tote Landsknechte auf Seiten der Fürsten – am Anfang wie am Ende des Krieges eine „verkehrte Welt“. Müntzer wurde gefangen genommen und in der Reichsstadt Mühlhausen enthauptet. Nach 1525 wurde Thomas Müntzer in der lutherischen Geschichtsschreibung lange als teuflischer Rädelsführer des Bauernkrieges diffamiert.
Erst im 19. Jahrhundert änderte sich die Sicht und gipfelte im 20. Jahrhundert in einer ideologischen Vereinnahmung in der DDRDeutsche Demokratische Republik: Als Symbol revolutionärer Tradition wurde er glorifiziert und Straßen, Schulen und Bergwerke nach ihm benannt. Sogar ein 5-Mark-Schein wurde ihm gewidmet. Der Geldschein der Staatsbank der DDRDeutsche Demokratische Republik trug ein Kupferstichportrait von Thomas Müntzer und auf der Rückseite einen Mähdrescher als Zeichen der Kontinuität des Arbeiter- und Bauernstaates. Müller wies auf diese Beachtlichkeit hin, denn sonst waren auf den DDRDeutsche Demokratische Republik-Banknoten zentrale Personen des Kommunismus oder der deutschen Geschichte zu sehen wie Karl Marx oder Johann Wolfgang von Goethe. Auch die sowjetische Staatsmacht in Person von Josef Stalin zeigte Interesse an Müntzer: In Stalins Nachlass wurden handgeschriebene Manuskripte aufgefunden, die ihm einst die Führung der DDRDeutsche Demokratische Republik im Jahr 1949 schenkte.
„freiheyt“ und „Gerechtigkeyt“
In Westdeutschland dagegen blieb die Erinnerung an den Bauernkrieg stärker regional verankert und zeigte sich in Verwendung historischer Bauernsymbole wie dem Bundschuh bei Protesten gegen Großprojekte, etwa gegen die Daimler-Teststrecke. Heute wird der Bauernkrieg Müller zufolge als früher Aufstand für allgemeine Menschenrechte gewertet. Die diesjährigen Landesausstellungen in Thüringen und Sachsen-Anhalt tragen Titel nach gültigen Werten von damals und heute: „freiheyt“ und „Gerechtigkeyt“.