Bericht - Quartalsvortrag

Der Vernichtungskrieg in „Deutsch-Südwestafrika“ und der Feldzug gegen die OvaHerero 1904

Der Vernichtungskrieg in „Deutsch-Südwestafrika“ und der Feldzug gegen die OvaHerero 1904

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
4 MIN

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Die Kolonialgeschichte Deutsch-Südwestafrikas ist bis heute ein bewegendes Thema. Die Wunden, die sie hinterlassen hat, sind im heutigen Namibia noch immer präsent. Vor 120 Jahren begann der deutsche Vernichtungskrieg gegen die indigenen Volksgruppen der OvaHerero und Nama. Ein Krieg, der durch das vor drei Jahren geschlossene Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia erneut in das öffentliche deutsche Bewusstsein trat.

Mann am Pult, im Hintergrund blaue Powerpoint Präsenation mit weißer Schrift. Im Vordergrund Rückansicht des Publikums.

Dr. Dr. Matthias Häussler hat am 25. September 2024 einen Quartalsvortrag mit dem Titel: "Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama 1904 – 1908" im ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr gehalten.

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Der Historiker und Soziologe Dr. Dr. Matthias Häussler hielt am 25. September 2024 im ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr den Quartalsvortrag „Der Vernichtungskrieg in ‚Deutsch-Südwestafrika‘ unter besonderer Berücksichtigung des Feldzuges gegen die OvaHerero (1904)“. Häussler zeichnete den Prozess der Eskalation in Deutsch-Südwestafrika im Jahr 1904 nach und ging dabei konkret auf die Strategien der zwei deutschen Kommandeure der sogenannten Schutztruppe Theodor Leutwein und Lothar von Trotha ein.

Eine Vielzahl von Kriegen und Genoziden

Zu Beginn seines Vortrages gab Häussler einen Überblick über die Kriege und Genozide in der ehemaligen Kolonie. Namibische Historiker zeichneten das Bild eines einzelnen Befreiungskampfes gegen die deutsche Kolonialmacht, um eine nationale Identität zu schaffen. Die Lage war allerdings deutlich komplexer. In der ehemaligen deutschen Kolonie existierten viele Bevölkerungsgruppen. Diese bekämpften nicht nur die deutsche Kolonialmacht, sondern trugen auch untereinander bewaffnete Konflikte aus. Häussler sprach daher von mehreren Kriegen und verschiedenen Genoziden, die die Deutschen an unterschiedlichen Volksgruppen verübten.

Wie begann die Eskalation?

Häussler zufolge führte eine Vielzahl von Gründen zur Eskalation: Zum einen verloren die Indigenen durch die Rinderpest ihre wichtigste Ressource – ihr Vieh. Zum anderen drängten Reservate die verschiedenen Hirtenvölker auf engstem Raum zusammen und europäische Händler versuchten sie rücksichtslos auszubeuten. Außerdem erlebte die einheimische Bevölkerung immer wieder Übergriffe und Vergewaltigungen durch die Kolonisierenden. In dieser Situation, in der sich die OvaHerero nicht auf staatlichen oder juristischen Schutz verlassen konnten, griffen sie zu den Waffen.

„Ermattung – Vernichtung – Ausrottung“

Mann mit Hemd und Sako steht am Pult vor der Power-Point Präsentation.

Dr. Dr. Matthias Häussler – wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ehemaliges Mitglied des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Den Prozess der Eskalation erläuterte Häussler in einem Dreiklang aus „Ermattungs-, Vernichtungs- und Ausrottungsphase“. In einem ersten Schritt beleuchtete er das Herrschaftssystem Theodor Leutweins. Dieser war elf Jahre Gouverneur und Oberbefehlshaber der Truppen in Deutsch-Südwestafrika. In seiner Amtszeit begann die Eskalation. Leutwein verwaltete die Kolonie mit einer Mischung aus Diplomatie und Gewalt. So spielte er nach dem Prinzip divide et impera die indigenen Führer gegeneinander aus. Trotz der Vorgabe aus Berlin, die Kolonie auf möglichst unblutige Weise „deutsch“ zu halten, zielte Leutweins „Friedenspolitik“ – laut Häussler ein Euphemismus – schließlich darauf ab, eine starke Abhängigkeit der Indigenen von den „Weißen“ zu implementieren. Aus dieser Perspektive ist auch Leutwein im weitesten Sinne mitverantwortlich für den kommenden Genozid.

Das Scheitern des „Systems Leutwein“

Im Unterschied zur symmetrischen Kriegführung in Europa waren in Deutsch-Südwestafrika keine entscheidenden Siege nach dem Vorbild einer Vernichtungsschlacht durch Umfassung zu erringen. Dies lag hauptsächlich daran, dass sich die OvaHerero nach Überfällen immer wieder potenziellen Gefechten entzogen. Vor diesem Hintergrund wählte Leutwein zunächst eine Ermattungsstrategie in Form unentwegter Bedrängung. In einem zweiten Schritt erläuterte Häussler den Wandel zu einer Vernichtungsstrategie: Dieser erfolgte 1904, nachdem Oscar Stübel, der Kolonialdirektor des Auswärtigen Amtes, das „System Leutwein“ als gescheitert ansah und das Ende jeder indigenen Selbstständigkeit in Deutsch-Südwestafrika forderte. Häussler definierte den nun einsetzenden Prozess der Vernichtung als das gezielte Töten aller an Kampfhandlungen beteiligten Indigenen. Dies erfolgte durch das Einschließen und Niederringen des militärischen Gegners in konzentrischen Operationen.

Lothar von Trotha: Vernichtungsschlacht am Waterberg?

Da sich unter Leutwein keine eindeutigen Erfolge einstellten, berief Kaiser Wilhelm II. im Frühjahr 1904 den Boxerkrieg-Veteranen Lothar von Trotha zum neuen Kommandeur der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Während Leutwein neben der militärischen Gewaltanwendung auf ein Netzwerk aus diplomatischen Beziehungen setzte, charakterisierte Häussler von Trotha als einen nach Prestige strebenden „Machiavellisten“. Der neue Kommandeur verstand sich in erster Linie als Soldat, der durch militärische Überlegenheit Furcht unter der indigenen Bevölkerung erzeugen wollte. In einem konzentrischen Vorgehen versuchte von Trotha mit einer Vernichtungsschlacht eine Entscheidung am Waterberg herbeizuführen. Dieser Plan scheiterte allerdings durch den erfolgreichen Ausbruch der OvaHerero in die Omaheke-Wüste.

Die „überlegene Gewaltfähigkeit“ 

Den Übergang zum Ausrottungsprozess beleuchtete Häussler in einem letzten Schritt. Er vertrat die Auffassung, dass von Trothas Ausrottungsgedanke letztlich eine dynamische Reaktion auf den militärischen Fehlschlag am Waterberg war. Erst als der Kommandeur der Schutztruppe erkannte, dass der Konflikt aus eigener Kraft nicht mehr zu gewinnen war, sah er von einer weiteren Verfolgung der fliehenden OvaHerero ab. Er änderte seine Strategie und schloss jegliche Diplomatie konsequent aus. Seine Ausrottungsstrategie sollte eine „überlegene Gewaltfähigkeit“ inszenieren – die besaß von Trotha jedoch nicht. Häussler sah in von Trothas Proklamation an die OvaHerero („Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero […] erschossen“) und der Absicht, die Volksgruppe in der Wüste verdursten zu lassen, die „exterminatorische Schwelle“ überschritten. Matthias Häussler beschrieb anhand der Trias „Ermattung – Vernichtung – Ausrottung“ nicht nur die Eskalationsstufen im Konflikt anschaulich, sondern auch die Motive, die zur Anpassung der Strategie führten. Dabei betonte er sowohl den Kontrast zwischen den Konzepten Leutweins und von Trothas als auch das Streben nach Prestige als Antrieb für die weitere Eskalation des Krieges. Diese Dynamik führte schließlich zu einem Wechsel von einer Vernichtungs- zu einer Ausrottungsstrategie und damit zum Genozid an den OvaHerero.

von Erik Pelzer

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