Quartalsvortrag

Sind die Deutschen kriegerischer als Andere?

Sind die Deutschen kriegerischer als Andere?

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
3 MIN

Mehr als 500 Jahre Militärgeschichte: Der britische Historiker Peter H. Wilson referierte über Krieg und Militär in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sein Vortrag Ende Mai stand unter dem Titel „A Warlike People? Reflections on German Military History from 1500 to the Present“.

Mann mit Glatze am Rednerpult

Das Bild vom kriegerischen Volk der Deutschen sei irreführend, erklärte Prof. Peter H. Wilson

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Begrüßt wurde Prof. Dr. Peter H. Wilson, der an der University of Oxford lehrt und ein ausgewiesener Experte für die deutsche Militärgeschichte insbesondere der frühen Neuzeit ist, vom Kommandeur des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Oberst Dr. Sven Lange. Der Leitende Wissenschaftler des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Prof. Dr. Alaric Searle stellte den Referenten vor und erläuterte an ausgewählten Stationen seiner akademischen Vita, wie Prof. Wilson zu einem Experten für deutsche Militärgeschichte wurde. Seit 2015 ist er Lehrstuhlinhaber des seit 1909 bestehenden Chichele-Lehrstuhls für Kriegsgeschichte. Schon seine Dissertation befasste sich mit dem Militär: „War, state and society in Württemberg 1677-1793“ (Cambridge, 1995). In einer Reihe weiterer Schriften beleuchtete Wilson die kriegerische Seite der deutschen Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert.

Ist militärische Gewalt Teil der „deutschen DNA“?

Unter dem Eindruck von zwei durch Deutschland verursachten Weltkriegen mit immensen Zerstörungen und schier unvorstellbaren Verlusten an Menschenleben, dem Holocaust als singulärem Ereignis in der gesamten Geschichte, preußischer militärischer Tugenden und Traditionen, die weit ins 20. Jahrhundert hinein Teil der deutschen Gesellschaft waren, scheint die Verneinung dieser Frage kaum möglich. Der britische Historiker Wilson blickt von außen auf diese Zuschreibung der Deutschen als „kriegerisch“. Er konnte zwar nicht umhin zu konstatieren, dass die deutschsprachigen Länder in viele Konflikte und Kriege verwickelt waren. Aber, so seine Aussage, waren diese nicht zwangsläufig Ergebnis einer besonders kriegerischen Nation, sondern resultierten oft aus geografischen und politischen Gegebenheiten. 

Menschen sitzen in einem Saal

Die Zuhörerinnen und Zuhörer beim Vortrag von Prof. Wilson im Hans-Meier-Welcker-Saal des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Das Etikett „kriegerisch“ vereinfacht unzulässig

Zu Beginn seines Vortrages erläuterte Professor Wilson, warum er sein Buch „Eisen und Blut: Die Geschichte der deutschsprachigen Länder seit 1500“ schrieb: Er wollte eine Gesamtübersicht schaffen und dabei die vorherrschenden Stereotype auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen. Er wollte das Werk schaffen, das er zu Beginn seiner akademischen Karriere gern gelesen hätte, um sich einen Überblick verschaffen zu können. Die gängige Deutung Deutschlands als zumindest in der Vergangenheit kriegerischem Staat, speist sich vor allem aus der Verantwortung für zwei Weltkriege und dem Bild Preußens als Militärmacht. Dieses Bild entstand zunächst durch die Einigungskriege und den neuen stark auf militärische Elemente aufgebauten Staat. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde dieses Bild fixiert.

Dabei spielten in der Geschichte der deutschsprachigen Länder eine Reihe von Faktoren eine Rolle, die nicht von ihnen beeinflusst werden konnten. Dazu gehört die Tatsache, dass aus der Mittellage auch mehr potenziell feindliche Nachbarn erwachsen konnten. Des weiteren war zum Beispiel in Preußen die Versorgung mit Lebensmitteln eine permanente Herausforderung. Daher war es das Ziel der deutschsprachigen Länder, durch technische und taktische Überlegenheit kriegerische Auseinandersetzungen kurz zu halten und siegreich beenden zu können. 

Deutschland im Vergleich?

Da bis 1919 keine deutsche Armee existierte, kann eine Militärgeschichte von 1500 bis heute sich überwiegend auf die Einzelstaaten abstützen. So war das Heilige Römische Reich bis 1806 überwiegend defensiv eingestellt. Die Macht des Reiches hing stark mit der Hausmacht des jeweiligen Kaisers zusammen. Nur die österreichischen Kaiser verfügten über den Großteil der Neuzeit über genügend kriegerische Mittel, um im Kampf um Macht in Europa mitzumischen. Dies taten sie jedoch zumeist als Erzherzöge von Österreich und nicht als Deutsche Könige.

Auch die Schweiz war über einen Großteil ihrer Geschichte in kriegerische Unternehmungen und Kriege involviert. Nach der Erkämpfung der Unabhängigkeit von Habsburg wurden Kriege zur Erweiterung des eidgenössischen Gebietes, zur Abwehr fremder Einflüsse und zur Sicherung der Reformation von Zwingli und Calvin geführt.

Insgesamt legte Prof. Wilson dar, dass aus seiner Sicht die Idee vom deutschen Sonderweg abwegig sei. Vielmehr sei die Mitte Europas oft ein Spielball der Mächte gewesen. Jedoch habe sich das Image der kriegerischen Nation so erfolgreich etabliert, dass z.B. sogar die Uniformen der chilenischen Armee an die der preußischen Armee bzw. Reichswehr und Wehrmacht angelehnt sind.

zwei Männer sitzen sich gegenüber und sprechen in Mikrofone

Im Anschluss beantwortete Prof. Peter H. Wilson die Fragen des Publikums, moderiert von Prof. Alaric Searle.

Bundeswehr/Andrea Nimpsch
von Christan Deckart