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Workshopbericht: Reichswehr und Technik

Workshopbericht: Reichswehr und Technik

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
5 MIN

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Am 24./25. Mai 2023 stellte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) mit seinem zweiten Reichswehr-Workshop das Thema „Reichswehr und Technik“ in den Mittelpunkt. Untersucht wurden die Bedeutung insbesondere moderner Technik innerhalb der Reichswehr einerseits und die Einordnung von Militär und Technik in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge der Weimarer Republik.

Workshop-Totale

Historikerinnen und Historiker aus Deutschland, aber auch aus Finnland, Polen und Australien sowie Gäste nahmen am zweiten Reichswehr-Workshop am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr teil.

Bundeswehr/Nimpsch

Militär und Technik

In der geschichtswissenschaftlichen Forschung zum Thema „Militär und Technik“ traten die Streitkräfte lange Zeit nur als Auftraggeber oder Abnehmer technisch-industrieller Erzeugnisse in Erscheinung. Oftmals erschien das Militär als eine „Black Box“, wobei innere Abläufe und Interessen der bewaffneten Macht an moderner Technik nicht im Mittelpunkt des Interesses standen. Dies galt insbesondere für die als „Staat im Staate“ bezeichnete Reichswehr, zu der die Forschung in den 1970er und 1980er Jahren langsam verebbte. Neuere Arbeiten seit Anfang der 2000er Jahre brechen die Isolierung des Militärs immer weiter auf und betrachten es als wichtigen Akteur in seinen Verflechtungen mit Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

Leitfragen

Auf dem Workshop diskutierten Historikerinnen und Historiker Fragen zu der Technikerfahrung des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg und der Änderung des Kriegsbildes durch Technik, zu den Folgen der militärischen Beschränkungen durch den Versailler Vertrag und weiter nach dem Stellenwert der Militärtechnik in Organisation und Führungsdenken der Reichswehr. Bei aller militärischen Nabelschau wurde dabei der gesamtgesellschaftliche Kontext, in den sich die Reichswehr einfügte, nicht außer Acht gelassen. Es ging darum, das Thema „Reichswehr und Technik“ in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und gesamtgesellschaftliche Entwicklung im Zusammenhang mit Technik und Technisierung mitzudenken.

Die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen werden im Folgenden kurz zusammengefasst.

Der Zukunftskrieg in der Literatur

In ihren Veröffentlichungen der 1920er und 1930er Jahre sagten Militärexperten einen hochtechnisierten Krieg der Zukunft voraus, für den es sich zu wappnen gelte.

Bundeswehr/Werberg

Technik und „Zukunftskrieg“

Die große Bedeutung, die moderner Technik in der Reichswehr zukam, wurde auf dem Workshop noch einmal deutlich unterstrichen. Diese war unmittelbare Folge der Technikerfahrung des Ersten Weltkrieges und prägte das Denken über den erwarteten „Zukunftskrieg“. Die militärischen Beschränkungen durch den Versailler Vertrag von 1919, der Deutschland u.a. den Besitz von Panzern, schweren Artilleriegeschützen, U-Booten, schweren Schlachtschiffen und einer Luftwaffe verbot, scheinen dabei die Gewichtung von Technik im Denken der Reichswehrführung paradoxerweise noch verstärkt zu haben. So sollte die numerische Unterlegenheit der deutschen Streitkräfte im Kriegsfalle (das Reichsheer durfte höchstens 100.000, die Reichsmarine nur 15.000 Soldaten umfassen) durch Technik ausgeglichen werden. Ziel war es, diesen Nachteil durch überlegene operative Führung, durch Steigerung der Bewegungsfähigkeit sowie den Einsatz von neusten Kampfmitteln wie etwa Raketen auszugleichen. Hierzu sollten verdeckt moderne technische Führungsmittel wie leistungsfähige Funkgeräte angeschafft und in geheimer Kooperation mit der Sowjetunion Panzer, Militärflugzeuge und Gaskampfstoffe erprobt werden. Das Bild eines hochtechnisierten Krieges der Zukunft konnte dabei einerseits zu einer Radikalisierung der militärischen Planungen, andererseits zu einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit moderner Militärtechnik führen, wie etwa Jens Wehner in seinem Vortrag über das Luftkriegsdenken in der Reichswehr zeigte.

Rüstung und Abrüstung in Europa

Der Versailler Vertrag erlegte den deutschen Streitkräften strenge rüstungstechnische und zahlenmäßige Beschränkungen auf, wodurch deren Unterlegenheit festgeschrieben werden sollte (Postkarte mit Propagandaabbildung, Deutschland 1934)

akg-images / arkivi

Begrenzte Handlungsspielräume

Bei allen Überlegungen zum Stellenwert moderner Technik in einem zukünftigen Krieg stellte sich für die Reichswehr von Anfang an eine Frage: wie konnte sichergestellt werden, dass die deutschen Streitkräfte den Anschluss an die neuesten Entwicklungen in der Militärtechnik nicht verloren? Die genannten militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages begrenzten die Handlungsspielräume zur Entwicklung und Erprobung enorm. Über die Einhaltung der Bestimmungen wachte die Interalliierte Militärkontrollkommission (IMKK) und weitere Sonderkommissionen.

Bis zur vollständigen Umsetzung der Vertragsbestimmungen konnte, wie Agilolf Kesselring in seinem Beitrag zeigte, die Lehrbrigade Döberitz noch 1920 neueste technische Mittel – insbesondere Messinstrumente und -verfahren der Artillerie und moderne Führungsmittel zur Koordinierung des Gefechts der verbundenen Waffen auf taktischer Ebene erproben. Die auf dem Truppenübungsplatz gewonnen Erkenntnisse wurden in die Form von Vorschriften gegossen, die sich handlungsleitend auf die gesamte Reichswehr auswirken sollten. Doch erst nach Abzug der IMKK im Januar 1927 setzte die verdeckt betriebene Umrüstung des Reichsheeres ein. Hierdurch konnte das gesammelte Wissen auch technisch unterlegt und praktisch zur Anwendung gebracht werden. In diesem Zusammenhang trugen Ian McCulloch (Canberry, Australien) zur Motorisierung im Reichsheer und Jacek Jędrysiak (Wrocław, Polen) zur Modernisierung des deutschen Eisenbahnnetzes zwecks Steigerung der Bewegungsfähigkeit der Landstreitkräfte vor.

Reichswehr und Wissenschaften

Die Reichswehrführung förderte darüber hinaus den Austausch mit Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch mit technischen Prüfanstalten und -ämtern. Naturwissenschaftlich-technische Disziplinen wie die Metrologie, Ballistik und Metallkunde, aber auch Messverfahren für Schall und Druck hatten für das Militär große Relevanz. So trat die Reichswehrführung als einer der größten Förderer von naturwissenschaftlichen Ressortforschungseinrichtungen der Weimarer Republik in Erscheinung. In diesem Zusammenhang trugen in der von Professor Dr. Helmut Maier (Wuppertal) geleiteten Sektion Technik- und Wissenschaftshistoriker zu den Tätigkeitsfeldern der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, des Staatlichen Materialprüfungsamtes sowie des staatlichen Messwesens vor. Im Zentrum standen die vom Reichswehrministerium vergebenen Aufträge, die sich etwa mit neuen Leichtmetallkonstruktionen für den Bau von Pontonbrücken und neuen Schweißtechniken für den Bau von Schiffen für die Reichsmarine befassten.

Auslandskontakte und Technikspionage

Um den Anschluss an technische Entwicklungen nicht zu verlieren, förderte die Reichswehrführung weiterhin die internationale Kooperation, aber auch die Technikspionage im Ausland. Die verdeckte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion stellt das bekannteste, aber keineswegs das einzige Beispiel für Auslandskontakte der Reichswehr dar. In seinem Vortrag ging Michael Wala (Bochum) auf den Austausch zwischen den deutschen Streitkräften und den USAUnited States of America ein, durch den sich die Reichswehrführung etwa über die  in den USUnited States-Streitkräften verwendete Artillerietechnik informieren konnte. Nach seiner Reise verfasste der Artillerieexperte Generalleutnant a.D. Hermann Schirmer einen umfassenden Bericht. Auf diese Weise wurde es deutschen Offiziere möglich, trotz der bestehenden Rüstungsbeschränkungen technisch auf der Höhe der Zeit bleiben.

Schirmer-Bericht

Auszug aus dem Bericht von Hermann Schirmer über die in den USUnited States-Streitkräften verwendeten Artilleriegeschütze mit umfangreichen technischen Daten, hier zu der Feldkanone Kaliber 75 mm

Michael Wala (Ruhr-Universität Bochum)

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Reichswehr alle sich bietende Möglichkeiten, um im technischen Bereich den Anschluss nicht zu verlieren, ausloteten und auch ausnutzten – sowohl offen mit legalen als auch verdeckt mit halblegalen bzw. illegalen Mitteln. Doch bargen alle verbotenen Aufrüstungsmaßnahmen ein hohes politisches Risiko. So hatten diese das Potenzial, eine militärischen Sanktion durch den Völkerbund bzw. eine Intervention eines oder mehrerer Nachbarstaaten gegen Deutschland auszulösen, was eine Gefährdung der äußeren Sicherheit bedeutete, die mithilfe der verdeckten Maßnahmen allein nicht hätte kompensiert werden können. Darüber hinaus drohte die Position Deutschland bei den internationalen Abrüstungsverhandlungen untergraben zu werden. Über die Frage nach dem Umgang mit diesem Dilemma gingen die Stimmen in der Reichswehrführung auseinander. Die hieraus entstandenen Gegensätze erwuchsen nicht  aus einem Konflikt zwischen verstaubten „Traditionalisten“ und progressiven „Neuerern“, wie die ältere Literatur es gerne darstellt, sondern aus den unterschiedlichen Graden der Kreativität mit den erkannten Mängeln in der technischen Rüstung umzugehen und der Bereitschaft, die politische Verantwortung hierfür zu tragen.

Panzerattrappe
von Dennis Werberg  E-Mail schreiben

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