Kick-Off Workshop des Forschungsverbundes „Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität"
Kick-Off Workshop des Forschungsverbundes „Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität"
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 8 MIN
Am 11. März 2024 fand am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr der Gründungsworkshop des Forschungsverbundes „Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität“ (MKGD) statt. 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zusammen, um sich über Ziele, Forschungsansatz, Forschungsdesiderata und Arbeitsformen des neuen Forschungsverbundes auszutauschen. Das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, das sich dem Forschungsverbund als ein Kooperationspartner anschließt, diente als Veranstaltungsort.
Der Forschungsverbund widmet sich der Frage, welche Bedeutung Militär und Krieg als Genderproduzenten in der Geschichte und Gegenwart hatten und haben, und inwiefern umgekehrt Vorstellungen von Geschlecht und Diversität das Militär in Friedens- und Kriegszeiten geprägt haben und es noch heute tun. Damit will er diesem wichtigen Forschungsfeld im deutschen und europäischen Sprachraum einen wissenschaftlichen Ort geben. Dem Verbund haben sich neben dem ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr bisher über 23 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen aus derzeit sieben Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Österreich, Schweiz und USAUnited States of America) als Kooperationspartnerinnen und -partner angeschlossen.
Politische und gesellschaftliche Bedeutung
Die internationale wie die nationale Geschlechterforschung zu Militär und Krieg betont, dass Bedeutungen, Ursachen und Folgen von militärischen Konflikten nicht ohne Berücksichtigung der Analysekategorie „Geschlecht“ zu verstehen sind. Gleiches gilt auch für die Funktionsweise und Kultur von Streitkräften und deren Formen legaler und illegaler militärischen Gewaltausübung. Damit gewinnt die Erforschung des Themas Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche und politische Relevanz. Dies gilt zum Beispiel für sexuelle und sexualisierte Gewalt, die in unterschiedlichem Ausmaß und verschiedenen Formen seit der Antike Teil von Kriegen war und heute noch ist. Doch auch in Friedenzeiten ist sexuelle Gewalt in Streitkräften und durch Streitkräfte ein wichtiges Thema. Mit der Resolution 1325 und Nachfolgedokumenten richten die Vereinten Nationen den Fokus darauf und fordern die internationale Gemeinschaft auf, gegen Ungleichheit und sexuelle Diskriminierung in den Streitkräften vorzugehen und mehr Verständnis für das Thema Geschlecht/Diversität zu schaffen.
Geschlechterforschung
Die Forschungslücken sind vor allem in den deutschsprachigen, aber auch den internationalen Geschichts-, Kultur-, Sozial- und Politikwissenschaften noch groß. Sie können nur interdisziplinär und international sinnvoll bearbeitet werden, deshalb sind im Forschungsverbund Expertinnen und Experten der verschiedenen geschichts-, kultur-, sozial und politikwissenschaftlichen Disziplinen vertreten. Ziel ist die systematische Bearbeitung des Zusammenhangs von Geschlecht/Diversität, Militär und Gewalt als Forschungsansatz und Gegenstand sowohl durch Vernetzung und regelmäßigen Austausch nationaler und internationaler Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen, als auch durch Förderung von Forschenden in allen Karrierephasen und gemeinsame Forschungsvorhaben. Es sind verschiedene Grade und Formen der Mitwirkung im MKGD möglich und erwünscht.
Begrüßung zum Kick-Off Workshop
In seiner Begrüßung hob der Kommandeur des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Oberst Dr. Sven Lange, die Bedeutung der Geschlechterforschung gerade für die Militärgeschichte hervor. Der Blick in die Geschichte und Gegenwart von Krieg und Militär belege nachdrücklich, wie sehr diese unsere Wahrnehmung von Männlichkeit und Weiblichkeit und damit die Wirkmächtigkeit traditioneller Geschlechterrollen geprägt haben. Dass das noch heute der Fall sei, so Oberst Lange, zeige nicht zuletzt der Ukrainekrieg. „Krieg als geschlechtsspezifisches Gewaltverhältnis darzustellen, die Beteiligung von Frauen an Kriegen zu untersuchen und nach Konzepten von Männlichkeit in ihrer Verknüpfung mit Krieg und Militär zu fragen, ist schon seit einigen Jahren ein Forschungsinteresse sowohl der Geschlechter- als auch der Militärgeschichte“, so führte er aus, um mit Blick auf das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr selbstkritisch anzumerken: „Die militärhistorische Forschung hat sich dabei jedoch nur zögernd den theoretischen und methodischen Ansätzen der Geschlechterforschung zugewandt. Dies trifft auch und vielleicht sogar besonders auf unser Haus und seine Vorgängereinrichtung, das Militärgeschichtliche Forschungsamt, zu.“ Dem schloss sich der Leitende Wissenschaftler und Leiter der Abteilung Forschung des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Prof. Dr. Dr. Alaric Searle, in seiner Begrüßung an. Zugleich betonte die Wichtigkeit des Austauschs zwischen ausgewiesenen Vertreterinnen und Vertretern der Geschlechterforschung und Forschenden innerhalb der Bundeswehr.
Entstehung des Forschungsverbundes
Im Anschluss berichteten die Initiatorinnen, Prof. Dr. Karen Hagemann (James G. Kenan Distinguished Professor of History and Adjunct Professor of the Curriculum in Peace, War and Defense an der University of North Carolina at Chapel Hill), Prof. Dr. Isabelle Deflers (Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität der Bundeswehr in München) und Oberstleutnant Dr. Friederike Hartung (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) über die Entstehungsgeschichte des Forschungsverbundes. Aus ersten Ideen wurde ein umfangreiches Konzept und Arbeitsprogramm entwickelt. Anschließend formulierten die drei Wissenschaftlerinnen konkrete Vorschläge zur Gründung und Struktur eines Forschungsverbundes. Damit griffen sie die „Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung“ auf, die eine „stärkere Integration von Geschlechterperspektiven in Forschung und Lehre“ und „den Aufbau verlässlicher institutioneller Strukturen“ einfordern.
Forschungsansatz, Ziele und Forschungsfragen
Im ersten von insgesamt drei Vorträgen erläuterte Prof. Dr. Karen Hagemann zunächst den theoretischen und methodischen Ansatz der Geschlechterforschung zu Militär, Krieg und Gewalt, die Forschungsentwicklung und den Forschungsstand. Sie betonte nachdrücklich, dass die Geschlechterforschung zu Militär, Krieg und Gewalt auch die Erforschung von Männern und Männlichkeit einschließen muss und sich nicht nur auf Frauen und Weiblichkeit beschränken darf, was leider immer noch allzu häufig der Fall sei.
Anschließend erläuterte sie die drei zentralen Ziele des Forschungsverbundes, der erstens die Bearbeitung dieses Forschungsfeldes durch interdisziplinäre, nationale und internationale Zusammenarbeit fördern, zweitens, die Vernetzung und den regelmäßigen Austausch der in diesem Feld tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler voranbringen, und drittens systematisch Nachwuchsförderung betreiben will. Inhaltlich soll im Zentrum des Forschungsverbundes die übergeordnete Frage stehen, welche Bedeutung Militär und Krieg als Genderproduzenten in der Geschichte und Gegenwart hatten und haben und vice versa wie Vorstellungen von Geschlecht und Diversität das Militär in Friedens- und Kriegszeiten geprägt haben und es noch heute tun. Dabei soll die historische Entwicklung von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart in den Blick genommen werden. Der regionale Rahmen soll zwar transnational und global gefasst werden, ein Schwerpunkt wird aber der deutsche und europäische Raum sein, um hier eklatante Forschungsdesiderate zu bearbeiten.
Militär und Geschlecht im ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Zur Forschungsperspektive Militär und Geschlecht am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr trug im Anschluss Prof. Dr. Dr. Searle vor. In einem Rückblick, der auch die Vorgängerinstitutionen MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt und SOWISozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr einschloss, konstatierte er die Vernachlässigung der Geschlechterforschung. Bei den Geschichtswissenschaften seien, und selbst das zu wenig, nur Frauen als Forschungsgegenstand thematisiert worden. Eine Ausnahme stellten die Forschung von Oberstleutnant Dr. Klaus Peter Storkmann sowie die Arbeiten der Militärsoziologie, insbesondere von Dr. Gerhard Kümmel, dar. Geschlecht als Analysekategorie spiele dagegen bis heute so gut wie keine Rolle in den Arbeiten des Zentrums – ein Grund, warum sich das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr dem Forschungsverbund anschließe, um so auch im eigenen Haus die Expertise auszubauen.
Neue Forschungsfelder im ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Für die zukünftige Forschung skizzierte Searle drei Felder, in denen sich das Zentrum interdisziplinär mit dem Thema befassen wolle, wobei er den regionalen Rahmen mit den Forschungsfeldern der YPJ in Syrien oder des Bürgerkriegs in Myanmar über den europäischen Raum hinaus öffnete: das eine Feld betreffe die sexuelle Gewalt gegen Frauen in militärischen Konflikten, ein weiteres den Einsatz und den Kampf von Frauen im Krieg sowie drittens ihre Motivation im Hinblick auf eine Veränderung traditioneller Rollenbilder. Dazu führte er aus: „Die Verbindung zwischen einer starken Effektivität auf den Schlachtfeldern von Syrien und eine Befreiungs- und feministische Ideologie machen die YPJ zu einer enorm wichtigen und interessanten Organisation, was das Thema ‚Gender und Militär‘ angeht.“
Arbeitsweise des Forschungsverbundes
Zum Abschluss des Tages erläuterte Prof. Dr. Isabelle Deflers die Vorschläge zur Organisation und Arbeitsweise des Forschungsverbundes. Zentrale Mittel der Kommunikations sind zum einen die MKGD-Website, und zum anderen die an die Universität der Bundeswehr München angebundene MKGD-Mailingliste (mkgd@lists.unibw.de), die beide über Aktivitäten und Veranstaltungen des Forschungsverbundes und andere relevante Vorhaben informieren. Koordiniert und organisiert wird die Arbeit durch die beiden Sprecherinnen, Prof. Dr. Karen Hagemann und Prof. Dr. Isabelle Deflers sowie einen Beirat. Darüber hinaus führt der Forschungsverbund im Sommer- und Wintersemester monatlich ein Online-Forschungscolloquium durch, das an die Universität der Bundewehr München angebunden ist, und einen jährlichen thematischen Workshop mit einer Schreibwerkstatt für Doktorandinnen und Doktoranden. Die ersten drei Workshops werden am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam stattfinden und von diesem anteilig finanziert.
Kolloquien und Workshops 2024/25
Das Online Forschungskolloquium im Sommersemester zum Thema „Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität: Forschungsstand und Forschungsprobleme“ startet am 29. April 2024 mit dem Vortrag zu „Krieg und Geschlecht in der Frühen Neuzeit (ca. 1400-1800) – Ein Forschungsüberblick“ von Prof. em. Dr. Claudia Opitz-Belakhal (Universität Basel), einer Pionierin der frühneuzeitlichen Frauen- und Geschlechterforschung zu Militär und Krieg im deutschsprachigen Raum.
Der erste thematische Workshop wird am 30./31. Januar 2025 am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zum Thema „Geschlecht und Gewalt in Kolonialkriegen, Kolonialherrschaft und antikolonialen Befreiungskämpfen“ in Verbindung mit einer Schreibwerkstatt stattfinden.
Perspektiven
Von den Chancen, die der neue Verbund für die Vernetzung, die Vertiefung der Forschung und den Transfer von Forschungsergebnissen über Fachkreise hinaus bietet, zeigten sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleichermaßen überzeugt. Davon zeugte auch der Vorschlag, Podcasts zu produzieren und ein Online-Dossier auf der Website des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zu entwickeln, um das Thema sowohl innerhalb der Bundeswehr als auch einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
Nach den Präsentationen und lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmenden klang der Gründungstag des Forschungsverbundes „Militär, Krieg und Geschlecht/Diversität“ in angenehmer Atmosphäre bei einem gemeinsamen Abendessen aus.
Wissenschaftliche Leitung des Forschungsverbundes
Prof. Dr. Isabelle Deflers
Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften, Universität der Bundeswehr München
isabelle.deflers@unibw.de
Prof. Dr. Karen Hagemann
James G. Kenan Distinguished Professor of History and Adjunct Professor of the Curriculum in Peace, War, and Defense, University of North Carolina at Chapel Hill, USAUnited States of America
hagemann@unc.edu
Ansprechpartnerin im ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Dr. Kristiane Janeke
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Kristianejaneke@bundeswehr.org