Brigadegeneral a.D. Dr. Günter Roth: Fallschirmjäger, Militärhistoriker und Amtschef
Brigadegeneral a.D. Dr. Günter Roth: Fallschirmjäger, Militärhistoriker und Amtschef
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
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- 6 MIN
Am 24. März 2025 begeht Brigadegeneral a.D. Dr. Günter Roth seinen 90. Geburtstag. Zugleich jähren sich die Eckdaten seiner langen Amtszeit als Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt), das er am 1. April 1985 an seinen damaligen Standort in Freiburg im Breisgau übernahm und bis zum 20. März 1995 führte.
Kindheit, Jugend und erste Verwendungen
Günter Roth wurde am 24. März 1935 in Würzburg geboren. Seine Kindheit verbrachte er jedoch überwiegend im schlesischen Sorau, wo sein Vater als Soldat der Wehrmacht stationiert war. Nach 1945 lebte Roth in Unterfranken, wo er die Mittelschule in Ochsenfurt abschloss. Am 1. Juli 1954 trat er in den Bundesgrenzschutz (BGS) ein, der zu dieser Zeit noch militärisch gegliederten Bereitschaftspolizei des Bundes. Während seiner Offizierausbildung traf Roth auf zahlreiche frühere Wehrmachtssoldaten, von denen ihn insbesondere frühere Angehörige der Fallschirmtruppe beeindruckten. Als einer der knapp 10.000 BGS-Angehörigen wechselte Roth in die am 12. November 1955 aufgestellte Bundeswehr. Roths Dienstzeit begann am 1. Juli 1956 in der Fallschirmjägertruppe, zunächst in Kempten. Prägend auch hier blieb der Kontakt zu früheren Offizieren der Fallschirmtruppe der Wehrmacht, darunter sein späterer Doktorvater Friedrich August Freiherr von der Heydte. Der Professor für Völker- und Staatsrecht war als Ritterkreuzträger der Fallschirmtruppe der Wehrmacht zugleich Reserveoffizier der Bundeswehr. Laufbahntypisch durchlief Roth von 1957 bis 1960 Verwendungen als Zugführer und Kompaniechef. Es folgten Verwendungen als Offizier im Bataillonsstab, erneut als Kompaniechef einer Ausbildungs- und Unteroffizierlehrkompanie und sodann als Stellvertretender Bataillonskommandeur. Nach einer Tätigkeit als Taktiklehrer an der Heeresoffizierschule III in München war er im Zeitraum 1975/76 Kommandeur des Fallschimjägerbataillons 272 in Wildeshausen. All diese Verwendungen zeigen den geradlinigen Verwendungsaufbau eines Truppenoffiziers im regelmäßigen Wechsel zwischen Führungs-, Stabs- und Lehrfunktionen.
Studium und Kommandeursverwendungen
Günter Roths Biographie steht für seine Generation – als Kriegskind, als Angehöriger der Bundeswehr-Aufbaugenerationen, hier als Freiwilliger ohne Wehrmachtvergangenheit, als Offizier seiner Truppengattung und auch als Bildungsaufsteiger in der jungen Bundesrepublik. Während seiner Zeit als Truppenoffizier erwarb er die Allgemeine Hochschulreife. Obwohl bis zur Gründung der Hochschulen (später Universitäten) der Bundeswehr Anfang der 1970er Jahre ein Studium nicht zum Laufbahnprogramm der Offizierausbildung gehörte, studierte er Politische Wissenschaften, Neuere Geschichte und Psychologie in Tübingen, München und Würzburg. Im September 1975, mittlerweile als Kommandeur in Wildeshausen, legte Roth seine durch von der Heydte betreute Dissertation zum Gleichgewicht in Europa Mitte der siebziger Jahre vor. Es folgten zwei weitere Führungsfunktionen im Bereich Bildung und Ausbildung: Von 1977 bis 1981 war er Leiter des Studentenfachbereichs an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg (später: Helmut-Schmidt Universität der Bundeswehr), anschließend wirkte er als Kommandeur der Fachschule des Heeres für Erziehung und Wirtschaft in Darmstadt. Erneut laufbahntypisch übernahm er am 1. April 1984 in Lippstadt das Kommando über die Luftlandebrigade 27. Es blieb eine ungewöhnlich kurze Verwendung: Genau ein Jahr später ernannte ihn der Bundesminister der Verteidigung zum Amtschef des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt in Freiburg im Breisgau. Als einziger Amtschef avancierte er in diesem Dienstposten zum Brigadegeneral.
Amtschef des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt von 1985 bis 1995
Durch seinen fallschirmjägermäßigen Habitus galt Roth als fordernder und nicht immer leichter Vorgesetzter. Sein Wirken als Amtschef des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt fiel in eine Zeit des Wandels. Geprägt durch den ersten Amtschef Oberst i. G. Dr. Hans Meier-Welcker und seit 1970 unter der Ägide renommierter Historiker stehend, hatte das Amt eine Konzeption für eine moderne Militärgeschichte erarbeitet, die über rein operativ-taktische Fragen weit hinaus reichte. Dezidiert bedeutete dies eine Pluralität der Perspektiven: Und an diesen mangelte es im Haus genauso wenig wie an internen wie öffentlichen Kontroversen, darunter auch mit traditionell geprägten, wertkonservativen Soldaten. Während der Amtszeit Roths waren zahlreiche komplexe Aushandlungsprozesse zu bewältigen. Neben der Anforderung, die Militärgeschichte als anerkannten Zweig der Geschichtswissenschaften zu etablieren waren deren Ergebnisse angemessen in die Öffentlichkeit und in die Bundeswehr hinein zu kommunizieren. Konkret war insbesondere die Rolle der Wehrmacht als Instrument der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu erforschen. Für die Bundeswehr implizierte dies die Neubewertung manch hergebrachter Vorstellungen zu den Fragen von Tradition, militärischem Brauchtum und Elitenkontinuität.
Zum Abschluss seiner zehnjährigen Dienstzeit als Amtschef des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt zog Roth selbst ein Fazit. Indem er den Zweiten Weltkrieg als einen „ideologisch-determinierten Rasse- und Vernichtungskrieg“ kennzeichnete, an dem auch die Generalität mitgewirkt hatte, brachte er klar die Forschungsergebnisse des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt zum Ausdruck.
Der – von Roth so bezeichneten – „Zeitenwende von 1989“ folgte am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit. Sie bedeutete einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt selbst. Denn schließlich hatte der Amtschef die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung umzusetzen, das Amt von Freiburg nach Potsdam zu verlegen. Nicht nur, weil es den Fortzug vom Ort des Freiburger Militärarchivs bedeutete, war diese Entscheidung hochgradig umstritten. Neben der räumlichen Veränderung für die Forschenden selbst erweckte die Stadt Potsdam manche Befürchtungen einer Remilitarisierung jener Forschung, für die das Haus in den vorangegangenen Jahren so mühsam wie erfolgreich wissenschaftliche Standards etabliert hatte. Auch erforderte der Standortwechsel nicht nur die Verzögerung mancher Forschungsprojekte, sondern ein erhebliches Maß an Durchsetzungsvermögen seines Amtschefs. Hinsichtlich der Ausrichtung seiner Forschungstätigkeit haben sich die Befürchtung nicht bewahrheitet. Mit seinem Ausblick würdigte der scheidende Amtschef die Leistungen seines Hauses: die erfolgreiche Arbeit an den Reihenwerken Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg und Anfänge Westdeutscher Sicherheitspolitik sowie der Beginn einer kritischen Erforschung der Militärgeschichte der DDRDeutsche Demokratische Republik und des Warschauer Paktes.
Fallschirmjäger – Prägung, Habitus Forschung
Sowohl seine Kritiker als auch er selbst ließen keinen Zweifel daran, dass Günter Roth dem Habitus eines Fallschimjägers auch als Amtschef treu blieb. Wie er in seiner autobiographisch grundierten Einleitung zu seiner 2010 vorgelegten Studie zur Fallschirmtruppe der Wehrmacht bekannte, trug der Nimbus des Fallschirmjägers zur Wahl dieser Truppengattung bei. Keinen Zweifel ließ Roth aber auch an der Charakterisierung der Bundeswehr als Armee in der Demokratie.
Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst lebte Roth in der Nähe von Altenstadt bei Schongau, dem Standort der Luftlande-/ Lufttransportschule. Dort engagierte sich Roth für die Herausgabe der mehrbändigen Geschichte der Fallschirmtruppe der Wehrmacht. Seiner Generationsprägung wie seinem Werdegang blieb er auch hier verhaftet: Die Leistungen der Fallschirmjäger würdigte er; ihre horrenden Verluste kritisierte er schon aus militärhandwerklicher Sicht. Auch bemäntelte er Natur des NSNationalsozialismus-Regimes keineswegs, doch blieben Auffassungen zur Tradition der Bundeswehr nicht ohne Kontroverse. Auch Roth forderte letztlich den Nimbus der Truppe kritisch zu hinterfragen, geriet aber auch selbst in die Kritik. Wie lohnend das von Roth mit Herzblut betriebene Forschungsthema bleibt, verdeutlichte die 2021/22 im Militärhistorischen Museum in Dresden gezeigte Sonderausstellung zum Mythos Fallschirmjäger sowie rezente Forschungen des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Weder blieben diese Forschungen ohne Widerspruch – noch das Wirken Roths als Amtschef. Der von ihm selbst gewünschte „kritische Ansatz“ zur Erforschung der Geschichte seiner Truppengattung wirkt über den Autoren hinaus. Die Grüße des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr an Brigadegeneral a.D. Günter Roth mögen für die Wissenschaft untypisch sein. Doch werden sie seiner Person gerecht: „Glück ab“!