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ZMG 3/2025

Feuer und Bewegung. Deutsche Stoßtruppen im Video

Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung
Datum:
Lesedauer:
7 MIN

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Der Erste Weltkrieg erstarrte an Teilen der Front bereits nach wenigen Monaten zu einem Stellungskrieg. Die deutsche militärische Führung wollte diesen Stillstand überwinden. Zu einem Mittel der Wahl entwickelte sich die Stoßtrupptaktik, die auf Überraschung, Geschwindigkeit und Flexibilität setzte.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Militärgeschichte“.

Vier deutsche Soldaten stürmen als Teil eines Stoßangriffs mit Gewehr in der Hand nach vorne.

Wundermittel? Die Stoßtrupptaktik sollte die festgefahrenen Fronten des Ersten Weltkriegs wieder in Bewegung bringen.

BArch, Bild 146-1974-132-26A/ o. Ang.

Wenn Filme unsere Vorstellung von den Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges abbilden und damit gleichzeitig selbst prägen, bedienen die Filmschaffenden dabei häufig das vorgefasste Bild einer ignoranten militärischen Führung, die ihre Soldaten massenweise in sinnlosen Frontalangriffen auf ausgebaute Stellungen opferte, zum Beispiel in Stanley Kubricks Klassiker „Paths of Glory“ (dt. „Wege zum Ruhm“) von 1957 oder zuletzt in Edward Bergers oscarprämierter Romanverfilmung „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 2022.

Ursprung im Stellungskrieg

Dies fängt einerseits eine Realität ein, welche die Zeitgenossen selbst zutiefst erschütterte, nämlich die ungeheuren Menschenverluste der jahrelangen Kämpfe um die immer gleichen Orte an der europäischen Westfront. Andererseits versperrt diese Vorstellung den Blick auf eine andere Realität, die für das Verständnis der damaligen Kriegführung nicht weniger relevant ist, und zwar die eines andauernden militärischen Lern- und Anpassungsprozesses. Im deutschen Heer war die Aufstellung von Stoßtruppen ein Ausdruck dieser Entwicklung. 

Deutsche Soldaten bewegen sich durch einen Graben, im Hintergrund aufsteigender Rauch.

Ausbildung im Hinterland: Deutsche Stoßtruppen üben das neue Kampfverfahren, hier vermutlich bei Sedan im Jahr 1917.

picture alliance / SZ Photo | Scherl

Mit Kriegsbeginn 1914 erwiesen sich die neuartigen Waffen wie das Schnellfeuergeschütz der Artillerie genauso wie das Maschinengewehr der Infanterie in ihrer Wirkung als so verheerend, dass sich die Kombattanten in ihrem Bedürfnis nach Schutz buchstäblich in die Erde eingruben. Mit dem nach wenigen Monaten daraus resultierenden Stellungskrieg an Teilen der Fronten ging unmittelbar auch das Bestreben einher, diesen wieder zu überwinden. Alle kriegführenden Staaten standen zu gleichen Teilen vor der Herausforderung einer technologisch bedingten, maßgeblichen Aufwertung der Defensive gegenüber der Offensive. Die Idee vom siegverheißenden Durchbruch durch die gegnerischen Stellungssysteme wurde daher zum Leitstern aller Anstrengungen. Der Einsatz neuer Kampfmittel wie dem Panzer oder von Giftgas trug dem ebenso Rechnung wie die Anpassung bestehender Kampfverfahren oder die Erprobung von innovativen Vorgehensweisen. Die deutsche militärische Führung förderte dabei gezielt Initiativen von unten. Zu den experimentellen Erprobungen auf infanteristischer Ebene gehörte im März 1915 die Aufstellung und der Einsatz einer aus Pionieren bestehenden Sturmabteilung, die sich auf unterster Ebene in Stoß- beziehungsweise Sturmtrupps gliederte. Aus den daraus gewonnenen Erfahrungswerten entwickelte sich die Idee der Aufstellung von weiteren Einheiten und Verbänden, die als Hauptträger eines Angriffsverfahrens gedacht waren, das auf Überraschung, Geschwindigkeit und Flexibilität setzte.

Das Stoßtruppverfahren

Im Kern bestand das Stoßtruppverfahren aus dem Angriff spezifisch ausgebildeter und ausgerüsteter Infanteriegruppen, sogenannter Stoß- oder auch Sturmtrupps. Die in der Regel aus einem Unteroffizier und sechs bis acht Mannschaftssoldaten bestehenden Stoßtrupps agierten eigenständig, aber im Verbund mit den anderen Gruppen ihrer Einheit. Ihre Aufgabe war es, möglichst überraschend und schnell das Gelände bis zu den gegnerischen Stellungen zu überwinden, in diese einzudringen und sie zu durchstoßen. Dazu sollten sie dem Gelände möglichst angepasst in lichter Ordnung vorgehen, die feindlichen Gräben aufrollen und Widerstandsnester isolieren, um nachfolgenden Truppen den Weg in die Tiefe des Raumes zu bahnen. 

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Um im Bereich des ausgewählten Angriffsziels trotz der geringen eigenen Truppenstärke Feuerüberlegenheit herzustellen, konnten die Stoßtruppen auf ein breites Arsenal an Waffen zurückgreifen. Zu diesen gehörten zahlreiche Handgranaten, leichte Maschinengewehre, nach Möglichkeit auch Flammenwerfer, Granat- und Minenwerfer sowie im letzten Kriegsjahr vereinzelt die erste serienmäßig gefertigte Maschinenpistole, die MP18. Je nach Art der Unternehmung konnte zudem vorbereitendes Feuer durch die Artillerie ein wichtiger Faktor des Angriffsverfahrens sein. Je umfangreicher das jeweilige Vorhaben war, desto komplexer fiel in der Regel die Abstimmung mit anderen Truppengattungen aus. Während Stoßtruppen bei kleinen Unternehmungen, wie dem Versuch, an einem bestimmten Frontabschnitt Gefangene zu machen, mitunter auf sich allein gestellt agierten, war ihre Rolle bei Großunternehmungen, wie dem Beginn einer Offensive, lediglich ein Beitrag im Gefecht der verbundenen Waffen.

Das Erscheinungsbild der Stoßtruppsoldaten entsprach ihrer Verwendung. Von anderen Infanteristen unterschieden sie sich äußerlich durch die Kombination bestimmter Ausrüstungs- und Kleidungsmerkmale wie Handgranatensäcke, Wickelgamaschen und gepolsterte Knieschoner. Darüber hinaus fand die kürzere Variante des herkömmlichen Mauser Modell 98, der Karabiner 98AZ, in den Stoßtruppen breite Verwendung.

Die Stoßtruppen

Die erste Sturmabteilung wurde im April 1916 zu einem Sturmbataillon ausgebaut. Jeweils auf Armee-Ebene folgten weitere Aufstellungen, bis Kriegsende gab es insgesamt 18 dieser Verbände. Schon bald stellten einzelne Divisionen ihre eigenen Sturmabteilungen auf und neben diesen etatmäßigen Formationen wurden darüber hinaus Stoßtrupps auf der Kompanieebene verschiedenster Verbände gebildet. Ihrer Funktion nach waren alle diese Verbände und Einheiten Stoßtruppen, jedoch unterschieden sie sich hinsichtlich ihres Ausbildungsstandes und ihrer Ausrüstung teilweise erheblich. Den höchsten Grad an Befähigung für die Durchführung des neuen Angriffsverfahrens besaßen die Sturmbataillone. Sie rekrutierten sich aus ausgesuchten Freiwilligen, wurden prioritär ausgestattet und konnten ihre Fronteinsätze in Ausbildungseinrichtungen im Hinterland sorgfältig vorbereiten. Aus diesem Grund wurden sie von der militärischen Führung als Schwerpunkteinheiten für besonders wichtige Unternehmungen herangezogen. Die ihnen zugestandenen Privilegien, wie ein höherer Sold oder die motorisierte Fortbewegung zwischen Front und Hinterland, erweckten mitunter die Missgunst von Angehörigen anderer Truppenteile. 

Australischer Soldat hockt auf der Erde und hält einen deutschen Flammenwerfer in der linken Hand.

Neues Kampfmittel: Australischer Soldat mit erbeutetem deutschen Flammenwerfer.

picture alliance / imageBROKER | alimdi / Arterra

Neben ihrer Rolle als Sturmtruppe für besondere Angriffsunternehmungen waren die Sturmbataillone gleichzeitig Lehrtruppen, die als Multiplikatoren für die Verbreitung der Kenntnisse über die Stoßtrupptaktik im ganzen Heer wirkten. Die von ihnen geschulten Offiziere und Soldaten bildeten wiederum den Kern für die Aufstellung von Stoßtrupps in den jeweiligen Stammtruppenteilen. Die dahinter liegende Absicht der deutschen Heeresführung war es, diese Taktik zum „Allgemeingut der Infanterie“ zu machen. Im letzten Kriegsjahr waren die Sturmbataillone deshalb vor allem noch in ihrer Funktion als Katalysatoren der Stoßtrupptaktik bedeutend. So gab es im Sommer 1918 innerhalb der Obersten Heeresleitung (OHL) Überlegungen, die Sturmbataillone aufzulösen, welche aber mit Verweis auf deren Ausbilderrolle verworfen wurden. Hatte das Stoßtruppverfahren 1916 noch den Charakter einer Spezialausbildung besessen, wurde es im Laufe des Jahres 1917 mehr und mehr zu einem festen Bestandteil des taktischen Repertoires der gesamten Infanterie. Dafür war neben den Ausbildungskursen der Sturmbataillone die Übernahme der Taktik in die Ausbildungsvorschriften der Infanterie verantwortlich. Im Oktober 1916 erstmals in der Dienstvorschrift „Anweisung für die Ausbildung beim Sturmbataillon“ festgehalten, fand das Verfahren bereits im Januar 1917 Eingang in die „Ausbildungsvorschrift für die Fußtruppen im Kriege“.

Anspruch und Wirklichkeit

Aus den deutschen Offensivoperationen in der zweiten Kriegshälfte war das Kampfverfahren nicht mehr wegzudenken, ob bei der Einnahme Rigas im September 1917 oder den Frühjahrsoffensiven des Jahres 1918 in Frankreich. Doch der Angriff in Schützenlinie, der im Sommer 1914 die Norm dargestellt hatte, war auch noch im letzten Kriegsjahr zu beobachten. Dies konnte taktischer Opportunität geschuldet sein, war aber häufig Ausdruck mangelnder Erfahrung mit den neuen Formen. In der Praxis kamen deshalb immer wieder Mischformen aus älteren und neueren taktischen Verfahren zur Anwendung. So wie im Fall des Stoßtruppverfahrens war auch die Entwicklung der deutschen Infanterietaktik während des Ersten Weltkriegs allgemein kein revolutionärer, sondern vielmehr ein evolutionärer Prozess. Die Kriegserfahrung beschleunigte die Weiterentwicklung einiger Vorkriegsideen, während sie andere, die sich in der praktischen Umsetzung nicht durchsetzen konnten, revidierte. 

Drei deutsche Soldaten rennen Richtung Kamera während direkt hinter ihnen rauch aufsteigt.

Anpassung an die herrschenden Kampfbedingungen: Ein Stoßtrupp übt das Vorgehen in lichter Form unter dem Einsatz von künstlichem Nebel, 1916‑1918.

BArch, Bild 183-R05944 / o. Ang.

So waren die ideellen Grundlagen des Einsatzes von Stoßtruppen im deutschen Heer bereits in der Vorkriegszeit zu finden. Seine Form bekam das Verfahren aber erst unter dem Eindruck der Kampfbedingungen an der Westfront, wo die Stoßtrupptaktik zur Überwindung des Stellungskrieges beitragen sollte. Unter Anwendung ihrer Prinzipien erzielte das deutsche Heer während der Frühjahrsoffensiven 1918 tatsächlich zahlreiche taktische und einige bemerkenswerte operative Erfolge. Das große Ziel aber, der strategische Durchbruch im Westen, misslang. In den letzten deutschen Offensiven zeigte sich, dass die Truppe ohne ausreichende Motorisierung nicht dazu in der Lage war, den Bewegungskrieg im Anschluss an einen einmal erfolgten Durchbruch aufrecht zu erhalten. Stattdessen fiel man immer wieder in den Stellungskrieg zurück.

Nach dem Krieg

Die nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg aufgestellte Reichswehr besaß keine spezialisierten Stoßtruppen mehr. In Kontinuität zu den Ausbildungsvorschriften der Kriegszeit waren Grundlagen des Stoßtruppverfahrens, wie die Erwartung von Eigeninitiative an Unterführer und Mannschaften, jedoch auch für das neue Heer grundlegend. Dafür sorgten kriegserfahrene Offiziere wie Generalleutnant Friedrich von Taysen, der die Taktik als Inspekteur der Infanterie noch im Jahr 1924 als bewahrenswerte Errungenschaft deutscher Kriegführung darstellte: „Unsere lichten [...] Kampfformen und unser Kampfverfahren an sich [...] müssen bleiben! Im Kriege aus innerer Notwendigkeit
heraus entstanden, hinter der Front 1917 bei Sturmbataillonen und Ruhetruppen vervollkommnet, hat es sich vor dem Feinde 1918 in Tiefenzonen derart bewährt [...] Gewiss ist unser Verfahren nicht so einfach, wie das einer Nation, die es sich leisten kann, Brussilow’sche Hekatomben zu opfern oder einer [...] Armee, die nur Kampfwagen und Feuerwalzen folgt.“ Auch heute noch lassen sich Prinzipien des Stoßtruppverfahrens in den Dienstvorschriften der Bundeswehr finden. So existierte das Konzept Feuer und Bewegung zwar bereits vor der Stoßtrupptaktik, doch geht seine Anwendung innerhalb der Gruppe, wie im Grundsatz heute noch praktiziert, auf die Innovation im Ersten Weltkrieg zurück.

Literaturtipps

Ralf Raths, Vom Massensturm zur Stoßtrupptaktik. Die deutsche Landkriegtaktik im Spiegel von Dienstvorschriften und Publizistik 1906 bis 1918, Potsdam 2019.

Christian Stachelbeck, Wissen und Krieg. Taktisches Lernen des deutschen Heeres 1888–1926, Berlin 2025.

von Linus Birrel

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