ZMG 1/24

Erzwungener Friede: 25 Jahre Einsatz im Kosovo

Erzwungener Friede: 25 Jahre Einsatz im Kosovo

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Der seit 1991 stattfindende gewaltsame Auflösungsprozess Jugoslawiens schritt 1998 dort fort, wo er angefangen hatte: im Kosovo. Mit der Operation »Allied Force« begann am 24. März 1998 ein 76 Tage andauernder Luftkrieg der NATO gegen das damals noch aus Serbien und Montenegro bestehende »Rest-Jugoslawien«. 1999 marschierte die Kosovo-Force (KFORKosovo Force) im Kosovo ein, um die Lage langfristig zu stabilisieren. Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 1/24 der Zeitschrift „Militärgeschichte“.
 

Ein Tornado startet zu einem Aufklärungsflug.

Volle Einsatzbereitschaft: Ein deutscher Tornado startet am 23. März 1999 vom italienischen Piacenza zu einem Aufklärungsflug über Serbien.

picture-alliance / dpa

Im Kosovo hatte sich bereits im zerfallenden Osmanischen Reich ein ethnisch-territorialer Konflikt angebahnt. Dieser hat seinen historischen Ursprung in den Vertreibungen von 80 000 Albanern bei der serbischen Eroberung von Niš im Jahr 1912 und keineswegs in der mittelalterlichen Amselfeldschlacht von 1389. Auf diese aber berief sich der serbische Präsident Slobodan Milošević (1941‑2006) 500 Jahre später. Am 28. März 1989 schaffte er als Präsident der jugoslawischen Teilrepublik Serbien die in der jugoslawischen Verfassung verbürgte teilrepublikähnliche Autonomie der Provinz Kosovo innerhalb Serbiens ab. Diesen Vorgang propagierte er als »antibürokratische Revolution«. Gegen diese Entscheidung gerichtete gewaltlose Proteste, wie den Hungerstreik der Minenarbeiter im nordöstlich von Mitrovica gelegenen Metallkombinat Trepça, ließ er durch die serbische »Staatssicherheit« brutal niederschlagen. Als in Albanien als letztem kommunistischem Land Europas erste freie Wahlen abgehalten wurden, beendete Serbien per Dekret den albanischen Unterricht an der Universität Pristina. Damit wurde eine ganze Generation junger Albaner im serbischen Preševo-Tal, in der Provinz Kosovo und in der ehemaligen Republik Mazedonien von höherer Bildung ausgeschlossen. Ereignisse wie diese beschleunigten den Zerfall Jugoslawiens. Serbien hatte seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahren die im jugoslawischen Vielvölkerstaat garantierten kulturellen und politischen Rechte der Albaner stufenweise ausgehebelt. Von hier führten die Ereignisse über den Slowenischen Zehn-Tage-Krieg (1991) und den Kroatischen Heimatkrieg (1991‑1995) in den Bosnienkrieg (1992‑1995). Kosovo stand somit am Anfang und am Ende der Jugoslawienkriege. 

Versäumnisse der Krisendiplomatie 

Der Vertrag von Dayton beendete im Dezember 1995 zwar die letzten beiden Kriege, doch um den Preis, dass die Kosovoproblematik und ganz allgemein die albanische Frage in den mehrheitlich albanisch bewohnten Regionen des westlichen Balkans in diesem Abkommen nicht behandelt wurde. Vorangegangen waren dem Abkommen das Massaker von etwa 8000 Bosniaken in Srebrenica unter den Augen von UNUnited Nations-Friedenstruppen und die folgenden, einen Monat andauernden NATO-Luftschläge (Operation »Deliberate Force«) gegen die Streitkräfte der international nicht anerkannten serbischen Satellitenrepublik in Bosnien-Herzegowina (Republika Srpska). Das zu dieser Zeit noch nicht eskalierte Kosovo-Problem, so dachte man im Westen, könne man später lösen. 

Darstellung des deutschen Vormarsches und serbischen Rückzuges im Kosovo 1999
ZMSBw (Nogli/Heinicke)

Doch nach Srebrenica und Dayton lösten sich immer mehr Kosovo-Albaner frustriert und furchtbedingt von dem bis dahin vorherrschenden Primat der Gewaltlosigkeit, das von Ibrahim Rugova (1944‑2006), dem damaligen Anführer der kosovarischen Bewegung, ausgegeben worden war. Deutlich wurde dies, als im Jahr 1998 sogar der als »Mandela des Kosovos« bekannte Sacharow- Preisträger Adem Demaçi (1936‑2018) der 1997 erstmals öffentlich in Erscheinung tretenden Kosovo-Befreiungsarmee (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) beitrat. Der typische UÇK-Kämpfer war zwischen 20 und 40 Jahre alt, männlich und verfügte über einen in Pristina verwehrten, meist in der Schweiz, Österreich oder Deutschland erworbenen Hochschulabschluss. Das »Kosovo-Problem« versuchte der durch das Scheitern der gewaltsamen Expansion Serbiens nach Westen angeschlagene serbische Präsident im Jahr 1998 durch das Schaffen vollendeter Tatsachen »zu lösen« – im verbrecherischen Stil. Geheimdienstlich geführte 3Freischärlertruppen, nun als »Aufstandspolizei « (MUP) legalisiert, hatten das entsprechende Vorgehen schon im kroatischen Knin (Krajina) und bosnischen Srebrenica erprobt. Die berüchtigten Massaker von Prekaz (6. März 1998) und Reçak (15. Januar 1999) wurden beispielsweise im Zusammenwirken von MUP und regulären jugoslawischen Streitkräften (VJ) verübt. Jeder dritte kosovo-albanische Haushalt war unmittelbar von Gewalterfahrungen, wie Zerstörung von Eigentum, Plünderung, Schlägen, Folterung, Vergewaltigung, Tötung, betroffen. 

Kein neues Srebrenica! 

Die internationale Gemeinschaft drängte vor allem die schwächere Konfliktpartei, die Vertreter der UÇK zu Konzessionen. Im Schloss Rambouillet bei Paris versuchten seit dem 6. Februar 1999 Vertreter der USAUnited States of America, der EU, Russlands, der Kosovo-Albaner und Jugoslawiens einen Friedensvertrag auszuhandeln. Am 23. März wurde der durch Miloševic noch akzeptierte provisorische Friedensvertrag von Rambouillet durch die serbische Nationalversammlung abgelehnt. Einem Abzug von VJ und MUP wurde also nicht zugestimmt und die gewaltsame Vertreibung der Zivilbevölkerung fortgeführt. Die unbewaffneten Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) waren bereits nach der versuchten Aufklärung des Massenmords von Reçak als »unerwünschte Personen« klassifiziert worden. Neben »Rest-Jugoslawien«, also Serbien und Montenegro, verweigerte auch Russland die Ratifizierung. In der Folge kam auch keine UNUnited Nations-Resolution zustande, die Serbien gezwungen hätte, Mord, Folter und Vertreibung an der eigenen (albanischen) Bevölkerung einzustellen. Die NATO beschloss daher, den Abzug durch Luftschläge zu erzwingen. 78 Tage lang flog sie, ähnlich wie bei der Operation »Deliberate Force« im Jahr 1995, in 38 000 Einsatzflügen Angriffe gegen militärische Ziele in Serbien und Montenegro sowie vereinzelt auch im Kosovo (Operation »Allied Force«). Die Bundeswehr beteiligte sich mit 14 Tornados. Erst dann willigte Milošević im Militärisch-Technischen Abkommen (MTAMilitärisch-Technisches Abkommen ) von Kumanovo vom 9. Juni 1999 in einen Abzug seiner Kräfte ein. 

KFOR-Truppen marschieren im Kosovo ein

Marsch in den Einsatz: Die Bedeutung von boots on the ground zum erfolgreichen Schutz der Zivilbevölkerung wurde im Kosovo deutlich.

Bundeswehr / Modes

Das MTAMilitärisch-Technisches Abkommen ist – anders als oft dargestellt – kein Friedensvertrag, da es keine politischen Lösungen für das Kosovo vorsah. Völkerrechtlich handelte es sich vielmehr um einen Vertrag zwischen der Kosovo Force (KFORKosovo Force), der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien. Dieser regelte den Abzug von VJ und MUP binnen elf Tagen hinter eine Sicherheitszone jenseits der kosovarischen Grenze sowie einen prompten Einmarsch der KFORKosovo Force. Die während der Operation »Allied Force« beschleunigten Vertreibungen hatten erneut gezeigt, dass ohne »Stiefel am Boden« (boots on the ground) die Zivilbevölkerung nicht geschützt werden kann – eine militärische Erkenntnis, die seit der Operation »Provide Comfort« im Nordirak (1991) zwar bei der NATO bekannt war, sich aber in der Realität widerstrebender geopolitischer Interessen auf dem westlichen Balkan nicht hatte durchsetzen können.

»Warten« in Nordmazedonien

Zu diesem Zeitpunkt hatte Brigadegeneral Helmut Harff (1939‑2018) als Nationaler Deutscher Befehlshaber im Einsatzland bereits seit drei Monaten die Heerestruppen der Bundeswehr im heutigen Nordmazedonien (damals als ehemals jugoslawische Republik Mazedonien, engl. FYROM bezeichnet) gesammelt. 

Im mazedonischen Čegrane war ein für 3000 albanische Vertriebene eingerichtetes Flüchtlingslager rasch mit 50 000 Menschen überbelegt. Die Bundeswehr begann, Zelte aufzustellen, Latrinen zu graben und Essen auszuteilen. Nach offiziellen Zahlen hielten sich in der Tat kurz vor dem Einmarsch der KFORKosovo Force (Operation »Joint Guardian«) rund 247 000 aus dem Kosovo vertriebene ethnische Albaner, meist Frauen, Kinder und Greise in Mazedonien auf. Inzwischen waren rund 435 000 Menschen aus dem Kosovo geflohen oder vertrieben worden. 

Zwang, Diplomatie, Einmarsch 

Ein rascher Einmarsch der insgesamt 50 000 Soldaten der KFORKosovo Force war angesichts der anhaltenden Vertreibungsbrutalität dringend geboten. Er hätte bereits unter Friedensbedingungen eine gewaltige logistische Leistung dargestellt. 

Portrait von Brigadegeneral Helmut Harff
Antwort Brigadegeneral Helmut Harffs auf die Hinhalteverusche der serbischen truppen am Grenzposten Morinë Bundeswehr / Modes
You have to leave within 30 minutes. There is no moment, there is an order. That’s the end of discussion. You have now 28 minutes…

Zeitgleich mussten aber etwa 40 000 serbisch-jugoslawische Kräfte aus dem Kosovo abziehen. Einen Tag nach der Unterzeichnung des Abkommens von Kumanovo zogen aus der nördlichen Zone erste jugoslawische Truppen ab. Damit zeigten die jugoslawischen Streitkräfte die Bereitschaft zur Umsetzung des Abkommens. Erst jetzt stellte die NATO ihre Luftschläge ein. Auf der politisch-diplomatischen Ebene beauftragte parallel dazu eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (engl. United Nations, UNUnited Nations) die NATO mit dem Einsatz der KFORKosovo Force. Dieser UNUnited Nations-Beschluss hatte bei »Allied Force« gefehlt. Das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P), speziell die Verhütung von »ethnischen Säuberungen« und Völkermord, wurde erst im Jahr 2005 durch Beschluss der UNUnited Nations-Vollversammlung Teil des Völkerrechts. Am 10. Juni 1999 wurde der NATO-Einmarsch in das Kosovo noch durch die UNUnited Nations-Sicherheitsratsresolution 1244 erlaubt. Sie beauftragte die KFORKosovo Force mit der Durchsetzung der friedensunterstützenden Maßnahmen. 

Soldaten der KFOR-Truppe sichern mit einem Wiesel die Innenstadt von Prizren

Waffenträger Wiesel der deutschen KFORKosovo Force-Truppe.

Bundeswehr / Noll

Ob Resolution 1244 mit der »UNErlaubnis « für »Joint Guardian« gleichzeitig» Allied Force« im Nachhinein völkerrechtlich rechtfertigte,  ist unter Juristen umstritten. Militärhistorisch und politisch betrachtet bildeten beide Operationen eine kausale Einheit. Gleichzeitig wurde mit der Resolution 1244 – nicht zuletzt aufgrund einer seitens Deutschlands unterstützten Forderung Russlands – im Kosovo auch eine zivile Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIKMission der Vereinten Nationen im Kosovo) geschaffen. Für den Einsatz im Kosovo bedurften die im heutigen Nordmazedonien stationierten Bundeswehrtruppen zudem einer Zustimmung des Bundestags. Diese Mehrheit war wiederum politisch vom Zustandekommen der Resolution 1244 abhängig. Erst nachdem am Freitag, dem 11. Juni das bejahende Abstimmungsergebnis des Bundestages zum Kosovoeinsatz bekannt gegeben worden war, erfolgte nur sieben Minuten später der Unterstellungswechsel der von Brigadegeneral Fritz von Korff geführten deutschen Einsatzbrigade vom Nationalen Deutschen Befehlshaber (Brigadegeneral Harff) zur KFORKosovo Force (Lieutenant General Sir Michael Jackson). Nun vollzog sich bis zum 14. Juni zügig der Vormarsch der rund 2500 Soldaten der deutschen KFORKosovo Force-Brigade nach Prizren auf allen verfügbaren Wegen zu Land und Luft. Heute, 25 Jahre später, kann festgestellt werden, dass der Einsatz der KFORKosovo Force zwar den Frieden im Sinne von Abwesenheit von Krieg, Terror und Vertreibung gebracht hat, die im Jahr 2008 errungene Unabhängigkeit des Kosovo aber aufgrund der fehlenden politischen Lösungen immer noch in einem Instabilitätsdilemma gefangen ist.

von Agilolf Kesselring

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