Vor 10 Jahren: Russland annektiert die Krim
Vor 10 Jahren: Russland annektiert die Krim
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Der Krieg in der Ukraine, er dauert in diesem März 2024 keine zwei, sondern bereits zehn Jahre. Denn schon im Februar 2014 mit dem Auftauchen der „grüne Männchen“ auf der zur Ukraine gehörenden Halbinsel begann der russische Angriff wie unser Autor Tim Geiger zeigt. Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 1/24 der Zeitschrift „Militärgeschichte“.
Der friedliche Schein trügt. Die Soldaten, die am 16. März 2014 in einem Dorfladen auf der südlichen Krim einkaufen, stehen für den Bruch mit der regelbasierten europäischen Friedensordnung – Russlands Aggression gegen die benachbarte Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim. Ein genauer Blick zeigt: Die vermummten Soldaten tragen auf ihren Uniformen keine Hoheitsabzeichen; das Foto aus Perevalne/Perewalnoje zeigt jene „grünen Männchen“, die zu Tausenden Ende Februar 2014 auf der Halbinsel auftauchten und ukrainische Regierungsgebäude und Kasernen abriegelten.
Obwohl von Moskau zunächst vehement abgestritten, entpuppten sie sich rasch als russische Truppen – was später selbst Präsident Wladimir Putin einräumte. Im Verbund mit prorussischen örtlichen Milizen wurde unter ihren Gewehrläufen eine neue Regierung auf der Krim gebildet, die am 1. März Putin offiziell um Schutz bat – ein Drehbuch, das fatal an das sowjetische Vorgehen 1979 in Afghanistan erinnert. Vom Referendum am 16. März 2014 über den Anschluss an Russland blieben internationale Wahlbeobachter der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) ausgeschlossen, »grüne Männchen« dagegen omnipräsent. Wenig überraschend sprach sich eine Mehrheit der Abstimmenden für die Aufnahme der Krim in die Russländische Föderation aus. Die am 20. März 2014 vollzogene Annexion zelebrierte Russland als „Wiedervereinigung“.
Der umstrittene Status der Krim
Seit dem Zerfall der UdSSRUnion der Sozialistischen Sowjetrepubliken Ende 1991 war die Krim Zankapfel zwischen Russland und der Ukraine. Als einzige Region der Ukraine stellten hier ethnische Russen die Mehrheit. Für Sowjetbürger ein populäres Urlaubsziel, ist die Krim im kollektiven russischen Bewusstsein ein mythisch überhöhter Gedächtnisort. Obwohl jahrhundertelang als Khanat der Krimtataren selbständig, gilt die erst 1783 von Zarin Katherina II. annektierte Halbinsel als „urrussische Erde“. Das hängt vor allem mit ihrer militärischen Bedeutung als Heimat der Schwarzmeerflotte zusammen – und der zweimaligen, äußerst verlustreichen Verteidigung der „Heldenstadt“ Sewastopol: 1854/55 im Krimkrieg und 1941/42 im Zweiten Weltkrieg.
Nach der Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 ließ Stalin einen Großteil der Krimtartaren, zuvor ein Viertel der Bevölkerung, wegen Kollaborationsverdachts nach Zentralasien deportieren. 1954 jährte sich der Vertrag von Perejaslaw zum 300. Mal, ein Bündnis der Saporoger Kosaken 1654 mit dem Zarenreich, das zu einer immerwährenden ukrainisch-russischen Allianz verklärt wurde. Der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow nahm dies zum Anlass, die Krim der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik zu „schenken“. Dieser Verwaltungsakt hatte primär administrative Gründe, wie eine einfachere Strom- und Wasserversorgung. Dass die Krim fortan zur Ukraine gehörte, war für Moskau kein Problem.
Zwischen Russland und Europa
Erst nach dem Zerfall der UdSSRUnion der Sozialistischen Sowjetrepubliken 1991 entwickelte diese Zugehörigkeit außenpolitische Sprengkraft. Russland fiel die finale Bestätigung der territorialen Integrität des Nachbarn schwer, obwohl die Ukraine zugestimmt hatte, alle Atomwaffen im Land abzugeben. Knackpunkt blieb die Krim, der die Ukraine den Status einer autonomen Republik zugestand. Mehrere Jahre rangen die Nachbarn um Aufteilung und Verbleib der sowjetischen Schwarzmeerflotte. Am 28. Mai 1997 regelte ein bilateraler Flottenvertrag, dass mit deren Großteil der militärisch wichtige Stützpunkt Sewastopol bis 2017 bei Russland bleiben solle. Drei Tage später bekräftigte der russisch-ukrainische Freundschaftsvertrag die territoriale Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen. 2010 wurde der Flottenvertrag bis ins Jahr 2042 ausgedehnt. Lange gelang der von Krisen und Korruption gebeutelten Ukraine der Spagat zwischen dem russischen Nachbarn und dem Westen.
Dies endete, als Präsident Victor Janukowitsch sich auf russländischen Druck im November 2013 weigerte, ein fertig ausgehandeltes Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Die daraufhin entstandene Protestbewegung („Euromaidan“) trieb Janukowitsch am 22. Februar 2014 außer Landes, obwohl am Vortag ein Abkommen für eine Übergangsregierung und Neuwahlen erreicht worden war. Der revolutionäre Umbruch stieß im Süden und Osten des Landes auf Widerspruch, den Moskau befeuerte: Der Umsturz sei eine vom Westen initiierte antirussische Verschwörung. Wenige Tage später tauchten „grüne Männchen“ auf der Krim auf. Mit Invasion und Annexion der Halbinsel und den von Moskau gesteuerten separatistischen Bestrebungen im Donbass ging Putins Russland offen zum Angriff auf die von ihm abgelehnte Friedensordnung über. Russlands Krieg gegen die Ukraine begann lange vor der „militärischen Spezialoperation“ vom 22. Februar 2022.