Überlegungen zur Wehrpflicht 1959
Historische Bildung- Datum:
- Ort:
- Deutschland
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Spätestens seit Bundeskanzler Merz im Mai und erneut im Juni 2025 im Bundestag erklärt hat, dass im Zuge der erforderlichen Zeitenwende die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitmacht in Europa ausgebaut werden soll, ist die seit 2011 ausgesetzte allgemeine Wehrpflicht Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussion.
Unsere Quelle führt uns in die Anfangsjahre der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik zurück. Im November 1959 wandte sich der CDUChristlich Demokratische Union-Abgeordnete Rainer Barzel an seinen Fraktionskollegen, den Bundesminister für Verteidigung Franz Josef Strauß.
Mit dem Hinweis, es sei für die Glaubwürdigkeit der Wehrpflicht wichtig, dass man die Wehrpflichtigen „nicht nur erfasst, sondern auch mustert und einzieht“, legte Barzel den Finger auf einen wunden Punkt. Seit dem 1. April 1957 wurden Wehrpflichtige eingezogen, jedoch bei weitem nicht alle. Einerseits reichten die verfügbaren Finanzmittel nicht für die kurzfristige Errichtung der Infrastruktur aus, die nötig gewesen wäre, um alle unterzubringen. Andererseits fehlte es an freiwillig Längerdienenden zur Ausbildung der zwölf Monate dienenden Grundwehrdienstleistenden. Eine Bundeswehr im Umfang von 500.000 Mann, wie sie die Bundesrepublik der NATONorth Atlantic Treaty Organization 1955 bei ihrem Eintritt ins Bündnis zugesagt hatte, wurde erst 1972 annähernd erreicht.
Barzel setzte mit seinen Ausführungen beim Bildungssektor an: Ein Staat, der jungen Menschen in einem gut ausgebauten Schul- und Hochschulsystem umfangreiche Möglichkeiten zum Erwerb von Bildung und damit von Lebenschancen biete, könne von diesen jungen Menschen auch die Bereitschaft zu seiner Verteidigung erwarten - eine Überlegung, die auch über 60 Jahre später nicht völlig abwegig erscheint.
Sein Vorschlag ging in die Richtung, ausgedienten Wehrpflichtigen und insbesondere Reserve-Offizieranwärtern den Zugang zum Hochschulstudium zu erleichtern. Bezeichnenderweise konnte Barzel nicht anders, als daran die Hoffnung zu knüpfen, auf diese Weise ließen sich die Universitäten zu “psychologisch-politische[n] Stützpunkte[n]„ machen. Die Studentenbewegung, die 1967/68 Furore machte, zeigte indes, dass diese Hoffnung unberechtigt war.
Wie bei Anfragen von Abgeordneten nicht unüblich, wurde das Schreiben im BMVgBundesministerium der Verteidigung als Grünkreuz eingestuft, das heißt der Minister behielt sich persönlich die Schlusszeichnung des Antwortentwurfs vor. In seiner Antwort vom Dezember 1959 wies Strauß auf den Föderalismus als entscheidenden Faktor im Hochschulwesen hin. Schon auf Barzels Schreiben hatte er mit Blick auf die Zuständigkeit der Länder die Randbemerkung “Verfassung?„ notiert.
Strauß verwies in seiner Antwort im Dezember 1959 darauf, man habe “mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder eine Regelung“ erreicht, „die die Aufnahme des Studiums nach dem Wehrdienst erleichtert“. Daher erhielten Abiturienten von Kreiswehrersatzämtern und Jugendoffizieren grundsätzlich die Empfehlung, schon vor Antritt des Wehrdiensts unter Berufung auf diese Regelung mit der jeweiligen Hochschule Kontakt aufzunehmen. Von einer Vorzugsbehandlung für studierwillige Veteranen, wie Barzel sie im Sinn hatte, war dies weit entfernt. Auch in den folgenden Jahrzehnten kam keine Regelung im Sinne des Vorschlags Barzels zustande.
So steht die Frage im Raum, ob und inwieweit sich heute an Barzels Überlegungen anknüpfen und damit ein Beitrag zur weiteren Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes leisten ließe.
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Die abgebildeten historischen Dokumente sind Kopien von Originalen aus dem Bundesarchiv-Militärarchiv.