Deutschland in der militärischen Führungsrolle?
Bevölkerungsbefragung- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 6 MIN
Russland führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine unvermindert fort, während das Vertrauen in den Bündnispartner USAUnited States of America schwindet. Wie reagiert die deutsche Bevölkerung auf diese doppelte Herausforderung? Antworten auf Fragen zur Bedrohungswahrnehmung, zu den transatlantischen Beziehungen und zur Wehrbereitschaft in Deutschland liefert die jährliche Bevölkerungsbefragung des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Über 2.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger nahmen an der repräsentativen Umfrage im Frühjahr 2025 teil.
Russland wird von zwei Drittel der Bevölkerung als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands wahrgenommen, insbesondere Cyberangriffe aus Russland (68 Prozent; +2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2024), die Aufrüstung der russischen Streitkräfte (67 Prozent; +2 Prozentpunkte) und das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine (65 Prozent; keine Veränderung). Dieses Bedrohungsgefühl ist zudem in allen Gruppen der deutschen Bevölkerung ähnlich stark ausgeprägt: Es gibt keinen nennenswerten Ost-West-Unterschied und auch unter den Befragten mit einer Wahlpräferenz für die AfD oder die Linke sieht eine absolute Mehrheit in Russland eine militärische Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands. Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland stellen aus Sicht der Befragten inzwischen die zweitgrößte Bedrohung für ihre persönliche Sicherheit dar (61 Prozent; +3 Prozentpunkte) – nach der Inflation (69 Prozent; -1 Prozentpunkt), aber noch vor der Zuwanderung nach Deutschland (58 Prozent; +1 Prozentpunkt).
Das vormals große Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die USAUnited States of America als verlässlichen (Bündnis-)Partner ist seit der Wiederwahl von Donald Trump zum USUnited States-Präsidenten stark gesunken (vgl. Abbildung 1). Nur noch 37 Prozent (-28 Prozentpunkte im Vergleich zu 2024) sehen in den USAUnited States of America grundsätzlich einen zuverlässigen Partner Deutschlands, während eine relative Mehrheit (43 Prozent; +26 Prozentpunkte) die Außen- und Sicherheitspolitik der USAUnited States of America als eine Gefahr für den Zusammenhalt in der NATONorth Atlantic Treaty Organization wahrnimmt. Auch die Überzeugung, dass die USAUnited States of America hinter ihren Verpflichtungen gegenüber anderen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Staaten stehen, ist stark zurückgegangen (41 Prozent; -21 Prozentpunkte). Obwohl das Vertrauen in die USAUnited States of America als NATONorth Atlantic Treaty Organization-Partner aktuell leidet, möchte eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht auf den militärischen Beistand der USAUnited States of America verzichten: Eine absolute Mehrheit (58 Prozent; -9 Prozentpunkte) spricht sich weiterhin für die Einbindung der USAUnited States of America in die Verteidigung Europas aus und der Zuspruch zur Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Deutschland zur Abschreckung Russlands ist sogar leicht gestiegen (46 Prozent; +2 Prozentpunkte).
In dieser Bedrohungslage findet die finanzielle und personelle Stärkung der Bundeswehr immer größere Zustimmung: Nie haben sich mehr Bürgerinnen und Bürger für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben (64 Prozent; +7 Prozentpunkte) und einen personellen Aufwuchs der Bundeswehr (65 Prozent; +7 Prozentpunkte) ausgesprochen (vgl. Abbildung 2). Die Stärkung der Bundeswehr wird von einer Mehrheit in allen untersuchten Gruppen in der Bevölkerung befürwortet. Nur eine kleine Minderheit spricht sich für eine Verringerung der Verteidigungsausgaben (8 Prozent) und des Personalumfangs der Bundeswehr (7 Prozent) aus, während jeweils ein Viertel (24 Prozent; -6 Prozentpunkte) für ein gleichbleibendes Niveau plädiert. Der gesellschaftliche Rückhalt der Bundeswehr ist unverändert groß: Mehr als 80 Prozent haben eine positive Einstellung zur Bundeswehr, bringen ihr Vertrauen entgegen und bewerten das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft positiv.
Die Stärkung der Bundeswehr und der nationalen Verteidigungsfähigkeit ist gesamtgesellschaftlicher Konsens.
Die Einführung eines neuen Wehrdienstes für junge Menschen stößt ebenfalls auf mehrheitlichen Zuspruch in der Bevölkerung (53 Prozent; +6 Prozentpunkte). Im Vergleich zum Vorjahr ist hier die Akzeptanz auch unter den 16–29-Jährigen gestiegen: Inzwischen spricht sich eine relative Mehrheit in dieser Altersgruppe für die Einführung eines neuen Wehrdienstes aus (41 Prozent; +5 Prozentpunkte). Bei den jungen Männern liegt der Zustimmungswert bei 45 Prozent und bei jungen Frauen bei 38 Prozent. Ein großer Teil der Bevölkerung (Altersspanne: 16–49 Jahre) wäre zudem nach eigenem Bekunden bereit, im Falle eines militärischen Angriffs das Land mit der Waffe zu verteidigen: Bei den Männern liegt der Wert für die persönliche Verteidigungsbereitschaft bei 54 Prozent, bei den Frauen sind es 21 Prozent. Bei jungen Erwachsenen (16–29 Jahre) liegen die Werte bei 45 Prozent (Männer) bzw. 22 Prozent (Frauen).
Die Bürgerinnen und Bürger fordern nicht nur eine Stärkung der Bundeswehr durch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, sondern viele wären auch bereit, sich persönlich militärisch zu engagieren.
Trotz des massiven Vertrauensverlustes in den Bündnispartner USAUnited States of America bekennt sich die Mehrheit der Befragten klar zur NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnisverteidigung. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zustimmung zu fast allen Aspekten der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnisverteidigung weiter gestiegen, unter anderem zu einer militärischen Führungsrolle Deutschlands innerhalb der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Zudem plädieren 47 Prozent (+4 Prozentpunkte) für ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands zur Sicherung der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke (23 Prozent Ablehnung; 26 Prozent teils/teils). Auch das bereits seit vielen Jahren positive Meinungsbild zur EU-Verteidigungskooperation hat sich noch einmal deutlich und in allen Punkten verbessert. Eine absolute Mehrheit der Befragten befürwortet eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (73 Prozent; +6 Prozentpunkte), finanzielle Unterstützung europäischer Rüstungsprojekte (62 Prozent; +6 Prozentpunkte), das Auftreten der EU als eigenständiger sicherheits- und verteidigungspolitischer Akteur (58 Prozent; +8 Prozentpunkte) und eine gemeinsame europäische Armee (57 Prozent; +10 Prozentpunkte). Die öffentliche Zustimmung zu einer militärischen Führungsrolle Deutschlands in der EU ist ebenfalls deutlich gestiegen (44 Prozent; +7 Prozentpunkte; Ablehnung: 27 Prozent; Teils/teils: 26 Prozent).
Der öffentliche Zuspruch in Deutschland zu einer ambitionierten deutschen Verteidigungspolitik und zu einer militärischen Führungsrolle Deutschlands in der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der EU ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen und stärker denn je. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger fühlt sich durch Russland militärisch bedroht und viele haben seit dem Amtsantritt von Präsident Trump das Vertrauen in die USAUnited States of America als verlässlichen NATONorth Atlantic Treaty Organization-Bündnispartner verloren – nicht aber das Vertrauen in die NATONorth Atlantic Treaty Organization und die europäischen Partner. Dieser doppelten Herausforderung für die Sicherheit Europas und Deutschlands sollte aus Sicht einer großen Mehrheit in der deutschen Bevölkerung durch eine zweifache Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit begegnet werden: zum einen durch die finanzielle und personelle Stärkung der Bundeswehr, zum anderen durch eine noch stärkere Verteidigungszusammenarbeit im Rahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization und der EU.
Die Bevölkerung wünscht sich eine starke deutsche Verteidigung – im Schulterschluss mit den Verbündeten, aber auch zunehmend in einer Führungsrolle.
Dr. Timo Graf forscht zur öffentlichen Meinung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zu strategischen Kulturen sowie zu den zivil-militärischen Beziehungen in Deutschland. Dr. Graf leitet die jährliche ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung und ist der Autor des Forschungsberichts.
Die jährliche ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung ist seit Beginn der Umfragestudie im Jahr 1996 der Gradmesser für die gesellschaftliche Legitimation, Relevanz und Integration der Bundeswehr. Ihre Ergebnisse dienen dazu, das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft zu analysieren sowie die Informationsarbeit der Bundeswehr zu evaluieren (Ressortforschung). Mit der öffentlichkeitswirksamen Publikation der Befragungsergebnisse in vielfältigen Produktformaten leistet das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Wissenstransfer). Darüber hinaus werden die Befragungsdaten in wissenschaftlichen Fachpublikationen aufbereitet, als Grundlage für sozialwissenschaftliche Qualifikationsarbeiten und in der universitären Lehre genutzt sowie der Forschung allgemein im Datenarchiv des GESIS zur Verfügung gestellt (Grundlagenforschung).
Forschungsberichte zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsbild in Deutschland