Bevölkerungsbefragung 2024: Zwischen Kriegsangst und Kriegstauglichkeit
Bevölkerungsbefragung 2024: Zwischen Kriegsangst und Kriegstauglichkeit
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
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- 10 MIN
Russland hat 2024 in seinem Krieg gegen die Ukraine die militärische Initiative wiedererlangt. Wie reagiert die deutsche Bevölkerung auf die verschärfte Bedrohungslage? Antworten auf Fragen zur Ukraine-Unterstützung, persönlichen Verteidigungsbereitschaft und Wehrpflicht liefert die jährliche Bevölkerungsbefragung des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Knapp 2.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger nahmen an der repräsentativen Umfrage im Sommer 2024 teil.
Kriegsangst und Bedrohungsgefühl durch Russland gestiegen
Die verschärfte Bedrohungslage in der Ukraine spiegelt sich im öffentlichen Meinungsbild in Deutschland wider: Russland wird verstärkt als militärische Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands wahrgenommen. Nach einem leichten Rückgang im vergangenen Jahr nehmen 2024 mehr Befragte die Spannungen zwischen dem Westen und Russland (58 Prozent; +3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2023) als Bedrohung für die persönliche Sicherheit wahr. Ebenfalls sehen sich mehr Befragte von Krieg in Europa (41 Prozent; +7 Prozentpunkte) bedroht. Auch die wahrgenommene Bedrohung der nationalen Sicherheit Deutschlands durch das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine (65 Prozent; +4 Prozentpunkte) und durch die Aufrüstung der russischen Streitkräfte (65 Prozent; +3 Prozentpunkte) ist im Vergleich zu 2023 gestiegen (vgl. Abbildung 1). Russland wird in allen soziodemografischen Gruppen in der deutschen Bevölkerung überwiegend als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands empfunden. Befragte mit einer Wahlpräferenz für die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nehmen Russland jedoch weniger als Bedrohung wahr als Wählerinnen und Wähler anderer Parteien.
Größere Zustimmung zur Unterstützung der Ukraine
Die öffentliche Zustimmung zu Deutschlands militärischer Unterstützung der Ukraine ist im Vergleich zum Vorjahr gewachsen (49 Prozent; +4 Prozentpunkte) und wird stärker befürwortet als eine rein zivile Hilfe (37 Prozent; -4 Prozentpunkte). Eine klare Mehrheit von 62 Prozent spricht sich zudem dafür aus, dass die Bundeswehr auch weiterhin ukrainische Soldaten in Deutschland ausbildet (Ablehnung: 16 Prozent). Hinsichtlich möglicher Risiken der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine besteht dagegen ein eher ambivalentes Meinungsbild: Die Bürgerinnen und Bürger sind sich uneins, ob Deutschlands Waffenlieferungen zu einer Ausweitung des Krieges beitragen (Zustimmung: 38 Prozent; Ablehnung: 32 Prozent) und ob diese eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands darstellen (Zustimmung: 36 Prozent; Ablehnung: 34 Prozent). In allen soziodemografischen Gruppen in der deutschen Bevölkerung befürwortet eine relative oder absolute Mehrheit Deutschlands militärische Unterstützung der Ukraine – außer die Wählerinnen und Wähler der AfD und des BSW sowie die Gruppe der Nichtwähler.
Die Auswertung der Befragungsdaten offenbart, dass die Zustimmung zu Deutschlands militärischer Unterstützung der Ukraine maßgeblich davon abhängt, ob Russland als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands wahrgenommen wird: Jene Befragten, die Russland als eine Bedrohung wahrnehmen, stimmen der militärischen Unterstützung der Ukraine deutlich stärker zu als jene, die in Russland keine Bedrohung sehen (Zustimmung: 59 zu 22 Prozent).
Wehrdienst und persönliche Verteidigungsbereitschaft
Die Einführung eines Wehrdienstes im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht hält knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent) für notwendig, 23 Prozent der Befragten sind unentschieden und 24 Prozent lehnen sie ab. Etwas geringer fällt die Zustimmung zur Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht aus (Zustimmung: 46 Prozent; Ablehnung: 25 Prozent). Sollte ein neuer Wehrdienst eingeführt werden, so sind 54 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen der Auffassung, dieser sollte für junge Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Eine klare Mehrheit von 60 Prozent ist davon überzeugt, dass die Einführung eines Wehrdienstes die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung stärken würde. Uneins sind sich die Bürgerinnen und Bürger, ob ein Wehrdienst die Freiheitsrechte junger Erwachsener zu sehr einschränken und zu einer Militarisierung der deutschen Gesellschaft beitragen würde: Ablehnung und Zustimmung halten sich jeweils in etwa die Waage. Ambivalent ist das Meinungsbild auch in der Frage, ob alle körperlich tauglichen Wehrpflichtigen eines Jahrgangs einen Wehrdienst leisten sollten (Zustimmung: 52 Prozent) oder nur eine Auswahl von Wehrpflichtigen in einer Größenordnung, welche die Bundeswehr tatsächlich benötigt (Zustimmung: 47 Prozent).
Millionen Freiwillige im wehrfähigen Alter wären bereit Deutschland mit der Waffe zu verteidigen. Von einem absoluten Mangel an Wehrbereitschaft kann keine Rede sein.
Oftmals wird die vermeintlich geringe persönliche Verteidigungsbereitschaft der deutschen Bevölkerung angemahnt. Aktuell geben 42 Prozent (+3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2023) der Befragten an, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe verteidigen zu wollen, während 52 Prozent (-3 Prozentpunkte) dies ablehnen. Die Mehrheit scheint also nicht „wehrbereit“ zu sein. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass zwischen Männern und Frauen große Unterschiede bestehen: Während 61 Prozent der Männer unter 50 Jahren ihre persönliche Verteidigungsbereitschaft mit der Waffe bekunden, liegt dieser Anteil bei den Frauen bei 21 Prozent. Das heißt, die Mehrheit der Männer und ein nicht geringer Anteil der Frauen im wehrfähigen Alter wären im Verteidigungsfall bereit, für Deutschland zu kämpfen.
Größeres Interesse am Soldatenberuf bei jungen Männern
Im Zeitraum 2020-2022 konnten sich immer weniger junge Männer und Frauen vorstellen, Soldat bzw. Soldatin bei der Bundeswehr zu werden (vgl. Abbildung 2). Diese negative Entwicklung begann also bereits vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Im Jahr 2023 stagnierte das Interesse auf einem niedrigen Niveau. Mit Blick auf die aktuellen Zahlen ist dagegen festzustellen: Der negative Trend der letzten Jahre konnte vorerst gestoppt werden – zumindest bei jungen Männern (16–29 Jahre). Denn der Anteil der jungen männlichen Interessenten am Soldatenberuf ist im Vergleich zum Jahr 2023 auf 29 Prozent gestiegen (+10 Prozentpunkte). Bei den jungen Frauen stagniert das Interesse an einer militärischen Verwendung weiterhin auf einem niedrigen Niveau (8 Prozent; -1 Prozentpunkt).
Die Datenauswertungen zeigen, dass das Interesse der 16–29-Jährigen am Soldatenberuf von der Bewertung verschiedener „weicher“ und „harter“ Faktoren abhängt. Die wahrgenommene „Kriegstauglichkeit“ der Bundeswehr (d.h. eine positivere Bewertung ihrer Ausrüstung und ihrer Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung) steigert vor allem bei Männern das Interesse am Soldatenberuf. Männer und Frauen bekunden ein größeres Interesse am Militärdienst, je positiver sie die Vereinbarkeit von Dienst und Familie oder die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Bundeswehr bewerten. Die Angst vor Krieg in Europa und dem Konflikt zwischen dem Westen und Russland spielt für das Interesse junger Männer und Frauen am militärischen Dienst hingegen keine Rolle.
Kriegsangst beeinträchtigt das Interesse junger Menschen am Militärdienst nicht.
Breiter Rückhalt für die Stärkung der Bundeswehr
Als unmittelbare Reaktion auf Russlands Vollinvasion der Ukraine stieg die öffentliche Zustimmung zur finanziellen und personellen Stärkung der Bundeswehr im Jahr 2022 auf einen historischen Höchstwert. Dieser gesellschaftliche Rückhalt bleibt 2024 auf einem hohen Niveau: 57 Prozent der Befragten (keine Veränderung zu 2023) befürworten eine weitere Erhöhung des Verteidigungsetats und 58 Prozent (+2 Prozentpunkte) eine zahlenmäßige Erhöhung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (vgl. Abbildung 3). Nur eine Minderheit von 8 bzw. 6 Prozent spricht sich für eine Verringerung der Verteidigungsausgaben und des militärischen Personalumfangs der Bundeswehr aus, während jeweils 30 Prozent für ein gleichbleibendes Niveau plädieren. In nahezu allen soziodemografischen Gruppen und den Wählergruppen spricht sich eine relative oder absolute Mehrheit für die finanzielle und personelle Stärkung der Bundeswehr aus.
Im Vergleich zu anderen Politikfeldern und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Staatshaushalt begrenzt ist, sprechen sich aktuell sogar 59 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus. Damit wird der Verteidigung als Ausgabenbereich die gleiche Bedeutung beigemessen wie der Inneren Sicherheit (62 Prozent) oder den Renten (61 Prozent). Sie hat aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger außerdem Vorrang vor den Politikfeldern Verkehrsinfrastruktur (57 Prozent), Digitalisierung (54 Prozent), Wirtschafts- und Industrieförderung (44 Prozent), Umweltschutz (42 Prozent), Entwicklungshilfe (23 Prozent) und Arbeitslosenunterstützung (18 Prozent).
Die öffentliche Zustimmung zur Stärkung der Bundeswehr hängt von der wahrgenommenen Bedrohung durch Russland ab. Die Bevölkerungsmehrheit fühlt sich bedroht und wünscht sich eine starke Verteidigung.
Die untersuchten Daten belegen die besondere Bedeutung der wahrgenommenen Bedrohung durch Russland für die öffentliche Meinung zu zentralen Aspekten der verteidigungspolitischen Zeitenwende: Diejenigen Befragten, die Russland als eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands wahrnehmen, stimmen der Erhöhung der Verteidigungsausgaben und des militärischen Personals der Bundeswehr sehr viel stärker zu als diejenigen, die Russland nicht als Bedrohung für die nationale Sicherheit sehen (Zustimmung: 68 zu 32 Prozent).
Zustimmung zur Bündnisverteidigung gestiegen, Kenntnisstand bleibt gering
Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist die Landes- und Bündnisverteidigung die wichtigste Aufgabe der Bundeswehr. Im Vergleich zu 2023 ist die positive Einstellung der Bevölkerung zu verschiedenen Aspekten der Bündnisverteidigung leicht gestiegen und bewegt sich insgesamt auf einem hohen Niveau. So sind 74 Prozent (+4 Prozentpunkte im Vergleich zu 2023) davon überzeugt, dass Deutschland auch weiterhin der NATO angehören muss, um seine Sicherheit gewährleisten zu können und 70 Prozent (+5 Prozentpunkte) plädieren für die Einhaltung der finanziellen Zusagen an die NATO. Mehr Befragte als im Vorjahr sprechen sich für Deutschlands konkrete militärische Unterstützung der baltischen Staaten aus (51 Prozent; +4 Prozentpunkte). Die NATO-Bündnistreue und Bündnissolidarität mit den östlichen NATO-Partnern ist unter den Wählerinnen und Wählern der AfD, der Linken und des BSW am schwächsten ausgeprägt. Das deckt sich mit ihrem Russlandbild und ihrer kritischen Haltung zur militärischen Unterstützung der Ukraine.
Die Einstellung der Befragten zur Bündnisverteidigung hängt stark von der subjektiven Wahrnehmung Russlands als Sicherheitsbedrohung und vom individuellen Kenntnisstand über die NATO-Missionen ab: Eine stärkere Bedrohungswahrnehmung und größeres Wissen erhöhen die Zustimmung zum aktiven Engagement der Bundeswehr in der Bündnisverteidigung. Allerdings ist der Kenntnisstand in der Bevölkerung über die Bundeswehr-Missionen an der NATO-Ostflanke im Durchschnitt eher gering. So gaben z.B. nur 22 Prozent der Befragten an, etwas über die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Mission in Litauen zu wissen. Nur jeder zehnte Befragte fühlt sich grundsätzlich gut über die Einsätze der Bundeswehr im Ausland informiert, während sich eine Mehrheit von 52 Prozent schlecht informiert fühlt.
Bundeswehr genießt hohes Ansehen trotz einzelner Kritikpunkte
Unabhängig von der sicherheits- und verteidigungspolitischen Lage geben seit einem Vierteljahrhundert mindestens drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger an, eine positive Einstellung zur Bundeswehr zu haben (vgl. Abbildung 4). Auch im Jahr 2024 ist das Meinungsbild zur Bundeswehr positiv. Eine breite Mehrheit der Gesellschaft hat eine positive Einstellung zur Bundeswehr (82 Prozent) und bringt ihr Vertrauen entgegen (85 Prozent). Eine große Mehrheit ist zudem der Auffassung, dass die Bundeswehr zum Schutz unserer freiheitlichen Werteordnung beiträgt (84 Prozent), zentrale Werte unserer Gesellschaft, wie Freiheit und Gerechtigkeit, verkörpert (80 Prozent) und ein ganz normaler Bestandteil unserer Gesellschaft ist (79 Prozent).
In allen untersuchten soziodemografischen Gruppen und Wählergruppen besteht eine im Durchschnitt positive Haltung zur Bundeswehr. Die hohe Akzeptanz der Bundeswehr quer durch alle Bevölkerungsschichten ist Beleg dafür, dass die Streitkräfte ein etablierter Bestandteil von Staat und Gesellschaft sind. Ungeachtet dessen gibt es Aspekte, die die Bürgerinnen und Bürger eher kritisch beurteilen: die Vereinbarkeit von Familie und Dienst bei der Bundeswehr (Positiv: 33 Prozent; Negativ: 25 Prozent) oder die Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr (Positiv: 29 Prozent; Negativ: 38 Prozent).
Weitere Themen der Befragung und des Forschungsberichts
- Außenpolitische Grundhaltungen
- Bilaterale Beziehungen zu den USAUnited States of America, China und Russland
- EU-Verteidigungszusammenarbeit
- Veteranen der Bundeswehr
- Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr
- Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr
- Öffentliche Wahrnehmung der Bundeswehr
Autor
Dr. Timo Graf forscht zur öffentlichen Meinung über Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie zu den zivil-militärischen Beziehungen in Deutschland. Dr. Graf leitet die jährliche ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung und ist der Autor des Forschungsberichts.
Zur Studie
Die jährliche ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung ist seit Beginn der Umfragestudie im Jahr 1996 der Gradmesser für die gesellschaftliche Legitimation, Relevanz und Integration der Streitkräfte. Ihre Ergebnisse dienen dazu, das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft zu analysieren sowie die Informationsarbeit der Bundeswehr zu evaluieren (Ressortforschung). Mit der öffentlichkeitswirksamen Publikation der Befragungsergebnisse in vielfältigen Produktformaten (Forschungsberichte, Zeitschriften- und Webartikel, Monografien, Sammelbandbeiträge, Podcasts, öffentliche Vorträge, Interviews) leistet das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Wissenstransfer). Darüber hinaus werden die Befragungsdaten in wissenschaftlichen Fachpublikationen aufbereitet, als Grundlage für sozialwissenschaftliche Qualifikationsarbeiten und in der universitären Lehre genutzt sowie der Forschung allgemein im Datenarchiv des GESIS zur Verfügung gestellt (Grundlagenforschung).
Auswahl: Militärsoziologische Forschungsberichte
Forschungsberichte zu Bundeswehr und Gesellschaft in Deutschland