Zeitenwende im verteidigungspolitischen Meinungsbild
Zeitenwende im verteidigungspolitischen Meinungsbild
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Infolge des Ukraine-Krieges hat sich die Haltung der deutschen Bevölkerung zu vielen verteidigungspolitischen Themen verändert. Das offenbart die diesjährige Bevölkerungsbefragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr). Russland wird zum ersten Mal von einer Mehrheit als Bedrohung wahrgenommen, der Zuspruch zur Bündnisverteidigung an der Ostflanke ist deutlich gestiegen und die Akzeptanz für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben erreicht einen historischen Höchststand. Nie haben die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands der Bundeswehr mehr vertraut als heute. Differenzierter stellt sich das öffentliche Meinungsbild zur nuklearen Abschreckung dar.
Russland wird als Bedrohung wahrgenommen
Die in den vergangenen Jahren eher ambivalente Wahrnehmung der Beziehungen zu Russland ist der Erkenntnis gewichen, dass Russland eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands darstellt. Aktuell empfindet eine klare Mehrheit die Aufrüstung der russischen Streitkräfte (67 Prozent; +28 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021), Russlands Außen- und Sicherheitspolitik (66 Prozent; +31 Prozentpunkte), Russlands militärisches Vorgehen in der Ukraine (65 Prozent; +31 Prozentpunkte) sowie Cyberangriffe aus Russland (60 Prozent; +10 Prozentpunkte) als Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands (vgl. Abbildung 1).
Anders als noch im Vorjahr spricht sich inzwischen eine Mehrheit für die Einschränkung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland aus (67 Prozent; +40 Prozentpunkte); nur 12 Prozent sind dagegen. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beeinträchtigt zudem das persönliche Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland massiv: Der Anteil derjenigen, die sich durch Krieg in Europa persönlich bedroht fühlen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht – von 15 auf 45 Prozent.
Zustimmung zur Verteidigung der NATO-Ostflanke gestiegen
Die Verstärkung der militärischen Präsenz der NATO in Osteuropa stößt aktuell in der Bevölkerung auf größere Zustimmung als noch im Vorjahr (vgl. Abbildung 2): 49 Prozent (+13 Prozentpunkte) sprechen sich dafür aus, dass die NATO ihre Präsenz in Osteuropa verstärken sollte, 22 Prozent lehnen dies ab und 24 Prozent sind unentschieden. Zudem plädiert inzwischen eine absolute Mehrheit (53 Prozent; +22 Prozentpunkte) dafür, dass Deutschland die baltischen Staaten militärisch unterstützen sollte, damit sich diese gegen Russland wehren können, 16 Prozent lehnen dies ab und 27 Prozent haben eine ambivalente Haltung. 50 Prozent sprechen sich für ein grundsätzlich stärkeres militärisches Engagement Deutschlands zur Sicherung der NATO-Ostflanke aus, während 20 Prozent dies ablehnen und 26 Prozent geteilter Meinung sind.
Auch die öffentliche Unterstützung für die Beteiligung der Bundeswehr an den konkreten Missionen zur Sicherung der NATO-Ostflanke ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich gewachsen. Aktuell unterstützt eine absolute Mehrheit die Beteiligung der Bundeswehr an der enhanced Forward Presence in Litauen (51 Prozent; +14 Prozentpunkte) und eine relative Mehrheit die Beteiligung am verstärkten Air Policing im Baltikum (48 Prozent; +12 Prozentpunkte) (vgl. Abbildung 2). Die infolge des Ukraine-Kriegs neu ins Leben gerufenen Missionen zur Verteidigung der Ostflanke des Bündnisgebietes werden ebenfalls mehrheitlich befürwortet: Kontrolle und Sicherung des Luftraums über Polen (51 Prozent Zustimmung; 22 Prozent Ablehnung); Luftraumüberwachung und Luftverteidigung in der Slowakei (46 Prozent Zustimmung; 23 Prozent Ablehnung); Kontrolle und Sicherung des Luftraums in Rumänien (43 Prozent Zustimmung; 25 Prozent Ablehnung).
Mehrheit für höhere Verteidigungsausgaben und Wehrdienst
Die Zeitenwende im verteidigungspolitischen Meinungsbild zeigt sich ebenfalls deutlich in den Zustimmungswerten zur Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben und des militärischen Personalumfangs der Bundeswehr: Nahezu 6 von 10 Befragten befürworten aktuell eine finanzielle und personelle Aufstockung der Bundeswehr. Das entspricht einem Zuwachs von jeweils annähernd 20 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr (vgl. Abbildung 3). Nur eine Minderheit von 7 bzw. 5 Prozent plädiert für eine Reduzierung der Verteidigungsausgaben bzw. des militärischen Personals der Bundeswehr, während sich 29 bzw. 31 Prozent für ein gleichbleibendes Niveau aussprechen.
Eine Mehrheit von 50 Prozent hält die Einführung eines Wehrdienstes im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Erwachsene für notwendig. 23 Prozent sehen hier keine Notwendigkeit und 22 Prozent sind unentschieden. Die Überzeugung, ein Wehrdienst sei notwendig, nimmt mit steigendem Alter zu (16–29 Jahre: 36 Prozent; 30–49 Jahre: 48 Prozent; 50 Jahre und älter: 57 Prozent) und ist unter Männern (56 Prozent) stärker ausgeprägt als unter Frauen (45 Prozent).
Größtes Vertrauen in die Bundeswehr
Seit vielen Jahren vertraut eine große Mehrheit in der Bevölkerung der Bundeswehr. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Vertrauen in die Bundeswehr leicht gestiegen (+3 Prozentpunkte). Im Ergebnis vertrauen 9 von 10 Befragten der Bundeswehr – mehr als allen anderen staatlichen Institutionen mit Ausnahme der Polizei (vgl. Abbildung 4).
Die seit Jahrzehnten positive Grundeinstellung der Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr bleibt 2022 mit einem Wert von 83 Prozent unverändert hoch (vgl. Abbildung 5). In allen soziodemografischen Gruppen in der deutschen Bevölkerung sowie unter den Anhängern aller politischen Parteien besteht eine mehrheitlich positive Grundhaltung zur Bundeswehr.
Differenziertes Meinungsbild zur nuklearen Abschreckung
Von einem Krieg mit Atomwaffen fühlen sich aktuell 42 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in ihrer persönlichen Sicherheit bedroht, 30 Prozent haben ein ambivalentes Bedrohungsgefühl und 27 Prozent fühlen sich nicht von einem Atomkrieg bedroht. Die Hälfte (50 Prozent) der Befragten ist der Auffassung, dass die NATO am Prinzip der nuklearen Abschreckung festhalten sollte, 22 Prozent sind gegenteiliger Meinung und 23 Prozent sind unentschieden. Eine relative Mehrheit von 42 Prozent der Befragten ist davon überzeugt, dass amerikanische Nuklearwaffen zur Abschreckung Russlands in Deutschland stationiert bleiben sollten, 30 Prozent lehnen dies ab und 23 Prozent sind geteilter Meinung. 38 Prozent der Bürgerinnen und Bürger stimmen der Aussage zu, dass sich „Deutschland weiterhin an der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO beteiligen sollte, d.h. Deutschland sollte mit eigenen Flugzeugen amerikanische Atomwaffen zum Einsatz bringen können“, 31 Prozent lehnen diese Aussage ab und 24 Prozent haben eine ambivalente Haltung.
Weitere Themen
Weitere Themen der Bevölkerungsbefragung und des Forschungsberichts sind:
- Sicherheits- und Bedrohungswahrnehmungen
- Einsätze der Bundeswehr im Ausland
- Außenpolitische Grundhaltungen
- EU-Verteidigungszusammenarbeit
- Bilaterale Beziehungen zu den USAUnited States of America
- Bilaterale Beziehungen zu China
- Veteranen der Bundeswehr
- Öffentliche Wahrnehmung der Bundeswehr
- Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr
- Aufgaben der Bundeswehr
Download
Der Forschungsbericht (PDF, 535,3 KB) präsentiert auf 30 Seiten die zentralen Ergebnisse der ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung 2022.
Autor
Dr. Timo Graf leitet die ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung und ist der Autor des Forschungsberichts.
Presseanfragen
Presseanfragen richten Sie bitte an die Pressestelle des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr:
- Email: zmsbwpressestelle@bundeswehr.org
- Telefon: 0331/9714-400
Methodologie
Die Erarbeitung des Studienkonzepts und des Fragebogens der Bevölkerungsbefragung erfolgten ebenso am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wie die Auswertung der erhobenen Daten. Die Datenerhebung wurde von einem professionellen Befragungsinstitut im Zeitraum vom 13. Juni bis 17. Juli 2022 durchgeführt. 2.741 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger wurden in computer-gestützten persönlichen Interviews (CAPI) in ihren Haushalten befragt. Die Interviews dauerten im Mittel 60 Minuten und die Ausschöpfungsquote lag bei 54 Prozent. Die Teilnahme an der Befragung erfolgte freiwillig und wurde nicht vergütet. Die gezogene Stichprobe ist repräsentativ für die deutschsprachige und in Privathaushalten lebende Bevölkerung ab 16 Jahren. Weitere Ausführungen zur Methodologie der ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Bevölkerungsbefragung finden Sie im Forschungsbericht (PDF, 535,3 KB).