"Spiegel-Affäre"
Verteidigung- Datum:
- Ort:
- Hamburg
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Am 10. Oktober 1962 erschien im Magazin „Der Spiegel“ ein Artikel mit der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“. Am 26. Oktober, einem Freitag, kurz nach 21 Uhr besetzten und durchsuchten Einheiten der Polizei und Bundesanwaltschaft die Redaktionsräume des Magazins in Hamburg und in Bonn sowie mehrere Privatwohnungen in Hamburg.
Der Verfasser des Artikels, Conrad Ahlers, wurde im Urlaub in Spanien aufgespürt und in die Bundesrepublik überführt. Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein wurde nach zwei Tagen verhaftet. Die Redaktion wurde geschlossen, alle Schreibmaschinen beschlagnahmt und die Druckmaschinen angehalten. Angeordnet hatte diese Maßnahme die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Begründung: Tatverdacht des Landesverrats, der landesverräterischen Fälschung und der aktiven Bestechung. Was war geschehen? Der Spiegel hatte einen für das Verteidigungsministerium brisanten Bericht unter Hinweis auf Ergebnisse eines NATONorth Atlantic Treaty Organization-Manövers mit dem Namen „Fallex 62“ veröffentlicht. Das Magazin analysierte die schlechte Lage der Bundeswehr und kam zu dem Schluss: Falls der Warschauer Pakt angreife, sei die Bundesrepublik Deutschland kaum abwehrbereit.
Gleichzeitig stellte der Artikel die durch den damaligen Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Strauß forcierte Abwehrstrategie der massiven (nuklearen) Vergeltung in Frage. Strauß hatte sich seit seiner Ernennung zum Verteidigungsminister 1956 immer wieder energisch für das Konzept eingesetzt, die Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen auszurüsten. Strauß rückte selbst dann nicht von dem Konzept ab, als die USUnited States-Regierung unter John F. Kennedy 1961 zur Strategie einer flexiblen Reaktion überging. Im Artikel vom 10. Oktober prognostizierte der Spiegel im Falle eines sowjetischen Angriffs, dass die Bundesrepublik mit der von Strauß verfolgten Taktik keine Überlebenschance hätte – und das zu einer Zeit, da eine Eskalation des Kalten Krieges wahrscheinlich zu sein schien. Strauß rechtfertigte das Vorgehen von Polizei und Justiz gegen den Spiegel, leugnete aber eine persönliche Beteiligung an der Aktion. Auch Bundeskanzler Adenauer verteidigte zunächst die Maßnahmen („Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande …“). Im Verlauf weiterer Untersuchungen wurde dann deutlich: Strauß hatte gelogen. Die eigentliche Initiative gegen den Spiegel ging auf ihn zurück. Auf seine Anweisung wurde der Justizminister nicht informiert und auch die Festnahme von Conrad Ahlers in Spanien wurde ohne Einverständnis des Auswärtigen Amtes durch ihn veranlasst. Auch der Bundeskanzler hatte davon gewusst. Das Vorgehen von Adenauer und Strauß führte zur Regierungskrise. Unter großem Druck von Politik und Öffentlichkeit gab Franz Josef Strauß schließlich seinen Rücktritt vom Ministeramt am 30. November 1962 bekannt.
Der Beitrag erschien in der Ausgabe 3/2012 der „Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung“.
„Geschichte kompakt“ ist eine Rubrik der Zeitschrift „Militärgeschichte“. Die Beiträge konzentrieren sich auf wesentliche Fakten und ordnen die Ereignisse in einen größeren historischen Zusammenhang ein.