Frankreich verlässt die militärische Organisation der NATO
Frankreich verlässt die militärische Organisation der NATO
- Datum:
- Ort:
- Paris
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Am 29. März 1966 ging bei der NATO in Paris ein Schreiben des französischen Außenministeriums ein, mit dem Frankreich die Unterstellung seiner Streitkräfte unter die NATO zum 1. Juli 1966 entzog und seine Offiziere aus den NATO-Stäben zurückzog. Zudem forderte Frankreich alle alliierten Truppen sowie NATO-Einrichtungen auf, bis Ende März 1967 abzuziehen.
Hintergrund dieses drastischen Schrittes war die generelle Skepsis des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gegenüber den USAUnited States of America. De Gaulle lehnte die amerikanisch-britische Dominanz in der NATO prinzipiell ab und forderte, dass Frankreich auf Augenhöhe mit den USAUnited States of America agieren müsse, insbesondere was die Nuklearwaffen betraf. Angesichts der massiven sowjetischen Aufrüstung mit strategischen Atomwaffen hatte de Gaulle große Zweifel, ob die USAUnited States of America im Kriegsfall die europäischen NATO-Partner – und damit auch Frankreich – unter Einsatz der strategischen Nuklearwaffen und mit dem Risiko der eigenen Vernichtung verteidigen würden. Daher hatte de Gaulle die Entwicklung einer eigenständigen französischen Nuklearstreitmacht vorangetrieben und bereits 1960 (in der noch zu Französisch-Algerien gehörenden Sahara) die erste Atombombe gezündet. Gestützt auf die eigene Nuklearstreitmacht („Force de frappe“) und mit der Drohung, den 1969 nach 20 Jahren auslaufenden NATO- Vertrag von 1949 nicht zu verlängern, trat de Gaulle in der NATO und gegenüber den Amerikanern immer selbstbewusster auf und forderte 1965 ultimativ die Unterstellung aller in Frankreich stationierten amerikanischen und sonstigen alliierten Truppen unter französisches Kommando. Hintergrund und tiefere Ursache des Zerwürfnisses war die französische Skepsis gegenüber der neuen NATO-Doktrin der „Flexible Response“. Als dies abgelehnt wurde, kehrte de Gaulle der NATO (militärisch) den Rücken. Alle Hauptquartiere, Stäbe und 30000 NATO-Soldaten mussten Frankreich verlassen. Das politische Hauptquartier zog von Paris nach Brüssel. SHAPESupreme Headquarters Allied Powers Europe, das militärische HQHeadquarters für Europa, von Rocquencourt auf ein Gelände zwischen Mons und Casteau, ebenfalls in Belgien.
Große Auswirkungen auf die militärischen Planungen
Aus militärischer Sicht entscheidender waren aber die Konsequenzen für die Verteidigungsplanung Westdeutschlands. Unter dem Kommando der französischen 1. Armee in Baden-Baden und des Korpsstabs in Koblenz standen zwei Divisionen (deren Stäbe in Freiburg i.Br. und Trier lagen) mit insgesamt sechs Brigaden. Nach deren Wegfall aus der NATO-Planung musste nun das deutsche II. Korps die Verteidigung des gesamten Raumes südlich von Nürnberg alleine stemmen. Hinter den Kulissen hatten aber USUnited States-General Lyman Lemnitzer als SACEURSupreme Allied Commander Europe und der französische Generalstabschef Charles Ailleret in einem geheimen Abkommen festgelegt, dass die weiterhin in Westdeutschland stationierten französischen Streitkräfte im Verteidigungsfall auf Seiten der NATO eingreifen würden, allerdings nur im Fall eines von Paris so eingeschätzten (vom Westen) „unprovozierten“ Angriffs des Ostblocks. Damit hielt de Gaulle im Kriegsfall noch immer eine Hintertür zur französischen Neutralität offen.
Der Beitrag erschien in der Ausgabe 2/2016 der „Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung“.
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