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NSNationalsozialismus-Raubgut in den Bibliotheken der Bundeswehr?

NSNationalsozialismus-Raubgut in den Bibliotheken der Bundeswehr?

Datum:
Lesedauer:
3 MIN

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Auffindung und Restitution: Rund 500.000 Bände, alle erschienen vor 1945 und verteilt auf ca. 60 Bibliotheken des Verteidigungsressorts, werden aktuell akribisch auf ihre Herkunft untersucht. Ziel ist es, Exemplare zu identifizieren, die während des Dritten Reiches ihren damaligen Besitzern geraubt, in Sammlungen beschlagnahmt oder unter Zwang verkauft wurden. Die Rekonstruktion der Bücher-Biographien erfolgt in der Intention einer Rückgabe an die Erben/Rechtsnachfolger. 

Das Foto zeigt als Detailaufnahme die Buchrücken von drei aufeinandergelegten Büchern (Bestand ZMSBw).

NSNationalsozialismus-Raubgut oder nicht? Buchrücken und -deckel geben erste Hinweise und führen zu umfangreichen Nachforschungen

Bundeswehr / Pia Linne

Manchmal liefert ein schlichter handschriftlicher Namenseintrag im Buchdeckel einen ersten wichtigen Hinweis. Oder es findet sich ein kunstvoll gestaltetes Exlibris (in Bücher eingeklebter Zettel oder ein Stempel zur Kennzeichnung des Eigentümers), das sich einem konkreten Vorbesitzer zuordnen lässt. Bei solchen konkreten Merkmalen am bzw. im Exemplar setzt die „Aufklärungsarbeit“ des fünfköpfigen Expertenteams an. Die „Spurensucher/Spurensucherinnen“ sind Teil des Fachinformationszentrums der Bundeswehr (FIZBw, einer Gruppe im Streitkräfteamt) in Bonn. Im ministeriellen Auftrag gehen sie seit Mitte 2019 zentralen Fragen zur Provenienz der Altbestände nach: Wem gehörte dieses Buch, bevor es in die jeweilige Bundeswehrbibliothek gelangte? Was lässt sich über das Schicksal früherer Besitzer ermitteln? Handelt es sich beim vorliegenden Exemplar um NSNationalsozialismus-Raubgut oder NSNationalsozialismus-Beutegut, also um Besitz, der Personen oder Institutionen zwischen 1933 und 1945 „NSNationalsozialismus-verfolgungsbedingt“ entzogen wurde? Erste Funde als Ergebnis einer Stichprobe hatten deutlich den Handlungsbedarf aufgezeigt, so dass auf Initiative des FIZBw schließlich der organisatorische Rahmen für eine systematische Bestandssichtung geschaffen wurde.  Mehr als 155.000 Bücher sind inzwischen am Regal auf „verdächtige“ Vorbesitzerspuren untersucht worden. Auf diese Autopsie folgen jeweils Tiefenrecherchen zur Identität und Biographie früherer Bucheigentümer sowie zu deren Schicksal in der NSNationalsozialismus-Zeit.

 

Das gezeichnete, ovale Exlibris von R. F. Jellinek-Mercedes zeigt einen Narren und eine Eule.

Jellinek-Mercedes besaß eine wertvolle Privatbibliothek. Als Jude nach dem "Anschluss" Österreichs verfolgt, nahm er sich am 10.2.1939 das Leben. Große Teile seiner Bibliothek mussten er und seine Witwe unter Zwang veräußern.

Bundeswehr/ Ruben Telöken

Komplex: Bücherwege rekonstruieren

Zu den bisherigen Entdeckungen gehören Bücher aus geraubtem jüdischen Privatbesitz, konfiszierten Sammlungen jüdischer Organisationen, von Regimegegnern, Freimaurerlogen, zwangsaufgelösten Gewerkschaften und Arbeitervereinen, katholischen Klöstern etc.

Sensibilität, ein geschulter Blick, Spürsinn gepaart mit historischem Wissen, aber auch Erfahrung im Umgang mit einschlägigen Suchinstrumenten und bibliothekarischen/archivischen Quellen und Datenbanken sind wichtige Kompetenzen, die ein Provenienzforscher/eine Provenienzforscherin mitbringen muss. Es gilt, unterschiedliche Zeichen zu dechiffrieren, dabei bisweilen unscheinbare Vorbesitzermerkmale zu erkennen und zuzuordnen und nach Möglichkeit die verschiedenen Stationen und damit Bücher-Migrationen nachzuvollziehen. Diese Rekonstruktion der konkreten Objekt-Biographie kann mitunter sehr aufwendig sein. Nicht selten weist sie zudem Lücken auf, die sich selbst durch ergänzende Sichtung von Zugangsjournalen oder erhaltenen Akten nicht (mehr) in Gänze schließen lassen.

Ein Projekt-Mitarbeiter steht vor einem Bücherregal und überprüft ein Buch auf Provenienzspuren.

In den Blick genommen: R. Telöken, Angehöriger des Bonner Projekt-Teams, sucht nach relevanten Vorbesitzermerkmalen am und im Buch.

Bundeswehr/ Sigrid Kamenz

Kernauftrag: Transparenz schaffen

Wie wichtig es jedoch ist, die Herkunft von Bibliotheksbeständen zu ergründen, belegt die Aktualität des Themas NSNationalsozialismus-Raubgut in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Debatte. Hier reiht sich das Bundeswehr-Projekt ein in das breite Spektrum von Aktivitäten an verschiedenen öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken in ganz Deutschland. Es trägt so mit dazu bei, dass die einschlägige Selbstverpflichtung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 1999 praktisch umgesetzt wird.

Sieben Bücher, zu einem Stapel übereinander gelegt, zeigen die Vielfalt der bisherigen Raubgutfunde.

Identifiziert in verschiedenen Bibliotheken des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung - als Raubgut eingestufte Exemplare, die einst jüdischen Personen oder Institutionen gehörten.

Bundeswehr/ Birgit A. Schulte

Im März 2023 begann das Team des Fachinformationszentrum der Bundeswehr mit der Sichtung der umfangreichen Altbestände in der Fachbibliothek des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften in Potsdam. Aus diesem Anlass sprach Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) mit der leitenden Bibliotheksdirektorin Birgit A. Schulte (FIZBw) - über Hintergrund und Untersuchungsdesign des Projektes und die besondere Motivation, die vergessenen Lebensgeschichte(n) der beraubten Opfer ausgehend von ihrem überlieferten einstigen Buchbesitz wieder sicht- und (be-)greifbar zu machen. 

Das Foto zeigt als Detailaufnahme die Buchrücken von drei aufeinandergelegten Büchern (Bestand ZMSBw).
Dr. H. Möllers im Dialog mit B. A. Schulte über die Recherche und Rückgabe von NSNationalsozialismus-Raubgut.
Audio-Transkription

 

von Birgit A. Schulte

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Militärhistorische und -soziologische Themen im Interview mit Expertinnen und Experten