Transkript Restitution von NSNationalsozialismus-Raubgut

Transkript Restitution von NSNationalsozialismus-Raubgut

Datum:
Lesedauer:
31 MIN

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Heiner Möllers

Herzlich willkommen bei zugehört, dem Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus Potsdam. Mein Name ist Heiner Möllers und ich habe heute ein spannendes Thema und einen spannenden Gesprächs Gast. Wir reden nicht von den Monuments Men, den Kunsthistorikern, die im Gefolge der amerikanischen Streitkräfte Raubgut der Nazis suchten, den Tätern auf der Spur, sondern wir reden heute von den Documents Women. Damen, die in der Bundeswehr unterwegs sind und nicht Kunst oder wertvolle andere Gegenstände suchen, sondern Bücher aus aufgelösten, geraubten, geklauten Bibliotheken.

Und mir gegenüber sitzt Birgit Schulte aus dem Streitkräfte Amt Leitende Bibliotheks Direktorin. Herzlich willkommen, Birgit!

Birgit A. Schulte

Ich freue mich sehr. Vielen Dank für die Einladung.

Möllers

Wir reden über Restitution von Büchern oder größeren über Restitution und kommen dann auf die Bibliotheken der Bundeswehr zurück. Was muss man dahinter eigentlich verstehen?

Schulte

Ich würde gerne auch noch zu den Monuments Men und den Documents Women etwas sagen. Wir sind nämlich ein Team von aktuell fünf Personen im Streitkräfte Amt und darunter ist auch ein männlicher Kollege, der sich an dieser Suche beteiligt. Ja, unser Auftrag ist der, dass wir in den Beständen der Bibliotheken der Bundeswehr nach Raubgut NSNationalsozialismus entzogenen Besitz suchen und fahnden. Und die Idee dabei ist es nicht, als wissenschaftliche Grundlagenforschung über Erwerbungen, Geschichte, über Sammlung, Aufbau zu betrachten, sondern wirklich die Dinge zu identifizieren, die NSNationalsozialismus Raubgut sind und sie dann im zweiten Schritt auch zu restituieren, also den ursprünglichen Besitzern zurückzugeben. Bzw. deren Erben oder deren Rechtsnachfolger, wenn es beraubte Institutionen sind. Also wir haben eine ganz klare Intention, nämlich eine Art von Aufklärungsarbeit und Wiedergutmachung letztendlich zu leisten und Bücher zurückzugeben, dorthin, wo sie eben widerrechtlich geraubt worden sind nach heutigem Rechtsverständnis.

Möllers

Jetzt sind wir hier in Potsdam beim ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Wir haben die größte Spezial Bibliothek mit Militärgeschichtlicher Literatur in Deutschland und im deutschsprachigen Raum. Aber wir sind ja nicht die einzige Bibliothek, die von euch jetzt durchforstet wird.

Schulte

Richtig es ist für uns eine spannende Bibliothek, weil sie zu den größeren gehört, mit sehr, sehr großen Beständen der Untersuchungsjahre, eben auch vor 1945 erschienen. Sie ist eine der Bibliotheken, die natürlich ein besonders reichhaltigen Bestand hat, die eine komplizierte Bestandsgeschichte hat, weil die Bestände mindestens auf zwei Ursprungsinstitute zurückzuführen sind. Und wir sind jetzt ja in Analytik, wo wir auf Erfahrung aufbauen können, die wir bei den anderen Bibliotheken, die wir untersucht haben, gewonnen haben. Aber unser Arbeitsauftrag ist immens. Wir haben 62 Bibliotheken zu untersuchen mit einem Gesamtbestand von schätzungsweise einer halben Million Bänden. Und der hiesige Bestand ist für uns besonders herausfordernd, weil er eben sich auf verschiedene Standorte hier in der Liegenschaft verteilt, weil noch längst nicht alles elektronisch verzeichnet ist und weil wir eben auch eine sehr verwickelte Sammlung Geschichte hier vorfinden.

Möllers

Und die Hälfte der Bücher, die ihr untersucht, liegt hier.

Schulte

Ja, wir können davon ausgehen, vom Gesamtbestand 260000/270000 hier vor Ort haben wir mindestens schon mal 60000 zu untersuchen. Es werden noch einige dazukommen, die nämlich aus einzelnen Zettel Katalogen noch identifiziert werden müssen, aber eine gewaltige Menge an zu untersuchenden Materialien und eben ein großer Auftrag, wie wir das Ganze operationalisieren und wie wir da weiter vorgehen. Also für uns eine besondere Bibliothek, das können wir ganz klar sagen.

Möllers

Du hast jetzt gerade gesagt 62 Bibliotheken in der Bundeswehr. Also nicht nur unsere Pracht-Rosine hier in Potsdam, sondern auch noch kleinere. In einem Artikel, den du geschrieben hast, hast du von Wilhelmshaven berichtet. Was ist so eine typische Bundeswehr Bibliothek und was zeichnet den Bestand da aus? Oder was ist für euch in solchen Beständen dann zu finden?

Schulte

Also für uns ist erst mal wirklich alles relevant, was vor 1945 erschienen ist und wir waren sehr überrascht, dass viele Bundeswehr Bibliotheken, bei denen wir solche älteren Bestände gar nicht mal vermutet hätten, doch noch Altbestände haben. Das war für uns sicherlich ein überraschender Befund. Normalerweise haben die Bibliotheken ganz klaren Auftrag, nämlich die Literatur Versorgung der Dienststelle, an der sie lokalisiert sind, sicherzustellen.

Und das sind meistens, sage ich mal, moderne Gebrauchs Bibliotheken, die ältere Bestände gar nicht mehr unbedingt bei sich haben. Aber wir waren eben überrascht, als wir dann anfingen, dass doch einige Theken noch bestände vor 45 Jahren, wo wir sie nicht in dieser Größenordnung vermutet hätten. Gemerkt haben wir aber auch, dass man, wenn man die Frage „Woher haben wir unsere Altbestände, sind darunter eben Bände, die Raubgut sind“, dann muss man wirklich letztendlich alles in Betracht ziehen, weil Verdachtsmomente hatten sich im Vorfeld ergeben. Bei größeren oder kleineren Bibliotheken, bei Bibliotheken mit einem historischen Sammelauftrag oder auch ohne. Insofern haben wir ein Verfahren wirklich gewählt, komplett Sichtung aller Bestände, die vor 45 erschienen sind.

Möllers

Und alles was nach 45 ist, ist deswegen für euch uninteressant, weil es nicht zum Raubgut gehören kann?

Schulte

Genau. Problematisch ist halt und das ist der Unterschied zu anderen Bibliotheken, die eben in den Jahren 33 bis 45 bereits existiert haben. Die konnten primär von solchen Bestandsverschiebungen ja schon profitieren. Wir sind alles Bibliotheken, die eben ja 56 folgende entstanden sind. Manche sind sogar 10/ 15 Jahre alt. Aber gleichwohl haben wir eben später auf dem antiquarischen Markt oder durch andere Zugangswege Raubgut in unsere Bestände bekommen können.

Schulte

Dann wäre es jetzt für mich mal interessant zu erfahren, du hast gerade gesagt ab 56 Die Bundeswehr wurde ab 1956 aufgestellt, die Standorte eingerichtet, die Ausbildungseinrichtungen, die Schulen. Wie muss man sich vorstellen, sind die Bibliotheken in der Zeit entstanden?

Schulte

Also die waren direkt in den Anfangsjahren auch wirklich fester Bestandteil gerade der Ausbildungseinrichtungen und der höheren Kommando Behörden. Also es gab im Prinzip zugleich mit Gründung der Bundeswehr die Geburtsstunde des Bibliothekswesens der Bundeswehr, damals auch sehr, sage ich mal, engmaschiges Netz. Es hat davon zeitweilig über 150 Bibliotheken gegeben. Und je nachdem, in welche Gründungsschicht eine solche Bibliothek datiert, war man natürlich auch parallel auf einem Buchmarkt unterwegs, um diese leeren Regale mit denen man startete, wirklich auch schnell mit Literatur für den jeweiligen Dienstbetrieb, sei es eine Ausbildungsrichtung für den Lehrbetrieb und Ähnliches zu füllen. Und man hat es natürlich auch immer es als wichtig betrachtet, historische Literatur zu erwerben. So viel Neueres, ein Militär, wissenschaftliche Literatur erschien ja auch gar nicht. Und man wollte eben auch auf dieser älteren Literatur aufbauen. Insofern hat man intensiv den antiquarischen Markt natürlich gesichtet und erworben, und man bekam sehr viel, Das hat mich auch im Nachgang ein bisschen überrascht, wie intensiv man auch mit Schenkungen bedacht worden ist. Und diese Schenkungen waren auch viel Literatur vor 1945 erschienen bis 1949.

Möllers

Wer hat da Bücher verschenkt?

Schulte

Ja, es sind im Prinzip Personen gewesen, die immer einen militärischen Bezug hatten, die dann wirklich sich dem Ja der neuen Bundeswehr verpflichtet fühlten und gerne ihre Literatur Schätze bestimmten Einrichtung vermacht haben. Wir wissen in einem Falle, dass der Kommandeur einer Marine Schule in Möwik zum Beispiel gezielt in Marine Organen darum warb, dass man der Marineschule eben auch Literatur zur Verfügung stellt, damit sie eben ihren Lehrbetrieb auf eine entsprechende Büchersammlung stützen kann.

Möllers

Also es gibt in dem Falle nicht den klassischen pensioniert General, der seinen Bücherschrank ausmisten, sondern so eine Mischung zwischen gezielter Suche. Ja Schneeballsystem und hier und da den Bibliothekar, der im örtlichen Antiquariat nachschaut, ob da was ist, was er kann.

Schulte

Also mich hat absolut überrascht und ich habe es neulich bei der Offiziersschule des Heeres in Dresden noch mal anhand von erhaltenen alten Akten prüfen können. Man hat sehr, sehr intensiv diesen antiquarischen Markt beobachtet und auch gekauft.

Möllers

Jetzt weiß der Bibliotheksnutzer heute, wenn er Bücher ausleiht. Das wird digital verzeichnet. Und so weiter. Ältere wie wir beide kennen noch den Zettelkasten in der Bibliothek schauen musste. Und wie muss man sich den vorstellen? Wird in so einer Bibliothek dann ein Buch verzeichnet oder aufgenommen, wenn es dann sozusagen vom Buchhändler vorbeigebracht wird?

Schulte

Ja, das ist ja für uns ein ganz wichtiges Quellenmaterial. Also ganz normal, ganz normal läuft der Arbeitsprozess so, dass man ein Buch wirklich katalogisiert nach formalen Kriterien. Verfasser, Titel, Erscheinungsjahr, Verlag, Umfang und Ähnliches, dass man es vielleicht noch sachlich erschließt. Also Dinge, die im Prinzip wichtig sind für den Bibliotheksnutzer und das, was jetzt auch durch unser Projekt so ein bisschen ins Bewusstsein rückt, ist, dass man Exemplar spezifische Angaben ja auch notieren kann, nämlich welche Provenienz Merkmal, welche Herkunftspuren finde ich in diesem Band. Und das sind Dinge, die rücken erst jetzt so ein bisschen ins Bewusstsein hinein. Das hat man bei alten Büchern früher immer gemacht, sage ich mal, in großen historischen Sammlungen. Aber diese Ebene Exemplar spezifisch auch Herkunftsmerkmale zu dokumentieren, das ist durch die Provenienzforschung der letzten Jahre natürlich viel, viel intensiver ins Blickfeld gerückt. Und für uns ist es wirklich so Wir werten elektronische Kataloge aus, um zunächst mal wirklich zu schauen, welche Exemplare sind denn in dieser Bibliothek vor 1945 erschienen? Und die nehmen wir uns wirklich systematisch vor, indem wir jedes Exemplar in die Hand nehmen und schauen finde ich in diesem Exemplar irgendetwas, was auf eine was eine Herkunft dokumentiert? Und könnte das eine verdächtige Spur sein, der wir nachgehen müssen? Und in der hiesigen Bibliothek wir haben das Beispiel Potsdam hier eben auch angesprochen, haben wir allein 60000 Medien im elektronischen Katalog verzeichnet, die vor 1945 erschienen sind.

Die haben wir in den letzten Wochen gesichtet, als das Team hier vor Ort war. Und davon haben wir jetzt 25000 im März und in einigen Wochen hier im April in die Hand genommen. Und viele dieser Bücher schweigen, sage ich mal, über ihre früheren Besitzer. Sie werden jemanden gehört haben, wenn sie antiquarisch erworben sind, aber nicht jeder Buch Besitzer macht ja Notizen im Buch oder schreibt seinen Namen hinein oder hat ein künstlerisch gestaltetes Exlibris.

Also wir fangen wirklich an beim Objekt und hoffen, dass es etwas verrät über die Identität früherer Besitzer.

Möllers

Vor einigen Jahrzehnten, als ich das erste Mal hier in Potsdam im MDFA war und mir einen Sack voll Bücher bestellt habe, um für meine damalige Doktorarbeit noch Sachen nachzuprüfen, stelle ich fest, dass bei dem einen oder anderen Buch dann ein Stempel vorne drin war Bibliothek des Auswärtigen Amtes oder der Reichsbank. Also ich hatte damals den Eindruck, hier in Potsdam sind einige Bibliotheksbestände oder was über blieb zusammengetragen worden oder irgendwer hat sie hier abgeliefert nach dem Motto da sind sie sicherlich gut aufgehoben.

Wenn ich mir jetzt so vorstelle, wir haben jetzt heute in der Bundeswehr einen gewissen Stamm an Bibliotheken, Fachinformationzentren an Schulen sind die besonders ausgeprägt. So was ähnliches gab es aber im preußisch deutschen Militär vorher auch schon.

Schulte

Ja.

Möllers

Die sind aber ja wahrscheinlich dann nach dem zweiten Weltkrieg erst mal ja konfisziert, beschlagnahmt und geplündert worden. Gibt es irgendwie Erkenntnisse oder habt ihr beobachten können, wo diese früheren Bibliotheken der Wehrmacht, diese Heeres Büchereien gelandet sind?

Schulte

Ja, also wir wissen von einigen Bibliotheken, die dann 1945, ja sage ich mal, herrenlos waren als herrenlose bestände, dass sie an Universitätsbibliotheken gegangen sind. Ein Beispiel führt quasi in die westfälische Region nach Münster. Die Universitätsbibliothek Münster hatte große Kriegsverluste, und sie hat sich interessiert gezeigt, bei der britischen Militärregierung die Wehrkreis- Bücherei Münster zum Beispiel zu bekommen und es ist auch so gelaufen, dass man eine Zuweisung entsprechend bekam und dass man dann in dieser notleidenden Universitätsbibliothek eben eine frühere Wehrmachtsbibliothek in den Bestand integrieren konnte.

Auch da gibt es interessante Verschiebungen, dass nachher sogar teilweise die Bundeswehr in den Besitz solcher zwischenzeitlich durch das Land oder andere Einrichtungen betreute Bibliotheken kam. Aber wir haben eben durch diesen Weg herrenlose frühere Militärbibliotheken der Wehrmacht gehen an zivile Einrichtungen in der Nachkriegszeit. Und wir haben auch diesen Moment, dass natürlich die Alliierten konfiszierte Bestände in ihre Länder mitgenommen haben.

Interessanterweise waren das nicht unbedingt Verschiebungen und Translokationen von Dauer, sondern es gab dann auch seitens der Amerikaner eine größere Rückgabe an die Bundesrepublik Deutschland. Und dann sind 58/59 ist wirklich eine Summe von 58000/60000 Büchern wieder nach Deutschland gekommen, die dann verteilt worden sind. Und so kam die Bundeswehr auch wieder in Besitz, aber verschiedener eben in Deutschland konfiszierte Behördennbliotheken, nicht nur, sagen wir, von Teilen früherer militärischer Bibliotheken.

Und da erklären sich vielleicht auch die Bestandsverschiebungen, die wir so haben, dass man einfach geschaut hat, wo passt die Literatur denn im Nachkriegsdeutschland inhaltlich am besten hin und nicht unbedingt wer ist der Rechtsnachfolger oder eine Institution, die im Prinzip in einer Folge steht zum früheren deutschen Buch Besitzer/ zur Institution.

Möllers

Das war jetzt nämlich mein Gedanke nach dem Motto Wenn die Amerikaner zwischenzeitlich sichergestellt, das Buch Material, dann an die Bundesrepublik Deutschland zurückgeben, dann kriegt ja der Alteigentümer seine Alten zurück

Schulte

Das wäre sicherlich auch eine Möglichkeit gewesen, aber das zeigt so ein bisschen, dass man mehr thematisch zu der Zeit auf die Bücher schaut und gesagt hat Wer kann das denn gebrauchen? Und auch die Dinge, die aus militärischen Besitz dann zurückkam. Man hat dann eine kleine Arbeitsgruppe gebildet und hat gesagt Na ja, das ist eine Literatur, die befasst sich eher mit Dingen, die dem Fernmeldewesen zuzuordnen sind. Schicken wir sie also lieber in die und die Institutionen und schaute nicht auf die früheren Besitzer. Stempel Wem hat es denn mal gehört?

Möllers

Das ist jetzt sozusagen das staatliche Buchmaterial, das wieder neu verteilt wird. Jetzt kommen wir aber mal zu den Privaten, denn wenn wir noch mal wieder bei den Monuments Men und bei dem Dokuments Woman plus Mann ansetzen es gab eben dann in Bibliotheken des Deutschen Reiches an allen Orten, auch hier und da Buch Material, das dort nicht hingehörte. Oder anders gesprochen, dass eben auf nicht legalem Wege hereinkam.

Schulte

Ja-Und das ist eine große Bandbreite, was man quasi unter NSNationalsozialismus Raubgut versteht. Das sind nicht nur Dinge, die man im klassischen Sinne wirklich jemandem abgepresst hat oder beschlagnahmt hat, sondern es sind auch Dinge dazu zu rechnen, die unter ja in Notsituationen verkauft worden sind, eben nicht mehr zu fairen Preisen oder die man im Prinzip zurücklassen musste und die dann staatlich verwertet wurden, weil das System das ja weiter Nutzens von Dingen, die man jemand abgenommen hatte, war eben auch sehr weit ausdifferenzier Es gab richtige Verwertungs tellen, die Versteigerung von sage ich mal jüdisches Umzugs gut zum Beispiel weiter verwertet haben. Und insofern gibt es neben den Beraubten auch ein System von Profiteuren, Nutznießern und ähnlichem mehr, die wiederum günstige Gelegenheiten nutzen konnten, um an Literatur für ihre jeweiligen Zwecke zu gelangen. Insofern ist es glaube ich, schon sehr gut, dass man auch diese Sichtweise hat, dass Raub eben auch sein kann, ein Rechtsgeschäft, was eben aus unserem heutigen Verständnis aber eben keineswegs legal war, sondern es war unter Zwang veräußert.

Möllers

Dazu passt ja dann im Endeffekt auch diese perfide Methode der Arisierung, dass eben im Dritten Reich dann jüdischen Mitbürgern unter sehr fragwürdigen Umständen Eigentum abgepresst oder zu Schleuderpreisen abgenommen wurde. Gibt es für diese Rückgaben und wir müssen dann vielleicht gleich auch noch mal über Einzelfälle sprechen, die ihr gefunden habt. Gibt es da eine Regelung? Gibt es da irgendwie Vorgaben oder Spielregeln, die sagen, nach welchen Kriterien etwas in diese Kategorie fällt und zurückgegeben werden kann oder muss?

Schulte

Ja, also das Ganze, was an Restitution läuft oder auch an fairen und gerechten Lösungen, fußt im Prinzip auf wesentlichen Dokumenten, die Ende der 90er Jahre datieren. Es gab eine Konferenz in Washington, wo man sich im internationalen Rahmen darauf verständigte, vor allem NSNationalsozialismus Verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut. So ist der sperrige Begriff aus jüdischem Besitz zunächst mal zu identifizieren und mit den Opfern respektive Erben und Rechtsnachfolger nach fairen und gerechten Lösungen zu suchen. Das ist quasi der internationale Rahmen. Ein Jahr später hat man sich in Deutschland verständigt. Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände auch in Deutschland. Eben diese Aktivitäten, so etwas zunächst mal auch aufzufinden, zu intensivieren, das ist eine Selbstverpflichtung, um mal, sage ich mal, den rechtlichen verbindlich Verbindlichkeit zu formulieren. Und Kulturträger haben wir ja im Prinzip auf dieser Ebene. Bund, Länder und Kommunen haben diese ja moralische Selbstverpflichtung gesehen.

Und das Ziel ist eben wirklich, mit den Rechtsnachfolger von Beraubten, ja solche fairen und gerechten Lösungen zu finden. Das ist nicht immer die Rückgabe des eigenen Werkes. Es kann auch sein, dass man sich darauf verständigt, im Prinzip noch mal legal wieder anzukaufen. Es kann auch sein, dass Erben der Meinung sind, es ist besser in der öffentlichen Hand aufbewahrt, und sie möchten nur, dass man aber diese Geschichte hinter diesen Büchern, also die Geschichte ihrer beraubten Verwandten erzählt, also transparent macht, welche Wege das Buch eben genommen hat.

Möllers

Ist das Ganze ein Prozess, der harmonisch und ruhig stattfindet, oder gibt es in diesem ganzen Verfahren auch Störfaktoren? Institute, die nicht richtig mitmachen oder Eigentümer, die sich sperren? Ist da irgendwo Sand im Getriebe oder funktioniert das?

Schulte

Also ich glaube schon, dass es im Wesentlichen recht gut funktioniert. Das, was eigentlich problematisch ist, dass für viele Bibliotheken natürlich die Sichtung ihrer Bestände ein immenser Kraftakt ist, was im Unterschied zur Kunst und zu den Museen, wo man ja einiges auch hört, einfach in der Menge der zu identifizierenden Objekte liegt. Und natürlich auch darin, dass es manchmal schwierig ist, diese schweigenden Quellen auch so ein bisschen zu erschließen.

Die Bibliotheken, die diese Aktivitäten unternehmen und wir sind ja auch 2019 vergleichsweise spät eingestiegen, glaube ich, da gibt es ein ganz großes Bewusstsein, sich mit Erben und Rechtsnachfolger zu einigen. Insofern glaube ich, dass dieser Akt eigentlich sehr gut läuft. Es ist ein bisschen aufwendig, weil man ja versuchen möchte, auch solche Aktivitäten jeweils zu bündeln. Und wir haben gerade hier in Potsdam einen Fall, der uns ja seit einigen Jahren schon beschäftigt, und es handelt sich um ein recht prominentes Beispiel. Und da versuchen wir natürlich die Aktivitäten verschiedener Bibliotheken, die an die Familie des Beraubten restituieren möchten, dass solche Aktivitäten gebündelt werden, und da muss dann jemand die Federführung übernehmen. Aber das sind eigentlich auch alles Dinge, die letztendlich lösbar sind.

Möllers

Eine kleine Zwischenfrage dazu Du hast ja jetzt die Bundeswehr im Blick. So was ähnliches läuft ja wahrscheinlich auch bei den ganzen staatlichen und kommunalen Bibliotheken. Hast du da einen Einblick, wie das dort läuft oder mit welchen Mengen die zu tun haben?

Schulte

Also das Schöne ist, dass man sehr gut vernetzt ist in dieser Szene und wir haben natürlich mit Beginn unseres Projektes auch sofort unsere Kontakte zu allen zivilen Bibliotheken, die auf dem Feld aktiv sind, intensiviert. Und es gibt einen unheimlich regen Austausch, die das Phänomen der Menge betrifft, im Prinzip alle Bibliotheken, weil man einfach merkt, dass das ja sehr mobile gut Bibliotheksbestand gibt. Also Bücher natürlich in der Regel. Man hat viele, viele Exemplare, die man sichten muss und viele Exemplare mit unklaren Spuren. Insofern ist es einfach ein Massenphänomen, was glaube ich so auf die Museen nicht unbedingt zutrifft. Aber die Vernetzung in der Branche, die letztendlich auch dazu führt, dass man Fälle eben wirklich kollektiv lösen kann, dass man zu kollektiven Rückgaben kommt.

Das ist in der Bibliothekszene, so glaube ich, sehr, sehr gut ausgeprägt. Und der zweite Vorteil ist der, dass Bibliotheken gute Erfahrung haben im Dokumentieren von solchen Provenienz Spuren, weil sie einfach im Bereich des Metadaten Managements seit langer, langer Zeit gut geübt sind.

Möllers

Das heißt, die Restrukturierung von Büchern ist auch weniger spektakulär als von Kunstwerken, weil da möglicherweise deutlich geringere materielle Werte dahinterstehen.

Schulte

Ja, also spektakulär sicherlich für die Öffentlichkeit. Aber es gibt ja immer noch so die zweite Ebene, wie wichtig ist es demjenigen, der restituiert? Und wie reagieren letztendlich die Opfer? Und in deren Bewusstsein, glaube ich, kann auch die Rückgabe eines Buches, was vielleicht vom materiellen Wert sehr banal sein kann. Es ist oftmals die letzte Spur, die man vielleicht von einem ja Verwandten der Opfer des NSNationalsozialismus-Regimes wurde hat. Und insofern ist es sicherlich in der Biografie dann der Angehörigen eines NSNationalsozialismus Opfers ein ganz anderes Ereignis. 

Möllers

Gibt es ein besonders prominentes Beispiel, das dir bei eurer Arbeit in den letzten Monaten aufgefallen ist?

Schulte

Ja, und zwar würde ich den Fall Jellinek-Mercedes im Prinzip gerne schon mal anführen, weil er einiges zeigt, was vielleicht auch für unser Bundeswehr Projekt spezifisch ist und weil er auch die Vernetzung in der Provenienzforschung schon gut dokumentiert. Zur Lebensgeschichte muss man sagen Raoul Fernand Jellinek-Mercedes, in den 80er Jahren in Algier geboren, jüdischer Abstammung, in Baden bei Wien lebend und mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich beginnt für ihn im Prinzip die Zeit der Repressionen und der Verfolgung.

Er war durch den durch seine Herkunft relativ begütert, hat eine große Gemäldesammlung auch angelegt. Musikalien gesammelt und eben auch eine respektable Bibliothek. Und diese Bibliothek verkauft er in Teilen bereits, um entsprechend den Lebensunterhalt seiner Familie weiter in schwierigen Zeiten auch zu finanzieren. Und der Druck wird aber immer stärker und er begeht 1939 im Februar Selbstmord in Baden bei Wien und seine Witwe muss natürlich auch noch entsprechende Vermögens, Abgaben leisten und Ähnliches und verkauft wieder einen Teil der Bibliothek.

Und diese Bibliothek wird von Antiquare weiterverkauft und kommt auf den österreichischen und auf den deutschen Buchmarkt und sehr viele, ja Bibliotheken kaufen bei Antiquaren Literatur und auch eben immer wieder Bände von Jellinek-Mercedes und seit mehr als 15 Jahren tauchen immer wieder Bände in einzelnen Institutionen auf und mich hat daran überrascht, dass wir das relativ markante Exlibris eben nicht nur in einer Bibliothek vorfanden, sondern dass wir auch neben den Funden, die wir hier in Potsdam hatten, auch noch beim Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr in Strausberg zwei Bände entdecken konnten.

Und das fand ich schon bemerkenswert, dass wir eben auch dann für uns selber in diese Erwerbungen hineinschauen, wie unsere Bundeswehr Bestände eben auch noch mal in Migration sind, weil wir sind ja ein Bibliothekswesen, was relativ dynamisch ist, es werden Institutionen gegründet, es werden Institutionen geschlossen und insofern ist es so, dass unser Projekt durch diesen zentralen Ansatz eben manchmal Dinge aus derselben Quelle an zwei drei verschiedenen Bundeswehr Standorten findet.

Und dieser Fall Jellinek-Mercedes, also aktuell haben wir neun Bände hier aus Potsdamer Besitz gefunden, zwei weitere in Strausberg im Zentrum Informationsarbeit. Und wenn man sich dann mal so diese Bestände anschaut es sind eben vor allem auch ja Militaria, also sie passten wirklich in das hiesige Profil und sie stammten eben aus größeren Zuweisungen, antiquarischen Ankäufen der jeweiligen Vorgänger Institutionen und stammen letztendlich aus einem Antiquariat in Leipzig.

Möllers

Nur zum Verständnis Wie viele 1000 Bände Jellinek-Mercedes als Buchbestand mal ursprünglich?

Schulte

Also er hat um die 10.000 Bände besessen, was für eine Privatbibliothek ja ein respektabler Umfang ist. Und er hat auch anscheinend thematisch sehr umfassend gesammelt, denn die Bibliotheken wiederum, die jetzt auch parallel zu uns Fall Jellinek-Mercedes Bände gefunden haben und mit denen wir gemeinsam eine Restitution noch in diesem Jahr anstreben, haben wiederum Literatur ganz anderer fachlichen Zuschnitts. Und das ist auch interessant, dass man diese Funde im Prinzip ein bisschen tiefer hinein blickt in das Sammelprofil dieses Wiener, sage ich mal Privatiers.

Möllers

Wie muss man sich dann vorstellen, soll eine solche Restitution laufen? Gibt es dann Familienangehörige, die diese 60 dieser 10.000 Bände wieder zusammenführen wollen?

Schulte

Also es ist im Augenblick so geregelt, dass der Kontakt der verschiedenen es sind, glaube ich, sechs oder sieben große deutsche Bibliotheken, die sich gerne zusammenschließen, um mit den Erben entsprechend zu verhandeln. Ja, und insofern läuft der Kontakt über eine Stelle und wir haben unsere Titel dorthin gemeldet. Und es sieht so aus, ohne dem Ergebnis jetzt vorgreifen zu wollen, dass es so läuft, dass die Familie nicht unbedingt die Bände zurückhaben möchte, sondern es anbieten würde. Sie vielleicht noch einmal regulär zu erwerben. Und diesen Weg würden wir für die beiden noch gehen wollen, weil die Literatur inhaltlich auch etwas darstellt, was wir gerne im Bestand behalten möchten.

Möllers

Das ist jetzt ein Fall. Ein Prominenter ja, der auch bundesweitVerknüpfung anbietet.

Gibt es einen prägnanten Einzelfall, wo du sagst, das ist wieder ein ganz anderes Beispiel, aber ähnlich gelagert?

Schulte

Also wir haben in der Offiziersschule des Heeres in Dresden, die ja lange in Hannover beheimatet war, bis 1998 zwei interessante Fälle gefunden. Einmal eines Berliner Juristen, der wirklich verfolgt war und im Prinzip in Gestapo Haft zu Tode geprügelt wurde. Und das ist für uns ein sehr interessanter Fall, weil er auch wieder die Spur zu zwei regionalen Antiquariaten dann führte.

Und dieser Fall ist auch von der familiären Geschichte her sehr plastisch und sehr tragisch. Und wir haben einen anderen Fall eines Hannoveraner Arztes, der letztendlich emigrieren konnte und 1939 nach England, der aber seine große Privatbibliothek dann unter dem Druck, die Emigration auch finanzieren zu müssen, sich vom Besitz trennen zu müssen, verkaufte. Und dieser Fall ist für uns deshalb so interessant, weil in den Nachkriegs Akten zur Wiedergutmachung und zur Entschädigung auch die Bibliothek eine Rolle spielt. Und das hat man nicht so häufig, denn oftmals hat man sich ja bei überlebenden NSNationalsozialismus Opfern, die emigrieren konnten, dass man sich darum kümmerte, große Vermögenswerte zurückzubekommen, Lebensversicherung, Eigentum und Ähnliches mehr. Aber hier konnte man in den ja wirklich voluminösen Akten auch erkennen, dass eben dieser Verlust dieser Wittek auch persönlich Schmerzen, dass Moment war und dass er für eine angemessene Entschädigung dieser Ethik lange auch sich eingesetzt hat und gestritten hat.

Möllers

Du hast vorhin im Eingangs Gespräch gesagt, im Gegensatz zu den Monuments Men, die auf der Spur der Täter waren, seid ihr auf der Spur der Opfer.

Schulte

Ja.

Möllers

Jetzt höre ich aber ja bei dir heraus. Da gibt es Antiquariate, die dann in der damaligen Zeit in dreißiger Jahren. Als Begünstigte dieses Raubes. Durch die Nazis. Diese Bibliotheksbestände übernehmen. Gibt es da ein Schema bei den Antiquariaten oder ist das in Anführungszeichen der x beliebige, der gerade in der Nähe sein Geschäft hat? Oder gibt es da sozusagen auch eine mitschwingende Mittäterschaft bei diesen Antiquariaten?

Schulte

Es gibt das gesamte Spektrum, kann man sagen, es gibt wirklich Antiquariate, die, glaube ich, auch sehr genau wussten, wer hat hier schöne, für mich ansprechende Bibliotheken, wo kann ich dann ein gutes Geschäft machen? Es gibt sicherlich auch Antiquariate, wo die Spuren sich eher verwischen, die vielleicht auch nicht immer darüber sich klar waren, was sie dort ankaufen, was sie dort bekommen. Nicht immer bekamen sie es halt von demjenigen, der seine Sammlung jetzt Direktverkauf. Manchmal lief es ja auch schon über Versteigerungen durch die Stadt oder ähnliches, wenn es konfiszierte gut war. Also da gibt es eigentlich das gesamte Spektrum und das ist auch ein Punkt, gerade wenn wir jetzt von Antiquariaten reden, bei denen wir als Bundeswehr zum Beispiel erst in den 50er Jahren gekauft haben. Diese Sammlung kann auch schon durch mehrere Hände gegangen sein, dass der Antiquar Rest Antiquariat Bestände eines anderen Antiquariat es übernahm. Und das ist so ein bisschen auch, sage ich mal, der blinde Fleck, dass viele Bibliotheken, die nach 1945 entstanden sind und dann vor allem antiquarisch ihre Bücherregale mit älterer Literatur auch gefüllt haben, dass die vor der schwierigen Quellen Situation stehen, Zu klären, wo hat es in der Antiqua wohl her. Und da ist natürlich die antiquarische Landschaft der Nachkriegszeit noch nicht sehr gut erforscht. Wir haben jetzt den glücklichen Fallen, einem konkreten vorliegen, zum Beispiel ein Antiquariat ausfindig gemacht zu haben, wo zum Glück die heutige Besitzerin genau sagen kann, wie ihr Großvater, woher er seine Bestände hatte. Und das ist natürlich für uns noch mal so ein Punkt. Vielleicht können wir den Rest der Exemplar Biografie, der uns noch fehlt, vielleicht doch noch ein kleines bisschen schließen. Aber manchmal können wir nachweisen, das Buch ist Verfolgungs bedingt dem Opfer entzogen worden und dann können wir manchmal erst wieder genau sagen und wir haben es seit dann und dann im Bundeswehr besitz. Und vielleicht verrät uns unser Zugangsbuch noch wer unsere Bezugsquelle, unser Lieferant gewesen ist. Manchmal aber nicht mal das.

Möllers

Jetzt sind wir eine historische Forschungseinrichtung, im überwiegenden Teil auch mit Sozialwissenschaftlern. Aber aus dem Blickwinkel des Historikers gibt es da bestimmte staatliche Stellen, die besonders involviert waren. Bei diesem Raub oder wurde das sozusagen dezentral von den zuständigen Gestapo Stellen in den verschiedenen Regionen oder Städten geregelt?

Schulte

Es gibt beides. Es gibt dezentrale, sage ich mal Verwertungsmechanismen von entzogene Literatur. Und es gibt so ein paar Einrichtungen, die natürlich herausstechen. Also es gibt NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei sage ich mal GAU Archive, die besonders profitiert haben von solchen Raubzügen. Es gibt eine Bibliothek oder gab eine Bibliothek, so muss man sagen, in Reichssicherheitshauptamt in Berlin, die wurde im Wesentlichen aufgebaut mit Ja, mit Raubgut. Das hatte den ganz klaren Zweck damals, man wollte eine Bibliothek zur Gegner, Forschung aufbauen, deswegen hat man gezielt Literatur, was Judentum gesammelt und Ähnliches mehr. Und die haben sich natürlich ja direkt gemeldet, wenn es Literatur konfiszierte, da auch weiter zu verteilen gab.

Möllers

Papier ist geduldig, ist so ein volkstümlicher Spruch, der immer verwandt wird, wenn es um irgendwie Schriftgut geht. Gibt es bei diesen Fällen die ihr da habt und ihr nehmt ja nun nicht jedes Buch in die Hand. Und aufgrund der Vielzahl von Büchern, mit denen ihr zu tun habt, entwickeln sich dann ja auch Muster, oder man erkennt Aha, hier haben wir einen Fall von Jellinek-Mercedes hatten wir schon mal und ihr kennt dann auch etwas mehr Hintergründe zu dieser Person und zu der ganzen Geschichte. Gibt es einen Fall, wo du sagst, der hat dich emotional berührt?

Schulte

Also mich berührt immer der Moment eigentlich, wenn ich das Gefühl habe, es ist ganz klar der Vorbesitzer, den ich identifizieren konnte, ein Opfer des NSNationalsozialismus Regimes. Und dann ist ja immer die schwierige Frage zu klären, ist ihm auch dieses Buch, was ich jetzt in Händen halte NSNationalsozialismus Verfolgungsbedingt entzogen worden? Und das ist ja immer den Beleg, den wir erbringen müssen.

 

Und das berührt mich immer, wenn ich, wenn ich da keinen richtigen Anknüpfungspunkt finde, weil man dann diesen Verdacht hat. Und ich weiß, ich schaue jetzt auf ein Opfer Schicksal und ich muss diese Frage ja aber dann verdichten auf diesen Moment ist er auch nachfolgend verdient sein ja sein Buch losgeworden und das finde ich immer schwierig. Wenn ich dann das Gefühl habe, dass vielleicht Merkmale am Buch vielleicht nur fehlen, weil das Buch neu gebunden wurde.

Vielleicht stand außen doch noch mal eine Signatur oder etwas, was wichtig wäre. Oder ein Stempel eines Profiteur des NSNationalsozialismus-Regimes ist drin, sodass ich irgendwie weiß da d habe ich noch mal neue Such Momente. Aber diese Fälle, wo ich das menschliche Schicksal schon als NSNationalsozialismus-Verfolgungsbedingtes Schicksal sehe, aber für das Buch diese Frage nicht beantworten kann, das ist für mich immer berührend und als zweiten, ja berührende Moment ist für mich eigentlich immer gegeben, wenn ich sehe, mit welchem großem Engagement dieses Team von vier, fünf Personen, die wir im Augenblick sind, wie engagiert man wirklich an diese Herkulesaufgabe herangeht und jedes Exemplar auch mit dieser nötigen Sorgfalt betrachtet.

Und da hat das Team eine große Professionalität gewonnen, auch wirklich die kleinsten Spuren mitzunehmen. Denn daran liegt es auch, dass manche Zeichen sehr unscheinbar sind. Bestimmte Bleistift Signaturen für Verwertungs-Systeme sprechen von weiterverteilenden Organisation und wirklich jedes Buch auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und mit einer gewissen Detail Besessenheit eben auch zu kontrollieren, weil das unser Fixpunkt ist.

Als relativ junge Bibliothekslandschaft müssen wir vom Objekt und den versteckten spuren eben ausgehen und das, was wir dort bei einer erst Sichtung, wie wir es ja gerade auch hier im Hause machen, was wir dort eben übersehen oder nicht wahrnehmen, das ist natürlich erst mal dann für uns verloren. Haben wir, das man erst checkt, quasi falsch einsortiert. Und das berührt mich immer, wie professionell, wie motiviert und wie persönlich engagiert und thematisch der Sache auch verbunden dieses Team an diese Aufgabe herangeht.

Möllers

Jetzt könnte bei unseren Zuhörerinnen und Zuhörer der Eindruck entstehen Das, was ihr findet, ist in der Regel Raubgut von jüdischen Verfolgten. Jetzt wissen wir aber auch, dass die Nazis im Grunde genommen jeden verfolgt haben, der nicht in ihr Raster passt Kommunisten, Gewerkschafter, Katholiken Ordensleute, Pfarrer weiter. Das heißt, möglicherweise habt ihr es eben nicht nur mit Raubgut von jüdischen Familien zu tun.

Schulte

Ja, also wir haben auch schon unter dem, was wir identifiziert haben, ein sehr breites Spektrum an Opfergruppen, sage ich jetzt mal identifizieren können. Wir haben Dinge Bücher, aus Bibliotheken, die im Kloster Sturm enteignet und beschlagnahmt worden sind. Das Kloster Hünfeld ist uns auch noch mal begegnet in den hiesigen Stämmen Beständen. Und da haben wir auch ein ganz starkes Moment, dass auch unser Exemplar zu den Büchern gehörte. Dem Kloster Hünfeld 1941 eben genommen worden sind. Man hat die komplette Bibliothek ins Reichssicherheitshauptamt nach Berlin transportiert, inklusive übrigens einer Stahl Regal Anlage. Also man hat nicht nur die Bücher genommen, sondern zugleich die Infrastruktur, um sie entsprechend aufstellen zu können. Wir haben auch schon Bücher gefunden, die im Prinzip von beraubten Institutionen stammen, also nicht nur Privatpersonen. Also jüdische Synagogen haben wir auch schon gefunden. Einer jüdischen Synagoge aus Beuten in Oberschlesien zum Beispiel im Bestand der Bibliothek des Ministeriums. 

Was wir auch gefunden haben, auch eine Kategorie von Opfern. Literatur aus Freimaurerlogen zum Beispiel. Also ein breites Spektrum an sowohl personellen Opfern als auch an Kooperation Mission, die vom NSNationalsozialismus Regime verfolgt worden sind.

Möllers

Zuletzt etwas für unsere Methoden Fans. Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Methoden. Wie muss man sich das bei euch vorstellen? Was für eine Methode oder was für ein Methoden Konstrukt steckt hinter eurer Arbeit?

Schulte

Als klar, dass das Verteidigungsministerium die Sichtung der Gesamt Bestände auch favorisiert, mussten wir zunächst mal überlegen, wie können wir diese Bestände wirklich identifizieren und was sind unsere möglichen Anknüpfungspunkte? Und da war wirklich klar Wir werden alle Bibliotheken und jeden Waren, der noch vor 1945 erschienen ist, in die Hand nehmen und sichten. Wir ordnen das Ganze dann ein. Gibt es Bestände ohne Merkmal? Da ist für uns dann im Prinzip für eine weitere Recherche kein Anknüpfungspunkt gegeben. Das heißt nicht, dass sie auch nicht Raubgut sein können, aber sie verraten nichts über eine mögliche Herkunft. Und dann gehen wir wirklich so vor, dass wir nach einer Erst Sichtung am Regal Provenienz Merkmale aus dem Buch fotografisch dokumentieren, damit man sie auch leichter mit Ergebnissen anderer Hypotheken vergleichen kann.

Dass wir dann Dinge, die wir in verschiedenen Bibliotheken gefunden haben, zusammenstellen und deren Ursprung klären. Und wir schauen dann natürlich, welche Recherche Tools wir benutzen können. Und da sind wir recht gut aufgestellt, indem wir eben Zugang haben zu biografischen Nachschlagewerken, Datenbanken, sodass man dann wirklich klären kann, ob der Vorbesitzer, den man identifiziert hat, ein NSNationalsozialismus-Verfolgungs bedingte Schicksal hat.

Und dann geht eben an dem Punkt waren wir ja auch schon in der Diskussion. Die Frage kommt dann in den Raum Wie ist es mit seinem Besitz? Hat er ihn als Verfolgungsbedingt verloren? Und insofern fangen wir immer an mit der Sichtung am Regal und recherchieren dann, wenn er es in der Tiefe Recherche wirklich genau die Biografie einmal des Vorbesitzers und natürlich die Biografie unseres Exemplars.

Möllers

Wäre das ganze ohne das Internet möglich.

Schulte

Es wäre sehr, sehr viel schwerer, weil man nämlich durch das Internet jetzt einmal darauf zugreifen kann. Was haben andere vielleicht schon recherchiert? Also man kann wirklich diese Ergebnisse optimal zusammenfassen von verschiedenen Provenienzforschung in Institutionen, weil die Dokumentation von Vorbesitzer Spuren eben ja, eine Vernetzung über entsprechende Metadaten ermöglicht. Und das ist sicherlich ein Riesenvorteil und man kann natürlich den Austausch von Informationen wesentlich schneller gestalten und wesentlich effizienter.

 

Möllers

Und weil man insbesondere auch die jüdischen Opfer des Holocaust sehr viel einfacher finden kann. 

Schulte

Man hat Gedenk Bücher, die in digitaler Form vorliegen und Ähnliches mehr. Ja, es erleichtert die Arbeit immens.

Möllers

Dann sind wir jetzt hier an einem ersten Schlusspunkt angekommen. Ihr macht mit euren Dokumenten Women plus Men weiter. Ich hoffe, dass es nicht so furchtbar lange dauert, bis ihr eure Arbeit erfolgreich abschließen könnt, aber ich bin mir sicher, dass noch einiges zutage tritt, was nicht in die Bundeswehr Bibliotheken gehört. Um es ganz einfach auszudrücken. Und insofern danke ich dir erst mal für das Gespräch.

Und wenn man ein wenig Verständnis für diesen ganzen Prozess hat, dass Raubgut nicht dem gehört, der es hat, sondern dem, von dem es stammt, dann denke ich mir, ist auch dem Recht und der Gerechtigkeit Genüge getan. Deswegen an dieser Stelle erst mal lieben Dank für dieses Gespräch. Ich fand es hochspannend. Wir werden in den Shownotes noch das eine oder andere an Dokumenten anhängen können und insofern danke ich allen Zuhörer/innen für diese Folge im Podcast und wünsche Ihnen alles Gute bis zur nächsten Folge.

Vielen Dank!

 

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