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Ethnische und religiöse Vertreibungen im Irak

Ethnische und religiöse Vertreibungen im Irak

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Im Irak leben bisher Menschen verschiedener ethnischer und religiöser Minderheiten. Doch diese sind seit Jahrzehnten bedroht, es fanden und finden Vertreibungen statt, die unter anderem Christen und Jesiden betreffen. Ebenso gab es vor und nach dem Sturz von Saddam Hussein mehrere Völkermorde zu beklagen.

farbliche Darstellung der Ethnien und Religionen im Irak mit Legende

Die Karte zeigt verschiedene Ethnien und Regionen im Irak im Jahr 2017.

Bundeswehr/Frank Schemmerling 2023

Seit dem Dritten Golfkrieg im Jahr 2003 und dem Sturz Saddam Husseins hat sich die politische Situation der schiitisch-muslimischen Mehrheitsbevölkerung im Irak zwar deutlich verbessert. Die darauffolgenden Bürgerkriege haben jedoch bei einigen ethnischen Minderheiten zu Flucht und Vertreibung, in einem Fall sogar zu einem Genozid geführt. Diese Entwicklung zeigt der nachfolgende Beitrag anhand von zwei Beispielen auf.

Historische Situation der christlichen Glaubensgemeinschaften unter Saddam Hussein

In den 1980er Jahren lebten nach heutiger Schätzung auf irakischem Staatsgebiet etwa 1,4 Millionen Christen assyrischer und armenischer Herkunft (7–10% der Gesamtbevölkerung). Unter der Herrschaft Saddam Husseins gab es zwar kein Recht auf freie Ausübung des Glaubens. Trotzdem kamen nichtmuslimische Randgruppen in der Praxis in den Genuss religiöser und anderer Freiheiten, solange sie die bestehenden Machtverhältnisse nicht infrage stellten. Saddam Hussein selbst stützte sein Regime politisch auf die religiöse Minderheit muslimisch-sunnitischer Araber. Dementsprechend begrüßte er auch die Existenz anderer ethnisch-religiöser Minderheiten im Land, bildeten diese doch einen Gegenpol zur unterdrückten Mehrheitsbevölkerung der muslimisch-schiitischen Araber. Darüber hinaus stellten die Christen für die irakische Erdölindustrie einen bedeutsamen Wirtschaftsfaktor dar. Facharbeiter christlichen Glaubens siedelten zwischen 1970 und 1990 aus freien Stücken von ihren Heimatregionen aus (Ninive-Ebene, östlich von Mossul, südlich von Duhok) in die Ballungszentren der Erdölindustrie Bagdad, Basra, Kirkuk und Mossul über.

Vertreibung der Christen seit 2003

Auf der Aktuellen Karte aus dem Jahr 2017 ist zu erkennen, dass die Siedlungsgebiete der Christen sich heute nicht mehr auf die Ballungszentren des Irak und die Ninive-Ebene erstrecken. Vielmehr befinden sich die wenigen verbliebenen christlichen Enklaven in kleinen Randgebieten im äußersten Norden der Autonomen Region Kurdistan (violett markiert). Der irakische Bürgerkrieg nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 führte dazu, dass radikal-islamische Gruppierungen begannen, u.a. die christliche Minderheit unter dem Vorwand der Kollaboration mit den Koalitionsstreitkräften des Westens zu bedrohen, zu drangsalieren und schließlich gewaltsam aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben. In der Folge entwickelte sich daraus eine starke Abwanderung in das benachbarte und auch ins europäische Ausland. Von den einst 1,4 Millionen irakischen Christen sind nur noch rund 250 000 (2017) übriggeblieben. Die heutige, schiitisch dominierte Regierung des Irak benötigt die Unterstützung nichtmuslimischer Minderheiten nicht mehr, empfindet deren Existenz sogar als störend. Ohne Schutz- und Sicherheitsgarantien aus Bagdad ist folglich nicht damit zu rechnen, dass die verbliebenen Christen in ihre angestammten Gebiete zurückkehren werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Auswanderung noch zunehmen wird und perspektivisch kaum noch Christen mehr den Irak bewohnen werden.

Völkermord und Vertreibung der ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppe der Jesiden

Noch deutlich gravierender als bei den Christen stellt sich heute die Situation der irakischen Jesiden und Jesidinnen dar. Im Gegensatz zu den Christen litten die Jesiden auch während der Herrschaft Saddam Husseins unter Anfeindungen, Diskriminierungen, Übergriffen und erzwungenen Übertritten zum Islam. Radikale Islamisten betrachten Jesiden bis heute als eine Art „Teufelsanbeter“, gemäßigte Muslime sehen sie als (religionslose) Ungläubige an.

Um das Jahr 2000 lebten etwa 700 000 Jesiden in ihrem traditionellen Siedlungsgebiet um die Stadt Sindschar (auf der Karte äußerster Nordwesten des Irak). Nach ihrer Einkesselung auf dem Sindschar-Gebirge und dem anschließenden Völkermord durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Jahr 2014 flohen Hunderttausende ins Ausland. Allein in Deutschland halten sich heute bis zu 200 000 jesidische Geflüchtete auf. Die Karte aus dem Jahr 2017 zeigt Gebiete (rot-grün schraffiert), in denen noch rund 200 000 Überlebende ihr Leben unter extremer Armut in Flüchtlingslagern verbringen. Mittlerweile dürften diese provisorischen Siedlungsräume noch kleiner geworden sein. Die irakisch-schiitische Regierung verweigert den Jesiden bis heute die Rückkehr in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete. Die Zukunft der Jesiden im Irak sieht folglich noch düsterer aus als die Situation der irakischen Christen.

Text und Karte zum Herunterladen: 

DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-638

von Stefan Brenner

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