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Die Versuche der konventionellen Abrüstung in Europa ab 1973

Die Versuche der konventionellen Abrüstung in Europa ab 1973

Datum:
Ort:
Europa
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4 MIN

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Ab Oktober 1973 versuchten NATO und Warschauer Pakt, auf dem Verhandlungsweg die Reduzierung der Streitkräfte zu erreichen. Doch während eine Abrüstung bei den Nuklearwaffen erreicht werden konnte, blieben die konventionellen Kräfte bis Ende des Kalten Krieges gleich.

Teaserbild Truppenstärke NATO und Warschauer Pakt 1973

Teaserbild Truppenstärke NATO und Warschauer Pakt 1973

Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Das Jahr 1973 brachte der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik große internationale Anerkennung. Am 18. September beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, die beiden deutschen Staaten als Vollmitglieder aufzunehmen. Die Ostpolitik der Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt hatte dafür die Basis gelegt. Der 1972 abgeschlossene Grundlagenvertrag zwischen den Regierungen in Bonn und Ost-Berlin stand für das Ziel von „Wandel durch Annäherung“. Das änderte jedoch nichts an der Rolle der beiden deutschen Staaten in ihren jeweiligen Militärbündnissen NATO und Warschauer Pakt. 

Die Truppenstärken in den beiden Militärblöcken waren zuvor in Europa immer weiter angewachsen. Im Jahr 1973 standen rund 3,2 Millionen NATO-Soldaten etwa 2,6 Millionen Soldaten des Warschauer Pakts – bis zum Ural - gegenüber. Rechnet man die Gesamtstärke der Sowjetarmee, ergab sich sogar ein Verhältnis von 3,2 zu 4,4 Millionen. Besonders stark war die Truppenkonzentration entlang der innerdeutschen Grenze. Hier standen schon im Frieden knapp 1,1 Millionen NATO-Soldaten in der Bundesrepublik sowie den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Eine nahezu gleich große Zahl stand auf Seiten der Warschauer-Pakt-Staaten auf dem Gebiet der DDRDeutsche Demokratische Republik, der Tschechoslowakei und der Volksrepublik Polen.  

Abrüstungsverhandlungen ab den 1970er Jahren

Um diese starke Konzentration von Streitkräften in der Mitte Europas ging es bei den „Verhandlungen über die gegenseitige Verminderung von Streitkräften und Rüstungen und damit zusammenhängende Maßnahmen in Europa“ (engl. Abkürzung: MBFR). Sie begannen am 30. Oktober 1973 in Wien. Parallel dazu fand in Helsinki die „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) statt. In den Verhandlungen in der finnischen Hauptstadt waren strittige Rüstungsfragen ausgeklammert. 

Truppenstärke der Nato-Staaten (3,2 Mio) in blau und des Warschauer Paktes (2,6 Mio.) in rot

Truppenstärke der NATO und des Warschauer Paktes im Jahr 1973

Bundeswehr/Bernd Nogli

Die Initiative für die KSZE ging in den späten 1960er-Jahren von der Sowjetunion aus. Die Initiative für die MBFR-Verhandlungen ging 1968 von der NATO aus. 1971 erwiderte die Sowjetunion diesen Vorschlag. Ziel war ein Abkommen über die Abrüstung und Kontrolle konventioneller Waffen und Streitkräfte in Mitteleuropa, namentlich in der Bundesrepublik Deutschland und den Benelux-Ländern sowie in der DDRDeutsche Demokratische Republik, Tschechoslowakei und Polen. An den Gesprächen in der österreichischen Hauptstadt Wien nahmen ebenfalls Vertreter der USAUnited States of America, Kanadas und Großbritanniens teil. Diese Länder hatten eigene Truppen in Europa – und vor allem in der Bundesrepublik – stationiert. Einigkeit bestand von Anfang an darin, dass der militärische Status quo in Mitteleuropa unverändert bleiben sollte. 

Reduzierung der Nuklearwaffen gelingt

Die MBFR-Verhandlungen waren der erste Versuch von NATO und Warschauer Pakt zur konventionellen Abrüstung bzw. konventionellen Rüstungsbeschränkung in Mitteleuropa. Problematisch war die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Waffensysteme. Gleichzeitig lag der Schwerpunkt laufender Rüstungsbeschränkungsverhandlungen auf Kernwaffen. Im Jahr 1972 hatten die beiden Führungsmächte der gegenüberstehenden Blöcke den SALT Strategic Arms Limitation Talks-I-Vertrag zur Anzahl von speziellen land- und seegestützten atomaren Raketen unterzeichnet, was in Verbindung mit dem ABM-Vertrag (Anti Ballistic Missile) von 1974 stand. Es folgten unmittelbar die Verhandlungen über die Beschränkung der Anzahl und Entwicklung von Abschussrampen, Atomraketen und Gefechtsköpfen, die 1979 mit dem SALT Strategic Arms Limitation Talks-II-Vertrag abgeschlossen wurden.

Ein weiteres Hindernis für die MBFR-Verhandlungen waren die unterschiedlichen Standpunkte zum Umfang der Abrüstung. Während die NATO forderte, dass der Warschauer Pakt aufgrund seiner Überlegenheit im Verhältnis mehr abrüsten bzw. weniger aufrüsten müsse, bestand die andere Seite auf einer zahlenmäßig gleichen Abrüstung. Auch die Zahlen der Truppenstärken waren problematisch und die Vorstellungen wichen auf beiden Verhandlungsseiten stark voneinander ab. Die NATO kritisierte die Angaben des Warschauer Paktes, nach denen beide Seiten gleich stark seien.     

Veränderungen nach Ende des Kalten Krieges

Im Februar 1989, nach 16 Jahren Verhandlungen, wurden die Gespräche ohne Abschluss eines Abkommens beendet. Im Gegensatz zur nuklearen Abrüstung blieb das konventionelle Kräfteverhältnis in Europa bis zum Ende des Kalten Krieges unverändert. Die Verhandlungen über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle gingen ab März 1989 jedoch weiter. Das Ergebnis war der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSEKonventionelle Streitkräfte in Europa). In ihm legten NATO und Warschauer Pakt Obergrenzen für die Anzahl ihrer schweren Waffensysteme (Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber) zwischen Ural und Atlantik fest. Der KSEKonventionelle Streitkräfte in Europa-Vertrag wurde am 19. November 1990 anlässlich eines KSZE-Gipfeltreffens unterzeichnet und trat im Jahr 1992 in Kraft. Es folgten Anpassungen. 2007 setzte der russische Präsident, Wladimir Putin, den Vertrag per Dekret für Russland außer Kraft. Im Jahr 2015 trat Russland mit dem Rückzug aus dem politischen Leitungsgremium des KSEKonventionelle Streitkräfte in Europa-Vertrages (Gemeinsame Beratungsgruppe) dann faktisch aus dem Vertrag aus.  

Die MBFR-Verhandlungen hatten die Truppen- und Waffenkonzentration in Mitteleuropa entlang des „Eisernen Vorhangs“ nicht verringern können. Im Herzen Europas standen sich mehr als zwei Millionen Soldaten gegenüber. Gleichwohl waren es 16 Jahre, in denen die beiden Militärbündnisse im Gespräch blieben und Vertrauen aufbauen konnten.  

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von Erwin Teichmann

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Streitkräfte in Osteuropa seit dem Ende des Kalten Krieges

Nach jahrzehntelanger Reduzierung der Truppenstärken in den neuen Partnerländern in Osteuropa rüstet die NATO an ihrer Ostflanke wieder auf. Die Zahl der hier stationierten Soldatinnen und Soldaten und die Anzahl der Panzer und Kampfflugzeuge steigt. 

NATO-Mitgliedstaaten in blau mit Zahl der Soldaten, Schiffe und Flugzeuge

Truppenstärken in Osteuropa an der Ostflanke der NATO.

Bundeswehr/Bernd Nogli 2022

Seit ihrem Beitritt zum Bündnis bilden die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien die Ostflanke der NATO. Weitere NATO-Streitkräfte in Osteuropa stellen Tschechien und Bulgarien, die ebenfalls dem Warschauer Pakt angehört hatten. Im Jahr 2017 standen an der Ostflanke rund 290.000 NATO-Soldaten 777.000 russischen Soldaten gegenüber. Die NATO verfügte über knapp 1.600 Kampfpanzer gegen 2.870 Kampfpanzer Russlands. Rund 220 Kampfflugzeuge stellte die NATO, 1.276 Maschinen standen auf russischer Seite. Nicht berücksichtigt ist die Türkei, das militärisch stärkste NATO-Land mit seiner langen Küstenlinie am Schwarzen Meer. Die Zahlen, fünf Jahre vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine, zeigen die deutliche Überlegenheit der russischen Streitkräfte.

Die veränderte Sicherheitslage seit 1990 wirkte sich auf die Militärausgaben auch in den osteuropäischen Ländern aus. Nicht nur in Deutschland – Stichwort „Friedensdividende“ – wurde der Verteidigungshaushalt verringert. Dies galt auch für alle ehemaligen Warschauer-Pakt-Mitglieder in Osteuropa. Ausnahmen davon waren die drei baltischen Staaten mit ihrer direkten Grenze zu Russland bzw. Weißrussland (heute Belarus).

Osterweiterung der NATO nach 1990

Die osteuropäischen Mitgliedsländer der NATO erlangten zwischen 1989 und 1991 ihre Unabhängigkeit zurück. 1993 entstanden aus der Tschechoslowakei die beiden Staaten Tschechien und Slowakei. Zwischen 1991 und 1994 verließen die dort stationierten sowjetischen Truppen diese Länder. Ungarn, Polen und Tschechien traten 1999 der NATO bei. Im Jahr 2004 folgten Estland, Lettland und Litauen sowie die Slowakei, Rumänien und Bulgarien.

An der Ostflanke stoßen die NATO-Staaten auf unterschiedliche Nachbarn. Die drei baltischen Länder grenzen unmittelbar an Russland und – mit Ausnahme Estlands – an Weißrussland (Belarus). Polen und Litauen umgeben die russische Enklave Kaliningrad. Polen grenzt zudem im Osten an Weißrussland (Belarus) und die Ukraine. Eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine haben ebenfalls die Slowakei, Ungarn und Rumänien. 

In diesem strategischen Vorfeld der NATO haben Litauen und Estland ihre Truppenstärke insgesamt ausgebaut. Im Jahr 2021 hatte sich dort die Zahl der Soldaten gegenüber den 1990er Jahren auf rund 39.000 mehr als verdoppelt. Allein auf Litauen entfallen heute rund 23.000 Soldaten. Die Wachstumstendenz im Baltikum verdeutlichen die Zahlen in der Karte von 2017.

Reduktion der Truppenstärken

Anders verlief die Situation in den übrigen NATO-Staaten Osteuropas. Die Armeen wurden verkleinert und modernisiert. Für Polen bedeutete dies eine Verringerung der Truppenstärke von 287.000 (1993) auf 114.050 Soldaten im Jahr 2021/22. Damit ist die Zahl nicht einmal so groß wie zum Zeitpunkt des NATO-Beitritts 1999 mit 240.650 Soldaten. Gleichwohl baut Polen seine Streitkräfte seit Jahren wieder aus und erhöht deren Kampfwert. Die Zahl der Kampfpanzer beträgt mit 797 heute weniger als die Hälfte im Jahr 1999 mit 1.675. Bei den Kampfflugzeugen hat sich in diesem Zeitraum die Zahl von 182 auf 94 fast halbiert. Damit bleibt Polen jedoch die größte Armee unter den osteuropäischen NATO-Staaten.

In den Partnerländern der Ostflanke ist die Entwicklung vergleichbar. Zum Teil um bis zu einem Drittel wurden die Truppen seit den NATO-Beitritten verringert. Der Bestand an Kampffahrzeugen und Kampfflugzeugen wurde im Jahresvergleich in Einzelfällen stark reduziert. Auch wenn die Verteidigungsausgaben in den Ländern seit einigen Jahren wieder steigen und die Qualität der Streitkräfte sich verbessert hat, sprechen die Reduzierungen eine deutliche Sprache. Seit den Beitrittsjahren 1999 bzw. 2004 hat sich die Zahl der Soldaten von 535.400 auf heute 340.200 verringert. Wurden zum Zeitpunkt des NATO-Beitritts insgesamt 6.426 Kampfpanzer vorgehalten, sind es heute 1.375. Die Zahl der Kampfflugzeuge aus der Addition der beiden Beitrittsjahre sank von 710 Maschinen auf heute 247. Gleichwohl ist seit 2017 insgesamt mit 293.490 Soldaten, 1.592 Kampfpanzern und 223 Kampfflugzeuge ein Aufwachsen erkennbar. 

Die schwächste Stelle der NATO-Ostflanke bildet das Baltikum in unmittelbarer Nähe zu Russland und mit dem engen Landkorridor in Litauen zwischen der Enklave Kaliningrad und Russland. Als einzige osteuropäische NATO-Mitglieder erhöhten die drei baltischen Länder seit ihrer Unabhängigkeit durchgängig ihre Verteidigungsanstrengungen. Allerdings verfügen sie bis heute nicht über Kampfflugzeuge und nur über drei Kampfpanzer. Im Jahr 2016, nachdem Russland die Krim besetzt hatte, beschloss die NATO die so genannte Enhanced Forward Presence. Vier „Battle Groups“ mit insgesamt 5.000 Soldaten wurden in Estland, Lettland, Litauen und Polen stationiert.

Neue Herausforderungen

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erhöht die NATO den Schutz der Ostflanke massiv. So wurden Einheiten der NATO Response Force (NRFNATO Response Force) nach Osten verlegt. Diese Eingreiftruppe für den schnellen Einsatz bei akuter Bedrohung besteht aus Boden- und Luftstreitkräften, Marine- und Spezialeinheiten mit insgesamt 50.000 Soldaten. Deutschland stellt davon 13.700. Aktuell sind rund 40.000 Soldaten in osteuropäischen NATO-Staaten stationiert. Im März und April 2022 nahmen an der Übung COLD RESPONSE 2022 in Norwegen über 30.000 Soldaten aus 27 Nationen teil, dabei ebenfalls Einheiten der NRFNATO Response Force

Im Sommer 2022 beschloss die NATO eine deutliche Verstärkung ihrer Ostflanke. Die vorhandenen multinationalen Gefechtsverbände sollen auf Brigade-Niveau aufwachsen. Derzeit umfasst beispielsweise der Verband in Litauen 1.600 Soldaten. Eine Brigade besteht in der Regel aus etwa 3.000 bis 5.000 Soldaten. Deutschland hat angekündigt, dass es die Kampftruppen-Brigade in Litauen führen will. Auf ihrem Gipfeltreffen in Madrid beschloss die NATO außerdem, auch die Schnelle Eingreiftruppe NRFNATO Response Force weiter auszubauen – auf bis zu 300.000 Soldatinnen und Soldaten. 

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DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-622

von Erwin Teichmann