Isa Khel und das Karfreitagsgefecht 2010
Isa Khel und das Karfreitagsgefecht 2010
- Datum:
- Ort:
- Afghanistan
- Lesedauer:
- 4 MIN
Isa Khel ist ein kleines Dorf in der nordafghanischen Provinz Kundus. Vielen Angehörigen der Bundeswehr wird dieser Ort immer in Erinnerung bleiben: Isa Khel wurde zum Symbol für Kampf und Verlust im deutschen Afghanistaneinsatz. Hier fielen drei Bundeswehrsoldaten während des sogenannten Karfreitagsgefechts am 2. April 2010.
Das afghanische Dorf Isa Khel liegt westlich des Flusses Kundus im Distrikt Chahar Darreh. Er galt in der sich seit spätestens 2009 zunehmend verschlechternden Sicherheitslage als Unruhedistrikt und Hochburg verschiedener aufständischer Gruppen. Diese kontrollierten weite Teile des Raumes und schränkten die Bewegungsfreiheit der internationalen Sicherheitskräfte ein.
Die Sicherheitslage
Das Regionale Wiederaufbauteam (PRTProvincial Reconstruction Team) Kundus operierte aus einem Feldlager heraus, das auf einem Plateau südlich der Provinzhauptstadt Kundus und ostwärts des gleichnamigen Flusses lag. Damit befand es sich nicht unweit der Ortschaft Isa Khel. Die Luftlinie betrug weniger als fünf Kilometer. Die Ortschaften in diesem Nahbereich erhielten bald die Bezeichnung „Raketendörfer“, denn von dort aus kam es immer wieder zu Raketenangriffen auf das PRTProvincial Reconstruction Team. Diese Raketenangriffe waren neben Selbstmordattentaten und Anschlägen mit improvisierten Sprengfallen (Improvised Explosive Devices, IEDs) lange Zeit die größten Bedrohungen in einem im Vergleich zum Rest von Afghanistan doch als weitgehend ruhig und stabil bewerteten Einsatzraum. Ab 2009 nahmen die Sicherheitsvorfälle signifikant zu. Ein Wandel zu kriegsähnlichen Zuständen setzte ein.
Der Operationsraum
Einen direkten Weg vom PRTProvincial Reconstruction Team über den Fluss nach Isa Khel gab es vor 2012 noch nicht. Zudem beschränkte sich die Bewegungsfreiheit der deutschen Kräfte in Kundus auf die wenigen Hauptstraßen, die Lines of Communication (LOC). Das PRTProvincial Reconstruction Team lag an der LOC „Pluto“, die ostwärts des Flusses zur Stadt Kundus führte. Parallel dazu, aber westlich des Flusses, lag die LOC „Little Pluto“. Von der Stadt in Richtung Westen führte die LOC „Kamins“ zum sogenannten West-Plateau. Zugleich verband diese LOC auch die anderen beiden LOCs. In der Nähe der Kreuzung „Kamins-Little Pluto“ befand sich ein Außenlager des PRTProvincial Reconstruction Team im Polizeihauptquartier von Chahar Darreh. Hier wie auch in Außenposten entlang der LOC „Little Pluto“ südlich des Polizeihauptquartiers auf den Höhen 431 und 432 genannten Lehmhügeln waren deutsche Soldaten eingesetzt. Alles weiter südlich davon, und damit auch der Raum um Isa Khel, galt als Feindgebiet – von den Soldaten nur „Kill Zone“ genannt. Doch genau sie sollte ab 2010 allmählich erobert und von Aufständischen befreit werden, so der Plan im deutsch geführten Regional Command North in Masar-i Scharif.
Das Karfreitagsgefecht
Am 2. April 2010 hatte eine Infanteriekompanie aus Kundus den Auftrag, im Distrikt Chahar Darreh verschiedene Straßen nach IEDs abzusuchen. Diese Aufgabe übernahm ein Zug zusammen mit Kampfmittelbeseitigern, während die anderen Kräfte der Kompanie zur Überwachung und als Reserve eingesetzt waren. In einem Vorort von Isa Khel sicherten Kräfte des Zuges das Suchverfahren und klärten mit einer Drohne auf. Als sie abstürzte, machte sich ein Spähtrupp auf die Suche nach ihr. Von den deutschen Soldaten unbemerkt, hatten die Taliban das Vorgehen längst beobachtet (siehe den Beitrag „Kampf bei Isa Khel“ im Afghanistan-Dossier).
Gegen 13 Uhr Ortszeit griffen plötzlich zwischen 40 und 80 Aufständische aus dem Hinterhalt mit Handfeuer- und Panzerabwehrhandwaffen an. Der vier Mann starke Spähtrupp war nahezu eingeschlossen, ein Soldat wurde verwundet. Der Zug rückte mit weiteren Kräften zur Unterstützung vor. Nach über einer Stunde Feuerkampf konnte der Spähtrupp befreit werden. Drei Soldaten waren verwundet, zwei davon schwer. Stabsgefreiter Robert Hartert erlag später seiner Verwundung.
Verstärkung setzte sich in Marsch und Kampflugzeuge der USUnited States-Streitkräfte führten Tiefflüge durch. Am Boden stand der Zug noch immer im Feuerkampf. Beim Ausweichen wurde ein geschütztes Transportfahrzeug Dingo durch ein IEDImprovised Explosive Device angesprengt. Fünf Soldaten, die sich in der Nähe befanden, wurden alle schwer, zwei weitere Soldaten im Fahrzeug leicht verwundet. Zwei der Schwerverwundeten, Hauptfeldwebel Nils Bruns und Hauptgefreiter Martin Augustyniak, überlebten ihre Verwundung nicht.
Der Hinterhalt der Aufständischen beschränkte sich nicht nur auf Isa Khel. Am Nachmittag griffen sie auch das Polizeihauptquartier von Chahar Darreh an. Und so standen auch hier deutsche Soldaten im Feuerkampf.
Zäsur
Der Kampf bei Isa Khel im Frühjahr 2010 war für die Bundeswehr eine Zäsur. Die Einsatzrealität in Afghanistan hatte sich zwar schon vorher deutlich sichtbar geändert, aber nun wurde es auch für die deutsche Öffentlichkeit offenbar: Die Devise „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ wich den Erfahrungen der Soldaten mit Tod und Verwundung im Kampf. Das lange Zeit als ruhig bewertete Nordafghanistan hatte sich zu einer Kampfzone entwickelt. Unter den Soldaten wurde von „Krieg“, in der Politik von „kriegsähnlichen Zuständen“ gesprochen.
Isa Khel nach dem Karfreitagsgefecht
Trotz der schweren Verluste im Karfreitagsgefecht oder eben gerade wegen des Propagandaerfolgs der Aufständischen von Isa Khel hielt die Bundeswehrführung in Afghanistan an ihren Planungen eines verstärkten offensiven Vorgehens fest. Im Herbst 2010 erfolgte die Operation „Halmazag“, um die Aufständischen aus dem südlichen Chahar Darreh zu verdrängen und einen Außenposten in Quatliam, einem Nachbardorf von Isa Khel, aufzubauen. Vier Tage lang kam es zu schweren Gefechten. Im Zuge der Operation konnten deutsche Soldaten und ihre Verbündeten auch Isa Khel erobern. Die Bundeswehr hatte ihre Präsenz im Südteil des einstigen Unruhedistrikts erheblich ausweiten können. Ein Jahr später, im September 2011, gelang es Soldaten der Task Force Kundus, die Türen des während des Karfreitagsgefechtes angesprengten Dingo zu bergen. Sie befinden sich nun am Heimatstandort der bei Isa Khel gefallenen Soldaten.
Die Präsenz der Bundeswehr in Isa Khel ist lange vorbei, doch der Name des Ortes wird weiter im kollektiven Gedächtnis der deutschen Streitkräfte bleiben.
Text und Karte zum Herunterladen:
DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-772
URN: https://nbn-resolving.org/html/urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-7728
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