Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr 2001-2021. Was bleibt?
Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr 2001-2021. Was bleibt?
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War es wirklich ein „Abzug“? Oder doch eine Flucht? Der geordnete Rückzug sei – so heißt es – eine der schwierigsten militärischen Operationen überhaupt. In der Geschichte des Krieges gibt es dafür Beispiele. Aber was war an dem, was im Frühjahr und Sommer 2021 in Afghanistan geschah, schon geordnet?
Nach einem Einsatz von 20 Jahren hat der Westen Afghanistan aufgegeben und es dann überhastet verlassen – geduldet vom Gegner, bedroht vom Terror und vor den Augen der Welt. Die dabei entstandenen Bilder und Erfahrungen sprechen für sich.
Dass es der Bundeswehr im August 2021, quasi in allerletzter Minute, dennoch gelang, mit 37 Evakuierungsflügen 5347 Menschen aus 45 Ländern, darunter 4100 Afghanen, auszufliegen, ist eine große Leistung. Zur Erinnerung: Die Bundeswehr hatte bei der strategischen Entscheidung zum Abzug aus Afghanistan kein Mitspracherecht; auch bei der Festlegung des Zeitpunkts und der Modalitäten war ihr Einfluss gering. Das ist, auch das sollte man nicht vergessen, kein Ausdruck von Schwäche oder gar Interesselosigkeit, sondern war institutionell so angelegt.
Was aber bleibt vom Einsatz in Afghanistan? War am Ende alles umsonst – alle Anstrengungen, Aufwendungen, Investitionen und nicht zuletzt die vielen Opfer, die eigenen wie die fremden? Hierzu fünf Überlegungen:
Der lange Atem des islamistischen Terrorismus
Anlass für den Einsatz in Afghanistan war ein beispielloser, monströser Akt des Terrorismus. 9/11 bleibt unvergessen. Doch war nicht allein der Westen bedroht. Zwar wurde nach 2001 auch Europa von weiteren Anschlägen getroffen; erinnert sei nur an die schrecklichsten Attentate, die in Madrid (11.3.2004: 191 Tote), in London (7.7.2005: 56 Tote) und in Paris (13.11.2015: 137 Tote) verübt wurden. Doch ist die Blutspur, welche die islamistischen Hassprediger hinter sich lassen, deutlich breiter und reicht auch zeitlich länger zurück: Zwischen 1979 und Mai 2021 wurden weltweit 48035 islamistische Terroranschläge gezählt, die mindestens 210138 Menschen das Leben kosteten: 2194 Anschläge mit 6817 Toten waren es zwischen 1979 und 2000; 45841 Anschläge mit 203321 Toten waren es in den Jahren von 2001 bis 2021.
Das heißt: 9/11 war nicht das Ende, in gewisser Weise war es ein Anfang. Wie um die alte These vom Terrorismus als einer „Kommunikationsstrategie“ zu beweisen, folgte den spektakulären Attacken auf die USAUnited States of America eine wahre Kaskade weiterer Anschläge in großen Teilen der Welt. Das war die unmissverständliche Botschaft.
Dabei stand, auch das wird gerne übersehen, Europa nicht im Zentrum dieser globalen Offensive. Bis 2021 galten 40,1 Prozent der jihadistischen Anschläge der Region Südasien, 32,4 Prozent dem Mittleren Osten und Nordafrika sowie weitere 23,2 Prozent dem Subsaharischen Afrika. Verglichen damit wurden Europa und die USAUnited States of America (0,6 Prozent, bzw. 0,1 Prozent aller Anschläge) eher am Rande getroffen. Woran diese weltweiten Statistiken des Terrors und des Todes freilich auch keinen Zweifel lassen: Inzwischen ist die Zahl der Anschläge und der Opfer wieder stark rückläufig. Natürlich war der steile Anstieg der Anschläge bis zu den Jahren 2012 bis 2014 immer auch eine Reaktion darauf, dass der Westen mit dem „war on terror“ auf 9/11 reagiert hatte. Aber war das falsch? Für den „unnecessary war“ (Mearsheimer/Walt) gegen den Irak mag das zutreffen.
Aber gilt das auch für den Einsatz in Afghanistan? Das, was al-Qaida in den USAUnited States of America angerichtet hatte, wurde nicht nur in der islamistischen Szene als Triumph gefeiert; die offene Freude oder klammheimliche Genugtuung reichten deutlich weiter. So gesehen war die völkerrechtlich legitimierte Reaktion der USAUnited States of America und ihrer Verbündeten, die Operation Enduring Freedom, nur folgerichtig. Die afghanische Regierung hatte es jahrelang akzeptiert, dass ihr Land als Basis und auch als Zentrale eines internationalen terroristischen Netzwerks diente. Von dieser Basis ist nicht mehr viel übrig. Vor allem aber sind die gefährlichsten terroristischen Drahtzieher, Osama bin-Laden und übrigens auch Abu Bakr al-Bagdhadi, sowie viele ihrer Helfer mittlerweile tot oder in Haft. Gleichzeitig ist die Zahl der weltweiten Opfer des islamistischen Terrorismus stark rückläufig. Und – auch das – die neuen Machthaber in Afghanistan sind gewarnt. Zumindest sieht es momentan nicht danach aus, als ob sie bereit wären, Afghanistan noch einmal zur Zentrale eines terroristischen Netzwerks zu machen.
Die USAUnited States of America und Deutschland: Uneingeschränkte Verbündete?
Die USAUnited States of America sind – mit Abstand – Deutschlands wichtigster Verbündeter. Deutschland verdankt den USAUnited States of America viel; erweitert man die Perspektive bis ins Jahr 1945 oder gar zurück bis 1941, bis zur Erklärung der Atlantik-Charta, dann verdankt Deutschland den USAUnited States of America: seine Freiheit, seinen Wohlstand und seine Sicherheit. Auch lohnt sich die Frage, ob es die Wiedervereinigung Deutschlands ohne die klare und entschiedene Unterstützung der USAUnited States of America jemals gegeben hätte. Dennoch blieb die Wirkung solcher Erfahrungen auf die deutsche Gesellschaft begrenzt. Natürlich sind Umfragen zur Haltung „der“ deutschen Gesellschaft zu „den“ USAUnited States of America nicht mehr als Momentaufnahmen; gleich einer Fieberkurve folgen sie den Wendungen der internationalen Politik und ihrer Rezeption in Deutschland. Aufs Ganze gesehen bleibt es jedoch höchst erstaunlich, auf wie viel Skepsis oder gar robuste Ablehnung die USAUnited States of America in den Feuilletons, den Fernsehrunden und an den Stammtischen der Republik stoßen. Angesichts der deutschen Geschichte würde man doch anderes erwarten.
Das soll nicht heißen, dass unsere amerikanischen Verbündeten fehlerfrei wären. Als die Regierung Bush jr. im März 2003 entschied, noch einen weiteren Krieg zu führen, den gegen den Irak, belastete das nicht nur das deutsch-amerikanische Verhältnis. Auch militärisch war es ein Fehler, vielleicht sogar der folgenreichste. Diese zwei Fronten, denen bereits geografisch jeder innere Zusammenhang fehlte, mussten selbst die USUnited States-Streitkräfte überfordern. Vor allem aber lag deren Schwerpunkt nicht dort, wo er eigentlich hätte liegen müssen. Waren etwa im Juni 2004 in ganz Afghanistan nicht mehr als 17800 USUnited States-Soldaten und Soldatinnen im Einsatz, so waren es im Irak damals bereits 144 300. Die Möglichkeiten, die sich aus diesem deutlichen Missverhältnis ergaben, erkannten die Taliban schnell; sie wussten sie zu nutzen. Erst 2009/10 versuchte die Regierung Obama, mit Hilfe der „Surge“ diese verfehlte Schwerpunktsetzung zu korrigieren. Doch war der entscheidende Moment verpasst.
Am Ende stand der „Deal“, den die Regierung Trump 2019/20 mit den Taliban in Doha aushandelte. Ohne Absprache mit ihren Verbündeten, noch nicht einmal den afghanischen, aber getrieben vom unbedingten Wunsch, das leidige Kapitel Afghanistan möglichst rasch hinter sich zu lassen, beendeten die USAUnited States of America ihr Engagement in Afghanistan – zu schnell, zu abrupt, ohne Abstimmung auf der eigenen und ohne wirkliche Sicherheitsgarantien auf der anderen Seite. Das, was die USAUnited States of America zwei lange Jahrzehnte in diesen Raum investiert hatten, entsprach nicht einmal ansatzweise dem kläglichen Verhandlungsergebnis.
War es also doch falsch, die USAUnited States of America in Afghanistan zu unterstützen? Unsere amerikanischen Verbündeten haben die islamistischen Terror-Angriffe auf New York und Washington als existentielle Bedrohung empfunden; erstmals wurde der NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 ausgerufen. Wie sich diese Bedrohung weiter entwickeln würde, war zu Beginn des neuen Jahrtausends unmöglich abzusehen. Auch aus strategischen Überlegungen gab es daher 2001 kaum Alternativen zu Deutschlands „uneingeschränkter Solidarität“. Nur deshalb konnte es sich die Regierung Schröder 2003 leisten, sich dem amerikanischen Wunsch nach einer Unterstützung eines Krieges gegen den Irak zu verweigern.
Zweifellos sind das sehr pragmatische Überlegungen. Sie aber sind die Basis dessen, was gemeinhin als „Realpolitik“ gilt. Auch unter dem nüchternen Kalkül der Bündnispolitik, war es gut, dass die Bundeswehr so lange an der Seite unserer Verbündeten in Afghanistan geblieben ist.
Von den Sowjets zu den Taliban: Afghanistan 1979 bis 2001
Als die westliche Koalition, zu der auch Staaten gehörten, die dem Westen gemeinhin nicht zugeordnet werden, seit 2002 ihre Truppen nach Afghanistan schickte, trafen diese dort auf einen failed state. Arm und rückständig war Afghanistan lange gewesen; total ruiniert wurde dieses karge, aber kultivierte, gastfreundliche und ganz einfach schöne Land jedoch durch die sowjetische Besatzung der Jahre 1979 bis 1989. Damals wurde aus dem Kampf der Roten Armee gegen die afghanischen Aufständischen, die Mudschaheddin, ein Vernichtungskrieg gegen die afghanische Bevölkerung, die in dieser Zeit – einzigartig in der Welt – nicht wuchs, sondern schrumpfte. Hinzu kam, dass die sowjetischen Okkupanten ohne jede Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse Afghanistan so zu gestalten suchten, wie sie es für richtig hielten. Beides, der mörderische Krieg sowie die brachiale Politik der sowjetischen Besatzer, hinterließ am Ende ein entvölkertes und zerstörtes Land. Die afghanische Gesellschaft hingegen war geflohen, war mit ihrem Überleben beschäftigt oder mit dem Kampf gegen oder auch für die neuen Machthaber.
1989, nach dem sowjetischen Abzug, war Afghanistan bereits so verelendet, dass es nicht mehr in der Lage war, sich selbst neu zu organisieren. Aus dem Sieg der Mudschaheddin erwuchs ein weiterer, ebenfalls blutiger Bürgerkrieg, den schließlich die Taliban, ursprünglich eine radikal-islamische Splittergruppe, bis zum Ende der 1990er Jahre weitgehend für sich entschieden. Immerhin, diese „Gotteskrieger“ garantierten den Frieden, und das galt für 90 Prozent des Landes. Doch war dieser Friede teuer erkauft. An die Stelle des Bürgerkriegs trat eine radikal-islamische Diktatur, die aus dem geschundenen Land einen „Gottesstaat“ wie in der islamischen Frühzeit machen wollte.
Unter der Herrschaft dieser Sittenwächter entwickelte sich der Anbau von Schlafmohn zum einzig ernst zu nehmenden Wirtschaftsfaktor; 75 Prozent der Weltproduktion an Opium stammte damals aus Afghanistan. Große Teile des Landes aber lebten nur noch vom Welternährungsprogramm der UNUnited Nations.
Ohne diese Vorgeschichte ist die Intervention des Westens in Afghanistan kaum zu verstehen: Afghanistan war auch deshalb zu einem failed state verkommen, weil sich der Rest der Welt kaum noch für dieses schwierige, seltsame und weit entfernte Land interessierte. 2001 lag es nahe, das zu revidieren. Was hätte man auch anderes tun sollen? Ein „light footprint“ in Afghanistan, eine bloße Konzentration auf die Operation Enduring Freedom, wie ihn Teile der USUnited States-Führung zunächst erwogen, wäre unangemessen gewesen. Erstmals bot sich eine offenbar realistische Chance, den fast schon archaischen Kreislauf von endloser Gewalt in Afghanistan zu durchbrechen und dem von Krieg und Terror gezeichneten Land eine wirkliche Zukunft zu bieten. Mit dieser Einschätzung stand der Westen übrigens nicht alleine; seit 2002 kehrten 5,3 Millionen afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Viele Afghanen und die Afghaninnen erst recht empfanden das Ende der Taliban-Herrschaft als Befreiung. Die Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel war damals groß.
Noch größer war sie in unserer Welt, im „Westen“. Der alte Traum vom ewigen Frieden unter der Aufsicht einer gerechten Weltregierung schien vielen gar nicht einmal so unrealistisch, zumindest nicht zum damaligen Zeitpunkt. Erste Erfahrungen am Ende des letzten Jahrtausends deuteten in diese Richtung; selbst festgefahrene Krisen und lange blutigste Kriege ließen sich von außen regeln und auflösen. In einem Land wie Kambodscha, ja sogar in Ex-Jugoslawien war es mit Hilfe einer militärisch-zivilen Intervention gelungen, neue, friedliche Verhältnisse zu schaffen, die sich als nachhaltig erwiesen. Warum also nicht auch hier?
Eine Bilanz: Der Afghanistan-Einsatz 2001 bis 2021
Afghanistan aber war anders. Der Comprehensive Approach, die militärisch-zivile Kooperation externer Organisationen zum Wiederaufbau des Landes, wäre schon im Frieden schwierig gewesen. Unter den Bedingungen eines Bürgerkriegs, der mehr und mehr eskalierte, anstatt auszulaufen, musste ein Vorhaben wie das des „Nation Building“ als zunehmend hoffnungslos erscheinen und schließlich als schlichtweg sinnlos. Die Kosten waren entsprechend. Die Bundesregierung spricht von 17,3 Milliarden Euro, die der Einsatz deutscher Soldaten und Entwicklungshelfer in Afghanistan gekostet habe. Die USAUnited States of America beziffern ihre Kriegskosten sogar auf 2,3 Billionen Dollar.
Noch höher waren freilich die menschlichen Kosten. Die westliche Koalition verlor bei ihrem Einsatz in Afghanistan 3528 Soldaten, darunter 2378 amerikanische, 454 britische und 62 deutsche, nicht zu vergessen die 3814 USUnited States-Contractors, die in Afghanistan ihr Leben verloren. Deutlich höher waren die afghanischen Verluste: 64124 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte sind zwischen Oktober 2001 und November 2019 den Kämpfen zum Opfer gefallen, die Zahl der getöteten Gegner wird auf etwa 42100 Menschen geschätzt, während die 43074 zivilen Opfer einmal mehr einen Eindruck vom Charakter dieser Auseinandersetzungen vermitteln. Doch verteilten sich die Täter nicht gleichmäßig auf alle Seiten. Die UNAMAUnited Nations Assistance Mission in Afghanistan, die United Nations Assistance Mission in Afghanistan, hat minutiös dokumentiert, dass die überwiegende Mehrheit dieser Opfer von den regierungsfeindlichen oder „sonstigen“ Kräften umgebracht wurden und nur ein deutlich kleinerer Teil von jenen, die für den neuen afghanischen Staat kämpften.
War alles umsonst? Es ist ein Merkmal des Afghanistan-Einsatzes, dass auch über den „Vernetzten Ansatz“ zum Wiederaufbau des Landes umfassend Buch geführt wurde. Für die Jahre zwischen 2002 und 2022 ist für Afghanistan die Halbierung der Säuglingssterblichkeit belegt, der Rückgang des Analphabetismus, die bessere Versorgung mit Energie oder sauberem Wasser, der steigende Zugang zu Telefonen und zum Internet, Straßen- und Brückenbau, der Aufbau einer Medienlandschaft oder demokratischer Strukturen wie überhaupt das deutliche Wachstum des Bruttosozialprodukts und der allgemeinen Lebenserwartung.
Wie nachhaltig das sein wird, bleibt abzuwarten. Eine Veränderung wird jedenfalls Bestand haben: Von 2000 bis 2020 wuchs die afghanische Bevölkerung von knapp 21 auf 36,6 Millionen Menschen; 61 Prozent sind derzeit jünger als 25 Jahre. Das heißt, nach 2001 ist in diesem Land eine Generation groß geworden, die eine gewisse Prosperität und Sicherheit erlebt hat und etwas anderes als die enge und düstere Welt einer islamistischen Diktatur. In einem Land mit der Geschichte Afghanistans ist das schon sehr viel. Ob das Folgen für die Zukunft haben wird, wird sich zeigen.
Kriegserfahrung: Die Bundeswehr in Afghanistan
Es wird immer wieder hervorgehoben, wie sehr sich die Bundeswehr in den 20 Jahren ihres Einsatzes im fernen Afghanistan verändert habe; sie sei dort, so heißt es, „erwachsen“ geworden. Das ist wohl wahr. Über diese Erfahrung ist viel geredet worden; der Kreis derer, die diese Erfahrung wirklich gemacht haben, ist indes überschaubar. Zum Teil sind diese Veränderungen wie etwa bei der persönlichen Ausrüstung des Soldaten buchstäblich mit Händen zu fassen. Anderes ist abstrakter und auch komplexer wie etwa das Verhalten im Gefecht, eine Sanitätsversorgung unter extremen Bedingungen, eine weitreichende Logistik, die institutionelle Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz, der Umgang mit Traumatisierten, der Betrieb von Feldlagern oder die vielfältigen Aufgaben, mit denen allein die Pioniere zu tun haben. Nach wie vor diskutiert wird über die ganz großen, strategischen Fragen: Sind Einsätze „out of area“ obsolet geworden? Wie lange soll man sie durchhalten? Und sind wir überhaupt für Staaten und Gesellschaften verantwortlich, wenn sie weit entfernt von uns liegen – auch unter der nachvollziehbaren, durchaus eigennützigen Überlegung, dass die räumlichen Entfernungen in unserer Welt eine immer geringere Rolle spielen.
Für die Bundeswehr ist die Bedeutung dieser Erfahrungen, dieses Professionalitätsschubs nicht hoch genug zu bewerten. Doch sind militärische Erfahrung kein Selbstzweck; dafür führt man keinen Krieg. Beim Einsatz in Afghanistan war dies auch nie die Absicht, im Gegenteil, man hatte ja etwas ganz anderes erwartet. Für die dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten wurde Afghanistan daher zu einem harten, quälenden und mitunter auch blutigen Lernprozess. „Im Kriege lernt man gründlich, aber das Lehrgeld ist hoch“, schrieb schon Ernst Jünger.
Vor diesem Hintergrund verdient es Hervorhebung und vor allem auch Anerkennung, wie gut die meisten diese Prüfung bestanden haben. Dafür gibt es einige Belege.
Welche Bedeutung hat das für uns? Ist das zwar eine bleibende, aber doch zunehmend historische Erfahrung, nun nach der sogenannten Zeitenwende, dem strategischen Paradigmenwechsel und der Rückkehr zur Bündnis- und Landesverteidigung? Wohl kaum – nicht nur, weil militärische Erfahrung ein kostbares, teuer erkauftes Gut ist. „Vom Einsatz her denken“, wurde zum Leitmotiv des Heeres. Auch dieser Paradigmenwechsel muss Bestand haben. Die Bundeswehr braucht nicht mehr dort anzuknüpfen, wo sie 1990 aufgehört hat. Vieles aus den vergangenen Jahren wird bleiben, angefangen mit dem System der Kontingente. Vor allem aber gilt: Die Bundeswehr bleibt – das ist ihre und das ist auch unsere Zukunft – auch weiterhin außerhalb von Deutschland im Einsatz.
Lesetipps
Manfred Götz, „Hier ist Krieg“. Afghanistan-Tagebuch 2010, hrsg. von Christian Hartmann, Göttingen 2021.