Aktuelle Karte

Wie macht man einen Staatsstreich?

Wie macht man einen Staatsstreich?

Datum:
Ort:
Berlin
Lesedauer:
4 MIN

„Aktuell“ ist die Karte nur auf den ersten Blick. Verwirrend, wie sie ist, zeigt sie die Planungen für den Staatsstreich des Heeres, wie er im Frühjahr und Sommer 1944 im Allgemeinen Heeresamt und im Stab des Befehlshabers des Ersatzheeres vorbereitet wurde. 

Teaserbild Unternehmen Wallküre
Bundeswehr/Andrea Nimpsch

Der Altmeister der Forschung zum deutschen Widerstand, Peter Hoffmann, hat für sein 1969 erschienenes Buch „Widerstand – Staatsstreich – Attentat“ die meisten Fakten zusammengetragen, aber er hat sie nie interpretiert. Was sehen wir also über die Fülle von Einzelinformationen hinaus? 

Die blauen Pfeile markieren Heerestruppenteile, die dem Ersatzheer unterstehen und am „Tag X“ vorher festgelegte Orte sichern oder Räume beziehen sollen. Da ist zunächst das Wachbataillon aus Moabit („H“), das als erstes zur Verfügung stehen kann. Es wird zwar von Major Otto Ernst Remer geführt, der ein fanatischer Nazi ist, aber solange dieser der ausgegebenen Lage glaubt, dass nämlich der „Führer“ tot und das Opfer einer Parteiverschwörung geworden sei, solang wird auf sein Bataillon Verlass sein – nehmen die Verschwörer an. Tatsächlich führte Remer am 20. Juli 1944 brav seine Befehle aus – bis ihn ein Telefonat mit Hitler selbst überzeugte, dass hier das Militär gegen den „Führer“ putsche. Doch selbst dann hat er sich noch Zeit gelassen: Das Telefonat war gegen 19:00 Uhr, die ersten Soldaten des Wachbataillons erreichten das Zentrum der Verschwörung nach 23:30 Uhr, obwohl es zu Fuß dorthin nur gute zehn Minuten sind. Hat sich Remer am Abend des 20. Juli 1944 noch lange in alle Richtungen absichern wollen?

Dann sollen aus Döberitz Kräfte der Infanterieschule anrücken („C“, „D“), das Haus des Rundfunks besetzen (heute Sitz des rbb) und das Regierungsviertel mit abriegeln. Weitere Teile der Schule sollen die Sendeanlagen in Nauen („A“) und in Tegel („B“) besetzen. Die Militäropposition hat schon Vorkehrungen getroffen, den Nazis die Nutzung der Massenmedien zu verwehren, mit denen Goebbels sonst seine Hasstiraden verbreitet.

Nach Süden und nicht nach Norden

Einen noch weiteren Anmarschweg haben die mobilgemachten Teile der Panzertruppenschule aus Krampnitz („D“). Sie sollen einen Verfügungsraum im Tiergarten beziehen (also in unmittelbarer Nähe des Bendlerblocks) und nach Süden aufklären – so zitiert Peter Hoffmann einen Zeitzeugen. Warum nach Süden und nicht nach Norden?

Nun, im Süden liegt die Kaserne, in der die Ersatztruppenteile der 1. SSSchutzstaffel-Panzer-Division „Leibstandarte SSSchutzstaffel Adolf Hitler“ stationiert sind (Lichterfelde, heute Sitz des Bundesarchivs). Dieser Truppenteil scheint den Verschwörern besondere Sorgen bereitet zu haben; hier sehen sie den Schwerpunkt der gegnerischen (also der systemtreuen) Kräfte.

Übersichtskarte mit bunten Linien und Markierungen

Unternehmen „Walküre“ und militärischer Kräfteansatz

Bundeswehr/Frank Schemmerling

Weitere Heereskräfte, nämlich die Ersatztruppenteile der Panzerdivision „Großdeutschland“, liegen in Cottbus. Sie werden länger brauchen, bis sie sich in Berlin auswirken können, die Staatsstreichplaner rechnen mit bis zu 24 Stunden. Sie sollen die Flughäfen Rangsdorf und Tempelhof sichern und Kräfte der SSSchutzstaffel in Lichterfelde in ihrem Rücken binden („M“). Auch die Sender Herzberg (nicht im Kartenausschnitt) und Königs Wusterhausen („J“) haben die Planer nicht vergessen.

Worin liegt die Bedeutung der Flughäfen? Was diese Karte nicht zeigt: Weitere Verstärkungen sollen von der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront kommen. Aus dem Reiterregiment Mitte, dessen Kommandeur, Oberstleutnant Georg von Boeselager, in die Verschwörung eingeweiht ist, sollen 1200 Mann nach Berlin geflogen werden (vermutlich mit Flugzeugen der Lufthansa).

Generalstabsmäßige Planung?

Warum ist das alles wichtig? Wie schon gesagt, die vielen hier genannten Details sind schon lange bekannt. Aber erst in der Zusammenschau, in einer Karte von Berlin eingetragen, ergeben sie einen Sinn, erschließt sich ein Muster. Dies ist eine im wahrsten Sinn des Wortes generalstabsmäßige Planung.

Es ist – auch nach dem Krieg – immer wieder behauptet worden, die Staatsstreichplanung sei „amateurhaft“ oder „unrealistisch“ gewesen. Das war sie, wie wir hier sehen können, keineswegs, und die Tatsache, dass einige der besten Generalstabsoffiziere der nachwachsenden Generation an ihr beteiligt waren, sollte zur Vorsicht bei solchen Urteilen mahnen. Aber sie basierte darauf, dass Hitler tot war, dass das Attentat Erfolg hatte – und diese Voraussetzung war am 20. Juli 1944 nicht gegeben.

Ein Zweites wird deutlich: Die Heranführung von Reserven, die sich erst nach Tagen auswirken konnten, war Teil dieser Planung. Offenkundig gingen die Verschwörer davon aus, dass es mit einem schnellen Putsch nicht getan sein würde und dass es sehr wohl zu längeren Auseinandersetzungen im Innern kommen könnte – zwischen den nationalkonservativen Oppositionellen um Stauffenberg und Carl Goerdeler, den Nationalsozialisten und vielleicht auch den „Nationalbolschewisten“, den sowjetischen Kriegsgefangenen, den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, alle diese möglicherweise unterstützt durch eine sowjetische Luftlandung. Für einen solchen Endkampf im Inneren wollten die militärischen Verschwörer vorbereitet sein.

Text und Karte zum Herunterladen:

DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-769

URN: https://nbn-resolving.org/html/urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-7691

von Prof. Dr. Winfried Heinemann

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