Mansteins Gegenschlag bei Charkiw 1943
Mansteins Gegenschlag bei Charkiw 1943
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„Operation ist Bewegung“. Dieser Grundsatz des preußischen Generalstabschefs Alfred von Schlieffen ist für die Kampfführung des Jahres 2024 in der Ukraine nicht anwendbar. Während im Frühjahr 1943 die deutschen Panzerdivisionen des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein innerhalb von Tagen dutzende von Kilometern zurücklegten, werden heute Raumgewinne in Metern gemessen.
Auch heute erscheint die Front weitgehend erstarrt. Somit tritt ein Kriegsbild des Ersten Weltkriegs mit Stellungskämpfen wieder in den Vordergrund. Angriffe sind wie damals ein „Hindurchfressen durch feindliche Stellungssysteme“. Exakt im selben Gelände in der Ostukraine, wo heute die Fronten festgezurrt sind, fand im Frühjahr 1943 eine der rasantesten und spektakulärsten Operationen der Militärgeschichte statt, der Gegenschlag bei Charkiw, der die Handschrift Mansteins trug. Diese Operation war Teil des rasseideologischen Vernichtungskrieges, den die Wehrmacht bereits seit 1941 an der Ostfront führte.
Die deutsche Katastrophe bei Stalingrad
Damals, im Februar 1943, drangen nach der deutschen Katastrophe bei Stalingrad die Angriffsverbände der Roten Armee wie eine Flutwelle nach einem Dammbruch Richtung Westen vor. Manstein lief Gefahr, mit seinen eigenen Waffen geschlagen zu werden. Der sowjetische Generalstab plante, durch einen Panzervorstoß zur Schwarzmeerküste Mansteins Heeresgruppe Süd abzuschneiden. Dies hätte zum Zusammenbruch der gesamten Ostfront geführt.
Nach der Einschließung und Vernichtung der 6. Armee in Stalingrad hatte die Rote Armee eine neue, gewaltige Offensive eröffnet. In der deutschen Verteidigung entstand zeitweilig eine 300 Kilometer breite Lücke, durch die unaufhaltsam sowjetische Angriffsverbände strömten. Deren Zielrichtung war eindeutig: Zunächst sollten die Übergänge über den Dnepr bei Saporischschja genommen werden. Danach sollte ein Vorstoß Richtung Krim erfolgen, um den Südflügel der deutschen Ostfront zu amputieren.
Frontverkürzung und bewegliche Operationsführung
Die Heeresgruppe Süd verfügte lediglich über die 1. und 4. Panzerarmee sowie die improvisiert zusammengestellten Armeeabteilungen Hollidt und Kempf. Sie wurde von drei sowjetischen Fronten (also Heeresgruppen) gleichzeitig angegriffen: von der Süd-Front, der Südwest-Front und der Woronesch-Front. Insgesamt rückten 17 sowjetische Armeen heran. Manstein verfügte nur noch über eine einzige Trumpfkarte, nämlich seine 354 Kampfwagen, die in hochmobilen Panzerdivisionen zusammengefasst waren. Allerdings griffen auf sowjetischer Seite etwa 1800 Panzer an.
Am 19. Februar 1943 sollte sich in Saporischschja das Schicksal der deutschen Ostfront für das beginnende Jahr entscheiden. Dort, in Mansteins Hauptquartier, kam es zu einer kontroversen Lagebesprechung zwischen Adolf Hitler und dem Generalfeldmarschall. Manstein wollte in der Tiefe des Raums operieren, um die sowjetischen Panzerverbände auszumanövrieren. Hitlers Vorstellungen jedoch waren diametral entgegengesetzt. Sein Operationsplan lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: „Halten!“
Lagebesprechung in Mansteins Hauptquartier
Während dieser Lagebesprechung in Mansteins Hauptquartier wurde die Meldung hereingereicht, durchgebrochene sowjetische Panzer würden auf den Flugplatz zufahren, auf dem Hitlers Flugzeug stand. Daraufhin brach der Diktator die Besprechung ab und flog zurück. Vorher aber machte er etwas, was er noch nie getan hatte: Er gewährte Manstein die operative Handlungsfreiheit.
Das Hauptproblem des Generalfeldmarschalls bestand darin, dass auf dem linken Flügel der Heeresgruppe eine riesige Lücke klaffte, in die sowjetische Panzerverbände ungehindert vordringen konnten. Deshalb ließ er auf dem rechten Flügel den Frontvorsprung am Donezbogen bei Rostow räumen und seine Truppen hinter den Mius zurückziehen. Durch diese Frontverkürzung wurde die 4. Panzerarmee frei für eine bewegliche Operationsführung. Nun kam es zu einem der kühnsten operativen Manöver des Zweiten Weltkriegs, der sogenannten Rochade - benannt nach einem Spielzug aus dem Schachspiel.
Manstein verlegte die komplette 4. Panzerarmee über eine Distanz von 500 Kilometern vom rechten auf den linken Flügel der Heeresgruppe – unmittelbar vor den von Osten heranrollenden sowjetischen Panzerverbänden. Mit diesem operativen Schachzug gelang es ihm, einen Trichter zu bilden, in den die sowjetischen Angreifer hineinstießen. Nun ließ Manstein drei Panzerkorps aus drei verschiedenen Richtungen konzentrisch zum Gegenangriff antreten.
Sieg der Initiative
Im Gegensatz zu Hitler sah der Generalfeldmarschall den heranrollenden sowjetischen Panzern mit großer Ruhe entgegen. Je weiter sie nach Westen vordrangen, desto tiefer würden sie in die Falle hineinfahren. Offenbar orientierte er sich an dem von Clausewitz beschriebenen Prinzip des Kulminationspunkts. Er wollte so lange warten, bis der feindliche Angriffsschwung seinen Höhepunkt überschritten hatte. Denn nun hatte der Gegner seine Flanken preisgegeben und seine Versorgungslinien überdehnt. Als er aufgrund abgefangener sowjetischer Funksprüche erfuhr, dass den feindlichen Angriffsverbänden der Treibstoff und die Munition ausgegangen waren, gab er den Befehl zum Gegenschlag.
Wiedereroberung von Charkiw
Am 21. Februar begann die Gegenoffensive. Die sowjetischen Soldaten wähnten bereits den großen Sieg zum Greifen nahe, da traf sie mit voller Wucht der deutsche Gegenschlag. Bis zum 5. März eroberten die 1. und 4. Panzerarmee das Gebiet bis zum mittleren Donez zurück und zerschlugen die hierher vorgedrungenen Armeen der Südwestfront.
Daraufhin entschloss sich Manstein, den Schwung des Angriffs auszunutzen und aus der laufenden Operation heraus eine weitere Offensive zu starten. Parallel zur Südwest-Front hatte inzwischen nördlich davon die Woronesch-Front eine Offensive in Richtung Dnepr begonnen. Doch auch dieser Angriff geriet zum Verhängnis. Vom 6. bis 23. März konnten die deutschen Truppen bis zum Donez vorstoßen. Einen wichtigen Erfolg bildete die Wiedereroberung von Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine.
Der Triumph von Stalingrad und der stürmische Vormarsch nach Westen hatten bei den Soldaten der Roten Armee zu einer überschäumenden Euphorie geführt–und sie stürmten im Rausch des Sieges voran. Wohl selten in diesem Krieg kam es zu einem derartigen Stimmungsumschwung wie im Februar 1943 in der Ostukraine. Aus sowjetischer Sicht waren die Deutschen längst geschlagen. Sie leisteten kaum noch Widerstand und befanden sich offenbar auf der Flucht zum Dnepr. Umso größer war der Schock, als sie plötzlich kehrtmachten und zum Gegenschlag ausholten.
Sieg der Initiative
Entscheidend bei dieser Operation war der Überraschungseffekt. Wie aus dem Nichts heraus, aus einem scheinbaren Chaos entstand plötzlich eine perfekte Schlachtordnung mit der Phalanx von acht Panzerdivisionen. Es war ein Sieg der Initiative. Aus den Gejagten waren Jäger geworden.
Die sowjetische Offensive endete in einer Katastrophe. Die Verluste waren höher als die der Deutschen bei Stalingrad. Vor allem ging der größte Teil der eingesetzten Panzer verloren. Doch die Rote Armee konnte solche Rückschläge verkraften. Im offiziellen russischen Standardwerk über die Verluste des Krieges (Grif Sekretnosti Snjat, Moskau 1993) werden die Totalverluste der sowjetischen Panzerwaffe mit 96500 angegeben. Zwar wurde im Frühjahr 1943 die sowjetische Panzerlawine abrupt gestoppt. Doch schon bald setzte sie sich wieder in Bewegung.
Um ein Fazit zu ziehen: Manstein gelang es, eine scheinbar unabwendbare Katastrophe in einen Sieg zu verwandeln. Doch dieser war – entsprechend dem Titel seiner späteren Memoiren – letztlich nur einer seiner „Verlorenen Siege“. Und damit verschaffte er Hitler und dem Großdeutschen Reich eine operative Atempause, um das grausame Werk von Terror und Vernichtung in Europa weiter fortzusetzen. Manstein überlebte und ging als herausragender General, aber auch als Kriegsverbrecher in die Geschichte ein.
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