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Die NATO-Luftverteidigung im Kalten Krieg

Die NATO-Luftverteidigung im Kalten Krieg

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Der Zweite Weltkrieg markierte eine Veränderung militärischer Strategie und Operationsführung: Der Luftkrieg gewann insgesamt an Bedeutung. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte hatte der Luftkrieg gegen das Deutsche Reich nachhaltigen Einfluss auf die deutschen Kriegführungsmöglichkeiten. Eine in den Anfängen befindliche und damit unzureichende Luftverteidigung aus Jagdflugzeugen und Flugabwehrartillerie (Flak) konnte die Zerstörungen und Verluste an Menschen und Material nicht einmal ansatzweise verhindern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg besaß der Aufbau einer leistungsstarken Luftverteidigung für die NATO angesichts der Bedrohung durch den Warschauer Pakt frühzeitig eine zentrale Rolle. In der Zeit des Kalten Krieges bauten die USAUnited States of America und ihre Bündnispartner in Mitteleuropa deswegen einen geschlossenen Luftverteidigungsgürtel auf. Insgesamt reichte der Gürtel über mehrere tausend Kilometer von Norwegen bis in die Türkei, wobei er an den Flanken der NATO nicht umfassend aufgebaut war.

Ziel der NATO war es und musste es sein, Luftangriffe des Warschauer Pakts frühzeitig zu erfassen und, wenn möglich, auch erfolgreich zu bekämpfen. Der Bundesrepublik Deutschland – und damit der Luftwaffe der Bundeswehr – kam dabei eine zentrale Rolle zu. Für die NATO-Staaten war die Luftverteidigung von Anfang an eine Kernaufgabe.

NATINAD

Die Bedeutung wirksamer Luftverteidigung hatte der Zweite Weltkrieg deutlich gemacht. Angriffe aus der Luft, insbesondere gegen die Städte bedeuteten für die Menschen eine neue, verheerende Erfahrung. Vor allem aber stellte die Bedrohung aus der Luft für die militärischen Ressourcen, und damit für die Handlungsfähigkeit der NATO eine große Gefahr dar.

Die NATO setzte deswegen auf eine gemeinsame und integrierte Luftverteidigung der Mitgliedsstaaten (später: NATO Integrated Air Defence, NATINAD). Dies bedeutete nicht nur eine enge Kooperation, sondern gleichzeitig für die Partner auch eine finanzielle Entlastung.

Ab 1955 begann der Aufbau des europäischen Luftverteidigungsgürtels zur Abwehr von Flugzeugangriffen. Eine Abwehr von Raketen war zu dieser Zeit technologisch noch nicht möglich. Aufgrund ihrer strategischen Lage war die junge Bundesrepublik Deutschland als potenzieller Frontstaat in einem möglichen Krieg unzweifelhaft von elementarer Bedeutung. 1956/57 entschied die Bundes-regierung, neben dem Heer auch die Luftwaffe zur bodengebundenen Luftverteidigung zu befähigen. Die Erstausrüstung mit Flugabwehrraketenwaffen lieferten die USAUnited States of America.

Gefechtsräume und Stellungen der Flugabwehr farblich unterschiedlich dargestellt

Der Luftverteidigungsgürtel (Flugabwehrraketenkräfte) der NATO in Mitteleuropa, 1965

Bundeswehr/Frank Schemmerling

Vorneverteidigung mit NIKE und HAWK

In ihren strategischen Konzepten zur Verteidigung Westeuropas (MC 14/12 bis MC 14/3) setzte die NATO von Anfang an auf das Prinzip einer möglichst weit östlich einsetzenden Verteidigung, um möglichst viel Schaden von der Bundesrepublik Deutschland fern zu halten. Sie wurde anfänglich als „Vorwärtsverteidigung“, später dann als „Vorneverteidigung“ bezeichnet.

Die Konzeption des Luftverteidigungsgürtels sah dazu ergänzend vor, dass (anfänglich) die USUnited States-Streitkräfte aus der Tiefe des Raums agierten. Mit ihrem weitreichenden stationären Flugabwehrraketensystem NIKE konnten sie Luftfahrzeuge in großen und mittleren Höhen bekämpfen.
Ende der 1950er Jahre entschied die NATO, einen zweiten, vorgelagerten Luftverteidigungsgürtel zu errichten. Mit dem System HAWK konnten nun auch Luftfahrzeuge in tiefen und mittleren Höhen wirksam bekämpft werden.

1965 schloss die Bundeswehr die Aufstellung ihrer Luftverteidigung innerhalb der NATO ab (siehe Karten). Bis zum Ende des Kalten Krieges zählten dazu sechs NIKE- und neun HAWK-Bataillone. Weitere Flugabwehrraketen-Truppen in der Bundesrepublik Deutschland  stellten die USAUnited States of America, Frankreich, Belgien und die Niederlande.

Die meisten der 15 deutschen Gefechtsräume und Stellungen lagen in Norddeutschland. In Schleswig-Holstein gab es zwei HAWK-Bataillone, in Niedersachsen vier sowie drei NIKE-Bataillone. In Nordrhein-Westfalen und Hessen deckte die Bundeswehr mit drei NIKE-Bataillonen und einem HAWK-Bataillon ebenfalls einen großen Bereich ab. In Bayern waren zwei HAWK-Bataillone stationiert.

24/7 - Dienst rund um die Uhr

Der Dienst in der Flugabwehrraketentruppe bedeutete für die Soldaten Einsatzbereitschaft rund um die Uhr. Dafür brauchte es viel Personal. Zu den Kernaufgaben der Systembedienung kamen näm-lich weitere Tätigkeiten hinzu. Dazu zählten die Sicherung der Anlagen sowie Wartung und Trans-port. Obwohl NIKE und HAWK auch für den mobilen Einsatz entwickelt waren, war ihre Verlegung sehr aufwändig. Ab 1962 wurden die Systeme daher in feste Anlagen verlegt. Eine Batterie-Stellung bestand aus drei Bereichen: der Unterkunft, dem Feuerleitbereich und dem Abschussbereich. Dienst in der Flugabwehrraketentruppe hieß oftmals Abgeschiedenheit. Die Stellungen befanden sich überwiegend abseits der Garnisonstädte im ländlichen Raum. Dort hatte es zuvor oftmals keine militärischen Einrichtungen gegeben.

Aufgrund der weiteren Aufrüstung des Warschauer Paktes in den 1970er Jahren stellte die NATO neue Anforderungen. Ihre Mitglieder hatten nun auch für den Flugabwehrschutz von militärischen Anlagen und den Eigenschutz von Flugabwehrraketenstellungen zu sorgen. Einsatzverbände der Luftwaffe und Flugabwehrraketenverbände wurden dafür ab den frühen 1970er Jahren mit 20-mm-Flugabwehrkanonen ausgerüstet.

Das NATO-Konzept des Luftverteidigungsgürtels bestand bis Ende der 1980er Jahre. In seiner Endphase führte die Bundeswehr zwei neue Flugabwehrraketensysteme ein. Das amerikanische Sys-tem PATRIOT löste das NIKE-System ab. Das deutsch-französische System ROLAND verstärkte den Objektschutz. PATRIOT ist ein hochleistungsfähiges Flugabwehrraketensystem mit hoher Feuerkraft. Während NIKE nur ein Ziel gleichzeitig bekämpfen konnte, sind es bei PATRIOT bis zu fünf Ziele. Im Verbund mit HAWK stand PATRIOT für ein neues Konzept. In lageabhängigen Einsatzschwerpunkten (Clustern) sollten die unterschiedlichen Stärken der beiden Systeme zur Luft-verteidigung gebündelt werden.

Nicht ohne Führung

Das Gesamtsystem der NATINAD ist jedoch nur zu verstehen, wenn man die Führungsorganisation der NATO kennt. Unterhalb der beiden Alliierten Luftflotten (2. und 4. Allied Tactical Air Force, A-TAF) gab es jeweils zwei Sector Operation Center (SOC), die als Luftverteidigungsgefechtsstände mit den ihnen zugeordneten Control-and-Reporting-Center (CRC) nicht nur Luftlagebilder generierten und den Luftraum überwachten, sondern im „scharfen“ Einsatz auch die Zielzuweisung für die Flugabwehrraketentruppe vorgenommen hätten. Vereinfacht kann man sagen, dass jedem CRC Flugabwehrraketenstellungen zur Zusammenarbeit zugewiesen waren. Ebenso darf der Tieffliegermelde- und -Leitdienst (TMLD) nicht vergessen werden, der ab den 1970er Jahren aus 24 Dauereinsatzstellungen die Tieffliegerüberwachung betrieb und damit eine für die CRC mit ihren Radargeräten bestehende Radarlücke schloss.

Nach 1990 – das Ende der Luftverteidigungsgürtel

Nach dem Ende des Kalten Krieges veränderte die NATO ihre Strategie zwar nur unwesentlich, aber viele NATO-Staaten reduzierten ihren Streitkräfteumfang erheblich. Infolge dieser „Friedensdividende“ gaben einzelne NATO-Partner ihre Flugabwehrraketeneinheiten ganz oder teilweise auf oder zogen sie aus Deutschland ab. Aufgrund der neuen sicherheitspolitischen Situation und vor allem der Auflösung des Warschauer Paktes schien ein flächendeckender Schutz Deutschlands gegen Luftangriffe nicht mehr erforderlich. Nationale Luftverteidigungsfähigkeiten wurden bei nahezu allen Staaten in Europa deutlich reduziert. Deutschland selbst verkleinerte die Bundeswehr in mehreren Schritten drastisch und richtete sie neu aus, zu interventionsfähigen Streitkräften für den Auslandseinsatz. Im Mittelpunkt standen nun Aufgaben internationaler Konfliktverhütung und Kri-senbewältigung (Stichwort: Afghanistan).

Die Außerdienststellung von NIKE Ende der 1980er Jahre leitete das Ende des Flugabwehrraketengürtels in Deutschland ein. Im Jahr 2005 stellte die Bundeswehr HAWK und ROLAND außer Dienst. Damit endete auch das zwischenzeitliche Raumschutzkonzept (Cluster).

Standorte der Flugabwehrraketenverbände mit Verbandsabzeichen dargestellt

Die Flugabwehrraketenverbände der deutschen Luftwaffe und ihre Stationierungsorte im Jahr 1970

Bundeswehr/Frank Schemmerling 2022

Luftverteidigung heute

Heute verfügt die Bundeswehr nur noch über ein Flugabwehrraketengeschwader der Luftwaffe, das in Norddeutschland stationiert ist. Drei seiner vier Gruppen (Bataillone) sind mit PATRIOT ausgerüstet, eine verfügt über das 2012 neu eingeführte stationäre Nächstbereichssystem MANTISModular, Automatic and Network capable Targeting and Interception System sowie das aus dem Heer übernommene Leichte Flugabwehrsystem (LeFlaSys) auf dem Waffenträger OZELOT und dem ebenfalls vom Heer übernommene Luftraumüberwachungsradar (LÜR). Das Heer besitzt heute keine eigene Flugabwehr mehr. Seine Regimenter mit den Waffensystemen GEPARD und ROLAND (auf Kettenfahrgestellen) wurden ersatzlos aufgelöst. - Der NATO-Luftverteidigungsgürtel des Kalten Krieges ist Geschichte.
Aktuell verhandeln auf deutsche Initiative hin einige NATO-Staaten über die Einführung von AR-ROW 3, als einem neuen multinationale Luftverteidigungssystem der NATO.

Literaturtipp

Wilhelm von Spreckelsen und Wolf-Jochen Vesper, Blazing Skies. Die Geschichte der Flugabwehrraketentruppe der Luftwaffe, Oldenburg: Isensee Verlag 2004
Eberhard Birk und Heiner Möllers (Hrsg), Luftwaffe und Luftverteidigung), Miles Verlag Berlin 2017 (= Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe, Band 6)
Friederike C. Hartung, Ein Dach über Europa. Politische Symbolik und militärische Relevanz der deutschen bodengebundenen Luftverteidigung 1990 bis 2014, Berlin, Boston: De Gruyter 2022 (= Beiträge zur Militärgeschichte, Band 81)

Text und Karte zum Herunterladen: 

URN: urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-5766

© ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr 2022
Grafik/Karten: Frank Schemmerling
Text: Erwin Teichmann
Redaktion: Friederike Hartung/Heiner Möllers

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