Der oktroyierte Held? Die Stauffenberg-Rezeption in Deutschland
Der oktroyierte Held? Die Stauffenberg-Rezeption in Deutschland
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Einen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu finden, war eine der wesentlichen gesellschaftspolitischen Herausforderungen der jungen Bundesrepublik. Ein Ansatzpunkt hierfür wurde das Gedenken an den Widerstand des „20. Juli“ und allen voran an Stauffenberg. Doch es bleibt zu fragen, inwiefern dieser politische Akt tatsächlich die Haltung der Gesellschaft widerspiegelte und welche Dimensionen des Widerstands diese Form des Erinnerns gegebenenfalls auch ausblendete.
Generaloberst Heinz Guderian, der vermeintliche Schöpfer der deutschen Panzertruppe und nach dem 20. Juli 1944 Chef des Generalstabes des Heeres, verkündete in seinem ersten Tagesbefehl, diejenigen, die Attentat und Putschversuch gewagt hatten, seien „ein paar teilweise schon pensionierte Offiziere, die den Mut verloren hatten und aus Feigheit und Schwäche von dem für einen ehrlichen Soldaten einzig möglichen Weg der Pflicht und Ehre abgewichen sind und den Weg der Schande vorgezogen haben“. Das war wenig überraschend für die Wehrmacht. Stauffenberg selbst hatte noch kurz vor der Tat vorhergesagt, dass er „wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird“ – und dies sollte er auch bis weit in die deutschen Kriegsfolgengesellschaften hinein bleiben: Während sowohl ihm als auch seinen Mitverschwörern diesseits der Elbe das „Odium des Verrats“ anhaftete, galten Attentat und Putschversuch in der DDRDeutsche Demokratische Republik „als reaktionärer Junkeraufstand“; erst kurz vor ihrem Ende planten die dortigen Verantwortlichen immerhin noch die Einführung eines Stauffenberg-Ordens für besondere Verdienste.
Demgegenüber avancierte der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Form des „20. Juli“ zu den politischen Gründungsmythen der jungen Bundesrepublik. Nach dem allgemeinen Versagen während des „Dritten Reiches“ erschien er als einer der wenigen Anknüpfungspunkte in der jüngeren deutschen Vergangenheit. Indem sich der westdeutsche Staat in die Tradition eines „anderen Deutschland“ stellte, versuchte er seine Existenz gerade einmal vier Jahre nach der Zerschlagung des Deutschen Reiches zu legitimieren. In der Außendarstellung war dies ein nicht unkluger Schachzug, denn die ehemaligen Kriegsgegner und bald schon Verbündeten im Westen hatten sich durch ihre Ignoranz gegenüber dem deutschen Widerstand selbst moralisch angreifbar gemacht. Insofern bot das „andere Deutschland“ einerseits für die politischen Akteure den Vorteil, ihre eigene Verhandlungsposition gegenüber den westlichen Mächten zu verbessern. Andererseits ermöglichte es den Westmächten, ihrer jeweiligen Bevölkerung zu erklären, warum eine künftige Partnerschaft mit den eben noch so heftig als Nazis bekämpften Deutschen wieder opportun sei. Während dieser Entwicklung entdeckte auch die Bundeswehrführung Stauffenberg und seine Mitverschworenen für sich – allerdings erst spät und äußerst zögerlich.
Die deutschen Kriegsfolgengesellschaften und der militärische Widerstand
In den ersten Jahren der westdeutschen Eigenstaatlichkeit wurde die zunächst nach außen gerichtete Instrumentalisierung zusehends um die binnengesellschaftliche Wirkungsrichtung erweitert. Die Legitimationsproblematik des westdeutschen Staates bestand nämlich nicht zuletzt darin, sich gleichzeitig von der NSNationalsozialismus-Vergangenheit und dem alternativen deutschen Staat jenseits der Elbe abzugrenzen. Während sich die DDRDeutsche Demokratische Republik dezidiert als Gegenentwurf zur Vergangenheit inszenierte, beanspruchte die Bundesrepublik die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches. Beide Systeme wurden dabei einer Bevölkerung übergestülpt, die in ihrem kollektiven wie individuellen Denken und Handeln so wenige Jahre nach dem Untergang der alten Ordnung von dieser noch tief geprägt gewesen ist. Im Juli 1946 waren 53 Prozent, ein Jahr später gar 55 Prozent der befragten Deutschen der Meinung, der Nationalsozialismus sei an sich eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt worden sei.
Konnten in der DDRDeutsche Demokratische Republik solche Überzeugungen mit den Mitteln eines totalitären Regimes untergepflügt werden, musste die freiheitlich-demokratisch verfasste Bundesrepublik die Integration von Täterinnen und Tätern wie Opfern und Mitläufern und Mitläuferinnen organisieren. In diesem Kontext barg der für die Außendarstellung vorteilhafte Bezug auf den Widerstand erhebliche binnengesellschaftliche Sprengkraft. Denn das Eingeständnis eines offenbar möglichen widerständischen Verhaltens im „Dritten Reich“ warf die Frage auf, weswegen es nur eine verschwindend geringe Minderheit gewagt hatte. Mit ihrer verbrecherischen Vergangenheit mochten die Deutschen allerdings nichts zu tun haben: 1949 betrachteten sich massive 78 Prozent von ihnen hinsichtlich der Behandlung der jüdischen Bevölkerung als „moralisch unbelastet“. Stattdessen wollte die übergroße Mehrheit des Volkes, aus dem die Täter kamen, auch zu den Opfern des Krieges gerechnet werden, sah sich getäuscht und missbraucht, zu Unrecht kollektiv für schuldig befunden: 80 Prozent der Bevölkerung vertraten 1951 nämlich den Standpunkt, die Jahre 1945 bis 1948 seien die schlimmsten des ganzen Jahrhunderts gewesen, dicht gefolgt von den Jahren 1949 bis 1951. Damit verbunden war die geschichtspolitische Rolle rückwärts: 1955 fanden nicht nur die kaiserlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot mit 43 Prozent mehr Anklang als Schwarz-Rot-Gold mit 38 Prozent; 45 Prozent sahen auch das Kaiserreich als die Zeit an, in der es Deutschland am besten ergangen sei, knapp nur vor den Jahren zwischen 1933 und 1939 mit 42 Prozent.
Da nutzte es wenig, dass die überlebenden Angehörigen des Widerstandes oder ihnen Nahestehende schon wenige Wochen nach Kriegsende an ein „anderes Deutschland“ erinnerten. Marion Gräfin Dönhoff verfasste bereits zum ersten Jahrestag des Attentates 1945 einen Artikel „In Memoriam 20. Juli 1944“, der über den geistigen und politischen Hintergrund des Attentats Auskunft gab. Fabian von Schlabrendorff und Hans Bernd Gisevius legten 1946 umfangreich nach, 1949 folgte die erste wissenschaftliche Arbeit von Hans Rothfels. Doch die breite Öffentlichkeit interessierte sich für diese Werke nicht. Das an dieser Stelle jahrzehntelang gern angeführte Argument, die Deutschen hätten damals mit ihrem Überleben genug zu tun gehabt, erwies sich als Ausrede. Historische Forschungen belegen inzwischen, dass sich die Deutschen bald nach Kriegsende „geradezu besessen mit ihrer Vergangenheit und deren Identifikationsfiguren beschäftigten“. Fortsetzungsromane im Landsermilieu in Illustrierten wie dem Stern oder der Quick fanden beispielsweise reißenden Absatz. An vorderster Front der entsprechenden Meinungsbildung waren hier bald die ehemaligen Generale der Wehrmacht präsent, die mit ihren Memoiren allesamt auf einen vermeintlich zeitlos gültigen militarisierten Wertekanon unter den Schlagworten „Pflichterfüllung“, „Vaterlandsverteidigung“ und „Ehre“ rekurrierten. Das „Wofür?“ wurde in diesem Kontext nicht thematisiert; Nationalsozialismus und Krieg wurden fein säuberlich voneinander getrennt.
In dieser Umgebung blühte eine kraftvolle Veteranenkultur auf, die in das öffentliche Leben der Bundesrepublik vollständig integriert gewesen ist. Bis in die 1960er Jahre hinein existierten bereits um die 2000 Traditionsverbände von Wehrmacht und Waffen-SSSchutzstaffel, und erst in den 1980er Jahren büßten die jeweiligen Treffen ihren Charakter als Massenveranstaltungen ein – was maßgeblich biologische Ursachen hatte. Erst die Kinder und Enkel der Kriegsgenerationen stellten diese „Kumpanei des schlechten Gewissens“ infrage.
Die Rezeption des „20. Juli“ in der westdeutschen Bevölkerung
Eng damit verbunden war die Rezeption des „20. Juli“: Die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung hatte dazu anfänglich eine geteilte, weithin distanzierte Haltung. 1951 verband ein Drittel mit dem Datum kein Ereignis oder hatte keine Meinung, ein weiteres Drittel sah es kritisch, und das letzte äußerte sich positiv. Der Höhepunkt dieser negativen Stimmungsentwicklung wurde 1952 erreicht: 28 Prozent meinten, es würde Deutschland besser gehen, wenn es keinen Widerstand gegeben hätte, 39 Prozent glaubten gar, es hätte den Krieg ohne ihn möglicherweise gewonnen. Eine grundsätzliche Änderung dieser Einschätzungen trat erst im Gefolge des „Remer-Prozesses“ 1952 ein: Durch den Prozess gegen Otto Ernst Remer, der als Kommandeur des Berliner Wachbataillons den Putschversuch maßgeblich niedergeschlagen hatte und damalsstellvertretender Vorsitzender der neo-nazistischen Sozialistischen Reichspartei gewesen ist, stieg die Anzahl derer, die das Attentat guthießen, auf 58 Prozent, die der Ablehnenden sank auf sieben Prozent.
Anlässlich seines 10. Jahrestages erkannte dann auch Bundespräsident Theodor Heuss den „20. Juli“ in einer Rede an der Freien Universität Berlin zum ersten Mal öffentlich an. Er wollte allerdings niemanden verurteilt wissen, der keinen Widerstand geleistet hatte. Das noch sehr brüchige gesellschaftliche Gefüge sollte keinesfalls beschädigt werden, indem man „Widerstehen“ oder „Weitermachen“ moralisch hierarchisierte. Diese Positionierung des westdeutschen Staatsoberhauptes bildete gleichsam den Startschuss für die offizielle Vereinnahmung des „20. Juli“ durch die Bundesrepublik. Ab 1952 versammelten sich alljährlich zum Jahrestag hauptsächlich Überlebende und Hinterbliebene zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik im Innenhof des Bendlerblocks und am jeweiligen Vorabend in der im selben Jahr als Erinnerungsort eröffneten ehemaligen Hinrichtungsstätte im Gefängnis Plötzensee. Offizielle Vertreter der Bundeswehr nahmen daran erst ab 1958 teil, als sich der „20. Juli“ „von einem umstrittenen und teilweise auch ungeliebten Thema zu einem geradezu sakrosankten Besitztum der allgemeinen und öffentlichen Erinnerung“ wandelte – was sich in der Folge auch in den ersten bundesrepublikanischen Schulbüchern niederschlug.
Ebenso halbherzig organisierte man das Gedenken: Jährliche Gedenkfeiern wurden – ganz im Gegenteil beispielsweise zum „17. Juni“ oder dem Volkstrauertag – nicht angeordnet. 1957 beflaggten zwar die ersten deutschen Städte ihre öffentlichen Gebäude auf halbmast, in der gesamten Bundesrepublik aber geschah dies erst ab 1963. Beinahe folgerichtig konnten 1956 lediglich 59 Prozent der befragten Deutschen dem „20. Juli“ die korrekte Jahreszahl zuordnen. Dafür, nach Stauffenberg eine Schule zu benennen, votierten nur 18 Prozent, 49 waren dagegen, 33 unentschieden. Und frühe Verfilmungen wie „Der 20. Juli“ unter der Regie von Falk Harnack oder „Es geschah am 20. Juli“ von Georg Wilhelm Pabst, beide von 1955, waren zwar preisgekrönt, stießen jedoch auf mangelndes Zuschauerinteresse, teilweise sogar offene Ablehnung.
Stauffenberg und seine Tat konnten also seit den 1950er Jahren in die öffentliche westdeutsche Vergangenheitspolitik eingeschrieben werden und galten in den jeweiligen Gedenkreden zusammen mit dem „17. Juni 1953“ als Beleg für den Freiheitswillen des deutschen Volkes. Nicht wenige lehnten Person und Attentat jedoch nach wie vor ab, wie gerade der Blick in die Bundeswehr offenbart.
Die Aneignung des „20. Juli“ durch die Bundeswehr
Im Kontext der Diskussion um die „Wiederbewaffnung“ waren es wenige Militärs, die sich vehement für den Bezug auf den militärischen Widerstand einsetzten und darin die „ganz entscheidende Legitimationsgrundlage der Bundeswehr“ sahen. Dafür sprachen zwei perspektivische Gründe: Durch die Berufung auf eine übergeordnete Verpflichtung sollte erstens der Kontext zur jungen und keineswegs gefestigten Bundesrepublik hergestellt und zweitens die direkte Linie zur Wehrmacht als Vorgängerarmee gekappt werden. Ein Bekenntnis zum Widerstand sollte es den vormaligen Militärs ermöglichen, als scheinbar geläuterte Soldaten den Dienst in der neuen westdeutschen Armee anzutreten. Denn im Fokus der kritischen Öffentlichkeit stand in den 1950er Jahren insbesondere die Frage nach der Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr.
Die Lehren, welche die Gruppe der Militärreformer um Wolf Graf von Baudissin aus der katastrophalen Vergangenheit zog, mündeten daher in der Überlegung zur Schaffung einer Bürger-, nicht einer Volksgemeinschaftsarmee, wie sie die Wehrmacht dargestellt hatte. Doch ihre hierfür entwickelte Idee der „Inneren Führung“ mit ihrem Kern, dem „Staatsbürger in Uniform“, fand weder innerhalb der neuen Armee noch in der sie umgebenden Gesellschaft Anklang – nicht zuletzt wegen ihres Bezuges auf den „20. Juli“. Die Mehrheit Bevölkerung mochte genau darin nämlich eine weitere Umerziehungskampagne der Siegermächte erkennen.
Ganz entscheidend dazu bei trug der Mythos der vermeintlich „sauberen“ Wehrmacht. Deren Apologeten hatten die Wehrmachtsoldaten und den Krieg, den sie führten, geflissentlich ent-historisiert, indem sie sich allein auf die militärischen Leistungen bezogen. 1954 war eine Zweidrittelmehrheit der Westdeutschen davon überzeugt, die Soldaten der Wehrmacht hätten ehrenhaft gekämpft, der Vorwurf von Kriegsgräueln sei beleidigend. Auch deswegen positionierte sich der erste westdeutsche Verteidigungsminister Theodor Blank nie zum „20. Juli“, der erste Generalinspekteur Adolf Heusinger erst sehr spät, nämlich am Gedenktag 1959.
Gerade an der Person Heusingers zeigt sich, wie zwiespältig der Umgang mit diesem Ereignis lange gewesen ist: Wohl hat er in seinem Aufruf an die Kommandeure der Bundeswehr hinsichtlich der Männer des „20. Juli“ betont: „Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild.“ Aber nur wenige Wochen vorher hatte er Schlabrendorff als Wehrbeauftragten abgelehnt, weil durch ihn als Teilnehmer des „20. Juli“ „dieses Problem wieder in die Truppe getragen werden könne, was nicht wünschenswert sei“. Dass damit nicht nur viele Militärs ihre Schwierigkeiten hätten, befürchtete Schlabrendorff selbst: „Ich bin in politischer Richtung so eindeutig profiliert, dass wahrscheinlich viele Abgeordnete, die so denken wie etwa die ehemaligen Feldmarschälle Kesselring und Manstein, ein Hakenkreuz schlagen, wenn sie nur meinen Namen hören.“
Denn die persönliche Haltung zum „20. Juli“ entwickelte sich zur Gretchenfrage der künftigen Offiziere. Für Baudissin belegte die Ablehnung in weiten Kreisen der Soldaten – 1954 äußerten sich 59 Prozent der ehemaligen Soldaten negativ – deren gravierende staatsbürgerliche Defizite. Sowohl für den Personalgutachterausschuss (PGA), der sich von 1955 bis 1957 mit allen Bewerbungen ab dem Dienstgrad Oberst für die neuen Streitkräfte befasste und dem mit Schlabrendorff, Annedore Leber und Philipp von Boeselager drei Angehörige des Widerstandes angehörten, als auch für die unterhalb dieser Ebene arbeitende Aufnahmeorganisation stellte das Bekenntnis zum „20. Juli“ die Scheidelinie bei der Personalauswahl dar. Damit wurde der Widerstandsbezug in den Kernbestand der Tradition der westdeutschen Armee integriert, wie ihn der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel am 1. Juni 1965 in seinem Erlass „Bundeswehr und Tradition“ fixierte. Wie ernst gemeint die jeweiligen Stellungnahmen im individuellen Fall auch immer zu bewerten sind: In allen anderen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen gab es eine solche Überprüfung überhaupt nicht – weder Beamte noch Ärzte, Juristen, (Hochschul)Lehrer oder andere mussten sich vergleichbar erklären.
Freilich erlebten die jungen Soldaten in der Alltagsrealität der Bundeswehr noch viele Jahre lang das genaue Gegenteil: Weder verstanden ihre Vorgesetzten die ethische Haltung der Offiziere des Widerstandes, noch bewerteten sie diese als positiv. Zwar nahm die offene Ablehnung nach der Aufstellung der Bundeswehr unter den ehemaligen und jetzt wieder aktiven Soldaten spürbar ab. Doch fehlt es nicht an Beispielen, bei denen auch führende Militärs widerständische Offiziere ab- und befehlsgetreue aufwerteten, insbesondere in Luftwaffe und Marine, wo es kaum Angehörige des Widerstandes gegeben hatte.
Auf den Punkt gebracht: Wehrmacht abzüglich nationalsozialistischer Beeinflussung und modifiziert um die Innere Führung sollten genügen, um die neuen Streitkräfte zu entwickeln. Wenig überraschend kam es in der Folge bei der Bundeswehr zu etlichen Krisen und Skandalen rund um die Innere Führung und den „20. Juli“. Gleich der sie umgebenden Gesellschaft trieb die Idee in den Streitkräften keine tiefreichenden Wurzeln. Erinnerung und Gedenken daran erschöpften sich vornehmlich in den jährlichen Gedenkreden und wissenschaftlichen Veröffentlichungen im zehnjährigen Rhythmus. Wie sakrosankt der „20. Juli“ dabei geblieben ist, belegt auch die Tatsache, dass das erste und einzige Gelöbnis der Nationalen Volksarmee (NVANationale Volksarmee) nach den ebenfalls ersten und letzten freien Wahlen zur DDRDeutsche Demokratische Republik-Volkskammer am 20. Juli 1990 stattfand. Was demgegenüber die gesellschaftliche Wahrnehmung auch im wiedervereinigten Deutschland anging, zeigt beispielsweise eine Umfrage 2004: Der Aussage „Man sollte sich darum bemühen, dass dieser Tag in Ehren gehalten wird“ stimmte nicht einmal die Hälfte der Befragten zu, in der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen sogar nur ein Drittel, wobei lediglich 27 Prozent wussten, worum es sich dabei überhaupt handelt; 2014 stieg der Anteil der Wissenden wieder auf 56 Prozent – zu befürchten steht, dass deren Kenntnisse aus dem Film „Valkyrie“ mit Tom Cruise stammen, der 2008 in die Kinos gekommen war.
Schluss
Dass „Helden gemacht werden“, darf als sprichwörtliche Binsenweisheit gelten. In der Person Stauffenberg lässt sich gar die Implementierung eines „Helden“ gegen den Willen der Mehrheitsbevölkerung beobachten, der trotz aller Bemühungen von offizieller und auch wissenschaftlicher Seite nie in den Herzen des Gros der bundesrepublikanischen Gesellschaft verankert werden konnte. Mehr als ein geduldeter „Held“ ist aus ihm dort bis auf den heutigen Tag nicht geworden, was einmal mehr ein ernüchterndes Licht auf die scheinbare Vergangenheitsbewältigung der Deutschen nach dem allumfassenden Versagen in der Zeit des „Dritten Reiches“ wirft. Insofern lässt sich der Heldenstatus, der Stauffenberg in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik zugeschrieben wird, dezidierter der politischen denn der gesellschaftlichen Geschichte Westdeutschlands zuordnen.
Besonders deutlich wird der oktroyierte Heldenstatus Stauffenbergs im Kontext der Bundeswehr. Ein anderes Deutschland mit einem von der nationalsozialistischen Vergangenheit und deren umfassendem Zivilisationsbruch klar zu trennenden Wertesystem sollte über die Zeitläufte transportiert, eine Kontinuitätslinie des Rechtsstaates und der Menschenwürde hervorgehoben werden, an die der neuerliche deutsche Staat diesseits der Elbe anknüpfen wollte. Dass der Anteil der Frauen am Widerstand marginalisiert, der Widerstand aus kommunistischen und sozialistischen Kreisen lange gänzlich ignoriert worden ist, belegt dabei die zeittypische Formatierung der Akteure.
Immerhin sorgten diejenigen, die aus den unterschiedlichen Motivlagen heraus für die Anerkennung der Widerständischen gestritten haben, für einen stets präsenten Gegenentwurf zu der lange dominanten Mehrheit in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die die Vergangenheit verklärte und damit das eigene opportunistische Verhalten entschuldigen wollte. Das Eingeständnis möglicher alternativer Handlungsmuster während des „Dritten Reiches“ schuf überhaupt erst die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der NSNationalsozialismus-Zeit durch die folgenden Generationen. Weder die individuelle noch die institutionelle Verstrickung in die dort von Deutschen und in deutschem Namen begangenen Verbrechen bis hin zur (Mit-)Täterschaft wären sonst in vergleichbarer Deutlichkeit diskutierbar gewesen.
Gleichwohl birgt die einseitige Erhebung Stauffenbergs als Gesicht des „20. Juli“ in den Heldenstatus die Gefahr, diesen Diskurs aus der alltäglichen in eine Sagenwelt zu entrücken und damit das mehrheitliche Verhalten seiner Mitmenschen erneut zu relativieren. Vor solch einer Enthistorisierung und mithin fast Heiligsprechung des Hitler-Attentäters warnte wiederholt der langjährige Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, der über die Jahrzehnte hinweg für die Akzeptanz nicht nur, aber auch des militärischen Widerstandes wissenschaftlich fundiert gestritten hat. Eine Enthistorisierung verstellt nämlich den Blick für die Wandlungsprozesse, welche die Männer und Frauen des Widerstandes mitunter durchleben mussten, ehe sie dem Regime die Stirn boten.