Dossier "20. Juli 1944"

„… aufgehängt wie Schlachtvieh!“ Die Volksgerichtshofprozesse

„… aufgehängt wie Schlachtvieh!“ Die Volksgerichtshofprozesse

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In den Volksgerichtshofprozessen gegen die Widerstandsgruppe um den „20. Juli“ vollzog das NSNationalsozialismus-Regime seine Rache für das Attentat auf Adolf Hitler. Die Schauprozesse waren Teil der NSNationalsozialismus-Propaganda. Doch während der Prozesse zeigten sich auch die Grenzen der Inszenierung. Im Angesicht des sicheren Todes gelang es einigen Angeklagten, dem Regime bis zuletzt Formen der Widerständigkeit entgegenzusetzen.

Historische Schwarz-Weiß Aufnahme, im Vordergrund Feldmarsxhall v. Witzleben in ablehnder Haltung

Eine Art Gerichtsverhandlung: Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, dahinter Generalleutnant Paul von Hase am 7./8. August 1944 während des ersten Prozesse gegen Beteiligte des 20. Juli 1944.

Bundesarchiv, Bild 151-20-08, Heinrich Hoffmann

Das Attentat auf Adolf Hitler und der anschließende Staatsstreich kamen unerwartet für den NSNationalsozialismus-Sicherheitsapparat. Noch kurz vor dem 20. Juli 1944 sah die für die Überwachung der Wehrmacht zuständige Observationsstelle der Gestapo keine Anzeichen für eine Bedrohung für das Regime. Umso überraschter und radikaler reagierte das Regime auf das Attentat und den Putschversuch aus den Reihen des Militärs. Oberst i.G.im Generalstabsdienst Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine engsten Mitverschwörer wurden bereits in der Nacht des gescheiterten Putsches am 21. Juli 1944 festgesetzt und ohne Gerichtsverfahren im Bendlerblock von einem Erschießungskommando hingerichtet. Andere maßgebliche Akteure des militärischen Widerstandes wie Generaloberst a. D.außer Dienst Ludwig Beck, Generalmajor Henning von Tresckow oder der General der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel begingen Selbstmord. Aber das Netzwerk der Verschwörer war weit größer als dieser enge Kreis und bei weitem nicht eine „ganz kleine Clique“. Nach und nach wurde in den Ermittlungen klar, dass hinter dem Attentat und dem Staatsstreich Kräfte standen, die weit über das Militär in zivile, vor allem national-konservative Widerstandskreise hinausreichten.

Adolf Hitler selbst gab die Richtung für die Verfolgung der Verschwörer und Verschwörerinnen im Umfeld des „20. Juli“ vor. Folgt man dem Hitlerbiografen Joachim Fest, so machte der „Führer“ in einer Lagebesprechung zur Ermittlung der Tathergänge klar: „Diesmal werde ich kurzen Prozeß machen. Diese Verbrecher sollen nicht die ehrliche Kugel bekommen. Ein Ehrengericht soll sie aus der Wehrmacht ausstoßen, dann kann ihnen als Zivilisten der Prozeß gemacht werden. Und innerhalb von zwei Stunden nach der Verkündung des Urteils muß es vollstreckt werden! Die müssen sofort hängen ohne jedes Erbarmen! Und das Wichtigste ist, daß sie keine Zeit zu langen Reden erhalten dürfen. Aber der Freisler [der Vorsitzende des „Volksgerichtshofs“, Anm. d. Red.] wird das schon machen.“ Ob diese Worte so oder ähnlich gefallen sind, ist nicht zu belegen. Sie beschreiben aber das Vorgehen des NSNationalsozialismus-Regimes gegen die Personen des Widerstands vom „20. Juli“ und ihre Familienangehörigen, das vom Bedürfnis Adolf Hitlers und des NSNationalsozialismus-Regimes nach grausamer Rache geprägt war.

Die Prozesse gegen die Beteiligten des „20. Juli“

Historische Schwarz-Weiß Aufnahme, im Vordergrund der gestikulierende Freisler

Im Namen des Diktators: Der Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler (re.), General Hermann Reinecke (li.) als militärischer Beisitzer während eines Prozesses nach dem Attentat am 20. Juli 1944.

Bundesarchiv, Bild 151-17-05, o.Ang.

Es fällt schwer, auch nach nur ansatzweise rechtsstaatlichen Maßstäben, die Geschehnisse als „Prozess“ oder „Gerichtsverhandlung“ zu bezeichnen. Der Umgang mit dem Netzwerk der Verschwörung war hier allerdings keine Ausnahme. Er entsprach dem nationalsozialistischen Rechtsverständnis sowie der juristischen Praxis. Der NSNationalsozialismus-Staat ersetzte die Paragrafen und Regelungen der Gesetze zwar nicht, höhlte jedoch deren Bedeutung aus und setzte ihnen naturrechtlich überformte Figuren wie das „gesunde Volksempfinden“ als Rechtsbegriffe entgegen. Damit dehnten sich nicht nur die Handlungsspielräume der Gerichte aus, sondern auch Willkür schrieb sich in die Strafverfolgung ein. Der 1934 ursprünglich als Sondergericht installierte Volksgerichtshof war das juristische Instrument zur scheinlegalen Durchsetzung des NSNationalsozialismus-Terrors gegen Oppositionelle und gegen widerständiges Verhalten.

Der erste Prozess gegen Beteiligte vom „20. Juli“ fand am 8. August 1944 statt. Angeklagt waren der Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, Generaloberst Erich Hoepner, Generalleutnant Paul von Hase, Generalmajor Hellmuth Stieff, Oberstleutnant Robert Bernardis, Hauptmann Karl Friedrich Klausing, Oberleutnant Peter Graf Yorck von Wartenburg und Oberleutnant Albrecht von Hagen. Zunächst hatte ein „Ehrenhof“ des Heeres die dem Militär angehörigen Verschwörer aus der Wehrmacht ausgeschlossen, um sie nicht von der Militärjustiz, sondern vor dem Volksgerichtshof anklagen und verurteilen zu können. 

Das publizistische Leitorgan der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – der Völkische Beobachter – berichtete in seinen unterschiedlichen Ausgaben am nächsten Tag ausführlich über den Prozess. In der mehrere Seiten füllenden Berichterstattung wird die Argumentationslinie deutlich, die den Narrativen der NSNationalsozialismus-Propaganda folgte: von der kleinen Gruppe, der Unverbundenheit der Verschwörung mit Volk und Wehrmacht, den unehrenhaften Motiven und der Gleichsetzung von Adolf Hitler mit dem deutschen Volk. Wie bereits in der Propaganda (und auch noch lange danach) war der für das Regime gefährliche Umsturzversuch allenfalls Randthema.

Titelblatt Völkischen Beobachter, Schlagzeile "Das Volk hat sie gerichtet" mit Berichterstattung zum Prozess
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Im Falle des „20. Juli“ standen vor allem für die Hauptbeteiligten die Urteile bereits fest. Roland Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs und Vorsitzender vieler Prozesse gegen den „20. Juli“, sprach im Gerichtssaal weder Recht noch Unrecht. Vielmehr exekutierte Freisler öffentlich im Gericht den vermeintlichen „Volkswillen“. Die aggressive, hämische, oft oberlehrerhafte und überhebliche Art der Prozessführung, Beleidigungen, Demütigungen, das ständige Unterbrechen der Angeklagten und andere sprachliche und gestische Eingriffe, auch das Schreien des Vorsitzenden, dienten nicht der Wahrheits- oder Urteilsfindung. Freislers inquisitorisches Vorgehen wirkte als demonstrativer Teil der Verurteilung selbst. In der vermeintlichen öffentlichen Entlarvung der Angeklagten vollzog sich gleichsam ihr Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“. In letzter Konsequenz erfolgte so im Verhör durch den Richter bereits die Bestrafung – die symbolisch vorweggenommene Hinrichtung der Beschuldigten.

Widerständigkeiten und Resistenzen im Angesicht des Todes

In den erhaltenen Film- und Tonaufnahmen wird die theatralische Inszenierung mit der von Freisler beabsichtigten Rollenzuweisung deutlich. Was aber ebenfalls deutlich wird, ist, dass dieses „Spiel“ im Falle vieler im Zusammenhang mit dem „20. Juli“ vor Gericht stehender Menschen nicht funktionierte. Zwar brachen einige Angeklagte unter den Verhörmethoden Freislers zusammen. Doch viele nahmen die ihnen durch Freisler im Ritual der Verhandlung zugewiesene Rolle nicht an. Es liegt die Vermutung nahe, dass der offensichtliche Charakter von Schauprozessen den Angeklagten auch Handlungsspielräume eröffnete. Die Einsicht in den verbrecherischen Charakter des NSNationalsozialismus-Staates, die ja bei manchem zur Ablehnung geführt hatte, sowie der aus dem Wissen um die sicheren Todesurteile resultierende Fatalismus ermöglichten den Angeklagten, dem im Prozess inszenierten totalen Machtanspruch Formen individueller Selbstbehauptung entgegenzustellen. 

Historische Schwarz-Weiß Aufnahme, der Angeklagte Josef Wirmer wird von zwei uniformierten Beamten zur Anklagebank geführt

Ohne Chance auf Gerechtigkeit: Josef Wirmer vor dem Volksgerichtshof auf dem Weg zur Anklagebank

Bundesarchiv, Bild 151-24-29A, o.Ang.

Die Aneignung und Nutzung von auch für den NSNationalsozialismus-Staat wichtigen Begriffen wie „Pflicht“ und „für Deutschland“ sowie Gesten, etwa Lächeln oder Kopfschütteln, ja sogar schlagfertige, scherzhafte Anmerkungen zeigen dies deutlich, wie die Reaktion von Josef Wirmer, der auf Freislers Ausruf, Wirmer werde bald zur Hölle fahren, antwortete: „Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie bald nachkommen, Herr Präsident.“ Auf Basis einer detaillierten Analyse der Verhörpraxis kommt die Linguistin Nicole Wilk dann auch zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass das, was die Angeklagten während der Verhandlung taten, „weniger ein mutiges Offenlegen von Motiven“ war „als vielmehr ein bewundernswerter Umgang mit Ambivalenz […] gegen geltendes Recht zu verstoßen, um größeres Unrecht zu verhindern.“ Die „große verneinende Geste“ (J. Fest) der Verschwörer gegenüber der NSNationalsozialismus-Herrschaft setzte sich vom Attentats- und Putschversuch bis zur Verurteilung sowie Hinrichtung fort.

Die Widerständigkeit gegen das Regime, die ethisch-moralisch imprägnierte Haltung und auch das Ansprechen von Massenverbrechen, die auf den Filmaufnahmen der bis in den September 1944 gefilmten Prozesse klar zum Ausdruck kommen, mögen auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die beabsichtigte ausschnittsweise Veröffentlichung in der Wochenschau oder als Propagandafilm unterblieb. Stattdessen war das Filmmaterial als „Geheime Reichssache“ eingestuft. Auch mag für eine Nichtveröffentlichung gesprochen haben, dass es sich bei den Verurteilten nicht um ohnehin schon verfolgte politische Gruppen wie etwa Kommunisten und Kommunistinnen, Sozialistinnen und Sozialisten handelte. Die Angeklagten waren Angehörige der Macht- und Funktionseliten. Die Tatsache, dass die Gruppe um die Verschwörer zu den Machtzentren des Regimes gehörte, ermöglichte nicht nur das Attentat, sondern machte dieses zudem brandgefährlich für das Regime. Der Eindruck einer ernst zu nehmenden Opposition, der man Einsicht und Verständnis für die schwierige Kriegslage des Reiches zugestehen konnte, sollte gar nicht erst aufkommen. Die Berichterstattung über den ersten Prozess war gleichzeitig Auftakt und Schlussstrich für die symbolische Bestrafung des Attentats- und Aufstandsversuches. Schließlich galt es, das Narrativ der „kleinen Clique“ aufrechtzuerhalten. Die implizite mediale Abbildung eines breiten Netzwerkes der Verschwörer innerhalb der Eliten des NSNationalsozialismus-Staates in der Öffentlichkeit galt es auf alle Fälle zu vermeiden.

Rache bis in den Untergang

Eine Briefmarke des britischen Geheimdienstes für Propaganda Zwecke. Generalfeldmarschall von Witzleben.

Subversiv: Gefälschte Briefmarke des britischen Geheimdienstes als Umkehrung der NSNationalsozialismus-Heldenverehrung.

Bundesarchiv, Bild 146-2002-012-02, o.Ang.

Seine Rache vollzog das Regime durch eine als entehrend empfundene und besonders quälende Art der Hinrichtung. Nach dem Urteilsspruch wurden die Angeklagten meist wenige Stunden später in der Hinrichtungsstätte Plötzensee an eigens für die Bestrafung besonders schwerer Vergehen installierten Fleischerhaken mit Klavierdraht erhängt – „wie Schlachtvieh“. Von August 1944 bis März 1945 wurden am Volksgerichtshof 55 Prozesse gegen Beteiligte und Unterstützer des „20. Juli“ geführt. In Plötzensee wurden bis April 1945 89 Personen hingerichtet. Weitere Angehörige verschiedener Gruppen des Widerstandes – auch des „20. Juli“ wurden noch in den letzten Kriegstagen vor Standgerichte gestellt und getötet. Der nationalsozialistische Terror- und Vernichtungsapparat funktionierte bis in die letzten Kriegstage – und in manchen Fällen auch noch darüber hinaus.

Weiterführende Hinweise

Wolfgang Benz: Der Prozess gegen Erwin von Witzleben u.a., Deutschland 1944. In: Groenewold/ Ignor / Koch (Hrsg.), Lexikon der Politischen Strafprozesse, https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/witzleben-erwin-v-u‑a/, letzter Zugriff am 28.06.2024. ‎

Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Repression und Terror nach dem 20. Juli 1944.

von Frank Reichherzer

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Filmaufnahmen von den Prozessen

Das Reichspropagandaministerium ließ die Volksgerichtshofprozesse gegen die Beteiligten des 20. Juli 1944 filmen. Das Material sollten in den Kinos aufgeführt werden. Die Filme wurden jedoch als "Geheime Reichsache" eingestuft. Die Gründe hierfür lagen wohl darin, dass die Aufnahmen nicht die erhoffte propagandistische Wirkung erzielten. Das als "Verräter vor dem Volksgericht" betitelte Material ist geschnitten. Es bildet daher die tatsächlichen Prozessverläufe nicht ab. Für den genauen Ablauf sind die stenographischen Protokolle aussagekräftiger.

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