Dossier "20. Juli 1944"

Der 20. Juli 1944 als militärisches Geschehen

Der 20. Juli 1944 als militärisches Geschehen

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Während das Attentat auf Hitler im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“, im heutigen Polen, verübt wurde, liefen auch in Berlin die vorgeplanten Maßnahmen für die Durchsetzung des Umsturzversuchs an. Dieses militärische Geschehen, das Unternehmen „Walküre“, sollte den Machtwechsel endgültig sichern. Doch die Geschehnisse in und um Berlin verliefen nicht nach Plan; auch hier scheiterten die Umstürzler.

Bronzebüste von Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Wichtiger Kopf: Eine Bronzebüste von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der zentralen Figur beim Attentat vom 20. Juli 1944, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.

Bundeswehr/Vennemann

Am 1. Juli 2014 eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und legte dabei ein Bekenntnis zum Widerstand im „Dritten Reich“ in seiner ganzen Breite ab. Sie erwähnte durchaus die militärischen Verschwörer: „Nur wenige Schritte entfernt von uns liegt der Hof, in dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften erschossen wurden“, und dann sprach sie auch von Henning von Tresckow. Was erst bei näherer Betrachtung auffällt: Keinen der Soldaten unter den Verschwörern bezeichnet die Kanzlerin mit militärischem Dienstgrad. Das Andenken an den Widerstand gegen Hitler und seine Kriegführung scheint entmilitarisiert worden zu sein. Ist das aber berechtigt? Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat 1984 eine Wanderausstellung „Aufstand des Gewissens“ erarbeitet, die über zwanzig Jahre lang in Kasernen der Bundeswehr sowie der interessierten Öffentlichkeit gezeigt wurde. Aber war die Fundamentalopposition von Offizieren nur das: ein „Aufstand des Gewissens“? Oder war es ein „Aufstand des Militärischen“? Für uns ist die Vorstellung, das Militär könne im Innern die Macht übernehmen, abwegig geworden. Aber war das auch 1944 so? Oder gab es so etwas wie eine Tradition des Einsatzes des Militärs im Innern? Der Umsturzversuch ist bisher kaum als militärisches Geschehen dargestellt worden – dies soll nachfolgend geschehen. Am Ende steht die Frage nach dem Nachwirken des Widerstands in der Bundeswehr der Bundesrepublik und in der Nationalen Volksarmee der DDRDeutsche Demokratische Republik.

Reichswehr und Widerstand

Die älteren militärischen Angehörigen der Verschwörung hatten noch im Heer des Kaiserreichs gedient. Das galt etwa für das vorgesehene Staatsoberhaupt, den früheren Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, der noch im 19. Jahrhundert, 1898, Offizier geworden war. General der Infanterie Friedrich Olbricht war 1907 in ein sächsisches Regiment eingetreten – im Geburtsjahr Stauffenbergs.

Portraitfoto von Generaloberst Ludwig Beck, der ernst in die Kamera blickt

Nach dem Umsturz als neues Staatsoberhaupt vorgesehen: Generaloberst Ludwig Beck, bis 1938 Chef des Generalstabs des Heeres, beteiligte sich maßgeblich am Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Claus Schenk Graf von Stauffenberg selbst, der Kopf der Umsturzplanung, wurde erst 1926 Soldat. Der spätere Generalmajor Henning von Tresckow hingegen hatte sich 1917 als Freiwilliger gemeldet und war noch im Krieg Leutnant geworden – sie alle hatten Reichswehrerfahrung. Selbst die wenigen sehr jungen Offiziere wie etwa Ewald-Heinrich von Kleist, geboren 1922 und erst 1941 Soldat geworden, stammten weit überwiegend aus traditionsreichen Familien, deren Erfahrungsschatz ebenfalls weit vor das Jahr der „Machtergreifung“ 1933 zurückreichte. 1920 war der Kapp-Putsch des Militärs gegen die Weimarer Republik gescheitert, als die Arbeiter mit einem Generalstreik das Militär zum Rückzug gezwungen hatten. Und dieses Scheitern stand während des Krieges den Verschwörern bei ihren Überlegungen warnend vor Augen. Der Generaloberst a.D. Kurt von Hammerstein-Equord etwa, seit 1933 ein erklärter Gegner des NSNationalsozialismus-Regimes, forderte noch auf seinem Sterbebett 1943: „Macht nur keinen Kapp-Putsch.“ Aber auch nach 1920 hatte die Reichswehr während der Weimarer Republik wiederholt die vollziehende Gewalt im Innern übernommen. Reichspräsident Friedrich Ebert, gestützt auf den Notstands-Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, hatte etwa im November 1923 dem Chef der Heeresleitung, General der Infanterie Hans von Seeckt, die vollziehende Gewalt übertragen und das Heer beauftragt, den Hitler-Ludendorff-Putsch in München niederzuschlagen. Seeckt wiederum hatte nach einiger Zeit anstandslos seine außerordentlichen Vollmachten zurückgegeben. Das war nicht selbstverständlich gewesen, denn einige antidemokratisch eingestellte Offiziere der Reichswehr hatten Seeckt durchaus gedrängt, die Gelegenheit zu nutzen, die Macht an sich zu reißen und die ungeliebte republikanische Regierung ganz zu verjagen. Im Herbst 1932 prüfte das Heer ernstlich, ob man Eberts Nachfolger als Reichspräsident, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, als Alternative zur NSNationalsozialismus-Diktatur eine zeitlich befristete Militärdiktatur anbieten konnte. 

Portraitfoto von Henning von Tresckow, der schmunzeln seitlich aus dem Bild schaut

Gesicht des Widerstandes: Generalmajor Henning von Tresckow war maßgeblich an den Vorbereitungen für das Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 beteiligt, Portrait von 1944.

SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Das hochgeheime „Planspiel Ott“ fand am 25. und 26. November 1932 im Reichswehrministerium statt. Die rechtlichen Optionen dabei ließen sich die Militärs von dem Staatsrechtler Carl Schmitt ausarbeiten, der mit dem Hauptmann Hans Speidel vom Truppenamt befreundet war und damals sein Diktum „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, entwickelte. Es stellte sich heraus, dass mehrere Reichswehrkommandeure in der Region Berlin nicht zuverlässig bereit waren, den Weg eines von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnten Militärputsches mitzutragen. Dazu zählten der spätere Generalfeldmarschall Ernst Busch, damals Kommandeur des Infanterieregiments 9, der damalige Hauptmann Friedrich Fromm und auch der Oberstleutnant Erich Hoepner, Kommandeur des Reiterregiments 4 in Potsdam. Das zahlenmäßig schwache 100 000-Mann-Heer wäre den Anforderungen einer Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten und einem möglichen gleichzeitigen Generalstreik unter der Führung von SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands und KPD nicht gewachsen gewesen. Dabei war in Rechnung zu stellen, dass die innere Schwäche des Reiches eine zeitgleiche äußere Bedrohung hervorrufen konnte. Reichspräsident von Hindenburg war unter diesen Umständen nicht zum offenen Verfassungsbruch bereit.

Debatte um den Krieg der Zukunft

In der Reichswehr – wie übrigens auch in der französischen Armee – gab es eine langanhaltende Diskussion über den „Krieg der Zukunft“. Sie ging aus von der Frage, warum der Erste Weltkrieg verloren worden war: War die technologische und industrielle Überlegenheit der Alliierten der Grund oder der „Dolchstoß“, die mangelnde Unterstützung der „Heimatfront“? Von der Beantwortung dieser Frage hing es in den Augen der Militärs ab, wie das „Heer der Zukunft“ sinnvollerweise aussehen sollte: Sollte die Reichswehr ein kleines, elitäres und hoch mechanisiertes „Führerheer“ sein, oder sollten trotz der zahlenmäßigen Begrenzung durch den Versailler Vertrag Vorbereitungen für die Aufstellung eines „Massenheeres“ getroffen werden? Seeckts Linie ging in die Richtung des elitären, politisch und auch gesellschaftlich weitgehend isolierten Führerheeres, das mit dem Schlagwort eines „Staates im Staate“ nur unzureichend beschrieben wird. Der bekannteste Vertreter eines auf ein Massenheer zur Erziehung der ganzen Bevölkerung zielenden Konzepts war Oberstleutnant Joachim von Stülpnagel (nicht identisch mit dem später im Widerstand ermordeten Carl-Heinrich von Stülpnagel). Hitler und die Nationalsozialisten traten bekanntermaßen für eine Revision des Versailler Vertrages ein; sie lehnten die Reichswehr als „Söldnerheer“ ab und spielten mit dem Gedanken, ihre eigene Straßenschlachttruppe, die SASturmabteilung, zum Kern einer neuen „Volksarmee“ werden zu lassen – dem NSNationalsozialismus-Gedankengut entsprach eher der völlig entgrenzte „totale Krieg“. Erst als sich Hitler ab 1930 konservativen Gruppierungen und auch der Schwerindustrie annäherte, dabei vorerst seine revolutionären Ambitionen aufgab, gewann er Zuspruch zumindest bei jüngeren Offizieren der Reichswehr. Der Hochverratsprozess gegen drei Offiziere des Artillerieregiments in Ulm, dessen Kommandeur der damalige Oberst Ludwig Beck war, warf ein Schlaglicht auf diese Entwicklung. 

Aus einem Gestapo-Bericht nach dem 20. Juli 1944
Die Folge dieser "unpolitischen" Haltung des Soldaten ist es, dass sich ein bestimmter Teil des Offizierskorps in keiner Weise dem nationalsozialistischen Reich und dem Führer innerlich verpflichtet fühlt [...] Die Wehrmacht ist nach Auffassung dieses Teils des Offizierskorps ein nach eigenen Gesetzen lebendes Gebilde [...] Dieses in sich geschlossene Korps, das unbedingt ›unpolitisch‹ sein wollte, wehrte sich gegen jedes Eindringen einer politischen Kraft in das Offizierskorps.

Die Debatte über den Krieg der Zukunft konnte man in den professionellen Medien der Reichswehr sehr offen führen, ohne dafür berufliche Nachteile befürchten zu müssen. Das „Militärwochenblatt“ und die anderen Militärzeitschriften druckten entsprechende Artikel ab, und wurden in den Kasinos durchaus kontrovers diskutiert. Die gesellschaftlich isolierte, vorgeblich apolitische Reichswehr wurde so auch zu einem geschützten Kommunikationsraum, in dem ein offenes Wort noch lange möglich blieb. Das erklärt auch, warum es fünfzehn Jahre später möglich war, vor allem unter Offizieren der „traditionellen“ Regimenter wie des Infanterieregiments 9 in Potsdam oder des Reiterregiments 17 in Bamberg so offen zu kommunizieren, einen Staatsstreich vorzubereiten und zu planen, ohne dass der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) davon etwas bekannt wurde. Die Gestapo-Ermittler wurden nach dem 20. Juli 1944 nicht müde, die an dem Staatsstreichversuch beteiligten Offiziere als typische Vertreter des „Systems“ zu bezeichnen, die sich, unpolitisch wie eh und je, der NSNationalsozialismus-Weltanschauung verschlossen hatten. Nun hatten die Ideen der zivilen Verschwörer wie Carl Goerdeler, Ulrich von Hassell oder Johannes Popitz durchaus etwas Rückwärtsgewandtes, Konservatives. Dass die Vorstellungen eines Teils der Verschwörer zur Rolle des Militärs in Staat und Gesellschaft ebenso der Gedankenwelt von vor 1933 verhaftet blieben, ist bisher nie so deutlich gesagt worden, wird aber aus den Quellen offensichtlich. Das galt aber nicht ohne Einschränkungen, und auch Stauffenberg hat erkennen lassen, dass er für sich die elitäre Selbstisolierung der Armee aufzubrechen gewillt war: Mit einem Satz wie „Ich war nicht umsonst Soldat im Volke“ emanzipierte sich Stauffenberg eben auch ein gutes Stück weit vom Denken der Reichswehr. Er sah die Armee als „die konservativste Einrichtung und zugleich im Volke verwurzelt“; sie habe 1918 versagt, weil sie sich den aufstrebenden sozialen Kräften im Volke nicht geöffnet habe.

Der 20. Juli als militärisches Geschehen

Um die Besonderheiten des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Planungen der Jahre 1938 und 1943. 1938, also noch vor Kriegsbeginn, hatten die damaligen Verschwörer auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam gesetzt. Der Kommandeur der 23. Infanteriedivision, Generalleutnant Walter Graf von Brockdorff-Ahlefeldt, war eingeweiht. Auf seinen Befehl hin würden, davon war man überzeugt, die unterstellten Regimenter marschieren, darunter das Infanterieregiment 9 aus Potsdam. Vor einigen Jahren sind in russischen Archiven Dokumente aus dem Herbst 1943 aufgetaucht, die damals in Ostpreußen vergraben worden waren; die Sowjetarmee hatte sie 1945 dort gefunden. Auch im Herbst 1943 war noch beabsichtigt, bestimmte Truppenteile mit konkreten Aufgaben der Umsturzplanung zu betrauen. Das sollte in Ostpreußen die gerade dort neu aufgestellte 18. Artilleriedivision sein, deren Kommandeur im Sinne der Verschwörer zuverlässig schien. Die Division wurde allerdings nach Ende ihrer Aufstellungsphase im Dezember 1943 zur Front abgezogen und stand damit nicht mehr zur Verfügung. 

Notwendigkeit des Attentats

Das Beispiel macht deutlich, wie viel Planungsaufwand die ständigen kriegsbedingten Verlegungen und Umgliederungen der militärischen Verbände mit sich brachten. Im Sommer 1944 war den meisten an der Verschwörung beteiligten Offizieren klar, dass das Prinzip von Befehl und Gehorsam allein nicht mehr ausreichen würde, um das NSNationalsozialismus-Regime zu stürzen. Das beantwortete auch die Frage, ob es zwingend nötig war, Hitler mit einem Attentat zu töten. Gegen einen lebenden Hitler, da waren sich Stauffenberg und seine engsten Verbündeten sicher, würde das Heer des fünften Kriegsjahres mit seinen 90 Prozent Reserveoffizieren und den Leutnants aus der Hitler-Jugend-Generation nicht mehr marschieren. Es kam daher darauf an, Hitler zu töten und dann zumindest eine Zeit lang die Fiktion aufrechtzuerhalten, die verhasste SSSchutzstaffel habe ihn getötet, und deshalb müsse das Heer jetzt gegen sie vorgehen. Die nationalkonservativen Offiziere wollten sich hier eine in den Strukturen des Dritten Reiches angelegte alte Rivalität zunutze machen. 

Portraitfoto von General Friedrich Olbricht, er schaut seitlich aus dem Bild.

Verschleierungsversuch: General Friedrich Olbricht, ab 1943 Chef des Wehrersatzamtes im OHK, versuchte die Mobilisierung des Ersatzheeres als Übung zu tarnen.

SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Die Planungen des Sommers 1944 erschienen auf den ersten Blick „politisch neutral“; deshalb war es auch kein Problem, die „Walküre-Befehle“ heeresintern vorher zu verteilen. Lediglich die vorbereiteten und in verschlossenen Umschlägen verteilten geheimen Zusatzbefehle ließen erkennen, dass das ursprünglich zur Bekämpfung von Aufständen oder alliierten Luftlandungen im Reich gedachte Unternehmen „Walküre“ einem ganz anderen Zweck dienstbar gemacht werden sollte. Der Umsturzversuch ist am 20. Juli von Anfang an nicht so abgelaufen, wie er geplant war, und das lag daran,  dass Stauffenberg bereits am 15. Juli das Attentat hatte verüben wollen. Wie ursprünglich vorgesehen, hatten die Verschwörer an diesem Tag schon am Morgen die Truppenteile des Ersatzheeres mobilisiert und teilweise auch in Marsch gesetzt. Mit Mühe hatte sich das Ganze als „Übung“ tarnen lassen, und Olbricht hatte heftige Kritik von seinem Befehlshaber, Generaloberst Friedrich Fromm, hinnehmen müssen. Bei einem weiteren Versuch würden die Verschwörer eine solche vorherige Auslösung von Maßnahmen nicht wiederholen können.

Rekonstruktion der Umsturzplanungen

Nur aus dem Geschehen des 15. Juli und den bis heute erhaltenen Befehlen lässt sich daher die ursprüngliche Umsturzplanung mit einiger Bestimmtheit rekonstruieren. Im Einzelnen kam es darauf an, die Schaltstellen der Macht, vorrangig den Hauptgefechtsstand des Umsturzes beim Befehlshaber des Ersatzheeres, sodann die Ministerien des Großdeutschen Reiches gegen Angriffe systemtreuer Kräfte zu sichern. Als solche waren zunächst Bodentruppen der Luftwaffe in unbekannter Stärke und Kampfkraft in der General-Göring-Kaserne am Feldflugplatz Tegel in Rechnung zu stellen. Mehr Respekt nötigten den Verschwörern die Ersatztruppenteile der Leibstandarte SSSchutzstaffel „Adolf Hitler“ (LSSAH) ab. Diese war vermutlich in größerer Stärke, Beweglichkeit und Kampfkraft in der ehemaligen Hauptkadettenanstalt in Berlin Lichterfelde stationiert. Dort erwarteten die Verschwörer den feindlichen Schwerpunkt. Dem stand an „eigenen Kräften“ zunächst das Wachbataillon in Moabit gegenüber, motorisierte Infanterie, ausweislich des Übungsalarms vom 15. Juli sofort verfügbar. 

Kartendarstellung der operativen Planungen für das Unternehmen "Walküre" in BErlin

Komplexe Operation: die Planungen für das Unternehmen "Walküre" in Berlin

Geführt wurde es aber von dem absolut systemtreuen Major Remer, auf den also nur so lange Verlass war, wie er der ausgegebenen Lage glaubte. Er unterstand der Stadtkommandantur Berlin unter Generalleutnant Paul von Hase. Hase war als oppositionell denkender Offizier bekannt, war aber erst am 15. Juli in die Umsturzplanung und seine eigene Rolle dabei eingewiesen worden. Die Infanterieschule Döberitz, drei Bataillone stark, unterstand dem Wehrkreiskommando III. Sie würde erst nach Mobilisierung und Anmarsch über rund 25 km verfügbar sein. Ihr wäre der Auftrag erteilt worden, die zur Sicherung des Regierungsviertels eingesetzten Kräfte zu verstärken, darüber hinaus das Haus des Rundfunks an der Masurenallee sowie die Sender Tegel und Nauen zu besetzen. Von der Panzertruppenschule II in Krampnitz wurden zwei gepanzerte Bataillone erwartet, die jedoch ebenfalls erst nach Mobilisierung und einem 30-km-Anmarsch verfügbar sein würden. Sie sollten mit leicht gepanzerten Kräften nach Süden aufklären und die SSSchutzstaffel-Kräfte in Lichterfelde überwachen, ansonsten eine gepanzerte Reserve in Verfügungsraum Tiergarten in unmittelbarer Nähe des Bendlerblocks, dem Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht, bilden. Die Heeresfeuerwerkerschule und die Heereswaffenmeisterschule in Treptow konnte Feldwebel in der Ausbildung bereitstellen, fronterfahren, aber nicht motorisiert; sie sollten daher möglicherweise per Straßenbahn anmarschieren. Zahlenmäßig von geringer Stärke, unterstanden beide der Standortkommandantur. Ihr Auftrag war die Sicherung des Berliner Stadtschlosses und der daneben liegenden Standortkommandantur. Unter Führung des Wehrkreiskommandos III und erst nach längerem Anmarsch, vermutlich sogar erst am nächsten Tag verfügbar, war die Ersatzbrigade „Großdeutschland“ in Cottbus, rund 7000‑8000 Mann. Ihre Einsatzbereitschaft war am 15. Juli überprüft worden. Sie konnte innerhalb von 12 Stunden den Sender Herzberg, den Sender Königs Wusterhausen, den Flugplatz Rangsdorf bei Zossen sichern sowie von Süden nach Berlin hinein vorgehen. Hier sollten die SSSchutzstaffel-Kräfte in Lichterfelde von hinten gebunden und der Flughafen Tempelhof für eigene Verstärkungen gesichert werden. Von der Heeresgruppe Mitte sollten 1200 Mann aus dem Kavallerieregiment Mitte per Lufttransport aus dem Großraum östlich von Warschau hinzukommen. Die würden sich allerdings erst noch später in der Reichshauptstadt auswirken können. Das war eigentlich eine grundsolide Planung, vorausgesetzt, Hitler war wirklich tot. 

Hitler und Mussolini blicken in die zerstörten Überreste des Konferenzraums in der Wolfsschanze, der von Trümmern übersät ist.

Misslungenes Attentat: Unmittelbar nach dem Anschlag besichtigt Benito Mussolini zusammen mit Adolf Hitler den zerstörten Konferenzraum im Führerhauptquartier "Wolfsschanze".

Bundesarchiv, Bild 146-1969-071A-03

Die Heranführung von Reserven, die sich erst nach Tagen auswirken können, belegt, dass das Heer sich auch auf eine länger dauernde Auseinandersetzung im Innern, auf einen regulären Bürgerkrieg wie nach Kriegsende 1918 einstellte. Die Nationalkonservativen sahen dabei jetzt – so wie 1932 – sowohl die Nationalsozialisten als auch die Nationalkommunisten, etwa das von Kriegsgefangenen in sowjetischen Lagern gegründete Nationalkomitee „Freies Deutschland“ als potenzielle Gegner an.

Mythos Major Remer

Woran ist der Umsturzversuch dann gescheitert? Lange hat sich der Mythos des Wachbataillons und seines Kommandeurs, des Majors Otto Ernst Remer, gehalten. Kein Film über den 20. Juli, in dem nicht die Szene nachgespielt wird, wie Remer aus dem Dienstzimmer des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels mit Hitler telefoniert: „Remer, erkennen Sie meine Stimme?“ Aber das war gegen 19:00 Uhr. Doch die ersten Teile von Remers Bataillon trafen erst gegen 23:30 Uhr im Bendlerblock ein, gerade rechtzeitig, um ein Erschießungskommando stellen zu können. In Wirklichkeit waren es die Heeresoffiziere aus dem Stab des Allgemeinen Heeresamtes selbst, die inzwischen dem Aufstand in ihrem Stabsgebäude ein Ende gemacht, den vorübergehend festgesetzten Befehlshaber Generaloberst Fromm befreit und dann die an der Verschwörung beteiligten Offiziere verhaftet hatten. Das NSNationalsozialismus-Regime dagegen hatte ein Interesse daran zu verschleiern, dass es das Heer selbst gewesen war, das den Aufstand niedergeschlagen hatte.

Orte des Gedenkens

Der Staatsstreichversuch fand in einem konkreten Raum statt: in Berlin und Umgebung. Es bietet sich daher an, einen Blick auf einige jener Orte zu werfen, an denen das Geschehen des 20. Juli tatsächlich stattgefunden hat. Wo wird an dieses Geschehen konkret erinnert, und wie? In der General-Alvensleben-Kaserne in Cottbus war – wie dargestellt – die Ersatzbrigade der Division Großdeutschland stationiert. Dort erinnert eine Gedenktafel an die militärische Vergangenheit dieses Ortes, der heute Theater, Behörden und anderes mehr beherbergt. Dass aber von hier aus am 15. wie am 20. Juli Truppen für den Staatsstreich losmarschiert sind – findet keine Erwähnung. Die Kaserne Krampnitz, damals eine Kavallerieschule, ist den Potsdamern heute als Spekulationsobjekt bekannt, das schon einen brandenburgischen Finanzminister das Amt gekostet hat. Die Liegenschaft selbst, malerisch am See gelegen, verrottete bis vor Kurzem vor sich hin und ist heute ein städtisches Entwicklungsgebiet mit einem Bebauungskonzept, das verspricht, dringend benötigten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Vorne zur Straße ist immer noch das Offizierkasino gelegen. Auch hier keine Erinnerung an den 20. Juli. 

Standortkommandatur Berlin

In der Standortkommandantur in Berlin liefen die Fäden des Umsturzversuchs zusammen; der Standortkommandant, Generalleutnant Paul von Hase, war später einer der ersten, die vom Volksgerichtshof verurteilt und hingerichtet wurde. Das Gebäude der Stadtkommandantur ist im Krieg zerstört und erst in den letzten Jahren von der Bertelsmann-Gruppe als ihre Hauptstadtrepräsentanz mit der ursprünglichen Fassade wiedererrichtet worden. Aber auch dort findet sich kein Hinweis auf den Widerstand. Einige jüngere Offiziere sollten sich in der Nähe des Bendlerblocks bereithalten, bis es losging, darunter der erst vor Kurzem gestorbene, damals 22-jährige Leutnant Ewald-Heinrich von Kleist. Sie saßen im Hotel Esplanade, unweit des Bendlerblocks. Der Saal des Hotels ist erhalten und heute Teil des Sony Centers am Potsdamer Platz. Im Untergeschoss findet sich eine Tafel, die dieses Geschehen beschreibt, aber leider ist sie faktisch unrichtig: Natürlich hat nicht Stauffenberg selbst hier gewartet. Eine weitere Ausnahme findet sich am ehemaligen Flughafen Rangsdorf. Dort weist seit dem 20. Juli 2004 ein kleiner, in Privatinitiative erstellter Gedenkstein darauf hin, dass Stauffenberg und sein Adjutant Werner von Haeften 60 Jahre zuvor von dort aus „zum Attentat“ im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ per Flugzeug gestartet und von dort auch nach Rangsdorf zurückgekehrt sind. 

Bendlerblock

Das vielleicht bekannteste Symbol des Gedenkens findet sich am eigentlichen Ort des Geschehens in der heutigen Gedenkstätte Deutscher Widerstand: die Statue des Heros von Richard Scheibe im Innenhof des Berliner Bendlerblocks. Diese Gestalt verweist nicht speziell auf den militärischen Widerstand, sondern bezieht alle Männer (allerdings nicht die Frauen) in das Widerstandsgedenken ein. Das entspricht übrigens – insofern ganz modern – dem Auftrag der Gedenkstätte selbst, den Widerstand gegen Hitler in seiner ganzen Breite darzustellen. Anders verhält es sich mit der Gedenktafel an der Wand des Innenhofes, die auch zur regelmäßigen Kranzniederlegung dient: Hier sind die fünf in der Nacht des 20. auf den 21. Juli Hingerichteten mit vollem Dienstgrad aufgeführt.

Grabstein mit der Inschrift "Zum gedenken an den 20. Juli 1944" und den Namen der hier begrabenen Widerstandskämpfer.

Gestorben für Recht und Freiheit: Auf dem St.Matthäus-Kirchof in Berlin steht ein Gedenkstein für die Widerstandskämpfer, die im Bendlerblock erschossen und hier begraben wurden.

Winfried Heinemann

Ein anderer Gedenkort ist – zuletzt – das Grab auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Schöneberg. Aber auch hier ist das Gedenken entmilitarisiert – verständlich vielleicht bei fünf Namen auf einem Grabstein, aber doch nicht selbstverständlich angesichts des Berliner Brauchs, alle Arten von Rängen und Titeln auf Gräbern zu verewigen. Die aktuellen Richtlinien zur Traditionspflege der Bundeswehr sehen grundsätzlich keinen Bezug der Bundeswehr mehr zur Wehrmacht vor. „Beteiligung am militärischen Widerstand“ erfassen die Richtlinien als eine der möglichen Ausnahmen von dieser Regel; zu bedenken ist dabei auch „die Frage persönlicher Schuld“. Damit ist auch nicht mehr der Widerstand als Ganzes automatisch traditionswürdig – gewiss eine Folge der in den letzten Jahrzehnten öffentlich und wissenschaftlich geführten Diskussion über die Beteiligung einzelner im Widerstand umgekommener Offiziere an den Verbrechen des Regimes. Die am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 beteiligten Offiziere haben zuerst aus militärischem Sachverstand heraus gehandelt – sie waren eben Berufsoffiziere und dachten entsprechend. Aber sie haben aus militärischer Sachkenntnis heraus das moralisch Richtige getan; genau deshalb sind sie gute Vorbilder für die Bundeswehr von heute.

von Winfried Heinemann

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