Freude, Skepsis, Vorwürfe. Deutungen zum „20. Juli 1944“ im alliierten Ausland
Freude, Skepsis, Vorwürfe. Deutungen zum „20. Juli 1944“ im alliierten Ausland
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Das misslungene Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ löste nicht bloß in Deutschland heftige Reaktionen aus. Auch die alliierten Regierungen mussten sich über die Ereignisse erst klar werden und sich untereinander abstimmen. Das Auseinanderbrechen der Allianz war dabei eine ernstgenommene Befürchtung.
Über die Bewertung der Verschwörung des „20. Juli 1944“ wird bis heute diskutiert. Im Zweiten Weltkrieg war dies nicht anders. Nicht nur in den Öffentlichkeiten der alliierten Länder konkurrierten verschiedene Deutungen der Ereignisse miteinander. Auch Regierungen weltweit zogen in Reaktion ihre Schlüsse. Unterschiedlichste Überlegungen mussten dabei berücksichtigt und miteinander in Einklang gebracht werden – von erwarteten Reaktionen bei den Bündnispartnern über Einstellungen in der eigenen Bevölkerung bis hin zu vermeintlichen Lehren aus „1918“. Dieser Artikel stellt anhand von Pressedarstellungen und Regierungserklärungen die sich entwickelnde Deutung der Ereignisse in den alliierten Staaten während des Zweiten Weltkrieges dar.
Erste Reaktionen: Freude, Sorge und Erleichterung
Eine undurchsichtige Informationslage kennzeichnete die ersten Tage nach dem Attentat. Auch wenn man in der britischen Regierung schnell zu der Ansicht gelangt war, dass ein Putschversuch stattgefunden hatte, entschied man sich zunächst dazu, keine offiziellen Erklärungen abzugeben. Auch Washington überließ vorerst der Presse die Deutung der Ereignisse. Dies führte zu erheblicher Spekulation und zur Verbreitung von allerhand Gerüchten. Westliche Zeitungen schrieben, dass in Deutschland der Bürgerkrieg ausgebrochen sei und Regimenter der Wehrmacht von der SSSchutzstaffel niedergemacht würden. Auch Gerüchte über den Einsatz der Luftwaffe gegen deutsche Zivilisten und Berichte von Aufständen in München, Stuttgart und Kiel wurden gedruckt. Abgesehen von Falschmeldungen lassen sich die ersten Reaktionen danach unterscheiden, ob die Ereignisse des „20. Juli“ als vorteilhaft oder besorgniserregend für die alliierte Kriegsanstrengung gedeutet wurden.
In einem Großteil der Pressemitteilungen wurden die Vorgänge als sicheres Zeichen für den nahen Zusammenbruch Deutschlands interpretiert. Der innere Machtkampf wurde dabei als Ausdruck einer unvermeidlichen Desintegration im Angesicht der nahenden Kriegsniederlage verstanden: „The professional German War Lords are convinced that Germany must lose the war. They must have thought that their chances were hopeless.“ Die Illustrated News London schreibt weiter schadenfroh, dass Deutsche durch die Tötung von Deutschen nun so nützlich seien wie seit Langem nicht mehr. Ähnlich kommentiert auch eine amerikanische Zeitung, die New York Herald Tribune: „Let the generals kill the corporal or vice-versa, preferably both.“
Obwohl die Nachricht des Umsturzversuchs in der Sowjetunion sachlicher verkündet wurde, führte sie zu großer Begeisterung in der Bevölkerung. Insbesondere nährte sie Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende und wurde als Anzeichen für einen deutschen Volksaufstand gewertet. Da laut der sowjetischen Darstellung vor allem die deutschen Niederlagen an der Ostfront zum „20. Juli“ geführt hätten, wurde die Berichterstattung auch zur Stärkung der eigenen Kampfmoral genutzt. Die meisten französischen Meldungen interpretierten den Umsturzversuch sogar als Palastrevolution und Selbstzerfleischung infolge des drohenden militärischen Untergangs. Durch das Misslingen des Attentates sah sich das Kollaborationsregime in Frankreich allerdings auch in seiner Wahrnehmung einer „messianischen Bestimmung Hitlers“ bestätigt und lag so auf der Linie des durch die NSNationalsozialismus-Propaganda geprägten Narrativs.
In seiner ersten offiziellen Äußerung zwei Wochen nach dem 20. Juli bekräftigte der britische Premier Churchill die Deutung, dass der versuchte Putsch lediglich die Panikreaktion eines zusammenbrechenden Militärapparats gewesen sei. Vor dem Unterhaus verkündete er: „The highest personalities of the German Reich are murdering one another, or trying to, while the armies of the avenging Allies close upon the doomed.”
Neben diesen eher zuversichtlichen Reaktionen wurden in Zeitungen auch Zweifel und Sorgen bezüglich der Ereignisse in Berlin, Paris und Ostpreußen geäußert. Eine insbesondere in den westalliierten Staaten verbreitete Vermutung war, dass das Attentat lediglich fingiert gewesen sei und die Fotos aus der „Wolfsschanze“ gestellt waren. Dieser These zufolge habe Himmler in einer Neuauflage des „Röhm-Putsches“ die Ereignisse fingiert, um die Wehrmachtspitze von verdächtigen Generalen zu säubern.
Geheimdienstkreise, die von der Authentizität des Putschversuchs früher als die Öffentlichkeit unterrichtet waren, sorgten sich eher um das Ziehen vermeintlicher Parallelen zu „1918“. Ein Mitarbeiter des Foreign Office zeigte sich beispielsweise erleichtert, dass der Versuch gescheitert war. Denn bei einem Gelingen des Putsches wäre eine neue „Dolchstoßlegende“ zu erwarten gewesen. Tatsächlich verglich Hitler das Attentat in einer Radioansprache im August 1944 mit dem „Dolchstoß“.
Die größte Sorge der Alliierten richtete sich allerdings auf den Zusammenhalt des eigenen Bündnisses. Auf der Casablanca-Konferenz vom Januar 1943 hatten sie sich darauf verständigt, den Krieg nur bei bedingungsloser Kapitulation der Achsenmächte zu beenden. Diese Maxime richtete sich zwar klar gegen das NSNationalsozialismus-Regime (und explizit nicht gegen die Bevölkerung), blieb aber theoretisch auch nach einem Regimewechsel wirksam. Insbesondere in zwei Staaten bestanden allerdings Befürchtungen, ob ein erfolgreicher Umsturz in Deutschland die Einheit der Allianz nicht gefährdet hätte. Bedingt durch die Schwäche der eigenen Position konnte in Frankreich lediglich der Hoffnung Ausdruck verliehen werden, dass sich die Verbündeten keinesfalls von ihrem Kriegsziel abbringen lassen. Erklärtes Hauptinteresse der Résistance-Gruppen blieb die bedingungslose Kapitulation. La France Libre schrieb sinngemäß, dass man die Ereignisse lediglich als deutsche Innenangelegenheit ansehen müsse.
Für die Sowjetunion war besorgniserregend, dass die Verschwörer des „20. Juli“ vornehmlich westlich orientiert waren. Eines ihrer Hauptmotive wurde darin gesehen, durch einen Kompromissfrieden im Westen alle Aufmerksamkeit auf die Ostfront lenken zu können. Auch in London und Washington wurde eingeräumt, dass dies einem Verrat an den russischen Verbündeten gleichkommen würde. In der Folge waren die Westalliierten sehr darauf bedacht, nicht den Eindruck zu erwecken, über Verhandlungen mit einer innerdeutschen Opposition auch nur ansatzweise nachzudenken.
Zuungunsten der Verschwörer kam hinzu, dass die Entmachtung der preußisch-deutschen Generalität – die als Wegbereiter des Nationalsozialismus betrachtet wurde – zu den weiteren Kriegszielen der Alliierten gehörte. Verhandlungen mit Deutschland ohne eine vorausgegangene „Entpreußung“ waren beispielsweise für de Gaulle, aber auch für andere westliche Führer inakzeptabel. Weil die Möglichkeit einer Neubewertung beider Kriegsziele (bedingungslose Kapitulation und Entmachtung der militärischen Führungselite) im Falle eines erfolgreichen Putsches im Raum zu stehen schien, zeigten sich einige westlichen Kommentatoren erleichtert über das Scheitern des „20. Juli“.
Es lässt sich festhalten, dass die Reaktionen auf die Neuigkeiten aus Deutschland sowohl freudig als auch besorgt ausfielen. Die größten Bedenken verursachte allerdings der hypothetische Fall eines erfolgreichen Umsturzes. Dieser hätte den neuen, nicht abzuschätzenden Faktor einer Militärregierung in die bündnispolitischen Planungen eingeführt und dadurch möglicherweise den alliierten Zusammenhalt gestört. Die fast paradox anmutende Erleichterung über den Fehlschlag des inneren Umsturzes beim Hauptkriegsgegner lässt sich somit erklären. Um seinen Verbündeten letzte Bedenken zu nehmen und jede Möglichkeit der Billigung einer Militärregierung auszuschließen, unterstrich Churchill Anfang August 1944, dass er in der Politik gegenüber Deutschland keinen Unterschied zwischen dem Widerstand und dem NSNationalsozialismus-Regime machen werde. Diese Entscheidung wurde insbesondere in der deutschen Geschichtsschreibung als fehlgeleitet kritisiert. Im Anbetracht der Umstände erscheint sie zumindest für die Situation des Sommers 1944 nachvollziehbar. Das letztliche Scheitern des Putschversuches besiegelte dann, was für die Alliierten schon vorher festgestanden hatte: Der Krieg konnte nur mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands enden.
Zwischen verweigerter Anerkennung, Skepsis und verhaltener Sympathie: Die Wahrnehmung der Verschwörer im Ausland
Eine der verbreiteten Deutungen im alliierten Ausland warf den Widerständlern des „20. Juli“ niedere Beweggründe vor. Die putschenden Generale wären demnach Opportunisten und von persönlichen Interessen geleitet gewesen. Je nach Auslegung versuchten sie entweder ihre eigene Haut oder Standesinteressen zu retten oder wären von Sorge um ihre „ostpreußischen Güter“ geleitet worden. Die britische Presse schrieb, dass der Anlass des Umsturzversuchs nicht der moralische Skrupel wegen des Angriffskrieges, sondern bloß dessen Scheitern gewesen sei. Generell dominierten Skepsis und Abneigung das Bild von den Widerständlern des „20. Juli“. Dies lag auch an der Untätigkeit und Unsichtbarkeit des deutschen Widerstands während der Feldzüge in Polen und Frankreich.
Außerdem war ein positives Bild von Deutschen schwer mit Kriegspropagandadarstellungen eines klaren, uniformen Feindbilds vereinbar. Insbesondere in Frankreich war man darum bemüht, nicht zwischen einem „guten“ und einem „schlechten“ Deutschland zu unterscheiden. De Gaulle erwähnte das Attentat gar nicht erst, um ihm keine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dem Historiker Gerd Ueberschär zufolge, leugnete er die Existenz einer deutschen Opposition, „weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.“ Auch einige Gruppierungen der Résistance sprachen sich gegen „feinsinnige Differenzierungen zwischen Volk und Führung“ aus, und die Zeitung Le Monde schrieb, „es sei eine Mär, von zweierlei Deutschland zu reden“. Hinzu kam, dass die innerdeutsche Opposition schwer zu dem zeitgenössischen, im Kriegseifer weiter simplifizierten Deutschlandbild passte. Dabei wurden Hitler und sein Regime, aber auch sein Generalstab nicht als Bruch in, sondern als reinster Ausdruck von deutscher Natur und Tradition angesehen: „Einen ‚richtigen‘ Widerstand habe es aufgrund der psychologischen Disposition gar nicht geben können, seien die Deutschen doch folgsam wie „Polizeihunde“ und liebten sie doch „massenhafte Unterwürfigkeit“. Außerdem wurden Parallelen zu 1918 gezogen, und es wurde gemutmaßt, dass sich die Heerführer aus der Verantwortung ziehen, eine Besatzung Deutschlands vermeiden und dann den Dritten Weltkrieg vorbereiten wollten.
Vereinzelt gab es allerdings auch wohlwollendere Interpretationen der Ereignisse im alliierten Ausland. Einer der wenigen Fürsprecher der Verschwörer in Großbritannien war der Bischof von Chichester, George Bell, der selbst Kontakte zum deutschen Widerstand hatte. Beim Foreign Office warb er für ein Umdenken in Bezug auf den Hardliner-Kurs gegenüber der deutschen Opposition. Auch einige französische Sozialisten äußerten sich ähnlich. Am positivsten wurden die Ereignisse aber interessanterweise in Meldungen in der Sowjetunion gedeutet. Genährt durch die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, galt das Attentat hier zum Teil als „Heldentat“. Obwohl auch in der Sowjetunion Skepsis überwog, wurde dem „20. Juli“ teilweise Sympathie entgegengebracht und zwischen NSNationalsozialismus-Führung und einem „anderen Deutschland“ differenziert. Das lag auf der Linie, die das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) vertrat. Das NKFD war ein unter Aufsicht der Sowjetregierung stehender antifaschistischer Zusammenschluss aus deutschen Emigranten und Kriegsgefangenen, der vor allem propagandistisch auf andere Kriegsgefangene und ins Deutsche Reich hineinwirken sollte. Bereits am 23. Juli 1944 rief das Komitee unterstützend auf: „Nun sind auch in Deutschland verantwortungsbewußte Generale zum Sturm gegen Hitler angetreten. Jetzt muß der Sturm im ganzen Volk entfacht werden. Alle Waffen der Wehrmacht, alle Kraft im Lande zum Einsatz gegen Hitler!“ Nicht die ideologische Ausrichtung der Verschwörer wurde dabei in den Vordergrund gestellt, sondern der Todesmut der beteiligten Offiziere. Stauffenberg wurde sogar als Ehrenmitglied angesehen.
Trotz dieses vereinzelten Zuspruchs konnte der deutsche Widerstand keine breite Sympathie im Ausland gewinnen. Selbst wenn keine kleinlichen Motive unterstellt wurden, glaubte kaum jemand im alliierten Ausland, dass es dem Widerstand um mehr ginge als darum, günstigere Kapitulationsbedingungen für Deutschland auszuhandeln. Das größte Manko der innerdeutschen Opposition stellte in der Auslandswahrnehmung deren Nähe zum Elitarismus und Militarismus dar. Die Verschwörer des „20. Juli“ wurden häufig als Vertreter einer konservativen, nationalen Elite und somit als Kern des deutschen Militarismus betrachtet. Vor allem das Deutschlandbild der Westalliierten beruhte auf der Vorstellung von einer ungebrochenen Verbindung zwischen deutschem Volkscharakter, preußischem Militarismus und Nationalsozialismus. Die putschenden Generale galten als die vordersten Vertreter dieses Deutschlands, eine genuine Widerstandsrolle konnten sie demnach gar nicht spielen. Vielmehr seien sie bis zu diesem Zeitpunkt immer Wegbereiter und Erfüllungsgehilfen Hitlers gewesen. Aus dieser Anschauung erklärt sich die Darstellung der Ereignisse in der westlichen Presse als Verschwörung der „Junkergenerale“ oder als bedeutungslose „Generalsrevolte“. Selbst wenn die Wehrmachtspitze wohlmöglich weniger irrational sein würde als Hitler, wäre sie doch nicht weniger gefährlich. Schließlich stellte ihre Auflehnung nichts anderes als den Versuch dar, „das Hakenkreuz mit dem Kampfstiefel zu ersetzen“.
Die Verschwörer selbst waren sich ihrer „Imageprobleme“ bewusst. Sie ahnten, dass sie im besten Fall als Unterhändler für bessere Kapitulationsbedingungen, im schlimmsten Fall als Opportunisten wahrgenommen werden würden. Eine bereits von einigen Verschwörern seit 1939 angelegte Dokumentation von NSNationalsozialismus-Verbrechen war unter anderem dazu gedacht, für Unterstützung im Ausland zu werben. In der Widerstandsforschung gilt sie als starkes Indiz dafür, dass auch moralische Skrupel ein zentrales Motiv des Widerstandes war. Ein Teil der Widerständler hätte sogar eine bedingungslose Kapitulation und die Besatzung Deutschlands akzeptiert. Helmuth James Graf von Moltke, Mitbegründer des „Kreisauer Kreises“, erklärte bereits 1942: „Wir wissen, daß der Erfolg unseres Kampfes wahrscheinlich unseren vollkommenen Zusammenbruch als nationale Einheit bedeuten wird. Aber wir sind bereit, dem ins Auge zu sehen.“ Gewagt wurde der Umsturz schließlich „nicht nur ohne jede Hoffnung, die Niederlage noch abwenden zu können, sondern auch ohne jede Zusicherung erträglicher Friedensbedingungen“. Dieser Umstand zeigt, dass eine bedeutende Diskrepanz zwischen Selbst- und Auslandswahrnehmung des deutschen Widerstandes bestand.
Überlegungen zum Umgang mit nicht wirklich neuen Tatsachen
Praktisch änderte der „20. Juli“ nicht viel an der Kriegslage. An der alliierten Forderung der bedingungslosen Kapitulation wurde festgehalten, der Krieg sollte ohne Unterbrechung weitergeführt werden. Und dies auch, wenn das Attentat erfolgreich gewesen wäre. Britische Zeitungen schrieben, dass die deutsche Kriegsmaschine auf dem Schlachtfeld gestoppt werden müsse, unabhängig davon, wer an ihrer Spitze stehe. Damit reproduzierten sie das, was kurz vorher schon in einem Memorandum des britischen Geheimdienstes erklärt wurde: „Whatever clique is in power in Germany, Germany’s fate is not being decided by her internal forces. […] Germany’s fate is being decided on the battlefields.“ Auch Roosevelt und Churchill bekräftigten, die in Casablanca aufgestellte Forderung aufrechterhalten zu wollen. Nach dem Scheitern des „20. Juli“ war es freilich unproblematisch zu erklären, dass nie und unter keinen Umständen mit einer deutschen Militärregierung über einen Kompromissfrieden verhandelt worden wäre. Über die Frage, ob die Alliierten mit erfolgreichen Putschisten nicht doch verhandelt hätten, um ein weiteres Kriegsjahr zu verhindern, kann lediglich spekuliert werden. Mehrere Historiker stimmen allerdings darin überein, dass auch bei einem Erfolg des Umsturzes der neuen deutschen Regierung die bedingungslose Kapitulation nicht erspart geblieben wäre.
In engem Zusammenhang mit der Frage nach Fortsetzung des Krieges steht die Frage, ob ein Separatfrieden mit den Westalliierten überhaupt möglich gewesen wäre. Zumindest Teile des Widerstandes hatten bis 1943 die Hoffnung gehegt, sich bloß den Westalliierten ergeben zu müssen und den Krieg gegen die Sowjetunion defensiv fortsetzen zu können. Die Bewahrung Deutschlands vor einer Besatzung durch die UdSSRUnion der Sozialistischen Sowjetrepubliken sollte dabei der Preis für die aktive Kollaboration mit dem Westen sein. Sich nach einem Umsturzbedingungslos zu ergeben, war auch deshalb nicht gewünscht, weil keine neue Dolchstoßlegende entstehen sollte. Die Hoffnung war, der deutschen Bevölkerung diesen Deal als „westliches Tauroggen“ „verkaufen“ zu können. Insbesondere zur britischen Regierung wurde darum immer wieder der Kontakt gesucht. Churchill lehnte aber jegliche Verhandlungen mit der deutschen Generalität unter Verweis auf die Wirkung bei den Verbündeten ab. Der Widerstand seinerseits verkannte teilweise, dass durch die Ausweitung des Krieges seit Ende 1941 eine Entscheidung zugunsten der deutschen Opposition ohnehin nicht mehr nur in London getroffen worden wäre. Selbst die Aufnahme von Gesprächen mit deutschen Widerständlern hätte nach vorheriger Absprache der Hauptalliierten einen Konsens im Bündnis erfordert. Angesichts der Tatsache, dass selbst die Résistance von den Alliierten nicht als Partner anerkannt wurde, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der deutsche Widerstand eine realistische Chance auf gleichberechtigte Verhandlungen gehabt hätte.
Einen zentralen Grund für die Vorsicht der Westalliierten im Umgang mit „dissident generals“ stellte die Sorge dar, Stalin würde einem deutsch-westalliierten Sonderfrieden mit einem deutsch-sowjetischen Sonderfrieden zuvorkommen. Diese Einschätzung resultierte nicht bloß aus der Erinnerung an den „Hitler-Stalin-Pakt“, sondern wohl auch aus Vorahnungen auf den Kalten Krieg. Berechtigt scheint die Angst vor einem Separatfrieden mit der Sowjetunion dabei nicht zu sein. Der deutsche Widerstand des „20. Juli“ in seiner antikommunistischen Haltung hatte sich immer primär zum Westen orientiert – eine Annäherung an Stalin soll folglich nie als ernsthafte Alternative in Betracht gezogen worden sein.
Von besonderem Interesse ist letztlich die gleichfalls kontrafaktische Frage, ob eine größere Unterstützung aus dem Ausland den Widerstand nicht auf eine breitere Basis gestellt und ihm damit zum Erfolg verholfen hätte. Zwar bestanden immer wieder Hoffnungen, dass sich das deutsche Volk oder die deutsche Arbeiterschaft gegen das NSNationalsozialismus-Regime auflehnen würden. Die totale Kriegserfahrung machte allerdings einen kollektiven Aufstand zunehmend unwahrscheinlich. Die Zweifel an einem Umsturz wuchsen daher im Laufe des Krieges auch bei den Alliierten. Während Churchill vor dem Krieg noch davon ausging, dass es den „gemäßigten Kräften in Deutschland wie auch den Führern der deutschen Armee“ gelingen würde, „zivilisierte Bedingungen in ihrem eigenen Lande“ zu schaffen, stellte er 1942 bereits die Existenz solcher Kräfte infrage.
Eine direkte Unterstützung der umstürzlerischen Generale barg zudem das Risiko, diese als „Dolchstoßer“ oder Erfüllungsgehilfen eines neuen Versailles erscheinen zu lassen. Ein Sieg war nur als totaler Sieg zu denken. Die Sorge vor neuen Konflikten sowie die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg spielten daher in den Beziehungen zwischen Widerstand und Alliierten eine gewichtige Rolle, die Unterstützung einer deutschen Opposition war alles andere als unkompliziert. Trotzdem wurden vor allem in bestimmten Teilen des USUnited States-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes OSS konkrete Überlegungen zur Unterstützung des Widerstands in der Wehrmacht angestellt.
Allen Dulles vom OSS-Büro in Bern meinte, durch die Zusammenarbeit mit kollaborierenden Offizieren den Krieg um ein bis zwei Jahre verkürzen zu können. Daher sprach er sich für eine „Präzisierung“ der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation aus, um die deutsche Generalität zum Umsturz zu „ermutigen“. Präsident Roosevelt weigerte sich allerdings kategorisch, Derartiges auch nur in Betracht zu ziehen. Zudem versuchte Dulles in den unübersichtlichen Tagen nach dem 20. Juli noch einmal, die Westorientierung der Verschwörer zu nutzen, um die Einflussnahme der Sowjetunion in Deutschland zu begrenzen. Diverse Unterstützungsmöglichkeiten wurden in Erwägung gezogen, um das Momentum der Verschwörung aufrechtzuerhalten. Erkennbar ist dabei nicht bloß die Zukunftsorientierung des späteren Kalten Kriegers und CIA-Chefs Dulles, sondern auch, dass zumindest auf den unteren Ebenen westlicher Geheimdienste der Wille zur Unterstützung des deutschen Widerstands durchaus vorhanden war. Parallelen zu den Überlegungen in Geheimdienstkreisen offenbart auch ein Vorschlag von General Eisenhower, der nicht abgeneigt war, den Deutschen eine bessere Behandlung zukommen zu lassen, sofern sie die Waffen strecken. Auch hier griff Roosevelt aktiv ein, um jegliche Konzessionen zu verhindern. Es bestätigt sich, dass für die höchste Führung der Westalliierten lediglich eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld infrage kam.
Ein wenig anders sah es in der Sowjetunion aus. Hier war man deutlicher um eine Unterstützung des deutschen Widerstands bemüht. Da aber nur wenige Verbindungen zum militärischen Widerstand bestanden, war dies zumindest im Hinblick auf die Ereignisse des 20. Juli kaum möglich. Trotzdem rief der Radiosender des NKFD im Nachgang des Attentats zum allgemeinen Volksaufstand auf; und Pravda veröffentlichte eine Unterstützungsbekundung von gefangenen deutschen Generalen (u.a. Generalfeldmarschall Paulus). Die Sowjetunion setzte sich für den deutschen Widerstand also unerwarteterweise viel stärker ein als der Westen.
Das Scheitern des Umsturzes bestätigte dann allerdings die Wahrnehmung der deutschen Opposition als impotent und bedeutungslos. Nach dem „20. Juli“ hörte die innerdeutsche „Opposition der Generale“ als politische Größe in der Auslandswahrnehmung sowieso auf zu existieren.
Nachspiel
Mit Kriegsende wandelte sich die ausländische Perspektive auf den deutschen Widerstand erheblich. Obwohl die Sowjetunion 1944 versucht hatte, die „Generalsrevolte“ zu unterstützen, stilisierte sie in der Nachkriegszeit Kommunisten zu den alleinigen Trägern des deutschen Widerstands. Der Widerstand aus den Reihen der Wehrmacht wurde hingegen immer negativer betrachtet und schließlich als letztes, volksfernes Aufbäumen eines zugrunde gehenden Imperialismus verstanden.
Im westlichen Ausland kam es zur genau umgekehrten Entwicklung. Obwohl es noch eine Weile bis zur Rehabilitation der Verschwörer des „20. Juli“ dauerte, erfuhr der national-konservative Widerstand zunehmend eine moralische Aufwertung. Dies ging nicht zuletzt auf die einsetzende Konfliktlogik des Kalten Krieges zurück: Die Widerständler hatten selbst den Schulterschluss mit dem Westen als Schutz vor dem Bolschewismus angestrebt. Im Kalten Krieg wurden diese ideologischen Fronten nun real und traten in den Vordergrund. „Mit der Westorientierung des Widerstands wird die außenpolitische Grundentscheidung der Bundesrepublik für die westliche Wertegemeinschaft vorweggenommen,“ so der Historiker Ulrich Schlie. Zudem war der „20. Juli“ ein opportuner Anlass, um deutsche Traditionen, inklusive Militärtraditionen, vom Nationalsozialismus zu trennen und für den neuen Gegensatz zur Sowjetunion zu stabilisieren.
Fazit
Für das alliierte Ausland kam das Attentat vom 20. Juli 1944 verspätet. Zudem war es nicht erfolgreich. Daher war es sehr einfach, einen harten Kurs gegenüber dem gesamten deutschen Widerstand einzuschlagen. Die größere Bereitschaft der Sowjetunion, den Umsturz aktiv zu unterstützen, könnte darin begründet liegen, dass sie die Hauptlast des Krieges zu Lande trug und jedes Mittel zur Schädigung des Gegners begrüßte. Der Umstand, dass versucht wurde, die Verschwörer des „20. Juli“ mit begrenzten Mittlen zu unterstützen, lässt allerdings nicht darauf schließen, dass Stalin einer deutschen Militärregierung irgendwelche Friedenskonzessionen gewährt hätte. Die Westalliierten, die gerade erst dabei waren, eine zweite Front zu eröffnen, waren deutlich gewillter, die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu erzwingen. Allerdings sollten in diesem Zusammenhang eventuelle Sorgen bezüglich eines unvorsichtigen, sprich: kontraproduktiven Umgangs mit dem deutschen Widerstand nicht unterschätzt werden: „Dolchstoß“, Spaltung der Allianz und Kollektivschuldthese sind nur einige der Stichwörter, die bei der Konstruktion einer angemessenen kriegspolitischen Position gegenüber den Vorfällen des „20. Juli“ eine Rolle gespielt haben dürften. Angesichts dieser Komplexität und potenzieller Risiken ist es nicht verwunderlich, dass die Westtalliierten eine restriktive Deutung der Verschwörung präferierten, zumindest für die Dauer des Krieges – auch auf die Gefahr hin, den Motiven der Verschwörer des „20. Juli“ Unrecht zu tun.
Literaturhinweise
Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und den USAUnited States of America. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär, Darmstadt 2002.
Kettenacker, Lothar, „Die Haltung der Westalliierten gegenüber Hitlerattentat und Widerstand nach dem 20. Juli 1944“. In: Der 20. Juli: Das „andere Deutschland“ in der Vergangenheitspolitik. Hrsg. von Gerd R. Ueberschär, Berlin 1998, S. 22–46.
Klemperer, Klemens von, German Resistance Against Hitler. The Search for Allies Abroad, 1938–1945, Oxford 1992.