Dossier "20. Juli 1944"

Alarmierung der Kriegsschule Potsdam. Der „20. Juli 1944“ aus der Sicht eines Fahnenjunkers

Alarmierung der Kriegsschule Potsdam. Der „20. Juli 1944“ aus der Sicht eines Fahnenjunkers

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Der „20. Juli“ fand an vielen Orten seinen Niederschlag. Auch in Potsdam, dem Schauplatz des berüchtigten Handschlags zwischen dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und Adolf Hitler und Heimat des berühmten Infanterieregiments 9, wurde Alarm ausgelöst. 

Blick auf Hauptgebäude und Wache der neu eröffneten Kriegsschule in Potsdam

Weiterer Ort des Geschehens des "20. Juli": Die am 9. Januar 1936 eröffnete Potsdamer Kriegsschule.

Bundesarchiv, Bild 102-17369

Am Donnerstag, den 20. Juli 1944, wurde die Kriegsschule Potsdam wiederholt alarmiert. Zu welchem Zweck und mit welchem Auftrag – das war den Lehrgangsteilnehmern, wie Fahnenjunker Josef Beyer, zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Einsatzbereit warteten die Fahnenjunker bis in die Nacht. Dann erfuhren sie vom missglückten Attentat auf Adolf Hitler. Das vorliegende Selbstzeugnis reflektiert Jahrzehnte später die Ereignisse und wirft die Frage auf: Was wäre geschehen, wenn die Einsatzbefehle erfolgt und ausgeführt worden wären?

Unternehmen „Walküre“

Die Alarmierung der Kriegsschule Potsdam war ein Teil des Operationsplans „Walküre“. Dieser sah in seiner ursprünglichen Idee vor, unverzüglich Ersatz- und Ausbildungstruppen in der Heimat mobilzumachen, um diese gegen Aufstände im Inneren sowie zur Abwehr von Luft- beziehungsweise Küstenlandungen einzusetzen. Bereits 1941 waren hierzu auf ministerieller Ebene Operationspläne zur Mobilmachung und mögliche Einsatzszenarien erarbeitet worden. Ziel war es, binnen weniger Stunden verstärkte Kampfverbände formieren und in Marsch setzen zu können.

Henning von Treskow, Claus Schenk Graf von Stauffenberg sowie andere an ihrer Seite wirkende Widerstandskämpfer erkannten das Potenzial des Operationsplans „Walküre“, brachten sich in entsprechende Positionen und überarbeiteten den Plan seit 1943 nach und nach. Ihre Absicht war es, die mobilisierten Truppen nach einem Attentat auf Hitler Regierungszentralen sichern zu lassen, um eine Übergangsregierung zu errichten und damit die NSNationalsozialismus-Herrschaft zu beenden. Die vorliegende Quelle gibt einen Einblick in die Erfahrungswelt eines Fahnenjunkers an der Kriegsschule Potsdam, der die Ereignisse des 20. Juli 1944 für die Nachwelt in der Retroperspektive festgehalten hat.

Alarmierungen gehörten zum Ausbildungsalltag

Als am Samstag, den 15. Juli 1944, die Kriegsschule in Potsdam alarmiert wurde, war Stauffenberg erstmals mit einer Bombe im Führerhauptquartier in Ostpreußen. Doch die Bombe wurde nicht gezündet; die Gründe dafür sind unbekannt. Die Alarmierung wurde daraufhin beendet und als Übung deklariert. Aus den Schilderungen Beyers geht hervor, dass der Sinn und Zweck von den Lehrgangsteilnehmern nicht infrage gestellt wurde. Positiv blieb dem Soldaten der Ausfall eines 20-Kilometer-Marsches und das Lob von Generalen in Erinnerung. Die Hintergründe für die Alarmierung waren den Lehrgangsteilnehmern hingegen nicht bekannt. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Übungen und Alarmierungen durchaus zum Alltag von Ausbildungseinheiten gehörten.

Ausschnitt aus einem Bericht des Fahnjunkers Beyer zum 15. Juli 1944

15. Juli 1944: Erste Alarmierung der der Kriegsschule Potsdam

Bundesarchiv, MSG 2/887

Ausschnitt aus einem Bericht des Fahnjunkers Beyer zum 20. Juli 1944

20. Juli 1944: Zweite Alarmierung der Kriegsschule Potsdam.

Bundesarchiv, MSG 2/887

Unklare Lage

Am Nachmittag des 20. Juli 1944 spekulierten die wiederholt in Einsatzbereitschaft versetzten Lehrgangsteilnehmer auf ihren Stuben über die Hintergründe und malten sich die unterschiedlichsten Szenarien aus. Hier wird deutlich, dass die Fahnenjunker von der ursprünglichen Idee des Operationsplans „Walküre“ ausgingen und entsprechende Aufträge erwarteten, wie zum Beispiel den Einsatz im Osten, die Niederschlagung eines Fremdarbeiteraufstandes oder die Sicherung des Regierungsviertels in Berlin. Keinen Zweifel schien es an der Ausführung der nicht eindeutig kommunizierten Befehle gegeben zu haben – der Sinn und Zweck des Auftrags war den Fahnenjunkern nicht hinreichend bekannt. Erst in der Retroperspektive stellte sich Josef Beyer die Frage nach den möglichen Folgen: Was wäre wohl geschehen?

Was wäre, wenn?

Mit den Überlegungen zu „Was wäre, wenn?“ wird deutlich, welche Bedeutung der Kenntnis über Sinn und Zweck eines Befehls zuteil wird. Die Sicherung des Propagandaministeriums mit dem Ziel, eine bestehende Regierung zu stützen, steht eindeutig dem Ziel konträr gegenüber, ebendiese zu stürzen. Ein- und derselbe Befehl findet nur durch den Sinn und Zweck seine Bedeutung. So stellt sich letztendlich die Frage, ob der Fahnenjunker Beyer und seine Kameraden an der Kriegsschule Potsdam den Befehl zur Sicherung des Propagandaministeriums ausgeführt hätten, wenn sie die wahre Absicht der Befehlsgeber gekannt hätten.

Um etwaiger Irritation entgegenzuwirken und zur Sicherung der NSNationalsozialismus-Machtansprüche wurden die Lehrgangsteilnehmer einen Tag darauf nochmals auf den Führer eingeschworen und die Taten der Verschwörer verurteilt. Das Vorgehen gegen die Widerständler sollte dabei abschreckend wirken.

Quellenkritik

Bei der Quelle handelt es ich um eine maschinell vervielfältigte Darstellung eigener Erinnerungen rund 40 Jahre nach den Ereignissen vom 20. Juli 1944, die im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg unter der Signatur MSG 2/887 verfügbar sind. Der ehemalige Fahnenjunker Josef Beyer kannte zum Zeitpunkt der Entstehung des Schriftstücks im April 1985 den Ausgang der Geschichte und die Einordnung des „20. Juli 1944“. Es ist also davon auszugehen, dass einige Details und Schilderungen sich in der Erinnerung mit dem Wissen über den Ausgang der Geschichte vermischt haben. Es bleibt daher unklar, ob sich Beyer bereits 1944 Gedanken über das „Was wäre, wenn?“ gemacht hatte.

von Helene Heldt

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