Die Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung

Gemeinsam abwehrbereit

Gemeinsam abwehrbereit

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Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der gestiegenen Bedrohung der nord- und mittelosteuropäischen Staaten durch Russland ist die Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Fokus der Bundeswehr und der NATO gerückt. Bei der Frage, wie man sich diese vorstellen kann und was Nukleare Teilhabe heißt, lohnt ein Blick in die Zeit des Kalten Krieges.

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Panzermörser Typ M113 gehen beim Manöver TRUTZIGE SACHSEN in Niedersachsen vom 16.9.-17.9.1985 in Stellung

Bundeswehr / Matthias Zins 1985

Im Kalten Krieg zweifelte niemand in der Bundesrepublik an der Bedeutung der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung) für die Sicherheit des Bundesgebiets. Bei einer militärischen Konfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt wären die Bundesrepublik und die DDRDeutsche Demokratische Republik ohne Zweifel Hauptschauplatz der Auseinandersetzung geworden. Die Bundeswehr war daher exzellent ausgestattet und schnell einsatzfähig.

Seit 1989/90 und dem Ende des Kalten Krieges wähnte sich Deutschland »von Freunden umgeben«. In der Folge wurde die Bundeswehr mehrfach reduziert und umstrukturiert, ohne eventuelle Bedrohungen zu beachten. Der Fokus lag bis etwa 2015 ausschließlich auf Auslandseinsätzen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, dass eine drastische Umkehr dieser Entwicklung notwendig ist. Von einer »Zeitenwende« ist die Rede, die deutlich vor Augen führt, dass es ein Weiter so für die Bundeswehr nicht geben kann. Es geht darum, die volle Einsatzbereitschaft wiederherzustellen und die Zusagen gegenüber der NATO zu erfüllen. In diesem Zusammenhang gewinnen auch Fragen der LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung an Bedeutung. Die ursprünglichen Konzepte aus der Zeit des Kalten Krieges bieten hierfür einen ersten Ansatzpunkt.

Entwicklung der Vorneverteidigung
ZMSBw
Deutsche und alliierte Koprs an der innerdeutschen Grenze
ZMSBw

General Defense Plan

Die LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung folgte im Kalten Krieg den Planungsvorgaben des General Defense Plan (GDP). Denn ein Angriff auf die Bundesrepublik hätte zur Antwort des ganzen Bündnisses geführt. Ausgehend von einer Direktive des NATO-Oberbefehlshabers Europa (SACEURSupreme Allied Commander Europe ) hatten die beiden Army Groups zwischen Elbe und Alpen (NORTHAG und CENTAG) für jedes der eingesetzten (nationalen) Korps Vorgaben gemacht und Grenzen bestimmt. Diese mündeten dann in den GDP beziehungsweise in Operationspläne der Korps, Divisionen und Brigaden. Insgesamt handelte es sich beim GDP um Planungsdokumente, die alle zwei bis drei Jahre überprüft, aktualisiert und/oder neu gefasst wurden.

Unterhalb der Brigadeebene, bei den Bataillonen und selbstständigen Kompanien der Brigaden gab es keinen GDP, sondern konkrete Operationsbefehle, die für den ersten Kriegstag gegolten hätten. Danach war alles dem sprichwörtlichen System der Aushilfen unterworfen.

In diesem SACEURSupreme Allied Commander Europe GDP waren die verschiedenen Korps aus den Niederlanden, Belgien, den USAUnited States of America, Großbritannien und der Bundesrepublik gestaffelt und im Sinne der so grenznah wie möglichen Vorneverteidigung eingesetzt. In einfachen Grafiken wurde dies dann als »Schichttorte« bezeichnet. Die Präsenz dieser alliierten Korps an der innerdeutschen Grenze war dabei mehr als nur eine Verteidigung der Bundesrepublik. Sie war sichtbarer Ausdruck der Bündnisverteidigung.

Wer verteidigt Deutschland – und damit den Westen?

In der Bundesrepublik waren bis zum Ende der Blockkonfrontation Streitkräfte aus zahlreichen Partnerstaaten der NATO in unterschiedlichem Umfang stationiert, insgesamt wohl mehr als eine Million Soldaten mit mehr als 8000 Kampfpanzern. Die Kontingente waren von unterschiedlicher Qualität und auch nicht immer in den Regionen stationiert, in denen ihr Gefechtsstreifen liegen sollte: Die niederländischen Truppen beispielsweise waren zum Großteil in ihrem Heimatland stationiert, sollten aber im Verteidigungsfall einen Gefechtsstreifen südlich von Hamburg verteidigen. Ihr Aufmarsch wäre, wie bei anderen Kontingenten auch, damit eine erste große Herausforderung geworden.

Bei der Bundeswehr war dies in Teilen anders: Die für die Verzögerung eingeplanten hochpräsenten Verbände (Personal- und Materialausstattung über 90 Prozent), meistens Brigaden, waren vielfach an der damaligen innerdeutschen Grenze stationiert. So lagen zum Beispiel die Panzerbrigade 2 in Braunschweig, die Panzerbrigade 6 in Hofgeismar/Hessen und die Panzergrenadierbrigade 35 um Hammelburg in der Rhön. Sie wären umgehend einsatzbereit gewesen und besaßen somit eine ausgezeichnete Kaltstartfähigkeit. Ob eine solche Landes- und Bündnisverteidigung aus dem Stand notwendig geworden wäre, ist unklar.

Einberufungsbescheid
ZMSBw / Heinemann

Chancen auf Alarmierung?

In den Zeiten des Kalten Krieges gingen NATO und Bundeswehr von einer Vorwarnzeit – ungeachtet etwaiger blitzartiger Raketenangriffe – von etwa 48 Stunden aus, um die Truppen zu alarmieren und die Landstreitkräfte in die Einsatzräume ausrücken zu lassen. Eine vorausgehende politische Krise hätte vielleicht mehr Zeit geben können, sich auf den Verteidigungsfall vorzubereiten. Zugleich war die Auslösung des Alarmfalls immer mit dem Risiko verbunden, die Lage weiter zu eskalieren.

Die Bundeswehr hatte einen Friedensumfang von rund 495 000 Mann, der im Krieg auf mehr als 1,2 Millionen hätten aufwachsen sollen. Die für diesen Fall eingeplanten Reservisten bewahrten ihre persönliche Ausrüstung zumeist zu Hause auf. Sie hatten einen Einberufungsbescheid mit Stichworten wie »Brauner Fuchs« oder »Weißer Fisch«. Wäre im Rundfunk ein solches Codewort ausgerufen worden, hätten die Reservisten – so die Annahme – sofort bereitgestanden.

Die Verdreifachung der Bundeswehr im Verteidigungsfall sah die Auffüllung zahlreicher personell nur teilweise bestehender, »gekaderter« und »Geräteeinheiten« mit in Depots bereitgehaltenem Material vor. Zusätzlich hätte die Bundeswehr von zivilen Firmen Lastkraftwagen, Baugeräte und sonstiges notwendiges und hilfreiches Material bekommen sollen – dazu gab es entsprechende Heranziehungsbescheide. Ob alles Gerät auch zur Verfügung gestanden hätte, ist unklar. Tatsächlich hat die Bundeswehr nur einmal, 1988 in der Übung »Landesverteidigung 88«, in größerem Umfang die Mobilisierung von Reservisten und Gerät geübt.

Im Gegensatz zum Territorialheer und den übrigen Heeressoldaten war die Luftverteidigung der NATO »24/7«, also rund um die Uhr, im Dienst. Die Luftraumüberwachung, die Flugabwehrraketentruppe und die Jagdflieger der Allianz waren ständig einsatzbereit. Gleiches galt für die Masse der Luftangriffskräfte und solche Verbände, die in die Nukleare Teilhabe der NATO eingebunden waren. (siehe Beitrag Abschreckung)

Kampfpanzer vom Typ Leopard 2

Übung für den Ernstfall: Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 der 5. Panzerdivision während des Manövers »Goldener Löwe« im Schwalm-Eder-Kreis 1987.

dpa / Süddeutsche Zeitung Photo

Landesverteidigung konkret

Die ersten Verbände des Heeres, die im Verteidigungsfall eingesetzt worden wären, waren die Verzögerungsverbände. Ihre Aufgabe war, mit hinhaltendem Widerstand – Verteidigung, Gegenangriff, Ausweichen etc. – den Gegner wenigstens 24 Stunden aufzuhalten und besser noch ebenfalls abzunutzen. Diese Verbände waren in der Regel kampfstarke Brigaden des Heeres, oftmals gar Panzerbrigaden, die mit der Einführung des Leopard 2 als besonders schlagkräftig galten.

So hatte die Panzerbrigade 6 laut ihrem GDP 1987 den Auftrag, vor dem Vorderen Rand der Verteidigung (VRV) der 2. Panzergrenadierdivision zwischen Göttingen und Eschwege »an der innerdeutschen Grenze [zur damaligen DDRDeutsche Demokratische Republik] beginnend solange wie möglich, jedoch mindestens 24 Stunden« den Gegner hinzuhalten und abzunutzen. Die Brigade hätte neben ihren eigenen Truppen (vier Kampftruppen- und ein Panzerartilleriebataillon) und den Brigadeeinheiten (eine zusätzliche Panzerpionierkompanie) einen zweiten leichten Panzeraufklärungszug, einen Schwarm Panzerabwehrhubschrauber sowie einen Flugabwehrkampfverband mit einem guten Dutzend Flugabwehrkanonenpanzern Gepard erhalten. Mit diesen Kräften hätte die Brigade das Gefecht aufnehmen sollen.

Die innerdeutsche Grenze ragte in dieser Region pfeilförmig an den VRV heran und war teilweise weniger als 5 Kilometer von ihm entfernt. Damit war die Verzögerung in diesem grundsätzlich verteidigungsgünstigen, welligen und bewaldeten Gelände schwierig.

»Verzögerungsgefecht«

Um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein, hatte die Brigade schon zu Friedenszeiten regelmäßig mit Geländeerkundungen Stellungen zu identifizieren, aus denen heraus der Feind mit drei gemischten Panzerbataillonen bekämpft werden konnte. Ein weiteres Bataillon wurde als Brigadereserve bereitgehalten. Ebenso kannte die Artillerie der Brigade ihre Feuerstellungsräume, um über die ganze Breite des Gefechtsstreifens (immerhin 50 Kilometer!) »Unmittelbare Feuerunterstützung« geben zu können.

Damit diese Verzögerung überhaupt möglich werden konnte, waren weitere Vorbereitungen notwendig: Die in den Verteidigungskreiskommandos vorhandenen und regional zuständigen Wallmeistertrupps hätten die vorbereiteten Sperren, also bereits im Frieden präparierte Straßen- und Brückensprengungen, jetzt »geladen« und der Kampftruppe übergeben. Diese hätte sie zur passenden Zeit ausgelöst. Die Pionierkompanie der Brigade hatte weitere feldmäßige Sperren anzulegen, um den Feind auf wenige gut zu verteidigende Korridore zu kanalisieren. Dazu wären Wurfminensperren gekommen, die lagebezogen schnell und effizient motorisierte Verbände blockieren konnten. Wichtig wäre aber ebenso die Freihaltung von Gewässerübergängen gewesen, über die die eigenen Kräfte im Zuge der Verzögerung hätten ausweichen müssen. Nicht umsonst hatte die Bundeswehr damals vielfältig spezialisierte Pionierkräfte. Weiterhin war die Versorgung der Brigade mit Munition, Treibstoff und weiteren Versorgungsgütern aus vorgeschobenen Depots bereits im Frieden geplant. Insgesamt wäre also schon das Verzögerungsgefecht eine komplexe Angelegenheit geworden, was für die anschließende Verteidigung am VRV ebenso zutraf.

GDP Panzerbrigade 6, 1987

Im Gefechtsstreifen der 2. Panzergrenadier­division wird der Angriff von 5 Regimentern aus 3 Motschützendivisionen in erster taktischer Staffel erwartet mit Schwerpunkt südlich Göttingen im Zuge der Enge Friedland.

Nach der Verzögerung sollten die verbliebenen Teile dieser Brigade als Reserve des III. Korps eingesetzt werden; mit Ausnahme ihres Panzerartilleriebataillons (»Artillerie bildet keine Reserven!«). Für den Einsatz von Luftstreitkräften im Close Air Support (Luftnahunterstützung gegen Ziele am Boden) hielt der GDP der Panzerbrigade 6 lapidar fest: »Die Zuweisung […] erfolgt abhängig von den verfügbaren Mitteln gemäß den […] gesetzten Prioritäten. Die Panzerbrigade 6 liegt nicht im Schwerpunkt.« (Panzerbrigade 6, Befehl für die Verzögerung, GDP 1/87.) Damit war wenig Hilfe aus der Luft zu erwarten.

Der Feind

Alle Planungen zur Landesverteidigung richteten sich an den konventionellen Streitkräften des Warschauer Paktes aus, die den Kräften der NATO erheblich überlegen waren – wenigstens auf dem Papier und in der damaligen »Übungsgliederung ROT«. Dies spiegelt sich im GDP der Panzerbrigade 6 aus dem Jahr 1987 wider.

Der GDP ging davon aus, dass die Feindkräfte schnell einen Übergang über die 20 bis 30 Kilometer weiter westlich fließenden Werra und Weser erreichen wollten. Dazu besaß die 3. Armee der NVANationale Volksarmee mit ihren drei Divisionen (in der NATO entsprach dies einem Korps) 756 Kampfpanzer T-55, 496 gepanzerte Transportfahrzeuge BTR 60/70 sowie 282 Schützenpanzer BMP-1, 411 Artilleriegeschütze und 54 Mehrfachraketenwerfer. Dem standen in der 2. Panzergrenadierdivision insgesamt 199 Kampfpanzer Leopard 1 und 2, 108 Schützenpanzer Marder, 54 Panzerhaubitzen 155 mm sowie 36 Feldhaubitzen 155 (gezogen durch LKw) und 203 mm (auf Selbstfahrlafette) und 16 Mehrfachraketenwerfer gegenüber. Die numerische Überlegenheit des Angreifers war mehr als offensichtlich und wurde durch weitere Armeetruppen, denen die Bundeswehr nichts Vergleichbares entgegensetzen konnte, erdrückender. Noch schlimmer wäre es geworden, wenn die mobilisierbare weitere Armee der NVANationale Volksarmee aus Mobilmachungstruppenteilen und Unteroffizierschulen als 2. Taktische Staffel auf dem Gefechtsfeld angekommen wäre.

Die Bundeswehr war zwar davon überzeugt, dass sie moderne Kampfpanzer besaß. Das traf insbesondere für den Leopard 2 mit seinen technischen Fähigkeiten zu. Dennoch gilt fraglos, dass die Masse der Kampfpanzer des Warschauer Paktes die höhere Qualität westlicher Gefechtsfahrzeuge ausgeglichen hätte.

Der Durchbruch der Truppen des Warschauer Paktes durch den VRV war wahrscheinlich. Deswegen besaßen damals in der NATO taktische Atomwaffen, zum Beispiel der Divisionsartillerie, eine besondere Bedeutung. Sie hätten einen solchen Durchbruch beenden können, zugleich aber im Rahmen der NATO-Strategie der »Flexiblen Antwort« fraglos eine Eskalation bedeutet. (siehe Beitrag Abschreckung) Möglicherweise, dazu schweigen sich die Quellen aus, obwohl Zeitzeugen solche Gedanken erwähnen, hätte die NATO mit einem demonstrativen Atomwaffeneinsatz, zum Beispiel einem sogenannten Airburst über der menschenleeren Ostsee, ein Signal setzen und den Gegner zur Einstellung der Kampfhandlungen bewegen wollen.

Das Luftverteidgungssystem der NATO
ZMSBw

Friktionen

Die angesprochene konventionelle Unterlegenheit der NATO, die im Kampfgebiet lebende Bevölkerung, Probleme beim Aufmarsch und die hohe Abhängigkeit der Bundeswehr von ihren Reservisten für ein Funktionieren im Krieg wären die augenfälligsten Schwachpunkte in einem heißen Krieg gewesen.

Die größte Unbekannte lag aber im Wesen des Krieges: Würde die im GDP umfassend geplante Verteidigung funktionieren – nicht nur bei den deutschen, sondern auch bei den alliierten Truppen? Wie würde der Gegner handeln, wenn der schnelle Erfolg versagt bliebe? Der Warschauer Pakt besaß riesige Vorräte an Atom- und Chemiewaffen und hatte das Gefecht unter den Bedingungen ihres Einsatzes immer wieder geübt. Wäre ein solches Szenario möglich? Und würde die NATO im Krisenfall zu den Atomwaffen greifen? Welche Reaktion wäre wiederum darauf gefolgt? Diese Fragen blieben – zum Glück – im Kalten Krieg unbeantwortet, denn es kam nicht zu einem großen Kriegsszenario zwischen den Machtblöcken.

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der deutschen Wiedervereinigung hatten sich solche Fragen dann scheinbar rückstandslos aufgelöst. Deutschland war »umzingelt von Freuden«, wie Bundesverteidigungsminister Volker Rühe es in den 1990er Jahren formulierte. Dass sich die Zeiten heutzutage grundlegend geändert haben und militärische Macht wieder zu einem Mittel der Politik in Europa geworden ist, kann jeder täglich im Fernsehen sehen. Der lateinische Grundsatz »Si vis pacem, para bellum« ist damit keine Modewendung mehr, sondern offensichtlich das Gebot der Stunde. Die Verteidigung der NATO kann man planen. Historische Anleihen sind, bei aller Zurückhaltung hinsichtlich der Vergleichbarkeit, reichlich vorhanden, das technische Gerät im Prinzip auch. Die dazu notwendige Verteidigungsbereitschaft eines Volkes wird derzeit beispielhaft durch die Bevölkerung der Ukraine demonstriert. Militärisch gesehen aber bleibt ein Prinzip bestehen: Gleichgültig was vorbereit wird, »am zweiten Tag wird geführt!«

Logistik als Waffe

Zuletzt ein paar Anmerkungen zur Komplexität der Landesverteidigung im Kalten Krieg: Für die Armee der 500 000 aktiven Soldaten und das Heer der Wehrpflichtigen gab es bis in die späten 1980er Jahre hinein Sonderzüge. Diese fuhren die Wehrpflichtigen an den Wochenenden im regulären Fahrplan der Deutschen Bundesbahn zehn Minuten vor dem eigentlichen Intercity aus den Stationierungsräumen in die Heimat. Für den Bahntransport von Kettenfahrzeugen der Bundeswehr hielten die Bundesbahn und zahlreiche kleinere Privatbahnen tausende Flachwagen vor. Die Panzertruppe übte damals auch das Verlassen solcher Flachwagen außerhalb der Verladestellen nach dem Motto: Turm auf 3 Uhr, Hochachsdrehung um 90 Grad und dann langsam herunterfahren. Zahlreiche Schulen und Kasernen waren als Hilfskrankenhäuser identifiziert und wären im Verteidigungsfall als solche genutzt worden.

Für Bundes-, Landes- und sonstige Regierungen gab es Ausweichsitze, teilweise unter Schulen oder an entlegenen Orten. (siehe Zivile Verteidigung) Die Militäraufklärung Ost der Nationalen Volksarmee und die Stasi der DDRDeutsche Demokratische Republik wussten allerdings recht genau, wo sich diese befanden. Und sie wussten auch, wo die Sonderwaffenlager (Special Ammunition Sites, SAS) in der Bundesrepublik Deutschland waren.

Einsatzkarte EFP

Das neue Vorfeld: Einsatzkarte über die Stationierung der Enhanced Forward Presence Battle Groups (EFPEnhanced Forward Presence).

Bundeswehr

Und heute?

All das gibt es heute nicht mehr. Dafür hat die Bundesrepublik Deutschland heute ein Vorfeld in Ostmitteleuropa. In diesen Staaten, unter anderem Polen und den baltischen Staaten, stellt man sich nun zu Recht die Frage nach den verfügbaren Mitteln und dem Willen der Partner zur Landesverteidigung, die nur im Bündnis Aussicht auf Erfolg haben kann. Eine nahtlose Verteidigungslinie wie die der früheren Schichttorte, bei der ein Angreifer sofort auf eine Allianz verbündeter Staaten trifft, wird sich indes an der Ostgrenze der NATO aus drei Gründen nur schwerlich aufbauen lassen: Es fehlt jetzt die Zeit, die Ausrüstung und das Personal, um eine derartige tragfähige oder gar lückenlose Verteidigung aufbauen zu können. Ersatzweise wäre die Stationierung weiterer Kräfte an der Ostflanke der NATO ein deutliches politisches und militärisches Signal, das ein Funktionieren der Abschreckung ermöglichen könnte. Für den Zusammenhalt der NATO wäre es zudem unverzichtbar.

Literaturtipps

Gerd Bolik/Heiner Möllers, Eine Black Box. Anmerkungen zu den Verteidigungsplanungen der NATO (1960-1990). Online beim Portal Militärgeschichte, 05.09.2022.
Gerd Bolik, NATO-Planungen für die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg, Berlin 2021.
Siegfried Lautsch, Kriegsschauplatz Deutschland. Erfahrungen und Erkenntnisse eines NVANationale Volksarmee-Offiziers, Potsdam 2013.

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DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-586


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