Was ist hybride Kriegführung?
Was ist hybride Kriegführung?
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Am 24. Februar 2022 startete Russland seinen offenen militärischen Überfall auf die Ukraine. Bis dahin nutze Moskau militärische Mittel vor allem in indirekter und verdeckter Form in der Grauzone. Eigene Ziele in Bezug auf die Ukraine wurden in Kombination mit nicht-militärischen Methoden vorangetrieben. Hybride Kriegführung ist das Stichwort.
Die überraschende Übernahme der Krim durch maskierte russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen im Februar/März 2014 und die anfängliche Leugnung des Kreml, damit in Verbindung zu stehen, haben das Bild einer hybriden Art der Kriegführung weltweit geprägt. Die weitere Entwicklung im Osten der Ukraine mit nachbarstaatlich gestütztem Separatismus und der bewaffneten Errichtung und militärischen Absicherung der neu geschaffenen sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk/Lugansk, unter Rückgriff auf unter anderem »im Urlaub befindliche russische Kämpfer«, hat diese Wahrnehmung weiter verstärkt. Acht Jahre lang stand anschließend das Streben nach plausibler Abstreitbarkeit einer offiziellen Beteiligung Moskaus im Mittelpunkt des russischen Agierens im hybriden Stellungskrieg im Donbas.
Mit seinem großangelegten Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist Russland aus dem Schattenbereich zwischen Krieg und Frieden sowie zwischen Freund und Feind herausgetreten. Nicht mehr indirekte und verdeckte geheimdienstlich-militärische Operationen und das Agieren über Stellvertreter bestimmen seither das Handeln, sondern der offene, direkte militärische Schlagabtausch zwischen den russischen und ukrainischen Streitkräften. Bedeutet dies das Ende hybrider Kriegführung im Kampf um die Ukraine?
Was ist hybride Kriegführung?
Hybride Kriegführung ist eine spezifische Form der Kriegführung, die sich anhand von drei zentralen Merkmalen und deren Interaktion beschreiben lässt. Diese beziehen sich auf den Entscheidungsraum, die Operationsführung und den Mittel-/Methodeneinsatz. Je nach Ausprägung dieser Merkmale lassen sich darauf basierend Art und Grad der Hybridität einer Auseinandersetzung bestimmen.
Entscheidungsraum: Im Rahmen hybrider Kriegführung werden unterschiedliche Domänen und Dimensionen als eigenständige Handlungsfelder miteinander kombiniert, wodurch das Gefechtsfeld erweitert wird. Dies schließt Domänen wie Politik, Diplomatie, Information, Wirtschaft, Finanzen, kritische Infrastruktur, Technologie, Militär, Gesellschaft und Kultur ein. Auch weiche Dimensionen wie Legitimität und Moral kommen im Rahmen hybrider Kriegführung regelmäßig zum Tragen. Wichtig ist, dass die Gesamtentscheidung im Rahmen hybrider Kriegführung primär auf nicht-militärischen Gravitationsfeldern – also Schwerpunkten des zielgerichteten und entscheidungssuchenden Handelns –, oftmals auch in domänübergreifender oder kombinierter Form, angestrebt wird. Hybride Kriegführung ist damit weit mehr als der rein militärische Kampf. Militär kann im Rahmen hybrider Kriegführung zum unterstützenden Element einer Gesamtentscheidung auf nicht-militärischen Gravitationsfeldern werden.
Operationsführung: Hybride Kriegführung kennzeichnet sich durch das Operieren in Grauzonen von Schnittstellen. Diese bilden sich in den schwer zu fassenden Bereichen zwischen Krieg und Frieden, Freund und Feind, innerer und äußerer Sicherheit, ziviler und militärischer Verantwortung, Wahrheit und Lüge, legalen und illegalen Methoden des Vorgehens sowie staatlichen und nicht-staatlichen Akteurskategorien. Damit schafft hybride Kriegführung bewusst Ambiguitäten und löst gezielt traditionelle Ordnungskategorien und Verantwortungsbereiche auf. Lagefeststellung und Entscheidungsfindung des Gegners werden so paralysiert und seine Reaktionsmöglichkeiten begrenzt. Vor dem Hintergrund des Operierens im Grauzonenbereich von Schnittstellen kann hybride Kriegführung auch als Schattenkriegführung oder Grauzonenkriegführung bezeichnet werden.
Mittel-/Methodeneinsatz: Hybride Kriegführung kombiniert unterschiedlichste, zivile und militärische, reguläre und irreguläre sowie offene und verdeckte Mittel, Methoden, Taktiken und Strategien auf besonders kreative Art und Weise. Sie verbindet Elemente miteinander, die ansonsten eher getrennt voneinander zu sehen sind. Dabei entstehen immer wieder neue hybride Mischformen, bei denen Vorgehensweisen und Konzepte, auch hierarchie- und ebenenübergreifend, unorthodox miteinander verbunden werden. Mittel und Methoden der Diplomatie (z.B. in Form von Scheinverhandlungen), der Desinformation, der Propaganda, des Wirtschaftskrieges (z.B. in Form der Blockade von Wirtschaftsbeziehungen, Handelsströmen, Versorgungsketten), der militärischen Konfrontation oder auch des gesellschaftlichen Kulturkampfes können dabei miteinander orchestriert werden. Im militärischen Bereich kann das zum Beispiel die Kombination aus konventioneller Kriegführung und Guerilliakriegführung bedeuten.
Vergleichbar einem Schweizer Taschenmesser mit seiner intelligenten Kombination einer Vielzahl von harten, weichen und manchmal auch smarten Instrumenten ermöglicht hybride Kriegführung das Operieren entlang unterschiedlicher Handlungsvektoren – d.h. zielgerichteten domänenbezogenen Handlungsoptionen – passgenau im Grauzonenbereich diverser Schnittstellen. Die Klinge des Messers kann dabei als Symbol der militärischen Dimension verstanden werden. Sie ist im Kontext und in enger Verbindung mit allen anderen Instrumenten zu sehen. Im Unterschied zum Schweizer Taschenmesser kommen im Rahmen hybrider Kriegführung die verschiedenen Instrumente aber auch gleichzeitig zum Einsatz.
Was ist neu an hybrider Kriegführung?
Hybride Formen der Kriegführung sind so alt wie die Geschichte von Krieg und Konflikt. Der Kampf um Troja und die Sage vom hölzernen Pferd lassen grüßen. Nichts daran ist grundsätzlich, d.h. dem Wesen nach, neu. Das bedeutet auch, Krieg und Strategie müssen nicht neu definiert werden, um hybride Kriegführung verstehen zu können. Die empirischen Erscheinungsformen hybrider Kriegführung sind jedoch immer wieder neu und in besonderem Maße kreativ gestaltbar: Die horizontale Erweiterung des Gefechtsfeldes, die Nutzung und Verbindung unterschiedlicher Domänen und Dimensionen zum Zweck des Krieges, das Operieren in den Grauzonenbereichen diverser Schnittstellen wie auch die Kombination unterschiedlichster Mittel und Methoden, Taktiken und Strategie eröffnen nahezu unendliche Kombinationsmöglichkeiten.
Was tendenziell als neu betrachtet werden kann, ist die gesteigerte Bedeutung des Faktors Technologie. So tragen insbesondere die Technologien des Informationszeitalters – unter anderem der Cyberraum, Soziale Medien, bis hin zu jüngeren Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz und Big Data – zu einer »Ertüchtigung« von Hybridakteuren, d.h. Akteuren die sich hybrider Methoden der Kriegführung bedienen, bei. Der Rückgriff auf diese Möglichkeiten erhöht tendenziell deren Handlungsreichweite und Erfolgsaussichten, verbilligt ihr Handeln bei gleichzeitig reduziertem Eigenrisiko und erweitert das Spektrum von Hybridakteuren, gerade auch nicht-staatlicher Art. Dies ermöglicht eine neue Dimension der Kriegführung insbesondere im Informationsraum als einem zentralen Gefechtsfeld oder Mosaikstein und schafft gleichzeitig mit dem Cyberraum eine gänzlich neue Domäne hybrider Kriegführung. Diese beiden strategischen Räume sind für hybrides Agieren auch deshalb so interessant, weil sie einerseits nicht unerhebliche Schnittmengen aufweisen und sich andererseits mit ihren Instrumenten und Methoden auch im jeweils anderen strategischen Raum gezielt auswirken können. Das kann Cyberoperationen im Informationsraum wie auch Informationsoperationen im Cyberraum beinhalten. Über Einflussnahme, Desinformation und Propaganda können damit heute technologiegestützt politische Ziele erreicht werden, für die man im »Alten Rom« noch die Legionen hätte in Marsch setzen müssen.
Ambiguität und der Krieg in der Grauzone
Die Akteure hybrider Kriegführung, sogenannte Hybridakteure, streben in der Regel danach, ihre Rolle als Konfliktpartei zu verschleiern oder umzudeuten. Dazu agieren sie verdeckt oder indirekt über Stellvertreter und entwickeln Narrative, die ein plausibles Abstreiten ihre Rolle ermöglichen. Sie erreichen es so, dass ein bestimmtes Handeln ihnen nicht (eindeutig) zugerechnet werden kann. Diese Nicht-Zurechenbarbeit ist ein ganz wichtiges Element von Ambiguität und diese ein zentrales Wesensmerkmal hybrider Kriegführung. Mit den Mitteln hybrider Kriegführung operierende Akteure streben grundsätzlich danach, Eindeutigkeiten zu vermeiden sowie traditionelle Ordnungskategorien und Verantwortungsbereiche aufzulösen. Damit versuchen sie, die Lagefeststellungs- und Entscheidungsfindungsprozesse ihrer Opfer und Gegner zu paralysieren und so eine Abwehr und geordnete Gegenreaktion möglichst zu verhindern oder zu lähmen. Eine solche Ambiguität oder auch Hybridität wird dabei durch das gezielte Operieren im Grauzonenbereich diverser Schnittstellen erzeugt.
- Schnittstelle Krieg und Frieden: Der hybride Krieg wird geführt – oftmals in verdeckter oder indirekter Form –, aber nicht erklärt.
- Schnittstelle Freund und Feind: Der »Frenemy« ist ein schwer zu handhabender Hybridakteur, da er nicht eindeutig als Gegner verortet werden kann oder darf.
- Schnittstelle innere und äußere Sicherheit: Hier werden Zuständigkeitsfragen und die Frage nach der Gesamtverantwortung virulent. Wer ist zuständig, wenn sich zum Beispiel der externe hybride Gegner schon im eigenen Land befindet und im Zusammenwirken mit lokalen Akteuren aus dem Inneren unter anderem mit militärischen Mitteln agiert? Vor einer vergleichbaren hybriden Herausforderung stand die Ukraine 2014.
Für Russland war es 2014 mit Blick auf die Krim und den Donbas sowohl möglich als auch sinnvoll, dem Ansatz hybrider Schattenkriegführung zu folgen. Die notwendigen Voraussetzungen dafür waren gegeben: Zum einen war die Unterstützung durch die lokale Bevölkerung vorhanden. Auf der Krim konnte Russland beinahe wie auf heimischem Boden operieren. Im Donbas war ein Agieren über substanzielle Stellvertreter in Form der pro-russischen Separatisten möglich. Zum anderen ergaben sich durch die engen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und familiären Verflechtungen beider Länder, vielfältige Anknüpfungspunkte für hybrides Agieren nicht-militärischer Art. Das bedeutet, politische Ziele waren für Russland primär durch Methoden der Einflussnahme, Unterwanderung, Subversion, aber auch durch Drohung, Bestechung und Erpressung erreichbar. Eine weitergehende militärische Eskalation war dafür gar nicht notwendig. Diese Art des Vorgehens musste aus russischer Sicht gleichzeitig sinnvoll erscheinen, weil ein zu offenes Vorgehen nur unnötig Klarheit und Handlungssicherheit für die Ukraine geschaffen und den Widerstand des Landes und seiner Bevölkerung wie auch der internationalen/westlichen Staatengemeinschaft provoziert hätte.
Ziele hybrider Kriegführung
Die physische Vernichtung von Streitkräften steht in der Regel nicht im Mittelpunkt hybrider Kriegführung. Da es eines der Wesensmerkmale hybrider Kriegführung ist, das Gefechtsfeld horizontal zu entgrenzen, kann letztendlich alles zum Angriffsziel werden. Der Zusammenhalt einer Gesellschaft kann ebenso angegriffen werden wie die Moral eines Akteurs oder die Legitimität politischer Zielsetzungen. Sämtliche Domänen wie Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Finanzen, aber auch die Versorgungslage oder die kritische Infrastruktur sind dabei als potenzielle Ziele einzubeziehen.
Der Informationsraum ist heute ein besonders einfach, kostengünstig und gefahrlos anzugreifendes Ziel. Über den Cyberraum ergeben sich gerade hier neue Angriffsvektoren. Dazu müssen nicht gepanzerte Streitkräfte in Raum und Zeit bewegt und Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Die Bewegung von Bits und Bytes kann genügen. Aber auch andere weiche Faktoren wie Recht, Geschichte, Kultur und Legitimität können zu eigenständigen Gefechtsfeldern im Rahmen hybrider Kriegführung werden. So lässt sich beispielsweise über gezielte Uminterpretation von Geschichte und die Verbreitung entsprechender Narrative die Existenzberechtigung von Staaten infrage stellen, wie dies jüngst der Ukraine widerfahren ist. Selbstverständlich können auch die Streitkräfte zum Angriffsziel hybrider Akteure werden, insbesondere wenn diese in Relation zum Gegner schwach oder in ihrem Handeln eingeschränkt sind. Hier steht dann aber in der Regel nicht die physische Vernichtung, sondern die geistig-moralische Paralysierung im Mittelpunkt.
Ein besonderes Bestreben hybrider Akteure ist es – ähnlich wie bei einem Boxkampf –, den Kopf und damit das Nervenzentrum des Gegners zu treffen. Das Gegenüber soll bereits in seiner Lagefeststellung und Entscheidungsfindung paralysiert werden. Dies kann unter anderem durch eine Flut an Informationen und widersprüchliche Aussagen geschehen, um so eine zeitgerechte und entschlossene Abwehr und Gegenreaktion zu verhindern.
Hybridakteure zielen regelmäßig auf die spezifischen Verwundbarkeiten an Schnittstellen. Damit versuchen sie, die Schwachstellen der Nicht-Zuständigkeit und der mangelnden Gesamtverantwortung zu treffen. Die damit verbundene Problematik zeigt sich etwa an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Sicherheit. In Deutschland wäre allein auf Bundesebene dabei eine Reihe verschiedener Ressorts (u.a. das Auswärtige Amt, das BMIBundesministerium des Innern, das BMVgBundesministerium der Verteidigung) wie auch das Bundeskanzleramt betroffen. Da jedes Ressort jedoch auf den eigenen Kernbereich fokussiert ist, nicht aber auf die Peripherie oder Schnittstelle zu den Nachbarn, liegen genau hier die strukturellen Schwachpunkte einer staatlichen Gesamtverteidigung gegen Hybridangriffe.
Methoden und Strategien hybrider Kriegführung
Im Rahmen hybrider Kriegführung sind wiederkehrende Muster von Methoden und Strategien feststellbar. Ein gängiges Muster sind sogenannte Multivektorangriffe, das heißt simultan auf verschiedenen Domänen und entlang einer Vielzahl von Vektoren vorgetragene Angriffe. Ziel ist es dabei, entweder die gegnerische Abwehr zu übersättigen, Lücken zu identifizieren und diese zu infiltrieren oder aber auf die hybride, paralysierende Schockwirkung der kumulierten Einzelangriffe zu setzen. Letzteres wäre vergleichbar mit der Wirkung einer Schrotgarbe, bei der nicht die physische Wirkung des einzelnen Schrotkorns entscheidet, sondern die kumulierte psychische Schockwirkung der gesamten Garbe.
Ein anderer Ansatz ist der des Fait Accompli. Dieser setzt auf eine maximale Nutzung des Überraschungsmoments und das Unterlaufen von Abwehr- und Gegenmaßnahmen auf der Zeitachse. Ziel ist es dabei, den Status Quo einer Situation so zu verändern, dass diese anschließend kaum mehr mit vertretbarem Aufwand rückgängig gemacht werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die bereits angesprochene Übernahme der Krim 2014.
Von allergrößter Bedeutung sind im Rahmen hybrider Kriegführung Ansätze, die auf die schleichende Veränderung des Status Quo einer Situation in Zeitlupe, d.h. in kleinen Schritten, scheibchenweise, sehr langfristig, indirekt und verdeckt bauen. Ein solcher Tarnkappenansatz im Schneckentempo setzt insbesondere auf die Nutzung des Faktors Zeit in Verbindung mit Unsichtbarkeit. Wenn es für den Hybridakteur gut läuft, bleibt er dabei möglichst lange unentdeckt, d.h. er bewegt sich nicht nur unterhalb der Schwelle zur offenen Gewalteskalation, sondern auch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle durch das Opfer oder den Gegner. Man könnte daher auch von Schattenkriegführung in Verbindung mit Salamitaktik sprechen.
In dieser Form kann sich auch die Vorbereitungsphase zum militärisch eskalierenden Teil hybrider Kriegführung gestalten, um so das Schlachtfeld langfristig vorzubereiten. Ein solcher Ansatz kann sich über Monate, oder auch Jahre erstrecken und ist oftmals auf Dauer angelegt. Er kann seine Wirkung auf sehr unterschiedliche Art und Weise entfalten. Das kann über mediale Beeinflussung, politische Delegitimierung und die Destabilisierung von Gesellschaften etwa durch Desinformation, Subversion und Propaganda, durch die Ausnutzung von Lücken im eigenen Rechts- (Lawfare) und Wertesystem (Moralfare) wie auch durch den Missbrauch von Migration als hybridem Angriffsvektor (Weaponized Migration) geschehen. Ein anderer Weg wäre die Infiltration und schleichende Übernahme von Teilen des gegnerischen Sicherheitsapparats (oder seiner kritischen Infrastruktur) etwa durch Korruption, Erpressung und Bestechung, wie dies Russland im Vorfeld seiner Krim- und Donbas-Operationen 2014 gegenüber der Ukraine gelungen ist.
Militär und hybride Kriegführung
Im Rahmen hybrider Kriegführung werden politische Ziele insbesondere auch unterhalb der Schwelle eines offenen Krieges mit nicht-militärischen Mitteln und Methoden verfolgt. Daher stellt sich die Frage, welche Rolle dem Militär in diesem Kontext zukommt? Hier empfiehlt es sich zwischen der Idealvorstellung und der Realität hybrider Kriegführung zu unterscheiden. Hybridakteure streben oftmals danach, eigene Zielsetzungen möglichst unterhalb der Schwelle kriegerischer Gewalteskalation zu erreichen, am besten sogar noch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Opfers oder Gegners, um so Abwehr- und Gegenmaßnahmen gänzlich zu vermeiden. Die Finalisierung derartiger Zielsetzungen ist jedoch nicht in jedem Falle realistisch, da das Opfer jederzeit »aufwachen« und damit zum Verteidiger werden kann, der entsprechende Abwehrmaßnahmen auch militärischer Art ergreift.
Darüber hinaus gibt es aber auch gewichtige Gründe für die bewusste Nutzung militärischer Mittel und Methoden im Rahmen hybrider Kriegführung. Insbesondere drei Motivlagen stechen hierbei hervor:
Erstens wollen die Akteure hybrider Kriegführung mitunter ihr eigenes militärisches Potenzial nutzen, um damit ihre Gegner durch militärische Einschüchterung, Bedrohung und Erpressung – oder aber durch Schockangriffe, wie den vom 24. Februar 2022 auf die Ukraine – zur Aufgabe zu bewegen. Hier stehen dann nicht der Kampf, sondern die Demonstration der eigenen Stärke oder die psychologische Schockwirkung im Mittelpunkt. Am erfolgversprechendsten ist ein solcher Ansatz, wenn die Gegenseite militärisch schwach oder in ihrem Handeln eingeschränkt ist.
Zweitens kann militärische Stärke hybrides Agieren auf anderen Feldern unterstützen und damit erfolgreicher machen, gerade auch im Rahmen domänenübergreifender Operationen. So waren die konventionelle militärische wie auch die nukleare Drohkulisse, die Russland 2014 demonstrativ zur Schau stellte, hilfreich für die subersive Errichtung der pseudostaatlichen Volksrepubliken im Donbas. Wichtig war dies auch, um »den Westen« vor einem allzu direkten Eingreifen abzuschrecken.
Drittens geht es auch um die Absicherung des hybrid, subversiv oder in anderen nicht-militärischen Domänen und mit nicht-militärischen Mitteln Erreichten gegen ein militärisches Rollback durch den Gegner. So hätten die »Volksrepubliken« im Donbas bereits im Sommer 2014 im Rahmen der durch das ukrainische Innenministerium mit militärischer Beteiligung geführten Antiterroroperation (ATO) militärisch zerschlagen werden können. Nur das punktuelle direkte Eingreifen der russischen Streitkräfte hatte dies verhindert. Das heißt ohne die militärische Absicherung durch die russischen Streitkräfte hätten die »Volksrepubliken« im Donbas längst Kriegsgeschichte sein können. Immerhin konnte die Ukraine im Sommer 2014 ca. 50 % des damals von Separatisten reklamierten Gebiets zurückerobern.
Lesetipps
Johann Schmid, Herausforderungen hybrider Kriegführung. In: Böckenförde, Stephan/Gareis Sven B. (Hrsg.), Deutsche Sicherheitspolitik. Herausforderungen, Akteure und Prozesse, Opladen 2021, S. 219-238
Johann Schmid, Introduction to Hybrid Warfare – A Framework for comprehensive Analysis. In: Ralph Thiele, Hybrid Warfare Future and Technologies, Wiesbaden 2021, S. IX–XII, 11–32)Johann Schmid, Hybride Kriegführung in Vietnam – Strategie und das Centre of Gravity der Entscheidung. In: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZFAS), Band 10, Heft 3 2017
Johann Schmid, Konfliktfeld Ukraine: Hybride Schattenkriegführung und das »Center of Gravity« der Entscheidung. In: Hans-Georg Ehrhart (Hrsg.), Krieg im 21. Jahrhundert. Konzepte, Akteure, Herausforderungen. Baden-Baden 2017, S. 141–162
Johann Schmid, Hybride Kriegführung in Vietnam – Strategie und das Centre of Gravity der Entscheidung.
DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-596
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