Williger Helfer oder unfreiwilliger Mittäter? Belarus und der Krieg in der Ukraine
Williger Helfer oder unfreiwilliger Mittäter? Belarus und der Krieg in der Ukraine
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Trotz der geographischen Nähe – es liegen weniger als 800 Kilometer zwischen Berlin und der polnisch-belarusischen Grenze in Brest – wissen wir wenig über die das Land an der östlichen Grenze der EU. Dessen Geschichte und die Frage nach der Rolle von Belarus im Krieg Russlands gegen die Ukraine stehen im Fokus der nachfolgenden Ausführungen.
Die Republik Belarus, früher als Weißrussland bezeichnet, steht im Krieg Russlands gegen die Ukraine an der Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putin (siehe Hinweis am Ende des Beitrags). Zwar ist Belarus keine Kriegspartei, seine Unterstützung aber ist für Russland in militärischer und geopolitischer Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Der Spielraum des belarusischen Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka ist dabei denkbar klein. Die finanzielle, wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit seines Landes von Russland, und damit auch die Aufrechterhaltung des autoritär-diktatorischen Regimes, hat sich durch den Krieg nochmals verstärkt. Insofern hängt auch die politische Zukunft von Belarus vom Ausgang des Krieges ab.
Die militärische Rolle von Belarus für den Krieg
Als am 24. Februar 2022 russische Bodentruppen in die Ukraine einmarschierten, geschah dies von belarusischem Territorium aus. Zuvor hatte Russland seit Mitte 2021 mit der Konzentration von 30000 Soldaten und militärischer Ausrüstung an der eigenen Grenze zur Ukraine begonnen. Zu dieser Zeit schloss Belarus seine Grenzen zur Ukraine. Seit dem 18. Januar 2022 verlegte Russland mit der Begründung eines gemeinsamen Militärmanövers zusätzliche russische Truppenteile und Panzer, Geschütze und weiteres Militärgerät nach Belarus. Damit kommt Belarus eine militärische Schlüsselfunktion bei der Vorbereitung und dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine zu. Seitdem ist die militärische Zusammenarbeit beider Staaten weiter vorangeschritten.
Bereits unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion, zu der Belarus neben 14 weiteren Unionsrepubliken gehört hatte, zielten mehrere bilaterale Abkommen auf enge Beziehungen und einen „Unionsstaat“ zwischen der Russischen Föderation und der Republik Belarus, die zwischen 1995 und 1999 von dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin und dem belarusischen Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka unterzeichnet wurden Dazu gehörte auch ein Abkommen über eine vertiefte militärische Zusammenarbeit aus dem Jahr 1997. Eine gemeinsame Verteidigungspolitik bildete fortan den Rahmen für eine Zusammenführung militärischer Aktivitäten, den Schulterschluss in grenzpolitischen Fragen sowie der gemeinsamen Nutzung militärischer Infrastruktur. Weitere Schritte der engen militärischen Beziehungen waren die 2001 veröffentlichte gemeinsame Militärdoktrin sowie die Zusammenführung der Luftverteidigungssysteme, die seit 2016 als abgeschlossen gelten kann.
Regelmäßige Manöver der russischen und belarusischen Streitkräfte stärkten die Kooperation auf der taktischen Ebene. Das alle vier Jahre durchgeführte Manöver „Sapad“ (dt.: Westen) fand zuletzt im September 2021 statt. Erstmals wurden große Teile der Übung nicht in den Grenzregionen zur NATO durchgeführt, sondern in der Nähe zu Charkiw, Donezk und Luhansk in der Ukraine. Zeitgleich nahm das gemeinsame Ausbildungs- und Gefechtszentrum für Luftverteidigung und Luftwaffe in Hrodna seine Arbeit auf. Im November unterzeichneten Putin und Lukaschenka mehrere Abkommen zur weiteren „Integration“ des Unionsstaates. Angesichts eines angeblich verstärkten Drucks aus dem Westen kündigten sie eine neue Militärdoktrin an. Diese trat kurz vor dem russischen Angriff im Februar 2022 in Kraft und richtet sich explizit gegen die NATO. Darüber hinaus erklärte Belarus im Rahmen einer Verfassungsänderung das Ende seiner Neutralität und seines atomwaffenfreien Status.
Das seit Januar 2022 angekündigte Manöver begann am 10. Februar. Es diente, wie im Nachhinein erkennbar ist, den Vorbereitungen auf den Überfall auf die Ukraine, was der Verbleib der russischen Truppen nach dem offiziellen Ende der Übung am 20. Februar unterstrich. Nach Kriegsbeginn nutzte Russland belarusische Flughäfen für den Start von Kampfflugzeugen und Luftangriffen auf die Ukraine und stationierte atomwaffenfähige Iskander-M-Raketen im westlich gelegenen Brest. Neben dem Zentrum für Luftverteidigung und Luftwaffe in Hrodna befinden sich auf dem Gebiet von Belarus zwei weitere gemeinsame Kampfausbildungszentren: die Radarstation Hancavičy bei Brest und das 43. Sendezentrum der russischen Marine in der Nähe von Vilejka. Darüber hinaus leistet die belarusische Armee logistische Unterstützung und medizinische Versorgung für die russischen Truppen. Im Oktober 2022 erfolgte erstmals die Aufstellung einer gemeinsamen regionalen Militäreinheit des Unionsstaats auf belarusischem Gebiet. Dazu wurden 9000 weitere russische Soldaten nach Belarus verlegt, die jedoch im Sommer 2023 wieder abgezogen wurden. Zugleich entschied Moskau, zeitlich unbefristet taktische Nuklearwaffen in Belarus zu stationieren. Im April 2024 erließ Belarus eine neue Militärdoktrin und nannte darin die Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus als wichtiges Ziel. Ob jedoch vorhandene Trägersysteme inzwischen mit russischen Atomsprengköpfen bestückt sind, ist aus verschiedenen Gründen nicht mit Sicherheit zu sagen. In jedem Fall obliegt die Entscheidung über deren Einsatz der politischen und militärischen Führung in Moskau. Zuletzt verlegte Belarus im August 2024 Truppen, Spezialkräfte, Artillerie und Panzer sowie Luftabwehrsysteme und Flugzeuge an die Grenze zur Ukraine.
Belarus ist unabhängig vom Krieg in der Ukraine aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gründen für Russland von strategischer Bedeutung. Es ist das einzige mit Russland verbündete Land an der Grenze zur NATO, sieht man von Armenien und seiner Grenze zur Türkei ab, und bietet den kürzesten Weg in die russische Enklave Kaliningrad. Zudem wird in Belarus militärisches Gerät produziert, das nicht in Russland hergestellt wird. Die belarusischen Streitkräfte spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle. Ihre Ausbildung und Ausrüstung wurden zugunsten von Investitionen in die innere Sicherheit jahrelang vernachlässigt. Zudem mangelt es an Personal und Kampferfahrung.
Ein weißer Fleck auf der Landkarte
Während die Proteste auf dem Majdan in Kyjiw/Kiew 2014 und die nachfolgende völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland ein anhaltendes Interesse des Westens an der politischen Entwicklung und Geschichte der Ukraine auslösten, hat sich das Fenster der Aufmerksamkeit für Belarus, das sich während der Proteste im Sommer 2020 auftat, mittlerweile wieder geschlossen. Während Moskau seinen Einfluss auf Minsk im Schatten des Krieges in der Ukraine stetig ausweitet, entsteht hier eine weitere Bedrohung für die europäische Sicherheit, zumal der Westen zugleich keine Strategie im Hinblick auf die belarusische Eigenstaatlichkeit hat. Diese verstärkt in den Blick zu nehmen, lohnt sich daher auch unter militärgeschichtlichen Aspekten.
Die Bezeichnung Belarus geht zurück auf „bela“ (weiß, im Mittelalter auch „westlich“) und „Rus“, einem historischen Herrschaftsgebiet, das nicht identisch mit dem heutigen Russland ist. Konsequent heißen die Einwohner des betrachteten Territoriums demzufolge Belarusen (mit einem s) und die Sprache Belarusisch. Dies entspricht auch der Auffassung der politischen Opposition und großer Teile der Bevölkerung, die sich, unabhängig von Politik und Regierung, als national unabhängig von Russland definieren. Die seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland verwendete Bezeichnung Weißrussland suggeriert, das Land sei abhängig und ein Teil von „Großrussland“. Die Bezeichnungen Weißruthenien und Belorussland sind durch ihre Verwendungen im NSNationalsozialismus-Sprachgebrauch und in der DDRDeutsche Demokratische Republik belastet.
Mit der Hauptstadt Minsk im Zentrum liegt Belarus, dessen Fläche etwa zwei Drittel derer von Deutschland entspricht, zwischen Lettland, Litauen, Polen, der Ukraine und Russland. 83 Prozent der knapp 10 Millionen Einwohner sind Belarusen, die größten Minderheiten sind Russen, Polen und Ukrainer. Vor dem Zweiten Weltkrieg stellten Juden die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. Infolge der deutschen Besatzung und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges überlebten hier nur 150000 Juden den Holocaust. Heute leben infolge von Abwanderung nur noch 12000 Juden in Belarus. Amtssprachen sind belarusisch und russisch, wobei die russische Sprache im Alltag dominiert, was auch auf die politische Marginalisierung des Belarusischen zurückgeht. Die Mehrheit der Gläubigen gehört der orthodoxen Kirche an, insbesondere im Westen ist allerdings der katholische Glauben weit verbreitet.
Im 14. und 15. Jahrhunderts war das Gebiet des heutigen Belarus Teil des Großfürstentums Litauen und seit der polnisch-litauischen Union 1569 des polnischen Staatswesens, der sogenannten Rzeczpospolita. Erst mit den Teilungen des Doppelstaats Polen-Litauen Ende des 18. Jahrhunderts kam die Region in das Herrschaftsgebiet des Russischen Reiches. Im März 1918 wurde unter deutscher Besatzung im Ersten Weltkrieg erstmals ein unabhängiger Staat ausgerufen. Die unter vergleichbaren Bedingungen entstandene Ukrainische Volksrepublik war der erste Staat, der die Belarusische Volksrepublik anerkannte. Mit der Gründung der Belarusischen Sozialistischen Sowjetrepublik im Januar 1919 endete die kurze Phase der Souveränität. Dieser Zustand änderte sich erst mit dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 1990er Jahre. Das Ende der Zugehörigkeit zur Sowjetunion markierte die Unabhängigkeitserklärung am 25. August 1991.
Die „letzte Diktatur Europas“
1994 fanden zum letzten Mal freie Wahlen statt. Seither ist Aljaksandr Lukaschenka Präsident der unabhängigen Republik Belarus. Nach den folgenden, umstrittenen Wiederwahlen waren die Wahlen im Sommer 2020 in weit größerem Ausmaß begleitet von Festnahmen und Manipulationen. Es folgten landesweite Massenproteste, gegen die das Regime brutal vorging. Eine endgültige Niederschlagung der Demonstrationen gelang jedoch erst mit Hilfe russischer Truppen.
Seitdem ist eine Verschärfung der Repressionen zu beobachten, die Menschenrechtssituation ist nicht weniger dramatisch als in Russland. Im Fokus stehen nicht nur politische Gegnerinnen und Gegner, sondern gesellschaftliche Strukturen sowie Einzelpersonen, die von den Sicherheitsorgangen willkürlich als „Terrorist“ oder „Extremist“ eingestuft werden. In den Gefängnissen sind Gewalt, Misshandlungen, Folter und Isolation an der Tagesordnung. Mit Stand Ende Januar 2024 spricht die Menschenrechtsorganisation Vjasna von fast 1500 politischen Gefangenen. Fünf von ihnen sind seit 2020 ums Leben gekommen. Angesichts dieser Lage entscheiden sich viele Belarusinnen und Belarusen für die Emigration ins Ausland, wo sie teilweise weiterhin vom Regime verfolgt werden.
Prominente Persönlichkeiten der Opposition wie Wiktar Babaryka oder Maryja Kalesnikawa wurden bereits im Vorfeld der Wahlen 2020 beziehungsweise während der anschließenden Proteste verhaftet und zu langer Lagerhaft verurteilt. Von einigen fehlt bis heute jedes Lebenszeichen, andere, wie Kalesnikawa, befinden sich in einem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand. Swjatlana Zichanouskaja, die anstelle ihres ebenfalls verhafteten Ehemanns Sjarhej Zichanouski für die Präsidentschaft kandidiert hatte, führt die alternative Regierung von Belarus von Vilnius aus. Der unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos zufolge hatte sie bei der letzten Wahl die Mehrheit der Stimmen. Im März 2023 wurde sie in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ende 2023 veröffentlichte die Exilregierung ein Strategiepapier für die politische Zukunft von Belarus, das in allen vorgestellten Szenarien von einer Schwächung Russlands durch den Krieg ausgeht.
Die Ereignisse seit 2020 haben zu einer weiteren strukturellen Abhängigkeit von Russland, einem Bruch mit dem Westen und einer Spaltung der Gesellschaft im Innern geführt. Auch in dieser Lage versucht Lukaschenka dennoch weiterhin, sich als eigenständiger politischer Akteur zu behaupten und die staatliche Souveränität von Belarus zu erhalten. Die Annexion der Krim durch Russland hat er bis heute nicht explizit anerkannt und sich mit den „Minsker Gesprächen“ sogar als Vermittler in dem Konflikt ins Spiel gebracht. Im Sommer 2021 benutzte er die künstlich herbeigeführte Migrationskrise an der Grenze zu Polen, Lettland und Litauen als Mittel, um die EU unter Druck zu setzen, mit dem Ziel, die Sanktionen gegen Belarus aufzuheben. Trotz der offenen Unterstützung Russlands im Krieg – im März 2022 stimmte Belarus als einer von fünf Staaten gegen die Resolution der UNUnited Nations-Vollversammlung zur Verurteilung des Angriffskriegs – gab es zugleich mehrere Versuche, sich auch jetzt noch als Vermittler zwischen den Kriegsparteien zu positionieren. Für die Aufnahme der Soldaten der Wagner-Armee nach deren Aufstand in Russland am 24. Juni 2023 erhoffte er sich eine Gegenleistung des russischen Präsidenten.
Im aktuellen Kriegsgeschehen profitiert Belarus von der Entwicklung hin zu einem Stellungs- und Abnutzungskrieg. So gewährleistet der Bedarf an Rüstungsgütern die industrielle Produktion in Belarus und Russland leistet zusätzliche finanzielle Unterstützung, um die wirtschaftliche Lage im Land stabil zu halten. So überrascht es nicht, dass für große Teile der Bevölkerung Lukaschenka als Garant für ein weitgehend ruhiges Leben erscheint.
Das Verhältnis zu Deutschland war seit der belarusischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 politisch eingebettet in die EU-Politik und weitgehend geprägt von stabilen Handelsbeziehungen und dem Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands in der Region. Im Sommer 2018 besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erstmals Belarus anlässlich der Erweiterung der Gedenklandschaft auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungsortes Maly Trostenez am südlichen Stadtrand von Minsk. Dort befand sich zwischen 1942 und 1944 ein Zwangsarbeiterlager unter nationalsozialistischer Besatzung. In Trostenez kamen zwischen 40000 und 60000 Menschen aus Belarus, Deutschland, Österreich und dem besetzten Gebiet der Tschechoslowakei durch Erschießen und in mobilen Gaswagen ums Leben, neben sowjetischen Kriegsgefangenen und belarusischen Zivilisten waren die meisten von ihnen Juden. Seit den 2000er Jahren arbeiten Deutsche, Belarusen und Vertreter der anderen Nationen an einem Erinnerungsort.
Jegliche offizielle Grundlage für weitere Kooperationen ist mit den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020, deren Ergebnisse von der EU nicht anerkannt werden, den nachfolgenden brutalen Repressionen, der Instrumentalisierung von Flüchtigen an der EU-Grenze und schließlich der Unterstützung Russlands in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine weggebrochen. Diese Ereignisse und die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen haben zu einer schrittweisen Verschärfung der Sanktionen geführt, die seitens der EU seit 1997 gegen Belarus verhängt werden. Sie umfassen Einreiseverbote für einzelne Personen, das Einfrieren von Vermögenswerten, sektorale Sanktionen in den Bereichen Handel, Wirtschaft, Banken und Technologie sowie ein Waffenembargo. Zugleich bleibt es im Interesse Deutschlands wie der EU, sich für die Souveränität von Belarus einzusetzen. So werden Handelsbeziehungen unter den Bedingungen der Sanktionen aufrechterhalten und die Kooperation mit der Zivilgesellschaft im Exil ausgebaut.
Die Haltung der Bevölkerung
Aufgrund der politischen Lage können unabhängige Umfragen nur aus dem Exil durchgeführt werden, und auch dabei ist der Faktor der Angst vor Verfolgung zu berücksichtigen. Regelmäßige Befragungen führt das britische Institut Chatham House durch (zuletzt November 2023). Demnach steht ein großer Teil der Bevölkerung dem Krieg in der Ukraine unverändert kritisch gegenüber, wobei die Ablehnung seit der letzten Umfrage im März leicht gesunken ist. Der Anteil der Ablehnung betrug 2022 im Juni 43 Prozent und im August 45 Prozent, 2023 im März 44 Prozent und im November 38 Prozent. Die ebenfalls fast gleichbleibende Zustimmung zum Krieg zeigt die Spaltung der Gesellschaft (33 Prozent, 30 Prozent, 33 Prozent, 36 Prozent). Über die Hälfte der Menschen gibt an, ein gutes Verhältnis zur Ukraine sowie zu Russland zu haben und ist der Meinung, der Krieg sollte so schnell wie möglich beendet werden. Beide Seiten sollten dazu einen Kompromiss suchen. Knapp 50 Prozent befürworten eine Beteiligung von Belarus an möglichen Friedensverhandlungen. Eine Mehrheit der Belarusinnen und Belarusen ist zudem gegen die Stationierung von Nuklearwaffen auf ihrem Territorium, allerdings ist der Anteil seit März um 6 Prozent gefallen. Eine direkte Beteiligung belarusischer Soldaten an Kampfeinsätzen stößt auf Widerstand, unabhängig davon, auf welcher Seite diese kämpfen würden. Bei der Frage, welchem Bündnis Belarus angehören sollte, sprechen sich 41 Prozent für den Unionsstaat mit Russland, 13 Prozent für die EU und 26 Prozent für eine Zugehörigkeit zu beiden Bündnissen gleichzeitig aus. Im Detail zeigen die Ergebnisse starke Unterschiede nicht nur zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Die Antwort auf die Frage der Zugehörigkeit hängt auch stark davon ab, ob die Befragten vor allem staatliche oder nicht-staatliche Medien nutzen.
Eine Form des Protests innerhalb von Belarus waren insbesondere zu Anfang des Krieges Sabotageakte gegen die Infrastruktur der Eisenbahn, um die Nachschubwege für die russischen Truppen zu behindern. Auf Seiten des Regimes gab es vereinzelte Rücktritte hoher Beamtinnen und Beamter. An der Front kämpfen belarusische Soldaten im Regiment „Pahonja“ sowie in anderen Einheiten der Internationalen Legion der ukrainischen Streitkräfte. Eigene Einheiten bilden das „Belarusische Freiwilligencorps“ sowie das Kalinouski-Re bis 21. Mai 2022: Kastus-Kalinouski-Bataillon) Swjatlana Zichanouskaja Warschau oder Berlin.
Das Verhältnis zur Ukraine
Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion waren die Beziehungen zwischen Belarus und der Ukraine von politischem Pragmatismus und wirtschaftlichen Interessen geprägt. Das Verhältnis beider Länder verschlechterte sich im Anschluss. Ein Wendepunkt waren schließlich die manipulierten Präsidentschaftswahlen in Belarus 2020, deren Ergebnis die Ukraine nicht anerkannte. Zudem schloss sie sich in Teilen den Sanktionen der EU an. Zugleich aber blieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Abstand zu der belarusischen Opposition, um weiterhin einen Gesprächskanal zum „offiziellen Minsk“ offen zu halten.
Den entscheidenden Bruch erfuhren die Beziehungen mit dem Einmarsch russischer Truppen am 22. Februar 2022 auf ukrainisches Gebiet, der von belarusischem Territorium aus erfolgte. Vermittlungsangebote seitens Belarus lehnte die Ukraine in der Konsequenz ab, zumal Lukaschenka das russische Narrativ von den „Brudervölkern“ übernommen hat und sich gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine ausspricht. Nicht widerspruchsfrei nimmt Belarus zugleich ukrainische Kriegsflüchtlinge auf und ermöglicht den Gefangenenaustausch zwischen den Kriegsparteien auf seinem Staatsgebiet. Die Ukraine spricht sich wiederum gegen härtere Sanktionen gegenüber Belarus aus. Vor diesem Hintergrund wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern auf ein Minimum reduziert, jedoch nicht gänzlich abgebrochen.
Die zukünftigen Perspektiven als Nachbarn hängen untrennbar mit dem Ausgang des Krieges und den daraus folgenden jeweiligen Machtstrukturen in Belarus und Russland zusammen. Für Belarus bleibt es schwierig, sich in diesem Dreieck zu positionieren. Die Unterstützung Aljaksandr Lukaschenkas für Wladimir Putin hat die Spielräume weiter verkleinert. Die Ukraine will diese noch so kleinen Spielräume nicht aufgeben. Das hat der ukrainische Präsident in seiner Ansprache an das belarusische Volk wenige Tage nach Kriegsbeginn deutlich gemacht: „Seid Belarus, nicht Russland!“
Literaturtipps
Kira Frankenthal, Arthur de Liedekerke, Die strategische Bedeutung von Belarus im Ukraine-Krieg – interne und externe Entwicklungen. In: SIRIUS 6 (2022), 4, S. 432–438.
Manfred Huterer, Astrid Sahm, Belarus: Bedrohte Souveränität. Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine. SWPStiftung Wissenschaft und Politik-Aktuell 2023/A 66, 20.12.2023.
Evidence of complicity of the Lukashenko regime in Russia’s military aggression against Ukraine. Belarusian Hajun Project, 24.9.2023.
The role of Belarus in Russia’s war against Ukraine. Experts discuss how Belarus’s role has evolved during the war against Ukraine. Chatham House, 25.10.2023.
Ryhor Astapenia, Russia’s war on Ukraine has strengthened Lukashenka but undermined Belarus. Chatham House, 10.1.2024.
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