Tiere im Krieg: Leidtragende, Opfer, militärische Helfer, lebende Waffen
Tiere im Krieg: Leidtragende, Opfer, militärische Helfer, lebende Waffen
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Der Krieg in der Ukraine ist zuallererst eine Tragödie für die Menschen dort und führt zu unvorstellbarem Leid. Von den Kriegshandlungen sind aber auch die Tiere betroffen. Sie sterben bei den Kämpfen, werden verletzt, ausgesetzt, erschossen. Darüber hinaus werden sie als Kriegshelfer, als lebendiges militärisches Instrument und als lebende Kriegswaffe eingesetzt.
Neulich im Reitstall: eine Handvoll neuer Pferde! Doch wo kommen sie her? Auf meine Nachfrage stellte sich heraus, dass es sich bei ihnen um Trabrennpferde aus der Ukraine handelte, die man in einer Rettungsaktion vor dem herannahenden Kriegsgeschehen nach Deutschland in Sicherheit gebracht hatte. Sie sind nicht die einzigen Pferde aus der Ukraine, die seit Kriegsbeginn in Deutschland und in anderen Ländern zumindest übergangsweise eine Bleibe gefunden haben. So hat die Internationale Reiterliche Vereinigung (Fédération Équestre Internationale, FEI) mit Sitz im schweizerischen Lausanne bereits im Februar 2022 einen Hilfsfonds in Höhe von 1 Mio. Schweizer Franken bereitgestellt, um Pferde und Reiter in der Ukraine zu unterstützen. Die United States Equestrian Federation (USEF) mit Sitz in Lexington, Kentucky, kooperiert seit Mitte März 2022 in dieser Angelegenheit mit der FEI und hat ebenfalls Unterstützungsmaßnahmen ergriffen, zu Spenden aufgerufen und finanzielle Hilfe bereitgestellt.
Doch diese und andere Hilfsaktionen werden nicht sämtliche der über 100 000 Pferde in der Ukraine retten können. Oftmals werden die Pferde von ihren Besitzern einfach freigelassen und sich selbst überlassen, wenn die Kriegshandlungen immer näher kommen. Andere Besitzer wollen ihre Pferde nicht einem ungewissen Schicksal überlassen und erschießen ihre Tiere. Rindern, Kühen, Eseln, Schweinen, Ziegen, Schafen, Hühnern, Gänsen und anderen Nutztieren ergeht es sehr ähnlich. Den Angaben des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs (APD) zufolge hatte die Ukraine im August 2019 einen Geflügelbestand von knapp 258 Mio. Tieren, rund 6,4 Mio. Schweine, etwa 3,7 Mio. Rinder und 1,5 Mio. Schafe und Ziegen. Hinzu kommen noch die Wildtiere, zu deren Zahl keine Daten vorliegen und die in Zeiten gestörter Versorgungsketten vermehrt zum Zwecke der Nahrungsmittelversorgung gejagt werden, sowie die Zootiere, deren Zahl sich auf etwa 4000 beläuft. Einige wenige von ihnen konnten beispielsweise in Zoos nach Polen evakuiert werden, doch ist dies meist schon logistisch schlicht unmöglich. Somit verbleiben diese Tiere in den Zooanlagen, wo sie zu ihrem Schutz in Innengehege oder unterirdische Gänge verbracht werden. Dort werden sie in Teilen offenbar weiterhin vom Zoopersonal betreut, das sich mitunter die ganze Zeit über in den Anlagen aufhält. Problematisch ist hier, aber auch in Tierheimen allgemein, dass das Tierfutter knapp wird und die Versorgungswege unsicher oder sogar gänzlich unterbrochen sind.
Besser geht es da Hunden, Katzen, Kaninchen, Vögeln, Meerschweinchen und anderen Haustieren, die von ihren Besitzern auf ihrer Flucht vor dem Krieg mitgenommen werden. Sehr eindrückliche Bilder liefert in diesem Kontext die mediale Berichterstattung der letzten Monate über die in deutschen Bahnhöfen eintreffenden Flüchtlinge aus der Ukraine. Den Angaben der ukrainischen Staatsbahn zufolge wurden allein in den ersten zehn Wochen des Krieges über 102.000 Tiere, zumeist Katzen und Hunde, per Bahn aus den betroffenen Gebieten evakuiert. Tierschutzorganisationen wie vor allem die mit mehr als 9 Mio. Unterstützerinnen und Unterstützern international größte Tierrechtsorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) versuchen, sich um diese Tiere, aber auch um zurück- oder freigelassene Haustiere zu kümmern. PETA Deutschland etwa berichtet in diesem Kontext aus dem ungarisch-ukrainischen Grenzgebiet bei Medyka über Hilfsleistungen für ukrainische Flüchtlinge, die mit ihren Tieren ausreisen wollen. In Zusammenarbeit mit anderen Tierschutzorganisationen versucht PETA Deutschland zudem, zurückgelassene Tiere aus den umkämpften Gebieten zu retten und sie medizinisch und mit Futter zu versorgen. Bis zum 20. Mai 2022 konnte PETA nach eigenen Angaben so rund 1300 Tiere in Sicherheit bringen.
Tiere als Opfer und Kriegswaffe
Hinter den im Vorangegangenen genannten Zahlen verbirgt sich ein unermessliches Leid der Tiere. Wie die Menschen sind sie Luftangriffen, Artillerie- und Raketenbeschuss, Handfeuerwaffen, Detonationen und Zerstörung ausgesetzt. Infolgedessen sind sie verängstigt, traumatisiert, entwurzelt und physisch verletzt. Der Krieg macht Tiere massenhaft zu Leidtragenden und Opfern.
Der Mensch macht sich das Tier aber auch militärisch dienstbar, es übernimmt eine wichtige performative Funktion in der Praxeologie des Militärs und des Krieges. So berichtete der Marine-Spezialist H.I. Sutton am 27. April 2022 für die United States Naval Institute News über seine Analyse von Satellitenbildern, die Unterwasserkäfige mit Delfinen am Eingang zum Hafen von Sewastopol auf der Krim zeigen, dem wichtigsten Marinestützpunkt Russlands im Schwarzen Meer. Sutton vermutet, dass die hochintelligenten Delfine von der russischen Marine trainiert und ausgebildet worden sind, um russische Kriegsschiffe zu schützen. Sie können dabei helfen, Sabotageakte ukrainischer Taucher gegen russische Kriegsschiffe im Hafen zu verhindern, indem sie rechtzeitig auf die Taucher aufmerksam machen.
Das Programm zur militärischen Ausbildung von Delfinen ist nach Recherchen der Washington Post bereits unter sowjetischer Ägide aufgenommen und nach dem Zerfall der Sowjetunion von der ukrainischen Marine übernommen worden, jedoch lediglich zu therapeutischen Zwecken. Seit dem Krimkrieg 2014 hat es die russische Marine dann wieder mit militärischem Akzent fortgeführt. Hierbei macht man sich zunutze, dass sich Delfine mittels Echoortung orientieren: Sie erzeugen hochfrequente Ultraschalllaute, die der Wahrnehmung und Identifizierung ihrer Umgebung dienen. Deswegen können sie auch eingesetzt werden, um Minen im Wasser und auf dem Meeresgrund zu identifizieren und zu markieren.
Darüber hinaus setzt das russische Militär Presseberichten zufolge Belgische Schäferhunde als Spürhunde in den Kampfgebieten in der Ukraine ein. Einer dieser Hunde, er trug das Tarn-Halsband russischer Armee-Hunde, wurde im Mai 2022 ausgehungert und verletzt von ukrainischen Soldaten in der Kampfzone im Süden der Ukraine gefunden, anschließend wieder aufgepäppelt und der ukrainischen Nationalgarde übergeben. Er trägt nun den Namen »Max« und verrichtet seine Dienste nach einem Sprachunterricht für die ukrainische Seite, wo er zur Sprengfallen- und Minensuche eingesetzt wird. Die ukrainischen Streitkräfte wiederum bilden ebenfalls Belgische und Deutsche Schäferhunde für den Personen- sowie den Objektschutz und das Aufspüren von Kampfmitteln aus. Aktuell kommen die Hunde der ukrainischen Streitkräfte vor allem für die Bewachung russischer Kriegsgefangener und für das Auffinden von Minen und Sprengsätzen zum Einsatz.
Der Mensch, die Tiere und der Krieg
In der Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzungen sind Tiere noch in weit größerem Umfang als Helfer, als lebendes Kriegsgerät und teilweise als Waffe ausgebildet, trainiert und eingesetzt worden. Dass Tiere den Streitkräften als Nahrungsmittellieferant dienen, ist dabei noch unmittelbar einsichtig. Auch überrascht nicht, dass Pferde, Esel, Rentiere, Kamele oder Lamas als Transportmittel zur Beförderung von Menschen und Material eingesetzt wurden und in unwegsamem Gelände auch heute noch eingesetzt werden.
Tiere werden ebenfalls für genuin militärische Zwecke genutzt: Dies trifft auf die Delfine in Sewastopol oder kalifornische Seelöwen zu, die von den USUnited States-amerikanischen Streitkräften ebenfalls für den Einsatz gegen feindliche Taucher ausgebildet und trainiert, zur Waffe und damit praktisch zu Kombattanten gemacht werden. Hunde werden dazu ausgebildet, um Sprengmittel oder Giftgas aufzuspüren und Nachrichten zu übermitteln. Darüber hinaus kamen und kommen sie als Sanitätshunde zur medizinischen Versorgung von Verwundeten und Verletzten und als Wachhunde zum Einsatz. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie zudem als lebende Bomben benutzt. So schickte die Rote Armee ihre Panzerabwehrhunde mit einem umgeschnallten Sprengsatz unter die gegnerischen Panzer. Auch Ratten und Bienen werden militärisch verwendet, da sie ebenfalls in der Lage sind, Sprengstoffe zu finden. Brieftauben, die bis zu 100 km/h schnell fliegen können, dienen den Streitkräften bis in die Gegenwart hinein als Boten und damit als analoge Alternative zu den modernen Kommunikationstechnologien. Das Deutsche Kaiserreich allein soll während des Ersten Weltkrieges rund 120 000 Brieftauben als militärische Nachrichtenübermittler benutzt haben. Durch den technologischen Fortschritt in Gestalt der Miniaturisierung von Kameras kommen Tauben heute überdies Aufklärungsfunktionen zu. Um Tauben auszuschalten und die analogen Kommunikations- und Aufklärungswege zu unterbrechen, werden Wanderfalken als lebendige Abfangjäger eingesetzt.
Zu denken wäre ferner an die Kriegselefanten der Antike. So hat Karthagos Feldherr Hannibal im Zweiten Punischen Krieg (218–201 v.Chr.) sein Heer und seine Kriegselefanten über die Pyrenäen, durch das südliche Frankreich und über die Alpen nach Norditalien geführt und dem Römischen Reich in der Schlacht an der Trebia (218 v.Chr.) eine empfindliche Niederlage beigebracht. Während Hannibals Kriegselefanten vor allem eingesetzt wurden, um den Gegner niederzutrampeln, trugen Kriegselefanten in Indien oder in Südostasien Holzaufbauten mit zwei bis vier Bogenschützen, Lanzenträgern und Speerwerfern. Als Gegenmittel gegen die Elefanten griffen die Bewohner Megaras im Jahr 266 v.Chr. bei der Belagerung ihrer Stadt durch den makedonischen König Antigonos II. auf Schweine zurück, die mit Öl bestrichen und dann entzündet wurden, sodass das Schmerz- und Todesquieken der lebenden Fackeln bei den Elefanten eine Panik auslöste.
Die vielleicht größte militärische Bedeutung kommt jedoch weltweit dem Pferd zu. Bereits 2000 Jahre vor Christus zog es den Streitwagen in die Schlacht, oftmals mit kampfentscheidender Wirkung. Seinen größten militärischen Nutzen erwies das Pferd indes als Reittier für den Kämpfer. So leitet sich die Bezeichnung ›Ritter‹ von dem mittelhochdeutschen Wort ›riddare‹ für ›reiten‹ ab. Der Name der Waffengattung Kavallerie ist ein französisches Lehnwort (frz. ›cavalerie‹), das zurückgeht auf den italienischen Begriff ›cavalleria‹. Es handelt sich bei der gleichbedeutenden Bezeichnung um eine Ableitung des italienischen Begriffs ›cavaliere‹ für ›Reiter‹ (vgl. ital. ›cavallo‹/lat. ›caballus‹ für Pferd).
Millionen Pferde kamen bei ihrem Einsatz auf den unzähligen Kriegsschauplätzen dieser Welt ums Leben. In Europa beispielsweise starben im Ersten Weltkrieg rund 8 Mio. Pferde. Noch im Zweiten Weltkrieg rekrutierte allein das nationalsozialistische Deutschland etwa 2,8 Mio. Pferde für die Kavallerie bei Heer und Waffen-SSSchutzstaffel, als Offizierspferde und vor allem als Zugtiere in der Artillerie sowie bei den Versorgungstruppen. Fast zwei Drittel dieser Pferde kamen dabei zu Tode. (Das Bundesarchiv bietet hierzu im Übrigen eine virtuelle Ausstellung an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg scheint die Zeit der großen militärischen Bedeutung von Pferden vorüber zu sein. So hat der Historiker Reinhard Koselleck in seiner Dankesrede zur Verleihung des Historikerpreises die Weltgeschichte in ein Vorpferde-, ein Pferde- und ein Nachpferdezeitalter unterteilt, und Ulrich Raulff spricht in seinem großartigen und überaus lesenswerten Buch vom »letzte[n] Jahrhundert der Pferde«. Das bedeutet jedoch nicht, dass man nunmehr gänzlich auf den militärischen Einsatz von Tieren verzichtet. Auch für die Zukunft ist nicht zu erwarten, dass man von der militärischen Verwendung von Tieren ablassen wird.
Dies gilt auch für die Bundeswehr. Sie unterhält beispielsweise in der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall in Bayern das Einsatz- und Ausbildungszentrum für Tragtierwesen 230, das zur Gebirgsjägerbrigade 23 gehört. Dort werden Maultiere und Pferde (Haflinger) für den Transport von militärischem Gerät und Menschen in unwegsamem Gelände trainiert, wobei die Tiere bis zu 120kg, teilweise sogar bis zu 140kg, an Nutzlast tragen können. Die Gräfin-von-Maltzan-Kaserne im rheinland-pfälzischen Ulmen beherbergt die Schule für Diensthundewesen der Bundeswehr, in der Diensthunde (Deutsche Schäferhunde, Belgische Schäferhunde und Labrador Retriever) mit ihren Diensthundeführern für den Einsatz als Team ausgebildet werden. Derzeit verfügt die Bundeswehr über mehr als 260 aktive Diensthunde, die im Regelfall acht Dienstjahre bei den Feldjägern, den Pionieren, den Fallschirmjägern, der Luftwaffensicherungstruppe, dem Kommando Spezialkräfte oder dem Sozialdienst der Bundeswehr ableisten. Dort suchen sie nach Kampfmitteln, Sprengstoffen oder Rauschgift, schützen Menschen und Objekte, sind als Zugriffshunde tätig und unterstützen die therapeutische Behandlung von traumatisierten Soldatinnen und Soldaten.
Würdigung der militärischen Verdienste von Tieren
Mitunter werden einzelne Tiere für ihre militärischen Leistungen gewürdigt und einem größeren Publikum bekannt. Dies gilt für Bukephalos, das Pferd, mit dem Alexander der Große in die Schlacht zog, genauso wie für Napoleon Bonapartes arabischen Schimmelhengst Marengo, der in der Schlacht von Waterloo von englischen Soldaten erbeutet wurde und dessen Skelett im National Army Museum in London zu sehen ist. Ein kleinerer Vierbeiner, der dem Amerikaner John R. Conroy zugelaufene Bullterrier-Mischling Stubby, machte wiederholt seinen Besitzer und dessen Kameraden im Ersten Weltkrieg in den Schützengräben in Frankreich auf herannahendes Giftgas und anfliegende Granaten aufmerksam, sodass er zum Sergeanten befördert wurde. Sein Präparat kann heute im National Museum of American History in Washington, D.C.District of Columbia, besichtigt werden. 2018 wurde sogar ein Computeranimationsfilm mit seiner Geschichte veröffentlicht (»Sgt. Stubby: An American Hero«). In Großbritannien wiederum hat der Verein People’s Dispensary for Sick Animals (PDSA) seit dem Jahr 1943 die Dickin Medal an mittlerweile 74 Tiere (37 Hunde, 32 Tauben, vier Pferde und eine Katze) verliehen, um sie für ihre Verdienste in militärischen Konflikten auszuzeichnen.
Eine umfassende Würdigung der Leistungen von Tieren in Kriegseinsätzen ist hingegen noch seltener als die Ehrung einzelner Tiere. Großbritannien allerdings ehrt mit dem Animals in War Memorial im Londoner Hyde Park seit Ende 2004 »all the animals that served and died alongside British and allied forces in wars and campaigns throughout time«. Dabei zeigt das fast 18m x 17m große Denkmal eine umfassende Bandbreite von großen Tieren wie Elefanten, Kamele und Pferde, über kleinere Tiere wie Hunde und Tauben bis hin zu Klein- und Kleinsttieren wie Glühwürmchen. Ermöglicht wurde die Errichtung dieses Denkmals durch Spendengelder in Höhe von rund 2 Mio. Pfund.
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden richtet ebenfalls einen Blick auf die Leistungen und die Verdienste von Tieren im Militär. Die Exponate der Dauerausstellung reichen von dem Elefanten und dem Dromedar über das Maultier und den Hund bis hin zum Schaf und sogar zum Schwan. Dabei verweisen die Tierpräparate des Themenparcours explizit auf die militärische Nutzung von Tieren und auf die Folgen des Krieges für die Tiere im Militär. Dem Hund beispielsweise hat man einen Sprenggürtel umgeschnallt, dem Pferd ist eine Gasmaske des Ersten Weltkrieges übergestülpt worden und das Schaf hat im Minenfeld ein Bein verloren. Mit dieser ausstellungspolitischen Entscheidung wirft das Militärhistorische Museum folglich auch die Frage auf, ob die militärische Nutzung von Tieren legitim und ethisch vertretbar ist, denn eines, so stellt es das Animals in War Memorial in einer Inschrift heraus, steht zweifelsfrei fest: »They [the animals, G.K.] had no choice.«
Tiere, Militär, Krieg und Ethik
Die Entscheidungen und Handlungen des Menschen haben prägende und gravierende Auswirkungen auf den Planeten und auf andere Spezies. Menschen haben sich das Tier mehr oder minder skrupellos dienstbar gemacht, es domestiziert, trainiert, ausgebildet und sich dabei oftmals keine oder nur wenige Gedanken darüber gemacht, ob Tiere Lebewesen mit einer eigenen Dignität sind. Tiere wurden und werden für ihre Nutzung, gleich ob im zivilen oder im militärischen Bereich, ›zwangsrekrutiert‹, um es in militärischer Sprache auszudrücken. Dabei bediente man sich oftmals der Bindung der Tiere zum und ihres Vertrauens in den Menschen. Beides gilt auch heute noch.
Allerdings hat diese anthropozentrische Konstruktion im Prozess der Zivilisation Risse bekommen. Hierbei kommt interessanter Weise einer Kinoproduktion, dem Film »War Horse« (2011, deutsch: »Gefährten«, 2012), bei dem kein Geringerer als Steven Spielberg Regie geführt hat, eine wichtige Rolle zu. Das Buch zu dem Film schrieb (Sir) Michael Morpurgo, einer der bekanntesten britischen Kinder- und Jugendbuchautoren. Es erschien bereits im Jahr 1984 und wurde ab 2007 für die Theaterbühne adaptiert. Erzählt wird darin die Geschichte des Pferdes Joey und dessen Freundschaft zu dem Farmersjungen Albert Narracot, der erleben muss, wie sein Vater das Pferd im Ersten Weltkrieg an die britische Kavallerie für den Einsatz an der Front in Frankreich verkauft. Unter großem Einsatz gelingt es Albert am Ende, Joey zu finden und wieder in seine Heimat zu bringen. Bis dahin muss Joey allerdings schwerste Dienste für die britische und dann auch die deutsche Armee übernehmen, was der Leserschaft des Buches, dem Theaterpublikum und den Konsumenten des Filmes die Leiden des Pferdes im militärischen Dienst sehr drastisch vor Augen führt und ihnen damit die ethisch-moralische Problematik der Nutzung von Tieren für militärische nahebringt.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem Aufschwung wider, den die Diskussion um Tierethik und um Tierrechte seit geraumer Zeit genommen hat. Die Tierethik beschäftigt sich dabei mit den moralischen und ethischen Fragen, die aus dem Umgang des Menschen mit dem Tier erwachsen. Die Diskussionen um das Für und Wider von Tierversuchen, um die Massentierhaltung, um die Haltung von Tieren in Zoos und Zirkussen oder um die Praxis des Stier- und des Hahnenkampfes sind in diesem Kontext zu verorten. Mittlerweile hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass das Tier durchaus in die Sphäre der ethisch-moralisch zu berücksichtigenden Lebewesen und damit in den Kreis der ethisch-moralischen Gemeinschaft gehört. Gemäß dem bekannten Bonmot Jeremy Benthams (»The question is not, can they reason? Nor, can they talk? But, can they suffer?«) liefert die Leidensfähigkeit des Tieres, also ein pathozentrisches Kriterium, die zentrale Begründung hierfür. Denn in dem Moment, in dem man anerkennt, dass ein Tier etwa in einem Maße leidensfähig ist, wie es dem menschlichen Empfinden von Leid entspricht, kann dem Tier ein Subjektcharakter und der Anspruch auf unsere Sympathie und einen würdevollen Umgang mit ihm zugesprochen werden. Sinnfälliger Ausdruck dessen ist die Aufnahme des Tierschutzes in diverse Verfassungen, sodass die Frage, ob Tiere Rechte haben, zwischenzeitlich zu bejahen ist.
Meist wird die Berücksichtigung des Tieres als ethisch-moralisches Subjekt indes mit dem Anspruch auf Persistenz der anthropologischen Differenz zwischen Mensch und Tier und damit eines hierarchischen Sonderstatus für den Menschen verbunden, der die Nutzung des Tieres für menschliche Zwecke rechtfertigt. Egalitaristische Positionen, die eine ethisch-moralische Äquivalenz von Mensch und Tier identifizieren, sind demgegenüber in der Minderheit. Der militärischen Nutzung des Tieres und der Betroffenheit des Tieres durch militärische Gewalt und Krieg, das zeigt das aktuelle Beispiel des Krieges in der Ukraine, sind somit auch für die Zukunft kein Einhalt geboten. Der argumentative Aufwand hierfür nimmt jedoch zu, weil sich der soziokulturelle Referenzrahmen verändert.
DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-607
Literaturtipps
Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Rainer Pöppinghege, Paderborn 2009.
Reinhart Koselleck, Der Aufbruch in die Moderne oder das Ende des Pferdezeitalters. In: Der Historikerpreis der Stadt Münster. Die Preisträger und Laudatoren von 1981 bis 2003. Hrsg. von Berthold Tillmann, Münster 2005, S. 159–174.
Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung, München 2015.
Handbuch Tierethik. Grundlagen – Kontexte – Perspektiven. Hrsg. von Johann S. Ach und Dagmar Borchers, Stuttgart 2018.
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