Michael Mieth: Neue curieuse Beschreibung der gantzen Artillerie, 1736
Michael Mieth: Neue curieuse Beschreibung der gantzen Artillerie, 1736
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Das vorliegende Werk mit seinen interessanten Provenienzen (Vermerke früherer Besitzer) ging wohl schon durch Scharnhorsts Hände als es zum Bestand der Bibliothek der Königlich Preußischen Kriegsschule zu Berlin gehörte. Es stand den jungen Offizieren für das Unterrichtsfach Fortifikation (Festungslehre) und damit auch das Fachgebiet Artillerie zur Verfügung. Später kam es in die Deutsche Heeresbücherei in Berlin.
In einem Militärlexikon von 1901 findet man die Erklärung, dass die Artillerie das Kriegsmaschinenwesen bezeichnet. Genau genommen ist die Artillerie die Lehre von Geräten, die Munition, das können Steinkugeln sein oder später auch Granaten oder Schießpulver, auf feindliches Gebiet katapultieren. Alle Arten von Feuerwaffen werden bis heute artilleristische Waffen genannt. Artillerie ist im Militär eine Waffengattung beziehungsweise Truppengattung. Klassisch gibt es drei Großwaffen in der Armee: Infanterie, Kavallerie und Artillerie. In der Moderne verwendet man in allen drei Teilstreitkräften (Heer, Luftwaffe und Marine) Artilleriewaffen.
Historische Einordnung
Michael Mieth wurde in Sachsen geboren. Ein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Er lebte zur Zeit des habsburgischen Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Leopold I. (1640-1705), in dessen Diensten er als Hauptmann der Artillerie stand. Mieth kämpfte im Rang eines Obersts zuletzt im Großen Türkenkrieg (1683-1699). 1686 wurde er während der Belagerung von Ofen, einem Stadtteil des heutigen Budapests in Ungarn, durch Artilleriebeschuss tödlich verwundet. Berühmt wurde Mieth für seine Schriften zur Artillerie, vor allem durch das 1672 erschienene Buch mit dem Titel „Artilleriae recentior praxis. Oder neuere Geschützbeschreibung“. Das Buch „Neue curieuse Beschreibung der gantzen Artillerie“ erschien zuerst 1705. Die vorliegende Ausgabe ist von 1736, wurde also genau 50 Jahre nach dem Tod des Verfassers neu gedruckt.
Aus dem Inhalt
Schon im Mittelalter bereitete man in Pulvermühlen Munition für Feuerwaffen zu. Für das Schwarzpulver wurden Holzkohle, Schwefel und Salpeter gemahlen und gemischt. Meist trieb Wasser die Mühlen an. Deswegen lagen Pulvermühlen an Flüssen, auf Grund der hohen Explosionsgefahr meist außerhalb von Ortschaften. Mieth stellt hier eine durch Manneskraft betriebene Pulvermühle dar. Bis zur Erfindung moderner Sprengstoffe war das Schwarzpulver der einzige militärische und zivile Explosivstoff und einziges Treibmittel für Artillerie- und Handfeuerwaffen. Seit dem 17. Jahrhundert verwendet man Papierpatronen einschließlich Kugeln mit einer abgemessenen Füllmenge an Schießpulver zum Zünden von Musketen.
Was auf den ersten Blick aussieht, wie drei schön verzierte Kanonenröhre, nennt man in der Fachsprache „Kataune“. Es handelt sich dabei um ein Vorderladergeschütz, also eine Rohrwaffe, die von vorne mit Munition gefüllt wird. Es gibt verschiedene Rohrgrößen. Kaliber bezeichnet man die Rohrdurchmesser. Die Rohrlänge beträgt mindestens das Zwanzigfache des Kalibers. Es gibt feststehende und mobile Geschütze. Als Munition wurde vom späten Mittelalter bis in die Neuzeit hinein Eisenkugeln verwendet. Im Hohlraum zwischen Kanonenwand und Geschoss, dem sogenannten Wind, befand sich das Sprengmittel, das über die Lunte, die durchs Zündloch führt, mittels Feuer entzündet wurde, um die Kugel aus dem Rohr zu katapultieren.
Michael Mieth experimentierte bereits 1678 in Prag mit Bomben, die beim Fallen von selbst platzten. Sie waren an der Mündung, auch Mundloch genannt, schwerer, sodass sie damit aufschlugen. Eine geladene Röhre wurde auf diese Weise ins Innere der Granate getrieben und explodierte. Mieth gilt als der Erste, der diese Technik des Einschraubens eines eisernen oder stählernen Zündlochstollens theoretisch beschrieb und praktisch erprobte. Die Granate zerbarst am Boden, zersplitterte und entfaltete dadurch eine größere Zerstörungskraft.
Michael Mieth starb 1686 beim Angriff der Osmanen auf Budapest durch die Wirkung eines Artilleriegeschosses. Die Artillerie war sozusagen sein Leben und sein Tod.
Wie kam das Buch in die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr?
Drei Stempel von Bibliotheken, die das Buch im Besitz hatten, sind auf der Vorder- und Rückseite des Titelblatts zu finden, bevor es in den Bestand des Militärgeschichtlichen Forschungamtes (MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt), heute ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, kam.
Bibliothek der Königlich Preußischen Kriegsschule zu Berlin
Der älteste Besitznachweis stammt aus der Bibliothek der Königlich Preußischen Kriegsschule zu Berlin. Die Kriegsschule wurde im Zuge der Preußischen Heeresreform 1810 in Berlin von keinem Geringeren als Gerhard von Scharnhorst (1755-1813), damals im Stand eines Generalmajors, gegründet. Sein Bürochef war der 1810 gerade zum Major ernannte Carl von Clausewitz (1780-1831). Scharnhorst leitete nicht nur die Schule, bis er 1813 an den Folgen einer Kriegsverletzung starb, sondern auch die Bibliothek der Schule. Zu den Unterrichtsfächern für die jungen Offiziere gehörte unter anderem das Fach Fortifikation und damit auch das Fachgebiet Artillerie. Die Kriegsschule hieß seit 1859 Kriegsakademie und wurde 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs geschlossen.
Deutsche Heeresbücherei in Berlin
1919 wurde die Deutsche Heeresbücherei in Berlin eingerichtet. Sie stand an der Spitze eines militärischen Büchereiwesens für ganz Deutschland. Die Heeresbücherei war so etwas wie eine militärwissenschaftliche Nationalbibliothek. Ihr nachgeordnet waren die überall im Land verteilten Wehrkreisbüchereien. Das Angebot der Heeresbücherei richtete sich nicht nur an Militärangehörige, sondern auch an die Öffentlichkeit. Der Wehrgedanke sollte in der Gesellschaft gestärkt werden. Bei einem Bombenangriff im Frühjahr 1945 wurde die Heeresbücherei in der Mitte Berlins zerstört. Nicht alle 400000 Bücher, 250000 Karten und 500 Handschriften wurden bei dem Angriff zerstört. Es gibt viele Mutmaßungen, was mit den Überresten nach Mai 1945 geschehen ist. Spuren führen nach Polen und in die damalige Sowjetunion. In nicht wenigen Bibliotheken tauchen dann nach dem Krieg Bände mit dem Stempel „Deutsche Heeresbücherei Berlin“ auf. Auch im Bestand des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr befinden sich heute Bände mit dieser Provenienz.
Wehrbereichsbibliothek II
In der Bundesrepublik Deutschland wurden mit Aufstellung der Bundeswehr Wehrbereiche gebildet. 1956 richtete man die Wehrbereichsbibliothek II in Hannover ein. Grundstock der neuen Bibliothek bildeten 5000 Bände mit militärischer Thematik, die in den Wirren zu Kriegsende 1945 in den Keller des Leineschlosses in Hannover ausgelagert wurden. Die Wehrbereichsbibliothek II wuchs auf über 100000 Bände auf. 1995 entschied die Bundeswehr, alle Wehrkreisbibliotheken aufzulösen und die Literaturversorgung in der Bundeswehr neu zu organisieren. Die niedersächsische Landesregierung verhandelte über Jahre mit der Bundeswehr über den Verbleib der Bücher der Wehrbereichsbibliothek II In Hannover. Letztlich wurde ein Depositalvertrag abgeschlossen, der zur Folge hatte, dass 80000 Bände formal dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam zugesprochen wurden, aber physisch in der Niedersächsischen Landesbibliothek untergebracht werden. Die Sammlung habe als sogenannte Scharnhorst-Bibliothek einen so starken Bezug zu Hannover, dass sie dort verbleiben müsse. 586 Stücke, die einen stärkeren Bezug zur preußischen Geschichte haben, kamen 2003 nach Potsdam, wohin das Militärgeschichtliche Forschungsamt 1994 umgezogen war.
In Scharnhorst vereinen sich Hannoveraner und Preußische Militärgeschichte. 1782 wurde Scharnhorst als Leutnant leitender Bibliothekar der im selben Jahr neu gegründeten Artillerieschule in Hannover. Der vorliegende Band ist sicher in Scharnhorsts Zeit als Bibliotheksleiter der Kriegsschule in Berlin durch seine Hände gegangen.
URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-6734
Aufgeblättert - Weitere Beiträge
In der Online-Reihe "Aufgeblättert - Der Bücherschatz des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr" gewährt die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einen Einblick in ihre raren Bücherschätze, die seit 2022 endlich wieder vor Ort im Magazin untergebracht sind, nachdem sie jahrelang im Außenmagazin schwer zugänglich waren. Gerne können Sie unsere Bibliothek während der Öffnungszeiten besuchen. Auf der Seite der Bibliothek finden Sie weitere Informationen zur Bibliothek und zur Bibliotheksbenutzung.