Martino Martini: Histori von dem Tartarischen Kriege, 1654
Martino Martini: Histori von dem Tartarischen Kriege, 1654
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Martino Martini (Missionar des Jesuitenordens in China) veröffentlichte 1654 in Rom „De bello Tartarico historia“, das im selben Jahr in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Histori von dem Tartarischen Kriege wieder die Sineeser“ erschien. Darin verarbeitet der Autor eigene Erlebnisse in China und die Geschichte des Landes von 1616-1651. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht der Einfall der Mandschu, die Martini als Tataren bezeichnet.
Historische Einordnung
Martino Martini, 1614 in Trient geboren, trat 1632 in Rom in die Gesellschaft Jesu (Jesuitenorden) ein. Er zeigte sich als äußerst gelehrig mit besonderem Interesse für Mathematik und Naturwissenschaften. Der Orden entschied, Martini als Missionar nach China zu entsenden. Dorthin schickte man nur die klügsten Köpfe, da die zu erwarteten Aufgaben vor Ort ein hohes Maß an intellektueller Auseinandersetzung erwarten ließen. In Lissabon begann 1638 Martinis Schiffsreise mit dem Ziel China. Doch zunächst kam er nur bis Goa, wo er einige Jahre zubrachte. Erst 1643 erreichte Martini endlich China, nachdem er zuvor unfreiwillig noch einige Zeit auf den Philippinen verlebte. In China erlernte Martini rasch die chinesische Sprache und unterhielt regen Austausch mit den Einwohnern der verschiedenen Regionen des großen chinesischen Reiches. Als Missionar des Jesuitenordens musste er bald zwischen seinem Orden und anderen katholischen Orden vermitteln. Die zum Christentum bekehrten Chinesen wünschten, ihren Ahnenkult und die Verehrung ihres Lehrers Konfuzius‘ weiter ausüben zu dürfen. Die ebenfalls in China missionierenden Dominikaner und Franziskaner lehnten dies ab. Die katholische Inquisition verbot das Ausüben der chinesischen Riten. Die Jesuiten in China erfuhren natürlich von dem Beschluss Roms und schickten Martini 1651 zurück nach Rom, um die Lage der Christen in China zu schildern. Auf der langwierigen und gefährlichen Schiffsreise zurück nach Europa ordnete Martini seine vielen Manuskripte, um sie bei seiner Ankunft in Rom in den Druck zu geben. Papst Alexander VII. erließ 1656 das Dekret, die Beibehaltung der chinesischen Gebräuche unter der Bedingung zu erlauben, dass sie als bürgerliche und nicht als religiöse Zeremonien ohne Beimischung von Aberglauben praktiziert würden. Martini war über seinen Vermittlungserfolg hocherfreut und wollte die Kunde selbst nach China bringen. Erneut unterzog er sich den Reisestrapazen und kam 1658 nach zweijähriger Reise wieder in China an. Dort konnte er weiter seiner Missionstätigkeit nachgehen, bevor er 1661 ausgezehrt und erschöpft in Hangtcheou starb.
Zum Inhalt
Martino Martini veröffentlichte 1654 in Rom „De bello Tartarico historia“, das im selben Jahr erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Histori von dem Tartarischen Kriege wieder die Sineeser“ erschien. Unsere Ausgabe ist 1654 in Amsterdam im kleinsten Buchformat Duodez (bis zur Rückenhöhe von 17 cm) gedruckt worden und umfasst 217 Druckseiten.
Martini verarbeitet seine eigenen Erlebnisse in China und die Geschichte des Landes von 1616-1651. Er greift auf Beschreibungen seiner Ordensgenossen zurück, die seit 1616 in China missionierten, denn er selbst betrat das Land erst 1643. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht der Einfall der Mandschu, die Martini als Tataren bezeichnet. Die Mandschu oder Mandschuren waren ein halbnomadisches Reitervolk aus dem Nordwesten des heutigen Chinas. Innere Unruhen beherrschten China fast zeitgleich zum Dreißigjährigen Krieg, der von 1618 bis 1648 in Europa tobte. Im fernen China rangen ähnlich wie im Abendland Kulturen und Religionen miteinander um die Vorherrschaft. Im Kupferstich auf Seite 15 sieht man die Vorbereitungen zur Einnahme der Stadt Liaoning durch die Mandschuren 1616 dargestellt.
Chongzhen (1611-1644) war der letzter Kaiser Chinas aus der Ming-Dynasie. Auf dem Kupferstich auf Seite 79 wird gezeigt, wie er eigenhändig seine Tochter umbringt, damit sie nicht den Mandschu in die Hände fallen sollte. Die Mandschuren nahmen 1644 Peking ein. Der Kaiser erhängte sich noch am selben Tag, an dem er seine Tochter getötet hatte, im Garten des Palastes.
Nur für kurze Zeit übernahm der Rebellenführer Li Zicheng als Bauernkaiser die Geschicke des Landes, bis er schon 1645 zu Tode kam. Mit dem Mandschuren-Regent Dorgon (1612-1650) begann die Qing-Dynastie im Chinesischen Reich. In dieser Zeit blühte die christliche Mission in China auf, Hunderttausende Chinesen wurden getauft und viele katholische Kirchen im weiten Reich errichtet.
An einem nicht unwichtigen Detail wird der Kampf um kulturelle Identität deutlich. Die Mandschuren waren dafür bekannt, dass sie sich den vorderen Schädel glatt schoren und die Haare des Hinterhaupts zum Zopf flochten. Diese Haartracht drängten sie den Chinesen unter Androhung der Todesstrafe bei Nichtbeachtung auf. Zu Chinesen, die diese Haartracht ablehnten, sagten die Mandschuren: „Willst du deinen Kopf behalten, dann verlierst du nur das vordere Haar am Kopf. Willst du aber dein Haar behalten, dann verlierst du deinen Kopf.“ Im Buch heißt es auf Seite 113/114:
"Aber nachdem geboten war, daß sie sich alle auff Tatarisch sollten bescheren lassen, da haben sie den Tataren den Streit erst recht angeboten, so wol Bürger als Soldaten bekümmerten sich mehr um ihre Haar als um ihr Land."
Die Einführung der Acht Banner unter dem Mandschuren-Führer Nurhaci (1559-1626) wird im Buch ab Seite 161 beschrieben. Bei den Acht Bannern handelt es sich um ein im China der Qing-Dynastie eingeführtes Militär- und Verwaltungssystem. Getragen wird dieses System durch acht mandschurische Großfamilien. Zu einem Banner gehörten ursprünglich 300 Haushalte, die eine Kompanie bildeten. Fünf Kompanien ergaben ein Bataillon, zehn Bataillone ein Banner. Das Banner-System bestand bis zum Untergang der chinesischen Dynastie 1911.
Mehrere Spuren deuten darauf hin, dass nicht nur menschliche Bücherwürmer dem Buch zu Leibe rückten. Der bekannteste Schädling in der Papier- und Buchrestaurierung ist kein Wurm, sondern ein Käfer. Die Larven des gemeinen Nagekäfers (Anobium punctatum) ernähren sich hauptsächlich von Holz und Papier. So entstehen die Fraßgänge. Die typischen Löcher sind die Ausfluglöcher, aus denen der Käfer, nachdem er aus der verpuppten Larve geschlüpft ist, wegfliegt. Mit übermäßiger Feuchtigkeit ist das Büchlein auch schon einmal in Berührung gekommen. Auf fast allen Seiten befinden sich Wasserflecken.
Wie kam das Buch in die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr?
Die Privatbibliothek aus dem Nachlass des Arztes und Heereskundlers Hans Bleckwenn (1912 bis 1990) ist ein besonderer Schatz unserer Bibliothek. Es handelt sich bei den rund 10.000 Medieneinheiten um den wohl größten privat zusammengetragenen Bestand zur Geschichte der preußischen Armee des 18. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt liegt bei der Heeresorganisation, der Uniformentwicklung und der Waffenkunde der friderizianischen Zeit. Zur Sammlung gehören ferner Manuskripte mit zum Teil sehr seltenen Uniformhandschriften.
URN : https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-6409