Friedrich Steger: Der Feldzug 1812
Friedrich Steger: Der Feldzug 1812
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 5 MIN
Das Buch über den Feldzug 1812 hat die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zweimal im Bestand. Das hier vorgestellte Exemplar ist etwas ganz Besonderes. Es war einmal im Besitz von Raoul Fernand Jellinek-Mercedes. Der österreichische Schriftsteller aus Baden bei Wien erschoss sich am 10. Februar 1939 in seiner Wohnung. An diesem Tag übergab ihm ein Vollziehungsbeamter die Verfügung, dass sein gesamtes Eigentum von der Gestapo beschlagnahmt ist.
Historische Einordnung
Der Autor des Buches Friedrich Steger wurde 1811 in Braunschweig geboren und studierte zunächst in Jena, später in München Rechtswissenschaften. An beiden Orten besuchte er auch Geschichtsvorlesungen. Sein Studium konnte er nicht abschließen. Von 1833 bis 1837 musste er sich wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen Studentenverbindung vor Gericht verantworten und wurde zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Weder während des laufenden Prozesses noch nach Verbüßung seiner Haftstrafe war es Steger möglich, sein Studium erfolgreich abzuschließen. Steger betätigte sich journalistisch, bevor er 1841 nach Leipzig zog, wo er 1874 verstarb. In dieser Zeit wurde er als Übersetzer und Autor bekannt. Steger verfasste einen Roman und mehrere Sachbücher, wozu der Band über den Russlandfeldzug Napoleons von 1812 gehört, der 1845 in Braunschweig erschien.
Aus dem Inhalt
Steger bezeichnet Napoleons Feldzug 1812 gegen Russland als einen Wendepunkt der aus seiner Perspektive jüngsten Geschichte. Bis dato hatte sich das übermächtige Frankreich in Europa und darüber hinaus durch erfolgreich geführte Eroberungskriege ausgebreitet. Der Feldzug 1812 endete für Napoleon und seine Armee in einer katastrophalen Niederlage. In den nächsten Jahren wurde Frankreich nach und nach zurückgedrängt und schließlich 1815 endgültig besiegt. Der Grande Armée gehörten 1812 zwangsrekrutierte Regimenter aus Italien, Deutschland, Niederlande, Belgien, Spanien und Kroatien an. Hinzu kamen freiwillige Verbände aus Polen, Irland, Portugal und Nordafrika. Die Dramatik der Kriegsschilderungen des Autors unterstreichen 37 Illustrationen in Kupferstichen. Besonders erwähnenswert ist die Karte Moskaus im Buchanhang und die Chronik der Kriegsereignisse 1812.
Historienmalerei
Unter den auf dem Titelblatt genannten Künstlern sind einige, die eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Dazu zählt Albrecht Adam (1786-1862), ein Maler aus München, der selbst als Augenzeuge an Kriegszügen teilnahm. So war er bereits 1809 im Gefolge der bayerischen Armee bei den Schlachten von Aspern und Wagram. In seiner Autobiographie berichtet Adam, dass es sein sehnlichster Wunsch gewesen sei, einmal eine große Schlacht mit eigenen Augen anzusehen. Nach den Gefechten 1809 war sein Wissensdurst nach eigenen Aussagen bereits gestillt. Dennoch nahm er 1812 in der Grande Armée als Historienmaler am Russlandfeldzug teil. Er veröffentlichte 1827 einen eigenen Prachtband samt 101 großformatigen Bildtafeln mit eindrücklichen Schlachtenszenen. Einige seiner Gemälde werden bis heute im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien gezeigt. Nach Albrecht Adam ist seit 1889 eine Straße in München benannt.
Kunstvolle Buchstabenverzierung
Aus alten wertvollen Bibeln kennt man die kunstvoll verzierten Anfangsbuchstaben eines Buchkapitels. Diese Anfangsbuchstaben nennt man Initiale, vom Lateinischen initium für Anfang. Bereits in frühmittelalterlichen Handschriften sind äußerst wertvolle, handkolorierte Großbuchstaben, die für sich genommen wie kleine Gemälde aussehen, zu finden. Es gibt ornamentale und gegenständliche Darstellungen, Menschen, Tiere und Fantasiefiguren. Als sich seit Mitte des 15. Jahrhundert der moderne Buchdruck mit beweglichen Lettern durchsetzte, versuchte man mit technischen Mitteln, Drucke wie Handschriften aussehen zu lassen. Im vorliegenden Buch haben die Kupferstecher die Vorgaben der Maler zur figürlichen Verzierung von Initialen am Kapitelanfang umgesetzt. Jedes Buchkapitel beginnt mit einer anderen schmückenden Initiale.
Wie das Buch in die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr kam
Der hier vorgestellte Band kam schon früh in den Bestand des Militärgeschichtlichen Instituts der DDRDeutsche Demokratische Republik. Zuvor gehörte er bereits zur Sammlung der „Historischen Abteilung“, die 1952 im Stab der „Kasernierten Volkspolizei“ (K.V.P.) geschaffen wurde. Diese Abteilung sammelte militärisches Schriftgut und hatte unter anderem die Aufgabe, eine militärwissenschaftliche Bibliothek aufzubauen. Der Stempel „K.V.P. Historische Abteilung“ ist auf dem Titelblatt des Buches (siehe oben) aufgedrückt. Als die K.V.P. in die NVANationale Volksarmee überführt wurde, entstand 1958 das „Institut für Deutsche Militärgeschichte“. Seit 1972 trug es den Namen „Militärgeschichtliches Institut der DDRDeutsche Demokratische Republik“ (MGI). Die Büchersammlung der K.V.P. gehörte zum Grundstock der Bibliothek des MGI und ging nach 1990 in den Bestand des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes über, das 1994 nach Potsdam in die Villa Ingenheim einzog, wo heute das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr beheimatet ist.
NSNationalsozialismus-Raubgut in Bibliotheken der Bundeswehr
Der Hinweis auf einen Privatbesitz ist hier von besonderer Bedeutung. Das verspielt anmutende Ex Libris mit dem Schalk, der eine übergroße Eule umarmt, löst Heiterkeit aus. Doch die dahinter stehende Geschichte ist bitterernst. Raoul Fernand Jellinek-Mercedes wurde 1888 in Algier geboren. Er war der Sohn des österreichisch-ungarischen Diplomaten und Autohändlers Emil Jellinek. Eine Schwester Raouls hieß Mercedes. Nach ihr ist die Automobilmarke Mercedes-Benz benannt. Der Vater fügte den Vornamen seiner Tochter daraufhin seinem Nachnamen hinzu. Raoul Fernand diente als Leutnant der Österreichisch-Ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg. Danach widmete er sich der Schriftstellerei. Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich im Juli 1938 wurde Raoul Fernand aufgefordert, seine Vermögensverhältnisse gemäß der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom Mai 1938 offenzulegen. Sein Besitz wurde als jüdisches Vermögen deklariert. Am 10. Februar 1939, nachdem er vom Vollziehungsbeamten die Beschlagnahmungsverfügung ausgehändigt bekommen hatte, erschoss er sich in seiner Wohnung. Auf dem Wiener Zentralfriedhof befindet sich sein Grab.
Das Auffinden dieses Ex Libris in Büchern von Bundeswehrbibliotheken war mit ein Anlass dafür, dass die Bundeswehr 2019 ein Sachgebiet „Auffindung und Restitution von NSNationalsozialismus-Raubgut und NSNationalsozialismus-Beutegut“ im Fachinformationszentrum der Bundeswehr in Bonn einrichtete. Seitdem wird in den rund 60 Spezialbibliotheken der Bundeswehr nach Hinweisen gesucht, ob Bücher zu NSNationalsozialismus-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern gehören könnten. Das Ziel ist die Restitution, also die Rückgabe an Nachfahren, oder eine finanzielle Entschädigung. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Podcast „Zugehört“ des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in der Folge 56 „NSNationalsozialismus-Raubgut in den Bibliotheken der Bundeswehr?“ vom Juli 2023: urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-6641
URN: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-8148
Aufgeblättert - Weitere Beiträge
In der Online-Reihe "Aufgeblättert - Der Bücherschatz des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr" gewährt die Bibliothek des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einen Einblick in ihre raren Bücherschätze, die seit 2022 endlich wieder vor Ort im Magazin untergebracht sind, nachdem sie jahrelang im Außenmagazin schwer zugänglich waren. Gerne können Sie unsere Bibliothek während der Öffnungszeiten besuchen. Auf der Seite der Bibliothek finden Sie weitere Informationen zur Bibliothek und zur Bibliotheksbenutzung.