Militärgeschichtliche Zeitschrift 1/2024
Militärgeschichtliche Zeitschrift 1/2024
- Datum:
- Lesedauer:
- 5 MIN
Der erste Beitrag im neuen Heft 1/24 legt offen, wer genau in welcher Form im Ersten Weltkrieg für den deutschen militärischen Nachrichtendienst arbeitete. Im zweiten Aufsatz werden die Erwartungen der Bevölkerung an die Bundeswehr Ende der 1960er Jahre untersucht. Die Dokumentation stellt den polnischen Operationsplan von 1964 vor und ein Forschungsbericht Stand und Perspektiven der Militärgeschichte Chinas. Zudem beleuchtet die Rubrik „Zur Diskussion“ das Thema „Militärgeschichte und Gewaltgeschichte“.
Aufsätze in diesem Heft
Maximilian Fügen und Markus Pöhlmann, Spione, Agentinnen, Vertrauensleute. Eine Untersuchung zum Personalkörper des militärischen Nachrichtendienstes im Ersten Weltkrieg https://doi.org/10.1515/mgzs-2024-0002
Spionage steht bis heute in der öffentlichen wie auch in der geschichtswissenschaftlichen Wahrnehmung oftmals gleichbedeutend für den militärischen Nachrichtendienst. Dabei macht sich dieses verkürzte Verständnis an dramatischen und prominenten Einzelfällen fest. Der Aufsatz zielt darauf ab, Spionage als militärische Aufgabe für die Gründungsphase der militärischen Nachrichtendienste durch eine empirische Untersuchung der Akteursgruppe besser zu verstehen. Dazu erschließen die Autoren erstmals die Zahl, das soziale Herkommen und die besonderen Einsatzarten der Agentinnen und Agenten im Dienst des preußisch-deutschen Heeres während des Ersten Weltkrieges.
Malte Fischer, „Ein paar militärisch-knappe Zeilen an die Rekrutierungsbehörde“. Populäre Erwartungen an die Demokratisierung der Bundeswehr in Bürgerbriefen an Helmut Schmidt, 1964–1971 https://doi.org/10.1515/mgzs-2024-0003
Anhand zentraler bundeswehrpolitischer Debatten der mittleren 1960er bis frühen 1970er Jahre und der Zuschriften aus der Bevölkerung, die Helmut Schmidt zuerst als Verteidigungsexperten der SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands und dann als Verteidigungsminister der Bundesrepublik erreichten, spürt dieser Aufsatz den Erwartungen »gewöhnlicher« Bürger und Soldaten nach, die diese zu den Debatten um die Reform der Bundeswehr und zum Zustand der Streitkräfte äußerten. Der Aufsatz fragt, wie westdeutsche Bürgerinnen und Bürger den verschlungenen Prozess der Demokratisierung der Bundeswehr wahrnahmen und wie sie die Bundeswehr, die ein präsenter Teil des Alltags vieler Menschen war, mit ihren politischen Erwartungen an Sicherheits- und Verteidigungspolitik und an das Verhältnis von Bürgern und Staat in der liberalen Demokratie verbanden. Die Fallstudie versucht so, das Verfassen von Briefen an Politiker als politische Praxis in der westdeutschen Demokratiegeschichte zu verorten.
Dokumentation
Friedrich K. Jeschonnek, Der Operationsplan für die polnischen Streitkräfte von 1964
Im Rahmen der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) wurde hinsichtlich der Operationsplanung für den Kriegsfall unter sowjetischer Führung bi- und multinational zusammengearbeitet. Hierzu gehörte, dass der Einsatz der Polnischen Küstenfront vom Gebiet der DDRDeutsche Demokratische Republik aus vorgesehen war. Dies erforderte besondere Abstimmungen und weitergehende Unterstützungsleistungen durch die DDRDeutsche Demokratische Republik. Anfänge bildeten polnische Erkundungen des Einsatzraumes, im Weiteren war die Unterstützung des polnischen Angriffs durch Kräfte des 5. Armeekorps (bzw. ab 1983 der 5. Armee) der NVANationale Volksarmee und die Raumordnung für die Küstenfront zu koordinieren. Diese Abstimmungen erfolgten dann, wenn sich erhebliche und gravierende Änderungen in der polnischen Planung ergaben. Weitere Unterstützungsleistungen wurden im Rahmen der Operativen Vorbereitung des Territoriums für den Kriegsfall von der DDRDeutsche Demokratische Republik vorbereitet. Auf Basis der operativen Planungen führten die NVANationale Volksarmee und die Polnische Volksarmee (PVA) im Rahmen der WVO über Jahrzehnte militärische Übungen in Anlehnung an ihre Einsatzoptionen durch. Das Zusammenwirken war in den 1980er Jahren aufgrund der politischen und militärischen Veränderungen nicht immer frei von Irritationen. Viele der polnischen Forderungen zur Einsatzvorbereitung des Territoriums wurden trotz immer knapper werdender Ressourcen der DDRDeutsche Demokratische Republik erfüllt oder zugesagt. Die Kooperation mündete 1986 in ein gemeinsames Protokoll über die Unterstützung der Küstenfront durch die NVANationale Volksarmee. Aufgrund der Geheimhaltung und anderer Konsultationswege in der WVO war das bilaterale operative Zusammenwirken sporadisch und bedarfsorientiert.
Forschungsbericht
Stefan Messingschlager, Zur neueren Militärgeschichte Chinas als Forschungsgebiet: Bestandsaufnahme und Perspektiven
Die chinesische Geschichte ist von Gewalt und Kriegen geprägt; einschlägige Forschung zur Militärgeschichte Chinas gibt es allerdings erst seit wenigen Jahrzehnten. Ziel des Beitrags ist es, einen vertieften Einblick in die Entstehung und Entwicklung dieses Forschungsgebiets zu eröffnen. Der Autor zeigt unter anderem, wie sich die militärhistorische Forschung ab den 1990er Jahren zu einem eigenständigen Forschungsgebiet entwickelte – dass der internationale Fachdiskurs dabei allerdings bis heute dominant angloamerikanisch geprägt ist. Die Militärgeschichte Chinas hat sich aber nicht nur als wissenschaftliches Teilgebiet etabliert, militärhistorische Perspektiven sind heute integraler Bestandteil der Forschung zur chinesischen Geschichte. Mit Blick auf die künftige Forschung plädiert der Autor abschließend für einen dezidierten Fokus auf die Geschichte der Volksbefreiungsarmee seit 1949 und hier vor allem auf ihre Modernisierung seit den 1980er Jahren als Ergebnis von Austausch und Transfer.
Zur Diskussion: Militärgeschichte und Gewaltgeschichte
betreut und eingeleitet von Christoph Nübel
Sönke Neitzel, „Töten und Sterben, Gefahr und Kampf sind die einzigen Realitäten“ – ein Plädoyer für eine Geschichte des Überlebens an der Front
Der Essay plädiert dafür, insbesondere den Zweiten Weltkrieg nicht nur aus einer Perspektive der Verbrechen zu betrachten, sondern stärker als bislang die ganze Breite der Erfahrungswelt von Soldaten in die Analyse einzubeziehen. Dabei bietet es sich an, Ansätze der Gewalt- und Militärgeschichte zu kombinieren, um zu erschließen, wie Soldaten in militärischen Organisationen „funktionierten“.
Frank Reichherzer, Militär darf Gewalt?! Zu Resonanzen zwischen den Forschungsfeldern Gewalt und Militär
Der Essay beginnt mit der Frage nach der Legalität militärischer Gewaltanwendung und endet mit dem Blick auf das komplexe Management und die Dosierung militärischer Gewaltsamkeiten. Militär als ein Gewaltdispositiv zu begreifen, das unterschiedliche kollektive Gewaltsamkeiten bündelt, organsiert und zur Anwendung bringen kann, verweist auf die Notwendigkeit eines breiten, integrativen Gewaltverständnisses, das Abstand von scharfen, aber einschränkenden Definitionen nimmt.
Thomas Hoebel, Wolfgang Knöbl und Stefan Malthaner, Das Problem der historischen Zeit revisited – oder: wie sich Gewaltsoziologie und Militärgeschichte treffen können
In unserem Essay fragen wir danach, welche Einsichten die soziologische Gewaltforschung momentan für militärgeschichtliche Untersuchungen bereithält. Ausgehend davon, dass sich Angehörige beider Forschungsgebiete typischerweise aus entgegengesetzter Richtung auf das „Problem der historischen Zeit“ (Simmel) zubewegen, sehen wir einen Punkt, den wir als Gesellschaftsgestaltung skizzieren möchten.
Die MGZ
Die Militärgeschichtliche Zeitschrift (MGZ) ist eine der führenden deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der Militärgeschichte und bietet in jeder Ausgabe Aufsätze und Beiträge zur aktuellen Forschung sowie Rezensionen zur Literatur aus der Militärgeschichte und aus anderen relevanten Forschungsbereichen. Die MGZ wird vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr) in Potsdam herausgegeben und erscheint halbjährlich bei De Gruyter Oldenbourg.
Das Inhaltsverzeichnis dieser wie auch aller bisherigen Ausgaben der MGZ finden Sie auf der Website des Verlages De Gruyter.