Internationale Konferenz

Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur?

Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur?

Datum:
Ort:
Schweden
Lesedauer:
5 MIN

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Mit gleich drei Angehörigen des Hauses war das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften bei der 17. Konferenz von ERGOMAS (European Research Group on Military and Society) vertreten. Diese fand vom 1. bis 5. Juli 2024 an der Södertörn Universität im Großraum Stockholm in Schweden statt. Das Oberthema der Konferenz lautete „Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur? Herausforderungen und Konsequenzen für Militär und Gesellschaft.“

Gruppenfoto mit Angehörigen des ZMSBw in Stockholm.

Angehörige des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr bei ERGOMAS in Stockholm am 2. Juli 2024.

Bundeswehr/Chariklia Rothbart

Die Sicherheitslage in Europa, insbesondere in Osteuropa und rund um die Ostsee hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Entwicklungen und Ereignisse, die dabei eine Rolle spielen, sind beispielsweise die Covid 19-Pandemie, die widerrechtliche Annexion der Halbinsel Krim durch Russland 2014 und der offene russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022, ökonomische Instabilität und hohe Inflationsraten, mediale Beeinflussungskampagnen und Fake News, Cyberangriffe und Probleme bei der Energieversorgung. Für viele Länder hat sich damit die Notwendigkeit verstärkt, ihre Verteidigungsstrategien, die Organisation und Strukturen der eigenen Verteidigung und Streitkräfte sowie die internationale Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu überdenken, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und ihre Verteidigungsanstrengungen über alle Politikbereiche hinweg zu verstärken und zu verbessern.

Für die Forschung bringen diese Ereignisse und Entwicklungen eine Vielzahl von Fragen mit sich, mit denen sich die mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ERGOMAS-Konferenz über mehrere Tage hinweg auseinandersetzten. Dabei wurden die Veränderungen des Verhältnisses zwischen Militär und Gesellschaft ebenso diskutiert, wie die Effekte technischer Entwicklungen und Innovationen, die Herausforderungen für Personalrekrutierung und -erhalt für das Militär, die internationale Zusammenarbeit und Koordination von Streitkräften und die Abgrenzung von Kompetenzen zwischen verschiedenen staatlichen Sicherheitsinstitutionen. Die Konferenz bot neben ihrer thematischen Breite vielfältige Möglichkeiten für wissenschaftliche Kooperation und Vernetzung. Für das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr nahmen Ina Kraft, Heiko Biehl und Markus Steinbrecher an der ERGOMAS-Konferenz teil, die vom Swedish Centre for Studies of Armed Forces and Society (CSMS) organisiert wurde. 

Einblicke in die zivil-militärischen Beziehungen in Deutschland

Ina Kraft hielt einen Vortrag zu den Veränderungen des Verhältnisses zwischen Politik und Militär in Deutschland. Sie führte aus, dass Deutschland über Jahrzehnte hinweg eine enge und starke zivile Kontrolle über das Militär institutionalisiert und angewendet habe. Beispiele dafür seien verfassungsrechtliche Regelungen zur Verankerung ziviler Säulen und Bereiche innerhalb der Streitkräfte, die institutionell relativ schwache Position des Generalinspekteurs, der starke Einfluss des Auswärtigen Amtes in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, umfassende parlamentarische Entscheidungsbefugnisse auch beim Einsatz der Bundeswehr und ein weitgehendes Fehlen des Militärs im öffentlichen politischen Diskurs. Ina Kraft stellte besonders seit den 2010er Jahren zahlreiche Veränderungen in dem sensiblen zivil-militärischen Verhältnis fest, etwa die Ausweitung der Kompetenzen des Generalinspekteurs und Einfluss- und Kompetenzgewinne des Bundesministeriums der Verteidigung im Verhältnis zum Auswärtigen Amt. Ina Kraft schlussfolgerte, dass das Potenzial für einen gesteigerten militärischen Einfluss zu erkennen sei.

Vortrag von Dr. Heiko Biehl bei der ERGOMAS-Konferenz

Dr. Heiko Biehl präsentiert Forschungsergebnisse zum Rechtsextremismus in der Bundeswehr.

Bundeswehr/Chariklia Rothbart

Studie zu Politischem Extremismus in der Bundeswehr

Heiko Biehl und Markus Steinbrecher stellten die Studie „Armee in der Demokratie. Ausmaß, Ursachen und Wirkungen von politischem Extremismus in der Bundeswehr“ vor. Im Vortrag wurde deutlich, dass politischer Extremismus unvereinbar mit den gesetzlichen Grundlagen und den normativen Standards der Bundeswehr ist. Biehl und Steinbrecher erläuterten ausführlich das empirische Design und die methodischen Herausforderungen der Datenerhebung. Im Vordergrund der Studie standen zwei zentrale Fragestellungen: 1) Wie groß ist das Ausmaß extremistischer Einstellungen unter den Angehörigen der Bundeswehr? und 2) Welches sind die Ursachen und Korrelate von extremistischen Einstellungen? Für die zweite Fragestellung wurde die Relevanz von vier Hypothesen bzw. Gruppen von Erklärungsfaktoren untersucht (1. Vertrauen in politische Institutionen und Unzufriedenheit mit der Demokratie, 2. wahrgenommene gesellschaftliche Unterstützung, 3. dienstbezogene Wahrnehmungen und Bewertungen, 4. Soldatenbilder, normative Erwartungen an den Dienst und historische Wahrnehmungen). Die Analyseergebnisse basieren im wesentlichen auf Umfragedaten aus dem Jahr 2022 und erlauben umfassende Einblicke in die Struktur und Dynamik politischer Überzeugungen des zivilen und militärischen Personals der Bundeswehr sowie Vergleiche zwischen Bundeswehrangehörigen und Bürgerinnen und Bürgern. Zudem liefern die Ergebnisse reichhaltige empirische Evidenz zur demokratischen Zuverlässigkeit der deutschen Streitkräfte.

Eine historische Kanone in Stockholm.

Zeugnis der Verteidigungsbereitschaft: Eine historische Kanone im Stadtzentrum von Stockholm.

Bundeswehr/Markus Steinbrecher

Vortrag zur Verteidigungsbereitschaft in Deutschland

Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage, der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende” und der Pläne des Verteidigungsministeriums zur Wiedereinführung von Wehrpflicht und Wehrüberwachung setzte sich Markus Steinbrecher in einem weiteren Vortrag mit der Verteidigungsbereitschaft in Deutschland auseinander. Er untersuchte mit den Daten der Bevölkerungsbefragungen des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr einerseits das Ausmaß der Verteidigungsbereitschaft und deren Veränderungen von 2021 bis 2023, andererseits die Erklärungsfaktoren der Verteidigungsbereitschaft und Verschiebungen in deren Relevanz. Seine Analysen zeigen, dass zwischen 33 und 41 Prozent der Deutschen bis zum Alter von 50 Jahren bereit sind, ihr Land im Fall eines militärischen Angriffs zu verteidigen. Die Bereitschaft ist seit dem Beginn des Ukrainekriegs etwas gestiegen, aber im Vergleich zu anderen Ländern immer noch niedriger. Aber: 39 Prozent der 16- bis 50-Jährigen sind 2023 bereit, Deutschland im Fall eines Angriffs zu verteidigen. In absoluten Zahlen entspricht dieser Anteil mehr als 10 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Die wichtigsten Erklärungsfaktoren für die Verteidigungsbereitschaft sind Geschlecht, die Haltung zur Bundeswehr, die Haltung zur Anwendung militärischer Gewalt, eigene militärische Erfahrungen und die Wahlabsicht: Männer, Personen mit positiver Sicht auf die Bundeswehr, Befürworter der Anwendung militärischer Gewalt, Befragte mit eigener Erfahrung bei der Bundeswehr (in der Regel im Rahmen der Wehrpflicht) und Unterstützer von AfD und CDUChristlich Demokratische Union sind eher bereit, Deutschland zu verteidigen. Bedrohungswahrnehmungen spielen lediglich nach dem Beginn des Ukrainekriegs 2022 eine Rolle: Sieht man Russland als Bedrohung, dann ist man eher verteidigungsbereit. 2023 sind Bedrohungswahrnehmungen hingegen irrelevant.

Markus Steinbrecher ist Teil des neuen Vorstands von ERGOMAS

ERGOMAS bietet nicht nur eine Plattform für den wissenschaftlichen Austausch im Rahmen ihrer Konferenzen. Bei ERGOMAS handelt es sich um eine interdisziplinäre, internationale wissenschaftliche Vereinigung zur Erforschung des Wechselverhältnisses zwischen Militär und Gesellschaft. Die öffentliche, nicht profitorientierte sowie politisch und ideologisch unabhängige Organisation wird von Militärsoziologinnen und -soziologen aus einer Vielzahl von europäischen und nicht-europäischen Ländern getragen. Wesentliche Standbeine der Arbeit der Vereinigung sind ihre 14 Arbeitsgruppen und die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz. Im Zuge der Konferenz wurde auch der neugewählte Vorstand von ERGOMAS vorgestellt, dessen Amtszeit bis 2028 läuft. Neuer Präsident ist Prof. Dr. Claude Weber von der Universität Rennes in Frankreich. Neuer Generalsekretär ist Prof. Dr. Morten Brænder von der Universität Aarhus in Dänemark. Mit Dr. Markus Steinbrecher als neuem Schatzmeister ist das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr für die kommenden Jahre im Vorstand von ERGOMAS vertreten. Markus Steinbrecher bleibt zudem weiterhin Koordinator der Arbeitsgruppe „Public Opinion, Mass Media, and the Military“, ein Amt, das er, gemeinsam mit Thomas Ferst aus der Schweiz, bereits seit 2019 innehat.

von Markus Steinbrecher

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