Armee in der Demokratie

Interview: Wesentliche Ergebnisse von „Armee in der Demokratie“

Das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat kürzlich die Untersuchungsergebnisse des Projekts „Armee in der Demokratie“ veröffentlicht. Über die zentralen Ergebnisse sprechen wir mit Dr. Heiko Biehl, PDPrivatdozent Dr. Nina Leonhard und Dr. Markus Steinbrecher. Sie sind das Forschungsteam hinter der Studie. In diesem Interview geht es um die politischen Haltungen von Bundeswehrangehörigen, wie extremistische Einstellungen zu erklären sind und wie in der Bundeswehr mit Politik und politischem Extremismus umgegangen wird.

Gruppe aus zwei Wissenschaftlern und einer Wissenschaftlerin im Interview mit Offizier sitzend.

Dr. Heiko Biehl, Dr. Nina Leonhard und Dr. Markus Steinbrecher im Interview mit Major Michael Gutzeit.

Bundeswehr/Annette Besser

Die Bundeswehr ist eine Armee (in) der Demokratie. Sie muss gleichermaßen ihren verteidigungspolitischen Auftrag umsetzen, militärische Aufgaben erfüllen und den Anspruch an Streitkräfte in einer Demokratie einlösen. Politischer Extremismus ist mit dem normativen Gerüst der Bundeswehr unvereinbar. Vor diesem Hintergrund untersucht die Studie „Armee in der Demokratie“ das Ausmaß, die Ursachen und die Wirkungen von politischem Extremismus in der Bundeswehr.

An den Befragungen der Studie „Armee in der Demokratie“ nahmen zwischen September und Dezember 2022 mehr als 4.300 zufällig ausgewählte Bundeswehrangehörige und mehr als 4.600 Bürgerinnen und Bürger teil. Zudem fanden 18 Gruppendiskussionen an verschiedenen Bundeswehrstandorten statt. Der Forschungsbericht zur Studie konzentriert sich auf das militärische Personal und bietet umfassende Erkenntnisse zum Blick der Soldatinnen und Soldaten auf Politik, Staat und politischen Extremismus. Durch die AID-Bevölkerungsbefragung liegen umfassende Vergleichsdaten für die Bürgerinnen und Bürger vor, die bei der Einordnung der Befunde helfen.

Das Interview führt:

  • Mann in Uniform sitzend

    Michael Gutzeit Major

    © Bundeswehr/Annette Besser

Interview mit:

  • Portraitbild

    Heiko Biehl Dr.

    © Bundeswehr/Annette Besser
  • Portraitbild

    Nina Leonhard PD Dr.

    © Bundeswehr/Annette Besser
  • Portraitbild

    Markus Steinbrecher Dr.

    © Bundeswehr/Annette Besser
Michael Gutzeit

Laut Ihrer Studie gibt es weniger als ein Prozent Rechtsextreme in der Bundeswehr. Hat die Bundeswehr also kein Problem mit Rechtsextremisten?

Markus Steinbrecher

Die Studie zeigt, dass es merklich weniger Unterstützung für rechtsextreme Haltungen und Positionen in der Bundeswehr gibt als in der Gesamtbevölkerung. Zudem ist der Anteil von Personen mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild in der Bundeswehr deutlich geringer als in der Bevölkerung. Allerdings gibt es durchaus Angehörige der Bundeswehr, die rechtsextremen Positionen zustimmen oder gar konsistente rechtsextremistische Einstellungen haben. Die offiziellen Statistiken der Bundeswehr zu extremistischen Verdachtsfällen zeigen, dass der Großteil der Fälle aus dem Bereich Rechtsextremismus kommt. Aus diesen Statistiken und unseren Befragungsergebnissen lässt sich aber in keiner Weise herauslesen, dass die Bundeswehr ein systematisches Problem mit Rechtsextremismus hätte.

Natürlich will jeder wissen, wie viele Extremisten es in der Bundeswehr gibt und eine genaue Zahl oder einen exakten Anteil hören. Wichtiger als einzelne Zahlen ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht jedoch deren Einordnung. Wir haben uns bei der Berechnung des Anteils der Personen mit konsistenten rechtsextremistischen Einstellungen an etablierte Methoden und Grenzwerte aus der wissenschaftlichen Forschung gehalten. So sind umfassende Vergleiche mit der Bevölkerung insgesamt und mit bestimmten sozialen Gruppen möglich. Die große Stärke unserer Studie ist die Identifikation von Merkmalen und Einstellungen, die zu stärkerer oder schwächerer Unterstützung für rechtsextreme Positionen in der Bundeswehr führen.

Heiko Biehl

Unsere Analysen zeigen, dass rechtsextreme Einstellungen mit zwei Gruppen von Faktoren einhergehen: Zum einen mit einer Enttäuschung über die Politik und einer Distanzierung vom politischen System. Das gilt besonders dann, wenn das Vertrauen in die Akteure, Institutionen und Prozesse unseres Systems gering ist oder wenn Meinungs- und Denkverbote im öffentlichen Raum subjektiv wahrgenommen werden. Zum anderen können ein elitäres soldatisches Selbstbild und eine positive Haltung zur Wehrmacht zu rechtsextremen Positionen führen.

Markus Steinbrecher

Wenn wir auf unsere Bevölkerungsbefragung schauen, sehen wir, dass Personen mit rechtsextremen Einstellungen ein erhöhtes Interesse an einer Tätigkeit in der Bundeswehr haben. Das heißt allerdings nicht, dass sie auch den Weg in die Bundeswehr finden. Die Bundeswehr schaut bereits genau darauf, wer in die Streitkräfte will. Dabei helfen besonders die Soldateneinstellungsüberprüfung und andere Maßnahmen während der Bewerbungsphase und des Einstellungsprozesses, nicht nur Extremisten unter den Bewerbern herauszufiltern, sondern von vorne herein auch abschreckend auf Extremisten zu wirken, die in die Bundeswehr wollen. Da tut die Bundeswehr schon vieles, muss aber weiter sehr aufmerksam sein.

Michael Gutzeit

Der Forschungsbericht zur Studie „Armee in der Demokratie“ umfasst etwa 180 Seiten. Welche zentralen Ergebnisse hat Ihre Studie noch?

Heiko Biehl

Wenn wir den Blick auf das ganze Spektrum politischer Einstellungen richten, dann wird die große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr den Grundsätzen der Inneren Führung und den Anforderungen an eine Armee in einer Demokratie vollkommen gerecht. Die Unterstützung für rechtsextremistische Positionen bei Soldatinnen und Soldaten ist wie gesagt deutlich geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem finden wir heraus, dass Soldatinnen und Soldaten sich stärker für Politik interessieren, ein größeres Vertrauen in staatliche Institutionen haben, mit der Demokratie in Deutschland zufriedener sind und die freiheitliche demokratische Grundordnung stärker befürworten als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Markus Steinbrecher

Hinzu kommt eine höhere Wahlbeteiligung. All diese Ergebnisse zeigen sich übrigens auch für das Zivilpersonal der Bundeswehr. Man könnte daher so weit gehen zu sagen, dass die Angehörigen der Bundeswehr interessiertere, zufriedenere, aktivere und damit vielleicht aus einer demokratietheoretischen Perspektive „bessere“ Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Michael Gutzeit

Angesichts Ihrer eher harmlosen Befunde könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich bei Ihrem Projekt um eine Gefälligkeitsstudie handelt. Warum hat man die Befragung nicht an unabhängige Forscherinnen und Forscher vergeben?

Heiko Biehl

Das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist in seiner Forschung stets unabhängig und als Ressortforschungsinstitut den Standards der empirischen Sozialforschung verpflichtet. Wir führen unsere Untersuchungen nach den allgemein gültigen Regeln und Kriterien der sozialwissenschaftlichen Forschung durch. Dies ist auch in der Vorschrift des BMVgBundesministerium der Verteidigung für die wissenschaftliche Arbeit des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr festgelegt: „Die wissenschaftliche Arbeit des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unterliegt der grundgesetzlich garantierten Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Sie erfolgt nach den allgemein anerkannten Methoden und Standards der Geschichts- und Sozialwissenschaften.“ Der Wissenschaftsrat hat nach einer umfangreichen Evaluierung erst 2023 bestätigt, dass die wissenschaftliche Arbeit des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr diesen Standards entspricht.

Nina Leonhard

Das übliche Vorgehen bei empirischen Studien des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist, dass das BMVgBundesministerium der Verteidigung zunächst seinen Erkenntnisbedarf definiert. Im Fall unserer Studie also: Wie ist das Ausmaß und was sind die Ursachen extremistischer Einstellungen in der Bundeswehr? Bei den anschließenden Schritten des Forschungsprozesses haben wir dann freie Hand: Wir Forscherinnen und Forscher des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wählen theoretische und methodische Ansätze aus, entwickeln den Fragebogen, erheben die Daten, werten sie aus und erstellen den Bericht, der ans BMVgBundesministerium der Verteidigung geht.

Heiko Biehl

Dass die Studie nicht an externe Forscherinnen und Forscher vergeben wurde, erklärt sich sicher auch durch die jahrzehntelangen Erfahrungen des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit empirischen Studien in der Bundeswehr. Letztlich hat nur unser Institut die vielfältigen und in Teilen einzigartigen Kenntnisse über die Bundeswehr und das Vertrauen ihrer Angehörigen, um ein solch umfangreiches und komplexes Projekt innerhalb der Streitkräfte durchzuführen.

Michael Gutzeit

Warum werden in Ihrer Studie nur rechtsextreme Einstellungen untersucht? Was ist mit anderen extremistischen Phänomenen?

Markus Steinbrecher

Wie bereits gesagt, stammt nach den offiziellen Statistiken des BMVgBundesministerium der Verteidigung und des Militärischen Abschirmdienstes der Großteil der extremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus. Deshalb konzentriert sich die Studie auf diesen Bereich sowie auf die angrenzenden Phänomene der Neuen Rechten, von Verschwörungstheorien und Reichsbürgern. Unsere Fragebögen enthalten aber auch Skalen zum Linksextremismus und zum religiösen Fundamentalismus. Wir haben schon früh in der Planung des Forschungsberichts und der Auswertungen entschieden, dass wir uns auf die Bereiche konzentrieren wollen, die für die Bundeswehr am relevantesten sind.

Heiko Biehl

Gegen die Berücksichtigung von Linksextremismus und religiösem Fundamentalismus spricht zudem, dass es dafür in der empirischen Forschung keine etablierten Instrumente gibt, auf die sich die Studie hätte stützen können. So mussten wir die Fragen teilweise selbst entwickeln oder aus unterschiedlichen Quellen zusammenstellen. Dies ist kein optimales Vorgehen für eine sozialempirische Studie. Ganz anders ist die Lage bei der Messung von rechtsextremen Einstellungen. In diesem Bereich gibt es eine vielfach und über Jahrzehnte getestete und genutzte Skala. Hinzu kommt, dass unser Fragebogen auf die Erfassung und Erklärung rechtsextremer Einstellungen ausgerichtet ist. Für die Analyse von linksextremen und religiös-fundamentalistischen Einstellungen fehlen daher schlichtweg wesentliche Erklärungsvariablen. Unsere Studie kann also mit dem Fragebogen linksextremistische und religiös-fundamentalistische Einstellungen weder gut erfassen noch plausibel erklären.

Michael Gutzeit

Ihre Studie legt nahe, dass in der Bundeswehr viele mutmaßlich extremistische Vorfälle nicht gemeldet werden. Ist das nicht ein Problem, weil eigentlich alles gemeldet werden müsste?

Markus Steinbrecher

Bei allen dienstlichen Vorkommnissen und Vorfällen, nicht nur bei solchen, die mit Extremismus zusammenhängen, gibt es verschiedene Arten, damit umzugehen. Entweder werden die Vorfälle gemeldet oder sie werden zum Beispiel auf der Kompanieebene untereinander geregelt. Häufig bekommen die Soldatinnen und Soldaten gar nicht mit, wie mit diesen Vorfällen verfahren wird. Dies bedeutet nicht, dass nichts passiert. Die Regeln in der Bundeswehr sehen explizit einen Umgang mit Vorfällen vor, der Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz wahrt, der also eher diskret ist. Selbst über etwaige Disziplinarmaßnahmen und Strafen erfährt man häufig nichts, was den Eindruck erwecken kann, dass nichts unternommen wird. Zudem dauern die entsprechenden Verfahren teilweise mehrere Jahre. Dann ist der Großteil der Soldatinnen und Soldaten, die ein Ereignis erlebt haben, bereits in andere Einheiten versetzt worden oder gar aus dem Dienst ausgeschieden.

Nina Leonhard

Wie sich insbesondere in den Gruppendiskussionen unserer Studie zeigt, wägen Soldatinnen und Soldaten bei Vorfällen jedweder Art stets ab, wie damit umzugehen ist. Gravierende Vorkommnisse wie Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind an Vorgesetzte zu melden. Das wissen auch die Soldatinnen und Soldaten. Jedoch gibt es auch Verfehlungen, die als weniger schwerwiegend eingeschätzt werden und intern geregelt werden. Das ist übrigens in jeder Organisation so. Pauschale Anweisungen wie „alles ist stets zu melden“ würden den kameradschaftlichen Zusammenhalt empfindlich stören. Was im konkreten Fall der „richtige“ Umgang ist, ist daher nicht immer leicht zu entscheiden. Die Studie offenbart, dass sich die Soldatinnen und Soldaten erstens damit zuweilen schwertun und dass es zweitens deswegen unterschiedliche Reaktionsweisen gibt.

Michael Gutzeit

Ist eine Umfrage eigentlich ein gutes Instrument, um die Häufigkeit von Vorfällen und den Umgang damit zuverlässig zu erfassen?

Markus Steinbrecher

Einige methodische Unschärfen gibt es in der Tat bei der Messung der Häufigkeit von Vorfällen. So ist es von der individuellen Einschätzung eines Vorfalls oder Ereignisses als extremistisch durch die Befragten abhängig, ob jemand in der Befragung angibt, dass er eines der abgefragten Ereignisse erlebt hat oder nicht. Auch sind Mehrfachmessungen desselben Ereignisses möglich. Das ist der Fall, wenn mehrere Befragte denselben Vorfall meinen. Für die Einordnung der Ergebnisse ist zudem wichtig, dass die offiziellen Verdachtsfallstatistiken zeigen, dass sich viele gemeldete Fälle als unbegründet erweisen oder doch keinen extremistischen Bezug haben.

Heiko Biehl

Ich möchte dazu noch zwei Punkte ergänzen. Für die Qualität der erhobenen Daten spricht, dass die Muster zur Wahrnehmung von Vorfällen in den sozio- und militärdemografischen Gruppen der Studie den offiziellen Verdachtsfallstatistiken der Bundeswehr entsprechen. Das bedeutet, dass Gruppen, die in den Statistiken häufiger auftauchen, in unserer Befragung auch eher angeben, dass sie bestimmte Vorfälle erlebt haben. Trotz all dieser Argumente ist aber nicht auszuschließen, dass es Vorfälle gibt, die nicht gemeldet werden.

Michael Gutzeit

Aus den Ergebnissen Ihrer Studie kann man herauslesen, dass Rechtsextremismus vor allem von außen in die Bundeswehr gelangt. Warum kommen so viele Rechtsextreme in die Bundeswehr?

Nina Leonhard

Das ist so als Schlussfolgerung nicht korrekt. Die Studie zeigt nicht, dass viele Rechtsextreme in die Bundeswehr kommen. Vielmehr belegen die Ergebnisse, dass bei Befragten, die rechtsextremen Positionen zuneigen, auch ein erhöhtes Interesse an einer Tätigkeit in der Bundeswehr besteht. Damit ist noch nicht gesagt, dass sich diese Personen tatsächlich bei der Bundeswehr bewerben, das Bewerbungsverfahren erfolgreich durchlaufen und dann von der Bundeswehr eingestellt werden. Um dies zu verhindern, führt die Bundeswehr seit einigen Jahren eine Soldateneinstellungsüberprüfung durch. Dabei werden alle Bewerberinnen und Bewerber auch auf mögliche Verbindungen zu politischem Extremismus durchleuchtet. Diese Prüfung ist zeitaufwendig, was auf dem umkämpften Arbeitsmarkt ein Nachteil für die Bundeswehr sein kann. Dennoch belegen unsere Befunde, wie wichtig diese Überprüfung ist.

Markus Steinbrecher

Die Überprüfung entfaltet sicher auch eine abschreckende Wirkung auf mögliche Bewerberinnen und Bewerber, wobei unklar ist, wie stark dieser Effekt ist. Wesentliches Ziel aller Maßnahmen während des Bewerbungs- und Einstellungsprozesses ist es, dass Extremisten und Extremistinnen erst gar nicht in die Bundeswehr gelangen. Die offiziellen Statistiken der Bundeswehr zeigen, dass jedes Jahr bis zu 100 Bewerberinnen und Bewerber aus dem Prozess ausgeschlossen werden. Noch höher liegen die Zahlen bei Reservistinnen und Reservisten, wobei da noch nicht so lange genau geprüft wird, weil es Zuständigkeitsprobleme zwischen Militärischem Abschirmdienst und den zivilen Behörden gab.

Michael Gutzeit

Gerade läuft ja an mehreren deutschen Gerichten der Prozess gegen die sogenannte „Patriotische Union“ oder „Reuß-Gruppe“. Zu der Gruppe gehören aktive und ehemalige Soldaten. Welche Ergebnisse liefert Ihre Studie zum Themenfeld Reichsbürger und Verschwörungstheorien?

Heiko Biehl

Laut Verfassungsschutz sind Reichsbürgerpositionen und Verschwörungstheorien neue, eigenständige Phänomenbereiche, die nicht zwangsläufig mit Rechtsextremismus gleichzusetzen sind. Sie überlappen sich mit diesem aber teilweise. Da sie nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, den gesetzlichen Vorgaben für die Bundeswehr und den Ansprüchen der Inneren Führung vereinbar sind, sind diese Phänomenbereiche auch Gegenstand der Studie. Unsere Ergebnisse offenbaren, dass der Anteil an Personen, die Positionen der Reichsbürger und Verschwörungstheorien unterstützen, in der Bundeswehr nur etwa halb so hoch ist wie in der Bevölkerung. Unsere Analysen zeigen zudem, dass die Wege zur stärkeren Unterstützung von Positionen der Reichsbürger und von Verschwörungstheorien den Mechanismen zur Ausprägung rechtsextremer Haltungen ziemlich ähnlich sind.

Markus Steinbrecher

Für die Einordnung der Befunde ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es bislang in der Forschung kein etabliertes Instrument für die Erhebung von Reichsbürgerpositionen und Verschwörungstheorien gibt. Gleiches gilt für Theorien oder umfassende Ansätze zur Erklärung dieser Haltungen. Dennoch können unsere Ergebnisse dafür genutzt werden, Maßnahmen zu entwickeln, um die Herausbildung solcher absurden politischen Haltungen zu unterbinden.

Michael Gutzeit

Laut Ihrer Studie nehmen viele Soldatinnen und Soldaten eine Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit oder klare Grenzen für politische Äußerungen wahr. Diese Wahrnehmung hat auch einen wesentlichen Einfluss auf rechtsextremistische Einstellungen. Können Sie sich erklären, wie es zu dieser Wahrnehmung kommt?

Heiko Biehl

Wir sehen, dass es sich bei der Wahrnehmung, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist und es Denk- oder Sprechverbote gibt, nicht um einen spezifischen Befund für die Soldatinnen und Soldaten handelt, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Das zeigt nicht nur die Bevölkerungsbefragung unserer Studie, vielmehr ergibt sich das auch aus Ergebnissen anderer Umfragen. Für die Soldatinnen und Soldaten besteht bei dieser Thematik ein Spannungsfeld. Einerseits sieht die Innere Führung als Führungsphilosophie der Bundeswehr das Ideal des Staatsbürgers in Uniform vor. So sollen sich Soldatinnen und Soldaten politisch informieren, engagieren und sich aktiv an der politischen Willensbildung beteiligen. Andererseits setzt das Soldatengesetz klare Grenzen des politischen Engagements und der Meinungsfreiheit während des Dienstes, insbesondere für Vorgesetzte.

Nina Leonhard

Hierzu liefern die Gruppendiskussionen spannende Erkenntnisse: Bei manchem Soldaten und mancher Soldatin verursachen die Ansprüche aus Innerer Führung und Soldatengesetz eine Unsicherheit darüber, was man sagen darf und wozu man sich während des Dienstes äußert und wozu besser nicht. Das geht bei einigen so weit, dass sie Politik beziehungsweise Diskussionen über Politik grundsätzlich als etwas Gefährliches ansehen, das man besser ganz meidet. Viele Soldatinnen und Soldaten mit niedrigem Dienstgrad halten sich daher politisch zurück und vermeiden es, sich in Uniform innerhalb wie außerhalb des Dienstes zu politischen Themen zu äußern.

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