Das Interview führt:
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Michael Gutzeit Major
© Bundeswehr/Annette Besser
Interview mit:
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Heiko Biehl Dr.
© Bundeswehr/Annette Besser -
Nina Leonhard PD Dr.
© Bundeswehr/Annette Besser -
Markus Steinbrecher Dr.
© Bundeswehr/Annette Besser

Bei einer komplexen Studie wie „Armee in der Demokratie“ sind nicht nur die inhaltlichen Ergebnisse interessant, sondern auch methodische Aspekte. Können Sie kurz erklären, wie Ihre Studie aufgebaut war und wie die Daten erhoben wurden?

Die Studie besteht aus drei Modulen. Der Kern der Studie ist die bundeswehrinterne Befragung. Die Soldatinnen und Soldaten sowie das Zivilpersonal der Bundeswehr konnten entweder einen Papierfragebogen ausfüllen, den wir an ihre dienstliche Postadresse geschickt haben oder sie konnten den Fragebogen online beantworten. Dafür erhielten sie einen individualisierten Link mit einer Nachricht an ihre persönliche dienstliche E-Mail-Adresse. Die Kontaktdaten dafür haben wir vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr erhalten. Dieses Modul der Studie haben wir komplett selbst durchgeführt. Beim Verpacken und Versand der mehr als 20.000 Befragungsunterlagen hat das ganze ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit unterstützt. Dafür auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen.
Da es keine vorangegangenen Studien zu unserem Thema innerhalb der Bundeswehr gab, war es sehr wichtig, dass eine Bevölkerungsbefragung Teil der Studie ist. Der Fragebogen und die verwendeten Instrumente waren dabei weitestgehend identisch mit der bundeswehrinternen Befragung. Nur so können wir Vergleiche anstellen und die Ergebnisse unserer Analysen für die Bundeswehr einordnen. Aufgrund der Länge des Fragebogens kamen Telefoninterviews oder eine Onlinebefragung nicht in Betracht. Die Bevölkerungsbefragung unserer Studie musste daher mit computergestützten persönlichen Interviews in den Haushalten der Befragten durchgeführt werden.

Da wir als ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr weder die Kapazitäten noch die Erfahrungen haben, solche großen Befragungen in der Bevölkerung selbst durchzuführen, wurde nach einer öffentlichen Ausschreibung das renommierte Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos mit der Durchführung beauftragt. Ipsos hat nur die Datenerhebung für uns gemacht und den fertigen Datensatz geliefert. Wir als Projektteam haben alle weiteren Arbeitsschritte übernommen.

Ganz wesentlich war das Zusammenspiel mit dem dritten Modul. Wir haben insgesamt 18 Gruppendiskussionen mit Soldatinnen und Soldaten geführt und dabei verschiedene Dienstgradgruppen und unterschiedliche Bereiche wie Heer, Luftwaffe und Marine abgedeckt. Diese Diskussionsrunden dauerten teilweise bis zu 2 Stunden und liefern uns Informationen und Erkenntnisse, die man mit einem vorgefertigten Fragebogen nicht erheben kann. Zum Beispiel haben wir so Einblicke erhalten, wie die Soldatinnen und Soldaten untereinander über ihr Verhältnis zur Politik, zum Extremismus und zum Umgang mit extremistischen Vorfällen in der Bundeswehr diskutieren. Im Fokus stehen hier nicht die Meinungen des oder der Einzelnen, sondern das, was innerhalb der Gruppe Konsens ist und was nicht, aber auch was sagbar ist und was nicht.

Bei der quantitativen Befragung aller Soldatinnen und Soldaten haben nur etwas mehr als 20 Prozent mitgemacht. Ist die Studie bei so einer geringen Beteiligung überhaupt repräsentativ?

Die Ergebnisse der Studie sind belastbar und aussagekräftig und in dem Sinne repräsentativ, dass alle relevanten Gruppen annähernd gemäß ihrem Anteil in der gesamten Bundeswehr in unserer Stichprobe vertreten sind. Durch Gewichtung des Datensatzes – das ist ein in der empirischen Sozialforschung gängiges Verfahren – entspricht die Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Studie der Zusammensetzung des Personals der Bundeswehr. Die Gewichtungsfaktoren sind so gering, dass sie unter den üblichen Grenzwerten aus der Umfrageforschung bleiben. Das bedeutet, dass keine massive Anpassung notwendig ist, um für ausgewählte demografische Merkmale die Struktur der Grundgesamtheit in der Stichprobe herzustellen.

Es zeigt sich ein großer Unterschied in der Teilnahmebereitschaft zwischen militärischem und zivilem Personal. Warum haben nicht mehr Soldatinnen und Soldaten an der Befragung teilgenommen?

Die Teilnahme an Befragungen innerhalb der Bundeswehr ist immer freiwillig und anonym. Niemand ist gezwungen, an einer Befragung teilzunehmen. Und es kann auch nicht angeordnet oder befohlen werden, dass jemand mitmacht. Dies ist nicht nur in einer Vorschrift geregelt, sondern entspricht auch wissenschaftlichen und ethischen Standards in der empirischen Sozialforschung allgemein. Von daher haben wir nicht erwartet, dass alle angeschriebenen Personen teilnehmen oder auch nur eine Mehrheit mitmacht. Aus unserer langjährigen Erfahrung mit Befragungen in der Bundeswehr wissen wir, dass in der Regel maximal 30 Prozent der Personen in der Ausgangsstichprobe an einer Bundeswehrumfrage teilnehmen. Beim Zivilpersonal hatten wir in etwa diese Rücklaufquote.

Im Fall unserer Studie kommen noch ein paar Punkte dazu: Aufgrund der Corona-Pandemie, des langen Fragebogens und der sensiblen Thematik haben wir mit einem niedrigeren Rücklauf gerechnet und von vorne herein eine größere Stichprobe gezogen als üblich. Insgesamt wurden mehr als 20.000 Angehörige der Bundeswehr zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Mit über 4.300 ausgefüllten Fragebögen ist der Rücklauf in absoluten Zahlen eindrucksvoll und erlaubt auch belastbare Analysen in kleineren Teilgruppen, etwa auf Basis des Alters, des Dienstgrads, der Teilstreitkraft oder des Organisationsbereichs. Zum Vergleich: Bei Bevölkerungsbefragungen für ganz Deutschland, wie etwa für die Erhebung der sogenannten Sonntagsfrage, werden in der Regel zwischen 1.000 und 1.500 Personen befragt.

Zum unterschiedlichen Rücklauf beim zivilen und militärischen Personal der Bundeswehr ist noch zu ergänzen, dass Soldatinnen und Soldaten allgemein häufiger befragt werden und daher eher eine gewisse Befragungsmüdigkeit entwickeln. Zudem ist das militärische Personal wegen Einsätzen, Lehrgängen oder Übungen häufiger nicht in der Dienststelle, ist also schlechter erreichbar. Und wir wissen auch aufgrund der teils im Vorfeld, teils während der Erhebungszeit der quantitativen Befragungen durchgeführten Gruppendiskussionen, dass das Thema der Befragung für Soldatinnen und Soldaten aufgrund der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit und der normativen Aufladung durch Vorschriften sehr sensibel ist. Sicherlich haben sich einige, die wir zur Teilnahme eingeladen haben, gefragt, was ihre Haltungen zu politischen Fragen ihren Arbeitgeber angehen, und haben dann nicht mitgemacht.

Sie sollten mit Ihrer Studie Erkenntnisse zum Ausmaß von Extremismus in der Bundeswehr gewinnen. Kann man Rechtsextremismus oder Extremismus überhaupt mit einem Fragebogen messen?

Unsere Studie misst nicht Rechtsextremismus, sondern rechtsextreme Einstellungen. Rechtsextreme Einstellungen werden seit Jahrzehnten von der empirischen Sozialforschung untersucht. Wie man diese genau erhebt und nach ihnen fragt, hängt von der Definition ab. Wir orientieren uns in den quantitativen Befragungen zum einen an der Definition des Verfassungsschutzes, zum anderen an Erhebungsinstrumenten und Fragen, die in der Forschung etabliert sind. Unsere Studie schließt hier also an eine sehr breite Forschung zu rechtsextremen Einstellungen an.

Wir nutzen sowohl in der bundeswehrinternen Befragung als auch in der Bevölkerungsumfrage dieselbe Skala, die seit mehr als zwei Jahrzehnten zum Beispiel in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Einsatz kommt. Dies ist wichtig, weil es Ziel der Studie ist, die Einstellungen von Soldatinnen und Soldaten mit Ergebnissen aus anderen Befragungen und Studien zu vergleichen. Deshalb haben wir auf die Entwicklung einer eigenen Skala bewusst verzichtet.

Und ergänzend zu diesen Befragungen per Fragebogen haben wir in den Gruppendiskussionen mit den Soldatinnen und Soldaten über deren Verständnis von Politik und politischem Extremismus diskutiert, um herauszufinden, wie die Streitkräfteangehörigen die öffentliche Debatte um Extremismus in der Bundeswehr selbst wahrnehmen und einordnen. Hier zeigt sich übrigens, dass Soldatinnen und Soldaten die Berichterstattung in den Medien, aber auch die öffentlichen Reaktionen von Politikerinnen und Politikern sehr genau registrieren.

Wenn wir schon bei Begriffen und Definitionen sind: Was ist denn für Ihre Studie überhaupt Rechtsextremismus?

Wie gesagt verwenden wir die Definition des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes. Schaut man auf diese Definition, dann ist Rechtsextremismus kein einheitliches Phänomen. Was die verschiedensten Gruppen und Strömungen aus diesem Bereich aber gemeinsam haben, sind die folgenden Punkte: Sie gehen alle davon aus, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Nation über den tatsächlichen Wert eines Menschen entscheidet. Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind daher zentrale Bestandteile. Hinzu kommt, dass viele Rechtsextremisten den historischen Nationalsozialismus verharmlosen oder verherrlichen. All diese Aspekte stehen in einem fundamentalen Widerspruch zu zentralen Werten und Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem Grundgesetz. Sie sind daher auch Teil des von uns verwendeten Instruments zur Messung von rechtsextremistischen Einstellungen.

Sie haben ja schon darauf hingewiesen, dass es bei einigen Bundeswehrangehörigen auf Unverständnis gestoßen sein könnte, dass ihr Arbeitgeber und Dienstherr etwas über ihre politischen Ansichten und Haltungen wissen wollte. Haben die Soldatinnen und Soldaten vor diesem Hintergrund denn überhaupt ehrlich geantwortet? Wer gibt schon zu, dass er rechtsextrem ist?

Aus verschiedenen Bevölkerungsbefragungen wie den bereits genannten Mitte-Studien ist bekannt, dass sich Befragte durchaus zu rechtsextremen Positionen bekennen. Auch in der Bevölkerungsbefragung unserer Studie gibt es für verschiedene Aussagen eine hohe Zustimmung von bis zu 30 Prozent. In unserer Bundeswehrbefragung finden vereinzelte Aussagen durchaus einige Zustimmung, allerdings auf niedrigerem Niveau als in der Bevölkerung. Eine Ausnahme sind die Indikatoren für Chauvinismus. Über alle Fragen zu rechtsextremen Positionen hinweg ergibt sich der Befund, dass es in der Bundeswehr weniger Zustimmung zu rechtsextremen Positionen gibt als in der Gesamtbevölkerung. Wenn man auf die Ergebnisse anderer Studien schaut, ist dieser Befund nicht überraschend. Wir wissen etwa aus dem Allbus oder den Mitte-Studien, dass Angehörige des Öffentlichen Dienstes – und hierzu gehören Soldatinnen und Soldaten sowie das Zivilpersonal der Bundeswehr – in geringerem Maße rechtsextreme Einstellungen haben.

Natürlich müssen wir von einem gewissen Maß an sozial erwünschten Antworten der Soldatinnen und Soldaten ausgehen. Leider können wir nicht genau bestimmen, wie stark dieser Effekt ist, weil wir den wahren Wert für das Ausmaß extremistischer Einstellungen nicht kennen. Aber wir haben durch das Forschungsdesign der Studie, die verwendeten Instrumente in den Fragebögen, die Durchführung einer eigenen Bevölkerungsbefragung und umfassende Analysen alles unternommen, Effekte sozialer Erwünschtheit zu verringern. Insgesamt gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Zustimmung zu einzelnen rechtsextremen Positionen in der Bundeswehr so hoch ist wie in der Bevölkerung oder gar höher als in der Bevölkerung. Und genau dasselbe gilt für den Anteil der Befragten mit konsistenten rechtsextremen Überzeugungen.

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht sind darüber hinaus nicht nur die Zustimmungsraten für sich genommen relevant, sondern die zugrunde liegenden Einstellungsmuster, die diese Zustimmungsraten erklären. Hier zeigt sich für die Streitkräfteangehörigen, dass extremistische Haltungen im eben definierten Sinne mit Vertrauensverlust in die Politik sowie mit einem elitären soldatischen Selbstverständnis zusammenhängen. Diese Zusammenhänge, die wir in unserer Studie empirisch herausarbeiten, sind vor allem deswegen wichtig, weil sich daraus ableiten lässt, wo die Bundeswehr inhaltlich ansetzen könnte, um extremistischen Haltungen unter ihren Angehörigen vorzubeugen.

Sie haben ja eben auf die höheren Zustimmungswerte bei den Indikatoren für Chauvinismus hingewiesen. Sind Soldatinnen und Soldaten rechtsextrem, wenn sie einzelnen Aussagen zustimmen?

Nein, die Zustimmung zu einzelnen Aussagen deutet noch nicht auf ein geschlossenes Meinungsbild hin. Für ein geschlossenes rechtsextremes Meinungsbild muss ein Befragter bzw. eine Befragte mindestens auf die Hälfte der 18 abgefragten Aussagen mindestens mit „stimme eher zu“ geantwortet haben. Und bei der anderen Hälfte muss mindestens mit „teils, teils“ geantwortet werden. Die Festlegung dieses Grenzwerts entspricht der Vorgehensweise in den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Leipziger Autoritarismus-Studien.

Ist denn die Skala der Mitte-Studie überhaupt auf die Bundeswehr anwendbar?
Die verwendete Skala ist das etablierte Instrument in der Forschung. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird sie kontinuierlich eingesetzt und es liegen hierzu viele Studien und Werte vor. Uns ist die – teilweise nachvollziehbare – Kritik an der Skala bekannt. Dennoch verwendet unsere Studie die Skala, um eine hohe Vergleichbarkeit zur Forschung und zur Literatur zu ermöglichen. Die meisten Aussagen der Skala haben im zivilen wie im militärischen Kontext dieselbe Aussagekraft. Bei einigen Fragen ist jedoch der soldatische Kontext zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Aussagen, die Chauvinismus messen.

So ist für Soldatinnen und Soldaten, die bereit sein müssen, für die Verfolgung und Durchsetzung nationaler Interessen militärische Gewalt anzuwenden und notfalls ihr Leben zu riskieren und dazu einen Eid geleistet haben, zumindest fraglich, ob ihre Zustimmung zu drei der 18 Aussagen ein Indiz für rechtsextreme Einstellungen ist. Das sind 1) „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“ 2) „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.“ Und 3) „Das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.“

Diese Probleme bei der Anwendung einzelner Fragen der Skala bei Bundeswehrangehörigen diskutieren wir ausführlich in unserem Forschungsbericht. Dennoch ist die Skala anwendbar und liefert zuverlässige Ergebnisse. Wichtig ist noch einmal der Hinweis, dass es nicht auf die Beantwortung einzelner Fragen ankommt, sondern die Antworten auf alle 18 Fragen verwendet werden, um zu prüfen, ob jemand ein konsistentes rechtsextremes Weltbild hat oder nicht. Durch die vergleichsweise hohe Zahl von 18 Items in sechs Dimensionen wie Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus erfasst die Skala rechtsextremistische Haltungen in ihrer gesamten Breite und deckt alle vom Verfassungsschutz genannten Dimensionen des Rechtsextremismus ab.