Luftangriff auf Potsdam: Operation „Crayfish“
Luftangriff auf Potsdam: Operation „Crayfish“
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
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In der Nach vom 14. April 1945 überfliegen in 5200 bis 6500 Metern Höhe rund 500 RAF-Maschinen die ehemalige Residenz- und Garnisonstadt Potsdam und werfen in weniger als 40 Minuten ca. 4070 Bomben mit einem Gewicht von 1717 Tonnen, 836 Beleuchtungsbomben und 84 Markierungsbomben ab. Noch heute ein fester Bestandteil der Potsdamer Erinnerungskultur.
Der Luftangriff auf Potsdam
Bis April 1945 war Potsdam weitestgehend von Kriegshandlungen und alliierten Luftangriffen verschont geblieben. Weltbekannt geworden, war die Stadt unter anderem durch den „Tag von Potsdam“. Als im Februar 1945 sowjetischen Truppen bis an die Oder-Neiße-Linie vorrückten und sich für den Sturm auf Berlin vorbereiteten, geriet auch die bis dahin für die Alliierten unbedeutende ehemalige Residenz- und Garnisonstadt auf die geheime Zielliste der britischen Royal Air Force (RAF). In dem sogenannten „Bomben-Baedeker“ war Potsdam zuvor keine große Bedeutung bemessen worden. Jedoch stellte der Potsdamer Bahnhof zu diesem Zeitpunkt eine der letzten Ost-West-Verbindungen zur Verschiebung von deutschen Truppen, Munition und Waffen Richtung Berlin dar und war damit ein militärisches Ziel im Rahmen der Vorbereitung des „Sturms auf Berlin“.
Ausgangslage
Noch im März 1945 diskutierten der Oberbürgermeister, der Polizeipräsident, der Kreisleiter der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, der Kampfkommandant und der für die Lebensmittelversorgung zuständige Magistratsbeamte der Stadt darüber, Potsdam zur „offenen Stadt“ erklären zu lassen. Am Ende setzte sich der Gauleiter Emili Schürtz mit seiner Position durch, Potsdam gegen den Feind zu verteidigen. Mit diesem Entschluss ging die Entscheidung einher, die Zivilbevölkerung den Kämpfen auszusetzen und nahm billigend Zivilopfer und die Zerstörung der Stadt, samt der historischen Kulturgüter, in Kauf.
Operation „Crayfish“
Der Luftangriff auf Potsdam war unter dem Decknamen „Crayfish“ durchgeführt und nur wenige Tage zuvor geplant worden. Am 9. April 1945 hatte eine Halifax die ehemalige Residenz- und Garnisonstadt überflogen und Bildaufnahmen gemacht. Diese Bilder dienten der RAF zur Ausplanung der Operation. Der ursprünglich als Tagesangriff geplante Einsatz verzögerte sich aus unbekannten Gründen, sodass die 724 RAF-Flugzeuge von 26 Flugplätzen nördlich von London erst um 17:45 Uhr starteten. Innerhalb von 75 Minuten hoben die Flugzeuge der RAF ab und bildeten einen 50 bis 60 km langen Bomberstrom über der Nordsee.
112 der insgesamt 724 RAF-Maschinen hatten einen anderen Auftrag erhalten. Die sollten durch Luftangriffe auf Cuxhaven, Wismar und Berlin für die Verschleierung des eigentlichen Ziels dienen. Dabei handelte es sich um eine bewährte Praxis der RAF, die sie sich im Zweiten Weltkrieg angeeignet hatte. Die Ablenkungsangriffe waren gemäß dem Operationsplan ohne Komplikationen durchgeführt worden.
Die Operation „Crayfish“ war von Oberstleutnant Hugh Le Good und seiner Besatzung in einer Lancaster PB 676 E, als designierter „Master Bomber“ geleitet worden. Dabei flogen sie eine zuvor festgelegte Anflugroute nach Potsdam. Die Wetterbedingungen waren günstig, obwohl der Himmel über England, dem Ärmelkanal bis über Frankreich immer wieder bewölkt war. Beim Überqueren des Rheins klarte der Himmel vollständig auf und bot eine hervorragende Sicht für die Piloten.
Luftkämpfe mit deutschen Nachtjägern
Auf dem weiteren Anflug Richtung Mainz, Hildesheim und Hannover gerieten einige Flugzeuge zwischen Paderborn und Kassel in Luftkämpfe mit deutschen Nachtjägern. Die deutsche Luftverteidigung blieb jedoch erfolglos. Bei Helmstedt kam es zu einem weiteren Kontakt mit deutschen Nachtjägern. Aber auch diese Begegnung hatte keine Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Operation „Crayfish“. Lediglich 12 Flugzeuge drehten während des Anflugs wegen technischer Probleme noch vor Überflug der Westfront ab.
Öffentlicher Alarm
Als um 22 Uhr die ersten Flugzeuge den Luftraum über Hannover erreichten, wurde in Potsdam ein öffentlicher Alarm ausgelöst und die Bevölkerung vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt. Damals wussten die meisten Bewohnerinnen und Bewohner Potsdams nicht, ob der Alarm tatsächlich für sie bestimmt war. Bereits in der Nacht zuvor hatte es einen Luftalarm gegeben. Dieser hatte jedoch der Reichshauptstadt Berlin gegolten, die zuvor häufiges Ziel alliierter Luftangriffe geworden war und unmittelbar an Potsdam grenzte.
Lage der Bevölkerung
Neben der Stadtbevölkerung befanden sich im April 1945 wohl mehr als 30 000 Flüchtlinge, Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene, die keine oder nur unzureichenden Zugang zu Luftschutzräumen hatten. Diverse Truppenteile befanden sich auf Zwischenhalt in Potsdam. Seit Monaten gingen die Menschen nur noch teilbekleidet ins Bett; im besten Fall die gepackten Koffer griffbereit neben der Tür. Jederzeit bereit, den jedem und jeder bekannten und schnellsten Weg in den nächsten Luftschutzraum zu nehmen. Doch, obwohl die Luftschutzsirenen zu einem gewohnten und manchmal lästigen Begleiter geworden waren, riss jede Alarmierung die Menschen aufs Neue aus ihrem Alltag – einem Alltag im Krieg.
Die ersten Bomben fallen
Nur fünf Minuten nachdem der öffentliche Alarm in Potsdam ausgelöst wurde, erschien eine Halifax der 100. Group über Potsdam. Sie und einige weitere Bomber erreichten aufgrund von veränderten Wetterbedingungen die Stadt früher und mussten noch auf den restlichen Verband warten. Sofort flammten Scheinwerfer auf, suchten den Himmel ab und die Flak eröffnete das Feuer. Dies blieb jedoch erfolglos, da die Geschosse die Flughöhe der britischen Maschinen nicht erreichen konnten. Um 22:39 traf dann der Master Bomber über der ehemaligen Residenzstadt ein und gab den Befehl zum Abwurf der ersten Markierungsbomben. Dies übernahmen die Pfadfinder-Einheiten der VIII. Group und erhellten die klare und wolkenlose Nacht über Potsdam. Der nun nach und nach eintreffende Bomberstrom hatte damit gute Bedingungen für das Verbringen seiner Ladung im Zielgebiet. Genau um 22:40 Uhr schlugen die Messgeräte des Deutschen Wetterdienstes aus und verzeichneten damit den Beginn des Luftangriffs.
Verlauf der Operation „Crayfish“
Oberstleutnant Hugh Le Good leitete mit seiner Crew als Master Bomber die Operation und war bis zum Ende dieser über Potsdam. Beinahe zu allen Maschinen bestand eine gute Funkverbindung. Während der Mission korrigierte er mehrmals die gesetzten Markierungen, die das Zielfeld absteckten, da diese immer wieder drohten aufgrund des Windes Richtung Westen abzudriften. Doch der erfahrene Le Good hatte die Situation im Griff. Es gelang ihm, die Markierungen neu zu setzen und durch gezielte Anweisungen an die an der Operation beteiligten Maschinen des Bomberstroms weiterzugeben, sodass der Angriff konzentriert im abgesteckten Zielgebiet umgesetzt wurde. Ab 23 Uhr nahm die Intensität ab und um 23:16 fiel die letzte Bombe.
Am Ende bleiben Trümmer und Tote
Das genaue Ausmaß der Schäden des Angriffes am 14. April ist nicht einfach zu beziffern, da nur wenige Tage später sowjetische Truppen vor Potsdam standen. Eine systematische Aufarbeitung der Kriegsschäden begann erst nach dem Ende der Potsdamer Konferenz, die vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 in Potsdam stattfand. Schätzungsweise waren 1593 Menschen bei dem Luftangriff ums Leben gekommen und etwa 70 Prozent des Stadtzentrums lagen in Trümmern. Die Enttrümmerungsarbeiten und der Wiederaufbau der Stadt sollten noch Jahrzehnte andauern. Heute noch erinnern Bombenfunden an die für Potsdam prägende Nacht.