90 Jahre

„Tag von Potsdam“: Eine Stadt und ihre Legende

„Tag von Potsdam“: Eine Stadt und ihre Legende

Datum:
Ort:
Potsdam
Lesedauer:
6 MIN

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Vor 90 Jahren, am 21. März 1933, schüttelte Adolf Hitler dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor der Garnisonkirche in Potsdam die Hand - dieses Datum geht als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte ein. Mit diesem Ereignis sind auch Ambivalenzen zwischen der Inszenierung des Alten Preußen und dem Weg in die NSNationalsozialismus-Diktatur verbunden.

Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler am Tage von Potsdam

Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler am Tage von Potsdam (21. März 1933)

Bundesarchiv

Potsdam und das „Dritte Reich“

Potsdam und das „Dritte Reich“ haben eine besondere Verbindung. Hier wurde den Deutschen mit dem Potsdamer Abkommen am 2. August 1945 die Rechnung für das präsentiert, was nicht erst mit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges 1939 begonnen hatte. In dieser Stadt befand sich die Heimatkaserne des Infanterieregimentes 9, aus dem sich einige Widerständler rekrutierten. Und in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 tötete ein britischer Luftangriff fast 1600 Menschen und machte ungefähr 60.000 obdachlos. Gleichwohl erlebte die preußische Residenzstadt am 21. März 1933 aber auch ein Ereignis, welches Vielen später als der offizielle Auftakt für das nationalsozialistische Deutsche Reich galt.

Ein Staatsakt mit Folgen

An diesem Tag drückte der gerade erst ernannte Reichskanzler Adolf Hitler dem 86jährigen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Hand, dem er noch wenige Monate zuvor bei der Wahl zum Staatsoberhaupt unterlegen war. Es ist eines der wenigen Bilder, die den künftigen deutschen Diktator in feierlichem Zivil, mit Cut, Handschuhen und Zylinder, bei einem öffentlichen Anlass zeigen. Die Verneigung des einstigen Gefreiten der kaiserlichen Armee vor seinem ehemaligen Heerführer im vollen Ornat des Generalfeldmarschalls gilt heute als ein Symbol: für den Untergang der Weimarer Demokratie, die Legitimierung eines zwölfjährigen Rechtsbruches, aber eben auch die Verbindung der alten Eliten mit den neuen.

Doch so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint, war die Szenerie ganz und gar nicht. Seinerzeit schätzte die nationalsozialistische Propaganda diese bekannte Fotografie des New York Times-Reporters Theo Eisenhart wenig. Seine eigentliche Wirkmächtigkeit erreichte das Foto  deswegen auch gar nicht im „Dritten Reich“, sondern erst, als sie nach der Befreiung zum Beleg umgedeutet wurde für die vermeintlich diabolischen Verführungskünste des NSNationalsozialismus-Regimes. Im Ergebnis avancierte das Foto zu einem Markstein der Selbstviktimisierung der Deutschen.

Tatsächlich vollzog sich an diesem 21. März 1933 ein Staatsakt, mit dem das gut zwei Wochen zuvor gewählte Parlament feierlich eröffnet wurde. Angesichts des von der Brandstiftung am 27. Februar schwer mitgenommenen Berliner Reichstagsgebäudes wich man dazu in die benachbarte preußische Residenzstadt aus. Die seinerzeitige Grablege der beiden Preußenkönige Friedrich Wilhelm I., des „Soldatenkönigs“, und Friedrich II., des Großen, in der dortigen Garnisonkirche hatte sich nach der Abschaffung der Monarchie als Folge des Ersten Weltkrieges zur zentralen Verehrungsstätte des preußischen Königtums entwickelt.

Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuz

Ebenso bewusst war das Datum gewählt, an dem sich zum 62. Mal die Eröffnung des ersten Parlaments des deutschen Kaiserreiches jährte. In der Stadt wehten dicht an dicht schwarz-weiß-rote Fahnen neben Hakenkreuzflaggen. Kurz zuvor erst, am 12. März 1933, hatte Hindenburg per präsidialer Verordnung verfügt, dass die alten Farben des Kaiserreiches zusammen mit der jungen Fahne der Nationalsozialisten als Nationalflaggen zu gelten hätten - ein bewusster Verstoß gegen die Reichsverfassung, deren Artikel 3 die Farben Schwarz-Rot-Gold festschrieb. Der Tag selbst begann mit Gottesdiensten in der Nikolai- beziehungsweise der Stadtpfarrkirche, ehe man sich zum eigentlichen Festakt mit dem Reichspräsidenten Hindenburg und des neu bestallten Reichskanzlers Hitler in der Garnisonkirche zusammenfand.

Die sozialdemokratischen Abgeordneten hatten auf eine Teilnahme demonstrativ verzichtet, diejenigen der schon verbotenen KPD waren auf der Flucht oder in den Folterkellern der SASturmabteilung. Dafür fanden sich unter den zahlreichen illustren Gästen die Preußenprinzen August Wilhelm, Oskar und Eitel Friedrich neben zahlreichen Vertretern des wilhelminischen Deutschland, viele in ihren kaiserlichen Uniformen. Eine gemeinsame Parade von Reichswehr, Polizei, SASturmabteilung, SSSchutzstaffel und des „Stahlhelms“ rundete die Zeremonie ab. Zum ersten Mal marschierten dabei die grauen Bataillone zusammen mit den braunen; allerlei andere Vereinigungen schlossen sich an. Dies war in der Tat eine Inszenierung, aber keine des erst eine Woche zuvor installierten Ministers für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels. Dessen Anteil beschränkte sich auf die allerdings wesentliche mediale Ausbeutung des Ereignisses, vor allem durch die Radioberichterstattung.

Tausende von Menschen in den Straßen Potsdams erwarten die Ankunft des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers

Tausende von Menschen in den Straßen Potsdams erwarten die Ankunft des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers

Bundesarchiv

Politik der Symbole

Nicht Hitler und seine Nationalsozialisten hatten Ort und Zeit gewählt, sondern das zuständige Reichsinnenministerium den entsprechenden Abstimmungsprozess orchestriert. Potsdam bot sich an, verfügte aber über keinen ausreichend geräumigen Profanbau. Dadurch kam die Garnisonkirche ins Gespräch, wogegen sich Kirche und Reichspräsident aussprachen. An einem für beide in mehrfacher Hinsicht „heiligen“ Ort dürften keine politischen Debatten geführt werden - so ihr Argument. Am Ende einigte man sich, dort lediglich ein feierliches Eröffnungszeremoniell stattfinden zu lassen, während die erste politische Sitzung des Reichstages in der fürderhin als dessen Sitz vorgesehenen Berliner Kroll-Oper anberaumt wurde. Damit wollte man jenem signalisieren, wo das eigentliche Machtzentrum des Deutschen Reiches zu verorten war, nämlich im Präsidialamt. Dass sich Hitler dem zu diesem Zeitpunkt unterordnete, zeigt nichts weniger als die noch bestehenden Möglichkeiten. Mit der Ernennung Hitlers am 30. Januar 1933 saßen die Nationalsozialisten eben längst nicht fest im Sattel.

Die höchsten Offiziere der Reichswehr und Marine schreiten die angetretene Front ab

Die höchsten Offiziere der Reichswehr und Marine, an der Spitze Reichswehrminister Werner von Blomberg, schreiten das Ehrenspalier der Reichswehr und der S.A. in Potsdam ab

Bundesarchiv

Das Ende der Demokratie und der Weg in den NSNationalsozialismus-Staat

Hindenburg war es, der von Tausenden frenetisch gefeiert wurde, als er über die Glienicker Brücke in die Stadt hineinfuhr und nach dem Gottesdienst noch eine Stadtrundfahrt unternahm, bevor er sich zur Garnisonkirche begab. Sein Eintreffen dort markierte den Beginn des Eröffnungszeremoniells, und den neuen Kanzler begrüßte er erst, nachdem er seinen Marschallstab huldigend zur freilich leeren Loge der Preußenkönige erhoben hatte. Routiniert absolvierte er seine repräsentativen Pflichten bis hin zur Abnahme der Parade zum Abschluss. Bei der Verabschiedung Hitlers von Hindenburg entstand dann der eingangs thematisierte Schnappschuss, der also alles andere als eine Inszenierung gewesen ist.

Den „Tag von Potsdam“ dominiert hatte das alte Preußen mit Hindenburg als personifizierter Spitze. Eigens geprägte 5-Reichsmark-Münzen mit dem Datum des „Tages von Potsdam“ und der stilisierten Garnisonkirche manifestierten die Symbolträchtigkeit von Zeit, Ort und Ereignis. Deren Glockenspiel, „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“, bildete fortan das Pausenzeichen des Deutschlandsenders, der seinerzeit den Staatsakt landesweit übertragen hatte – was sich in den Jahren des „Dritten Reiches“ jedoch zu wenige zum Vorbild nahmen.Nur zwei Tage später kapitulierte der Reichstag, als alle Parteien bis auf die Sozialdemokraten dem so genannten Ermächtigungsgesetz zustimmten. Vor allem auf dessen Basis wurde in der Folge die Diktatur installiert. Die Nationalsozialisten haben den Schulterschluss zwischen alten und neuen Eliten am „Tag von Potsdam“ zwar nicht inszeniert, sie wussten aber von ihm zu profitieren: „Das alte Preußen erlebte am 21. März 1933 keine Auferstehung. Die neuen Machthaber nahmen nur seinen Mythos in Dienst“, wie es Heinrich August Winkler formulierte, „um ihrer Herrschaft den Schein einer noch höheren Legitimität zu verschaffen als jener, die sie am 5. März durch die Wähler empfangen hatten.“ Hinterher dafür die vermeintlichen Verführungskünste Hitlers und seiner Helfershelfer verantwortlich zu machen, ist menschlich nachvollziehbar. Nach 90 Jahren ist es indes längst an der Zeit, die historische Verantwortlichkeit anzunehmen anstatt weiterhin Legenden zu transportieren.


von John Zimmermann

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