Ziele des Afghanistan-Einsatzes
Ziele des Afghanistan-Einsatzes
- Datum:
- Ort:
- Afghanistan
- Lesedauer:
- 5 MIN
Politische Zwecke und Ziele des internationalen militärischen Afghanistan-Engagements, 2001-2014
Ein Projekt von Dr. Philipp Münch
Mit Ende des „Kalten Kriegs“ begannen weltweit zahlreiche neue bewaffnete Konflikte. Westliche Staaten regierten hierauf, indem sie zivil-militärische Missionen zum Peacekeeping und Staatsaufbau intensivierten. Vor allem unter Führung der UNUnited Nations oder NATO etablierten sich derartige Missionen in den 1990er Jahren als Standardmittel der internationalen Sicherheitspolitik. Das internationale militärische Engagement in Afghanistan stellt möglicherweise einen Höhe- oder sogar Endpunkt in der geschilderten Entwicklung langfristiger, personalintensiver militärischer Missionen westlicher Staaten zur Beendigung innerstaatlicher Konflikte und zur Ermöglichung eines Staatsaufbaus dar.
Obwohl mit relativ wenigen Kräften begonnen, entwickelte sich aus der International Security Assistance Force (ISAFInternational Security Assistance Force) in Afghanistan – gemessen an der Truppenstärke – der größte Einsatz in der Geschichte der NATO. Mit seiner Dauer von 2001 bis 2014 stellte er das zweitlängste NATO-Engagement mit den größten logistischen Entfernungen dar. Gleichzeitig führte die anfangs harmlos erscheinende Mission schließlich zu den intensivsten Bodenkämpfen in der Geschichte aller NATO-Missionen. Die hohen menschlichen Verluste sowie die materiellen und politischen Kosten konfrontierten die beteiligten Staaten angesichts der Wirkungslosigkeit ihrer stetig steigenden Anstrengungen mit der Frage, ob derartige Missionen überhaupt machbar waren. Das Forschungsprojekt wird verstehen helfen, wie es zu dem skizzierten Höhe- und gegebenenfalls Endpunkt der ambitionierten personalintensiven internationalen militärischen Auslandseinsätze in Afghanistan kam. Es stellt eine Hälfte des ersten Bandes des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr-Projekts „Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan 2001-2014“ dar.
Fragestellung
Bereits ein oberflächlicher Blick auf den Verlauf der ISAFInternational Security Assistance Force-Mission von 2001 bis 2014 zeigt, dass sich deren Ziele geografisch und thematisch immer stärker ausweiteten. Während sie anfangs nur die neue afghanische Regierung in Kabul und Umgebung unterstützen sollte, galt sie später als verantwortlich für die Sicherheit ganz Afghanistans und wollte das Land „stabilisieren“ sowie die Aufstandsbewegung bekämpfen. Es drängt sich daher die allgemeine Frage auf, wie es zu dieser enormen Ausweitung gekommen war. Konkret fragt das Forschungsprojekt: Welche politischen Zwecke und Ziele verfolgten die internationalen Akteure des militärischen Afghanistan-Engagements mit welchen geplanten Strategien von 2001 bis 2014? Wieso weiteten sich die anfangs verfolgten Ziele und geplanten Vorgehensweisen entgegen der ursprünglichen Absichten immer stärker aus und führten zum bezüglich Gewaltanwendung und Verlusten intensivsten und zweitlängsten Engagement der NATO? Also zusammengefasst: Zu welchen Zwecken wollten die internationalen Entscheidungsträger was, wie erreichen und aufgrund welcher Ereignisse, Entwicklungen und Dynamiken mündete es ungewollt im intensivsten und zweitlängsten Engagement?
Forschungsstand
Der Forschungsstand lässt sich wie folgt zusammenfassen: Fast alle Studien halten die Strategieentwicklung des internationalen militärischen Afghanistan-Engagements für defizitär, wobei sich die meisten Arbeiten auf die Mittel und Wege fokussieren. Ursachen für die beobachteten Defizite suchen die wenigsten Arbeiten. Diese nennen zusammenfassend Abstimmungsprobleme der beteiligten Akteure und deren nicht auf Afghanistan bezogene Eigeninteressen. Als Leerstelle erscheint hierbei, genau herauszustellen, wer welche Interessen vertrat. Denn auch aufgrund der meist gewählten, auf hohem Niveau aggregierten Akteursanalysebene („der Staat“ oder „die NATO“) ist dies unklar. Gleiches gilt für die Frage, ob die Verantwortlichen bewusst so handelten und warum sie dies trotz der absehbar negativen Folgen ungehindert tun konnten. Als Ursache für diese Leerstellen erscheint neben den verwendeten, auf hochgradig aggregierte Akteure fokussierten politikwissenschaftlichen Ansätzen insbesondere die eher dürftige Quellenbasis der meisten Arbeiten.
Forschungsansatz
Das Forschungsprojekt verfolgt einen interdisziplinären Ansatz, der historische Quellenarbeit mit politikwissenschaftlichen Theorien verbindet. Ausgehend von den Vorannahmen von Bureaucratic Politics und Praxistheorie, sieht das Projekt Staaten nicht als geschlossene Akteure, die eine nutzenmaximierende Gesamtkalkulation machen und deren politischer Zweck ahistorisch vorauszusetzen ist. Gleiches gilt für die NATO und andere internationale Organisationen. Stattdessen stehen Einzelpersonen im Fokus. Bei diesen ist im Einklang mit Bureaucratic Politics-Theorien davon auszugehen, dass ihre institutionelle Verortung entscheidend mitbestimmte, wie sie den politischen Zweck des Afghanistan-Engagements interpretierten und welche diesbezüglichen Ziele und Vorgehensweisen sie befürworteten. Grundsätzlich plausibel, aber noch im Einzelnen zu klären erscheint auch die praxistheoretische Annahme, dass die Akteure nicht bewusst die großen Linien ihres Handelns reflektierten.
Um die Fragestellung beantworten zu können, soll zum einen nachvollzogen werden, welche Zwecke und Ziele diese Akteure zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Mission artikulierten. Zum anderen ist zu rekonstruieren, wie sie sich bei Schlüsselentscheidungen verhielten. Hierunter sind jene Entscheidungen zu verstehen, die im Rückblick den größten Einfluss auf den Verlauf des militärischen Engagements hatten. Diese Methode soll auch jene Zwecke und Ziele offenlegen, welche die Akteure nicht ausdrücklich artikulierten und deren Aussagen mit der tatsächlichen Praxis kontrastieren. Es sind jedoch nicht nur die Inhalte von Quellen wiederzugeben, die Zweck und Ziele des Engagements definierten, und die Positionierungen der Akteure bei Schlüsselentscheidungen nachzuzeichnen. Gleichzeitig sollen möglichst die Ursachen hierfür ergründet werden. Als Quellen dienen zum einen zahlreiche offengelegte USUnited States-Dokumente, vor allem aus den Geschäftsbereichen von USUnited States Department of Defense und USUnited States Department of State. Daneben wurde die Offenlegung weiterer USUnited States-Akten und von politischen NATO-Dokumenten beantragt. Auch die Akten aus dem Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv bieten relevante Einsichten.
Vorgehensweise
Das Projekt folgt einem chronologischen Aufbau. Zunächst skizziert der erste Abschnitt die Hintergründe des 1979 begonnenen Afghanistan-Kriegs, einschließlich der Schlüsselakteure. Welchen politischen Zweck die von ihr nach „9/11“ angeführte Intervention in Afghanistan für die USUnited States-Administration und ihre vor allem der NATO angehörenden Verbündeten erfüllte und mit welchen Zielen sie diesen erreichen wollte, legt der zweiten Abschnitt dar. Der Folgeabschnitt befasst sich mit den Entscheidungen der Jahre 2002 bis 2003 nach dem schnellen Fall der Taleban-Regierung. Den Zeitraum nach der ISAFInternational Security Assistance Force-Kommandoübernahme durch die NATO im Jahr 2003 bis 2006 behandelt der vierte Abschnitt. Abschnitt fünf behandelt die Eskalation der Kämpfe zwischen internationalen Truppen und Aufständischen in den Jahren 2006 bis 2008. Der sechste Abschnitt befasst sich mit der Wende im militärischen Afghanistan-Engagement in den Jahren 2009 bis 2010 nach Amtseinführung von USUnited States-Präsident Barack Obama. Die Endphase des ISAFInternational Security Assistance Force-Engagements von 2011 bis zum Jahresende 2014 behandelt Abschnitt sieben.